Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S26-S27
DOI: 10.1055/s-0045-1801943
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
GBE der Kommunen und der Länder
11:30 – 13:00

Rückschlüsse auf Prävention und Versorgungsqualität in den Bundesländern sind über den Indikator „vermeidbare Sterblichkeit“ nur eingeschränkt möglich – Detailanalyse der Todesursachen dreier Bundesländer für 2019

S Stolpe
1   Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen
,
B Kowall
1   Institut für medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen
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Einleitung: Der Indikator „vermeidbare Sterblichkeit“ berichtet die altersstandardisierte Mortalitätsrate <75 Jahren an Erkrankungen, bei denen Todesfälle durch Primärprävention vermieden oder durch leitliniengerechte Behandlung in ein höheres Alter verschoben werden könnten [1]. Er dient dem Benchmarking der Qualität und Effizienz von Gesundheitssystemen [2]. Während die Liste vermeidbarer Todesursachen der Arbeitsgemeinschaft der Obersten Landesgesundheitsbehörden für Deutschland (AOLG, gbe-bund.de) nur je drei Krebs- und kardiovaskuläre Erkrankungen, Krankheiten der Leber und Unfälle enthält, sind ähnliche Listen deutlich umfangreicher [1, 3]. Zwischen deutschen Regionen zeigen sich deutliche Unterschiede in der vermeidbaren Sterblichkeit [4]. GBE-Berichte aus NRW und Baden-Württemberg für 2019-2022/23 zeigen eine vergleichbare vermeidbare Sterbliclhkeit –gemäß der AOLG-Liste- von 83,7 vs. 80,2/100.000; 2015 betrug sie in Mecklenburg-Vorpommern jedoch 138/100.000. Es konnte jedoch nur für wenige Erkrankungen gezeigt werden, dass Innovationen in der Gesundheitsversorgung zu sinkenden krankheitsspezifischen Mortalitätsraten führen [2].

Methode: Für 2019 wurden für NRW, Baden-Württemberg (BW) und Mecklenburg-Vorpommern (MV) alle Todesursachen (3-stelliger ICD-10-Kode) von Verstorbenen im Alter von 60-74 Jahren von GBE-Bund.de heruntergeladen und der Anteil jeder Todesursache an allen Sterbefällen berechnet. Vermeidbare Todesursachen wurden nach einer für die Gesundheitsberichterstattung in Bayern entwickelten Liste [3] identifiziert. Die Anteile der jeweils häufigsten Todesursachen, die für 60% aller Todesfälle verantwortlich sind, wurden detailliert verglichen.

Ergebnisse: 2019 wurden in MV für 6.033 Verstorbene im Alter von 60-74 Jahren 100 verschiedene Todesursachen registriert. In NRW wurden für 50.077 Verstorbene 267 Todesursachen, in BW 220 Todesursachen für 23.396 Verstorbene registriert. 16 (MV), 20 (NRW) und 21 (BW) Todesursachen waren für 60% aller Todesfälle verantwortlich. Von diesen 60% der Todesfälle waren in NRW 68% als vermeidbar eingestuft, in BW 76% und in MV 84%.

Über alle Sterbefälle im Alter von 60 –74 Jahre betrachtet, war Lungenkrebs die häufigste Todesursache (NRW: 12,4%, BW: 10,2% und MV: 12,4%).

Bezogen auf die detaillierter betrachteten häufigsten Todesursachen bestanden deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern im Anteil alkohol-assoziierter Todesursachen (ICD-10: K70-K74, F10 und C22). So waren 5% der häufigsten Todesursachen in NRW, 10% in BW und 14% in MW alkohol-assoziiert. Die Todesursachen I21 (akuter Myokardinfarkt) und I25 (chronisch ischämische Herzkrankheit) hatten zusammen einen Anteil von 14% an den häufigsten Todesursachen in NRW, 19% in BW und 24% in MV. Unter den 20 häufigsten Todesursachen in NRW hatten Sterbefälle mit unbekannter Todesursache einen Anteil von 18%, in BW und MV betrug dieser Anteil 7%.

Diskussion: Der Anteil einzelner Todesursachen in der Altersgruppe 60-74 Jahre unter den häufigsten Todesursachen ist zwischen Bundesländern zum Teil auffallend verschieden. Dies beeinflusst die Berechnung des Indikators „vermeidbare Sterblichkeit“. Die unterschiedlichen Anteile von KHK beeinflussen besonders die Berechnung der Mortalität an als behandelbar eingeordneten Erkrankungen. Inwieweit diese Unterschiede durch die zugrundeliegende Morbidität der Bevölkerung erklärt sind, ist fraglich. Die größere Differenzierung der Todesursachen in NRW und BW sowie bundeslandspezifische Präferenzen bei der Auswahl von Erkrankungen zur Eintragung im Totenschein [5]-beschränken valide Vergleiche des Indikators ‚vermeidbare Sterblichkeit‘ und Rückschlüsse auf Morbidität und Versorgungsqualität.



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Article published online:
11 March 2025

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