Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S41
DOI: 10.1055/s-0045-1801973
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
01.04.2025
Strukturen und Prozesse
11:30 – 13:00

Der Einbezug von Evidenz in der Entscheidungsfindung auf kommunaler Ebene – eine systematische Übersichtsarbeit

L Arnold
1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
2   Department of International Health, Care and Public Health Research Institute – CAPHRI, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, Maastricht University, Maastricht, The Netherlands
,
S Bimczok
1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
,
F Vosseberg
1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
,
J Stratil
3   Department of Public Health, Health Services Research and Health Technology Assessment, UMIT TIROL – University for Health Sciences and Technology, Hall in Tirol, Österreich
› Author Affiliations
 

Hintergrund: Entscheidungsfindungsprozesse in gesundheitlichen Krisen sind oft durch Zeitdruck und Unsicherheit geprägt, insbesondere auf kommunaler Ebene, wo komplexe Zusammenhänge und individuelle Gegebenheiten berücksichtigt werden müssen. Die Nutzung von Evidenz ist hierbei ein essenzielles Kriterium, um fundierte Entscheidungen auf Basis des bestverfügbaren Wissensstandes und in Bezug auf individuelle Anforderungen treffen zu können. Während auf nationaler Ebene die Prozesse der Evidenznutzung gut erforscht sind, fehlen diese Erkenntnisse für die kommunale Ebene.

Methodik: Um die Rolle von Evidenz in lokalen Entscheidungsfindungsprozessen zu untersuchen, wurde eine systematische Übersichtsarbeit durchgeführt. Im November 2023 wurden die Datenbanken Embase, MEDLINE und Web of Science durchsucht. Zusätzlich erfolgte eine Google Scholar-Suche sowie ein Citation Tracking anhand der Referenzlisten aller eingeschlossenen Primärstudien und relevanten systematischen Übersichtsarbeiten. Eingeschlossen wurden Studien mit empirischem Studiendesign aus OECD-Ländern, die nach dem Jahr 2000 publiziert wurden und sich mit verschiedenen Formen von Evidenz, dem Prozess der Evidenznutzung auf lokaler, regionaler bzw. Landesebene und damit verbundenen hinderlichen und förderlichen Faktoren beschäftigen. Eingeschlossene Studien wurden mithilfe von MAXQDA-24 extrahiert und mittels Thematic Synthesis nach Thomas & Harden analysiert [1]. Die Studienbewertung erfolgte mittels einer adaptierten Version des Critical Appraisal Skills Programme’s (CASP) Instruments [2]. Das Protokoll zur Übersichtsarbeit wurde auf PROSPERO (ID=CRD42024502604) veröffentlicht [3].

Ergebnisse: Im ersten Schritt wurden 70 Studien, qualitativ und quantitativ, aus den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada, Australien, den Niederlanden, Norwegen und Dänemark eingeschlossen. Aus Deutschland konnten keinen Studien eingeschlossen werden. Von den eingeschlossenen Studien fokussierten rund die Hälfte der Studien auf die lokale Ebene, die mit in einer Subgruppenanalyse untersucht wurden. Diese Studien zeigten, dass Evidenzsynthesen und der Bezug zu lokalen Kontexten als besonders wichtig und nützlich für die Entscheidungsfindung angesehen werden. Das Ausmaß der Evidenznutzung war heterogen und häufig abhängig von dem politischen Kontext, in dem die Entscheidungen eingebettet waren. Der Prozess, Evidenz in Entscheidungen einzubeziehen, war dabei sehr heterogen und beinhaltete verschiedene Schritte wie die Einbeziehung von Stakeholdern und die Aufbereitung von Informationen für Gremien. Oft wurde Evidenz zur Legitimation bereits getroffener Entscheidungen genutzt. Förderliche Faktoren umfassten u.a. die Zugänglichkeit zu relevanten Informationen, die Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse im Spannungsfeld politischer Entscheidungen, die Fähigkeiten, Evidenz zu verstehen und in den entsprechenden Kontext zu transferieren sowie die Qualität der verfügbaren Evidenz.

Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass der Prozess der Evidenznutzung in Entscheidungsfindungsprozessen sehr heterogen ist, eine Vielzahl von Schritten aufweist und vom jeweiligen, politischen Kontext abhängt. Eine Vielzahl verschiedener Faktoren, wie Zugänglichkeit, Akzeptanz und Qualität, beeinflussen die Evidenznutzung. Insbesondere lokale Evidenz stellte sich als wichtig heraus, da diese als besonders nutzbar und transferierbar auf den eigenen Kontext empfunden wird. Dies deutet auf einen Bedarf an lokal adaptierbarer und verständlich aufbereiteter Evidenz hin, welche die Möglichkeiten schafft, Entscheidungen auf Basis der bestverfügbaren Wissensgrundlage, abgestimmt auf die jeweiligen Bedürfnisse einer Kommune zu treffen. Dass keine Studien aus Deutschland zu diesem Thema gefunden wurden zeigt, dass hier Forschung notwendig ist, die den Einbezug von Evidenz in lokale Entscheidungsfindungsprozesse analysiert. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse mit Vertreter:innen des öffentlichen Gesundheitsdienstes diskutiert, um ihre Übertragbarkeit und Relevanz für die kommunale ÖGD-Praxis zu bewerten.



Publication History

Article published online:
11 March 2025

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