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DOI: 10.1055/s-0045-1801944
Präventionsprojekte am Arbeitsort Schule: Stimmgesundheit im Lehrerberuf
Zusammenfassung des Workshops: Die Gesundheit von Lehrkräften ist von herausragender Bedeutung. Nur gesunde und motivierte Lehrkräfte sind imstande, kontinuierlich guten Unterricht zu gewährleisten. Hierfür sind im Besonderen eine gesunde und tragfähige Stimme für Lehrkräfte als „professional voice users“ essentiell. Dieser Workshop gliedert sich in drei Teile. Zunächst werden in einem theoretischen Input gesundheitsbezogene Belastungen von Lehrkräften anhand empirischer Daten vorgestellt und diskutiert. In einem zweiten Praxisvortrag wird ein neu entwickeltes App-basiertes Stimmtraining („ReSt – Regensburger Stimmtraining“) präsentiert und deren Evaluationsergebnisse dargestellt. Im dritten Teil des Workshops können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst einige Stimmübungen für den praktischen Alltag ausprobieren.
Teil 1 – Theoretischer Input: Belastungen am Arbeitsort Schule beurteilen – eine Pilotstudie zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung an bayerischen Schulen
Theoretischer Hintergrund: Aktuelle Studien zeigen, dass Lehrkräfte mit unterschiedlichen Belastungen am Arbeitsort konfrontiert sind. Das spiegelt sich auch in aktuellen Statistiken zum vorzeitigen Ausscheiden aus dem Berufsleben wider. Psychische Erkrankungen sind z. B. laut Auswertung der amtsärztlichen Untersuchungen des Gesundheitsamtes Bremen eine der Hauptursachen für Dienstunfähigkeit bei Lehrkräften.
Im Rahmen des § 5 des Arbeitsschutzgesetzes wird die Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung (GBU) explizit gefordert. Gemäß der internationalen Norm DIN EN ISO 10075-1 handelt es sich bei psychischen Belastungen um alle erfassbaren Einflüsse am Arbeitsplatz, die von außen auf die Beschäftigten einwirken, also Reaktionen im Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Erinnern usw. hervorrufen. Ziel der GBU psychischer Belastung ist es, Arbeitsbedingungen zu verbessern, um die Gesundheit und das Wohlbefinden zu erhalten und zu fördern. Vor diesem Hintergrund sieht die GBU psychischer Belastung mehrere Prozessschritte vor, die von der Ermittlung von Belastungen über die Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen bis zur Wirksamkeitsevaluation reichen. Trotz der gesetzlichen Verpflichtung fand die GBU psychischer Belastung an bayerischen Schulen bisher kaum Beachtung, da adäquate Prozesse und Instrumente fehlten.
Fragestellung und Methode: Das Arbeitsmedizinische Institut für Schulen in Bayern (AMIS-Bayern), beauftragt von der bayerischen Staatsregierung, hat einen Prozess zur Erfassung, Beurteilung und Veränderung von Arbeitsbedingungen entwickelt und pilotiert. Dieser Prozess beinhaltet unter anderem ein Befragungsinstrument zur Erhebung von Belastungen in fünf Merkmalsbereichen, die in den Leitlinien der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie festgelegt sind. Dabei handelt es sich um (1) die Arbeitsorganisation, (2) den Arbeitsinhalt, (3) die sozialen Beziehungen bei der Arbeit, (4) die Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung sowie (5) neue Arbeitsformen (z. B. Digitalisierung und Inklusion). Das Instrument umfasst 127 Items, wurde als digitale Umfrage konzipiert und in einer Pilotierungsphase an 27 bayerischen Schulen verschiedener Schularten eingesetzt. Daraus ergab sich eine Stichprobe von N=851 Lehrkräften. Aufgrund der hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen an Gesundheitsdaten wurden keine personenbezogenen Daten erhoben. Die Daten wurden inferenzstatistisch analysiert.
