Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S4-S5
DOI: 10.1055/s-0045-1801893
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
Kinder und Jugendliche ohne ausreichenden Zugang zur regulären Gesundheitsversorgung
09:30 – 11:00

Kinder und Jugendliche ohne ausreichenden Zugang zur regulärer Gesundheitsversorgung: Wie kann der ÖGD deren gesundheitliche Lage verbessern?

Authors

  • G Varnaccia

    1   Ärzte der Welt e.V., München
  • S Lang

    2   Gesundheitsamt, Frankfurt am Main
  • C Wlodarski

    3   Anonymer Krankenschein Thüringen e.V., Jena
  • J Freudenberg

    4   Sächsischer Anonymer Behandlungsschein e.V., Riesa
  • S Pauligk

    4   Sächsischer Anonymer Behandlungsschein e.V., Riesa
 

Das Ziel des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes ist es, allen in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen und deren körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern. Im Fokus stehen dabei vor allem Heranwachsende, die keinen oder nur einen eingeschränkten Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung haben. Im Rahmen dieses Workshops werden die Gründe für einen unzureichenden Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung aufgezeigt und die Möglichkeiten des ÖGD aussondiert, um die gesundheitliche Versorgung der Betroffenen zu verbessern.

Hierzu werden die Konzepte der humanitären Sprechstunden, der anonymen Behandlungsscheine und der Clearingstellen vorgestellt und den Teilnehmenden des Workshops die Möglichkeit gegeben, weitere für den ÖGD relevante Versorgungs- und Beratungsangebote zu ergänzen. Anschließend wird gemeinsam mit dem Publikum diskutiert, welche Schritte nötig sind, um diese Angebote bundesweit in den ÖGD zu integrieren.

Die Ergebnisse des Workshops sollen unter relevanten Akteur*innen des ÖGD bekanntgemacht werden und somit einen Beitrag dazu leisten, die gesundheitliche Versorgung von Kindern und Jugendlichen ohne ausreichenden Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung zu verbessern. Darüber hinaus soll der Workshop die Vernetzung zwischen den Gesundheitsämtern fördern, um das gemeinsame Ziel zu erreichen, allen in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen.

Beitrag 1: Warum haben Kinder und Jugendliche in Deutschland keinen ausreichenden Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung? (Gianni Varnaccia, Ärzte der Welt e. V.)

In den medizinischen Anlaufstellen von Ärzte der Welt, in denen sich Menschen ohne Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung behandeln und beraten lassen können, werden regelmäßig auch Kinder und Jugendliche vorstellig. Der häufigste Grund, warum diese in keine normale Arztpraxis gehen können, sind andauernde Bearbeitungszeiten in Behörden und Krankenkassen und somit ausstehende Versicherungsnachweise. Darüber hinaus gibt es Heranwachsende, die nicht krankenversichert sind und teilweise auch nicht versichert werden können, weil sie zum Beispiel keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben. Um allen in Deutschland lebenden Kindern und Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, müssen Barrieren im Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung abgebaut und niedrigschwellige Angebote für die Betroffenen geschaffen beziehungsweise ausgebaut werden. Der öffentliche Gesundheitsdienst kann hierzu einen wichtigen Beitrag leisten.

Beitrag 2: Welchen Beitrag können humanitäre Sprechstunden zur gesundheitlichen Versorgung von Heranwachsenden ohne ausreichenden Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung leisten? (Sarah Lang, Gesundheitsamt Frankfurt am Main)

Seit 2008 werden am Gesundheitsamt Frankfurt am Main kinderärztliche Sprechstunden für Familien mit Kindern ohne Zugang zum medizinischen Regelsystem angeboten; das betrifft sowohl Kinder ohne Krankenversicherungsschutz als auch krankenversicherte Kinder, bei denen keine Anbindung an niedergelassene Kinderarztpraxen gelingt. Da sich die Familien häufig in komplexen Problemlagen befinden, sind Finanzierungsmöglichkeiten für weiterführende Behandlungen und flankierende Beratungsangebote notwendig, um das Recht aller Kinder auf gesundes Aufwachsen und dem Erhalt des Kindeswohls zu verwirklichen.

Beitrag 3: Welchen Beitrag können anonyme Krankenscheine zur gesundheitlichen Versorgung von Heranwachsenden ohne ausreichenden Zugang zu regulärer Gesundheitsversorgung leisten? (Carola Wlodarski, Anonymer Krankenschein Thüringen e. V.)

Anonyme Krankenscheine (bzw. Behandlungsscheine) stellen eine effektive Möglichkeit dar, Menschen, die keinen Zugang zum Gesundheitssystem haben (bspw. illegalisierte Personen, Menschen ohne Papiere, im Kirchenasyl, etc.) medizinische Versorgung im Regelsystem zukommen zu lassen. Der strenge Datenschutz macht das Angebot niedrigschwellig und hilft Menschen, die ansonsten keine medizinischen Leistungen in Anspruch nehmen würden, ihr Menschenrecht auf gesundheitliche Versorgung wahrzunehmen. Auch Kinder – insbesondere Neugeborene – haben immer wieder keine Möglichkeit, ärztlich versorgt zu werden – dies stellt eine Gefährdung des Kindeswohls dar. In Thüringen versorgte der Anonyme Krankenschein Thüringen (AKST) im Jahr 2023 in 18 Fällen Kinder.

Beitrag 4: Welchen Beitrag können Clearingstellen zur (Re-)Integration von Kindern und Jugendlichen in das reguläre Gesundheitssystem leisten? (Jonas Freudenberg und Sophie Pauligk, Sächsischer Anonymer Behandlungsschein e. V.)

Clearingstellen sind Fachberatungsstellen, die auf die Herstellung oder Wiederherstellung eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes spezialisiert sind. Sie unterstützen ihre Klient:innen bei der Bewältigung der notwendigen bürokratischen Vorgänge genauso wie bei der Identifikation von Sozialleistungsansprüchen zur Kostenübernahme. Neben der Lösung teils hochkomplexer sozial-, arbeits-, familien-, und aufenthaltsrechtlicher Problemstellungen steht dabei die Berücksichtigung der individuellen psychosozialen Belastungen im Vordergrund. Auch Schwangere und Familien mit Kindern werden regelmäßig in Clearingstellen beraten, da auch bei minderjährigen Patient:innen zahlreiche Fallkonstellationen zum Verlust einer ausreichenden Krankenversicherung führen können. In Sachsen besteht seit 2023 unter Trägerschaft des Sächsischen Anonymen Behandlungsschein e.V. (SABS) die Sächsischen Clearingstelle für Medizinische Versorgung (SCS). Neben einem Eindruck von der Arbeit der Sächsischen Clearingstelle werden wir einen Überblick über die bundesweite Verfügbarkeit von Clearingangeboten zur Krankenversicherung geben.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025

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