Gesundheitswesen 2018; 80(08/09): 772
DOI: 10.1055/s-0038-1667610
Beiträge am Mittwoch, 12.09.2018
Vorträge
Migration und Gesundheit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die elektronische Gesundheitskarte für Geflüchtete: erleichterter Zugang oder überflüssiger Mehraufwand?

K Rolke
1   Universität Bielefeld, Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
,
J Wenner
1   Universität Bielefeld, Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
,
O Razum
1   Universität Bielefeld, Gesundheitswissenschaften, Bielefeld, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
03 September 2018 (online)

 

Hintergrund:

Wie der Zugang zu gesundheitlicher Versorgung für Geflüchtete in den ersten Monaten nach ihrer Ankunft gewährt wird, unterscheidet sich zwischen Kommunen in Deutschland. Grundsätzlich werden zwei Versorgungsmodelle unterschieden: Behandlungsscheine und elektronische Gesundheitskarten (eGK). Wir vergleichen den Einfluss dieser Modelle auf den realisierten Zugang (Andersen, 1995) und analysieren, welche Maßnahmen den Zugang in den ersten Monaten erleichtern.

Methoden:

Beide Modelle koexistieren in NRW, wodurch sich quasi-experimentelle Forschungsbedingungen ergeben. Wir führten leitfadengestützte Interviews mit lokalen Akteuren (N = 21) in vier Kommunen in NRW. Bei der Auswahl der Kommunen wurde deren Heterogenität in Bezug auf die Einwohnerzahl, das Zugangsmodell und die geographische Lage berücksichtigt. Die inhaltsanalytische Auswertung (Mayring, 2010) erfolgte computergestützt (atlas.ti).

Ergebnisse:

Geflüchtete in Kommunen mit eGK-Modell profitieren dann von einem direkten, diskriminierungsfreien Zugang zur Versorgung, wenn es enge Absprachen zwischen Kommune und Krankenkasse gibt. Maßnahmen, die unabhängig vom Modell den Zugang zu Beginn erleichtern, sind: persönliche Beratung zu Leistungsanspruch und Zuzahlungen, Unterstützung bei Terminvereinbarungen, Organisation und Finanzierung von Sprachmittlung, Ausgabe der Behandlungsscheine unabhängig von konkretem Bedarf.

Schlussfolgerungen:

Entscheidend ist nicht allein die Wahl des Zugangsmodells, sondern auch dessen konkrete Implementierung. Das bedeutet: Die Heterogenität der Versorgungmodelle geht über die Binarität eGK vs. Behandlungsschein hinaus. Der tatsächliche Zugang für Geflüchtete kann daher nur durch eine ergänzende Analyse der lokalen Unterstützungsfaktoren vor Ort bewertet werden. Keines der Modelle kann bestehende rechtliche Restriktionen im Anspruch ausgleichen.