Gesundheitswesen 2019; 81(08/09): 701
DOI: 10.1055/s-0039-1694471
Kongresstag 2: 17.09.2019
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kontexte und Mechanismen in der psychosozialen Versorgung Unbegleiteter Minderjähriger Geflüchteter – Ein Realist Review

HS Ulrich
1   Institut für medizinische Soziologie, Martin-Luther-Univerrsität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
,
M Mlinarić
2   Institut für Medizinische Soziologie (IMS), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
,
E Kohler
3   Institut für medizinische Soziologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Halle (Saale)
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Publication History

Publication Date:
23 August 2019 (online)

 

Einleitung:

Die bestehende Forschung zur psychosozialen Versorgung Unbegleiteter Minderjähriger Geflüchteter (UMRs) fokussiert hauptsächlich sozialepidemiologische Befunde und qualitative Evidenzen aus Expert*innensichtweisen. Es fehlen bislang hingegen eingehende Kenntnisse zu den Kontextbedingungen und Mechanismen in aktuellen Versorgungsbarrieren für UMRs, aus denen praktische Handlungsempfehlungen abgeleitet werden können.

Methoden:

Um wissenschaftliche Evidenz und graue Literatur aus dem Feld der psychosozialen Versorgung zu UMRs zu synthetisieren wurde ein Realist Review (RR) in sechs methodologischen Schritten (nach RAMESES publication standards for realist synthesis) anhand der Suchworte UMR, UMF, UMA und „mental health care“ durchgeführt. Die elektronische Datenbankensuche ergab in PubMed und Web of Science zwischen 2005 und 2019 insgesamt 974 Funde, welche systematisch nach Theorie, Relevanz und Evidenz untersucht und abschließend auf Basis von n = 53 in das erklärende Modell eingearbeitet wurden. Anhand der Kernfrage eines RR – „What works for whom under what circumstances, how and why?“ – wurden context-mechanism-outcome-Konfigurationen (CMOs) synthetisiert.

Ergebnisse:

Für UMRs besteht ein erhöhtes Erkrankungsrisiko für posttraumatische Belastungsstörungen und sie unterliegen einer Vielzahl an institutionellen, kulturellen, ethischen, rechtlichen und sprachlichen Versorgungsbarrieren. Eine dominante multiple CMOs konnte extrahiert werden, die insbesondere im Kontext des UMR-Aufenthaltsstatus (C1) Zugänge zur Versorgung limitiert (M1) und in der psychosozialen Ergebnisqualität Benachteiligungen produziert (O1).

Diskussion:

Der Bedarf an regionalvergleichender und geschlechtssensibler qualitativer Forschung zur psychosozialen Versorgung von UMRs wurde deutlich. Es konnte identifiziert werden, dass vor allem die Inklusion der UMR Perspektiven und ein intersektional orientierter Ansatz die Versorgungsforschung bereichern können. Der analytisch-theoretische Einbezug ihrer sozialen Verortung – zwischen Resilienz- und Vulnerabilitätskonstruktionen, Otheringdiskursen und Gesundheitspolitiken – kann Handlungsempfehlungen zur Reduzierung von Benachteiligung vorbereiten.