Ergebnisse und ihre Bedeutung: Im Bereich „Arbeitsorganisation“ zeigen sich hohe Belastungen in den Subkategorien Arbeitszeit und Arbeitsabläufe. Im Bereich „Arbeitsinhalt“ deuten die Ergebnisse auf einen hohen Belastungswert in der emotionalen Inanspruchnahme hin. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch im Bereich „Soziale Beziehungen“ wider. Dort kann gezeigt werden, dass Verhaltensauffälligkeiten von Schülerinnen und Schülern mit hoher Belastung einhergeht. Im Bereich „Arbeitsmittel und Arbeitsumgebung“ werden Belastungen vor allem hinsichtlich mangelnder Rückzugs- und Arbeitsmöglichkeiten und ungünstiger akustischer Bedingungen genannt. In der Subkategorie der körperlichen Belastungen sind die stimmlichen Herausforderungen besonders ausgeprägt. Neben generellen Belastungen können anhand der Ergebnisse auch Ressourcen identifiziert werden. Ein gutes Schulklima, Handlungsspielraum, Abwechslungsreichtum und gute soziale Beziehungen innerhalb des Kollegiums sowie zur Schulleitung werden als positiv wahrgenommen. Die Erkenntnisse aus der Pilotierungsstudie zur psychischen Belastungssituation an bayerischen Schulen stehen im Einklang mit dem Ergebnis des Gesundheitsamts Bremen, dass insbesondere psychische Arbeitsbelastungen mit einer möglichen Dienstunfähigkeit assoziiert sein können.
Im Bereich der körperlichen Anforderungen zeigen die Ergebnisse eine hohe Belastung der Stimmgesundheit von Lehrkräften. Daraus lässt sich der Bedarf für ein stimmliches Präventionsprogramm ableiten. Als ein Resultat wurde das Projekt „Regensburger Stimmtraining“ vom AMIS-Bayern beauftragt, welches im folgenden Praxisvortrag vorgestellt wird.
Teil 2 – Praxisvortrag „Regensburger Stimmtraining“
Theoretischer Hintergrund: Wie in der GBU psychischer Belastung durch AMIS-Bayern festgestellt, sind Lehrkräfte bei ihrer Berufsausübung ständig hohen Anforderungen an ihren Stimm- und Sprechapparat ausgesetzt. Die Folge ist, dass die Prävalenz von Stimmstörungen in der Berufsgruppe der Lehrkräfte im Vergleich zu Nicht-Lehrkräften deutlich erhöht ist. Diese führen bei Lehrkräften zu erheblichen beruflichen Einschränkungen, hohem Leidensdruck und können sogar den Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung auslösen. Zusätzlich beeinträchtigen Stimmstörungen die zwischenmenschliche Kommunikation und können die Motivation und Leistung von Schülerinnen und Schülern negativ beeinflussen. Lehrkräfte werden in den seltensten Fällen ausreichend auf ihren stimm- und sprechintensiven Beruf vorbereitet. Um möglichst alle Lehrkräfte zu erreichen, ist ein niederschwelliges und flächendeckendes Angebot vonnöten. Im Forschungsprojekt “Regensburger Stimmtraining (ReSt)” wurde ein App-basiertes Präventionsprogramm entwickelt, welches Selbstreflexions- und Trainingsmöglichkeiten zu den Bereichen Körper und Haltung, Atmung, Phonation, Artikulation und Stimmhygiene beinhaltet.
Inhalte des Praxisvortrags: In diesem Praxisvortrag wird zunächst das App-basierte Präventionsprogramm vorgestellt. Dabei wird es Einblicke in den Aufbau, die Funktionsweise und die integrierten Übungen geben. Im weiteren Verlauf werden Ergebnisse aus dem begleitenden Forschungsprojekt vorgestellt. Die Befunde deuten darauf hin, dass das app-basierte Präventionsprogramm aufgrund seiner niederschwelligen sowie zeit- und ortsunabhängigen Einsatzmöglichkeiten einen wertvollen Beitrag zur Stärkung der Stimmgesundheit bei Lehrkräften leisten kann. Insofern ist es für den Einsatz in der Lehrkräfteaus- und -weiterbildung geeignet. Überdies liefert das Forschungsprojekt detaillierte Erkenntnisse über die stimmlichen Herausforderungen bei Lehrkräften.
Teil 3 – Praktischer Teil: Praktische Stimmübungen
Im letzten Teil des Workshops haben die Teilnehmenden die Gelegenheit, verschiedene Übungen zur Stimmgesundheit selbst auszuprobieren. Unter der Anleitung von zwei Logopädinnen des Arbeitsmedizinischen Instituts für Schulen in Bayern lernen Sie praxisnahe Techniken kennen, um Ihre Stimme gesund zu halten. Gemeinsam wird die „Blubberschlauch-Methode“ aus der ReSt-App angewendet sowie die Progressive Muskelrelaxation (PMR) durchgeführt. Zusätzlich werden Artikulationsübungen vorgestellt, die darauf abzielen, die Aussprache und Sprachklarheit zu verbessern. So erhalten die Teilnehmenden wertvolle Werkzeuge, um ihre stimmliche Gesundheit aktiv zu fördern.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025
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