Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S87-S88
DOI: 10.1055/s-0045-1802068
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
03.04.2025
Aus- und Fortbildung
11:00 – 12:30

Barrieren und Förderfaktoren nachhaltiger Wissenstransferprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis im ÖGD – Ergebnisse einer Interviewstudie

Authors

  • F Vosseberg

    1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
  • S Bimczok

  • S Weyers

    3   Institut für Medizinische Soziologie, Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät und Universitätsklinikum Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • D Starke

    1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
  • L Arnold

    1   Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf, Düsseldorf
    2   Department of International Health, Care and Public Health Research Institute—CAPHRI, Faculty of Health, Medicine and Life Sciences, Maastricht University, Maastricht, The Netherlands
 

Hintergrund: Evidenzinformierte Entscheidungsfindungsprozesse bilden das Fundament dafür, Entscheidungen auf Basis des bestverfügbaren Wissensstandes zu treffen. Um die Vielzahl unterschiedlicher, für den jeweiligen Kontext relevanter, Kriterien und Interessen angemessen gegeneinander abwägen und mit den jeweiligen kontextspezifischen Gegebenheiten kontrastieren zu können, bedarf es etablierter Wissenstransferprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) auf kommunaler Ebene. Während die Wissenstransferprozesse auf Landes- und Bundesebene vielfach etabliert sind, fehlt ein umfassendes Verständnis über förderliche und hinderliche Faktoren auf kommunaler Ebene.

Methodik: Mit dem Ziel, Barrieren und Förderfaktoren zur Etablierung nachhaltiger Wissenstransferprozesse zwischen Praxis und Wissenschaft auf kommunaler Ebene zu identifizieren, wurden im Rahmen einer qualitativen Studie 23 leitfadengestützte Expert:inneninterviews geführt. Die Ansprache der Studienteilnehmer:innen erfolgte gezielt, auf Basis eines vorab definierten Stichprobenplans, um möglichst alle relevanten Perspektiven einbinden zu können. Mithilfe eines teilstrukturierten Interviewleitfadens wurden Fragen aus den folgenden Bereichen gestellt: Forschungsaktivitäten, Wissenstransferprozesse, Kooperationen zwischen Wissenschaft und Praxis im ÖGD, erforderliche Kompetenzen als Gelingensfaktoren für Wissenstransfer. Die pseudonymisierten Transkripte wurden mittels deduktiv-induktivem Kategoriensystem von zwei Personen unabhängig voneinander kodiert und inhaltsanalytisch nach Mayring ausgewertet [1] [2].

Ergebnisse: Insgesamt konnten 24 Expert:innen mittels 23 teilstrukturierter Interviews befragt werden, von denen ein Großteil (75%) mehrjährige Berufserfahrung im ÖGD aufwies. Zum Befragungszeitpunkt waren neun Personen auf Bundesebene, zwei auf Landesebene und fünf auf kommunaler Ebene tätig. Elf Teilnehmer:innen waren zudem mit einer Forschungseinrichtung affiliiert. In den Interviews konnte eine Vielzahl an Faktoren identifiziert werden, die einen Einfluss auf Wissenstransferprozesse haben. Diese wurden mithilfe eines modifizierten COM-B Modells drei Kategorien zugeordnet: 1) Capabilities: individuelle und institutionelle Fähigkeiten, 2) Opportunities: externe Rahmenbedingungen, 3) Motivations: intrinsische und extrinsische motivationale Aspekte. Insgesamt konnten zehn hinderliche Faktoren und eine Vielzahl förderlicher Faktoren identifiziert werden. Zu den hinderlichen Faktoren auf der Ebene von „Capabilities“ gehörten z.B. ein Mangel an verfügbarer Personenzeit, fehlende Systemkenntnisse sowie umfangreiche wissenschaftliche und administrative Kompetenzen. Im Bereich der „Opportunities“ wurden u.a. bürokratische Hürden, unterschiedliche Systemlogiken von Wissenschaft und Praxis sowie fehlende technische und finanzielle Ressourcen als Barrieren benannt. Motivationale Aspekte umfassten z.B. fehlende, gegenseitige Anerkennung auf Augenhöhe und unterschiedliche Anreizsysteme. Im Rahmen der Interviews wurden verschiedene förderliche Aspekte erörtert, die oftmals Lösungsansätze für verschiedene Barrieren darstellten, z.B. die Etablierung von Schnittstellenfunktionen (Knowledge Broker), der Aufbau institutionell verankerter Partnerschaften zwischen Wissenschaft und Praxis, sowie die Sicherstellung des individuellen wie institutionellen Kompetenzerwerbs auf beiden Seiten.

Diskussion: Im Rahmen der Studie konnten erstmals Faktoren identifiziert werden, die eine zentrale Rolle in der Etablierung nachhaltiger Wissenstransferprozesse auf kommunaler Ebene spielen. Für die Umsetzung der verschiedenen Lösungsansätze ist die Sicherstellung eines übergeordneten Mandats sowie die Unterstützung von Seiten der Führungsebene essentiell. Weiter sind der Aufbau von Forschungsinfrastrukturen und der individuelle und institutionelle Kompetenzerwerb zur Überbrückung der unterschiedlichen Systemlogiken von Wissenschaft und Praxis bedeutsam zum Aufbau langfristiger Wissenstransferprozesse im kommunalen ÖGD. Zukünftige Untersuchungen sollten vor allem adressieren, wie individuelle und institutionelle Fähigkeiten und Kapazitäten, aber auch Möglichkeiten und Motivationen beider Seiten gestärkt werden können, um Wissenstransferprozesse nachhaltig institutionell zu verankern.



Publication History

Article published online:
11 March 2025

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  • Literatur

  • 1 on behalf of the EvidenzÖGD study consortium. Arnold L, Bimczok S, Clemens T, Brand H, Starke D. 2024. Implementing evidence ecosystems in the public health service: Development of a framework for designing tailored training programs. In: PLoS ONE. 19. 04 e0292192
  • 2 Michie S, van Stralen MM, West R.. The behaviour change wheel: a new method for characterising and designing behaviour change interventions. Implementation science : IS 2011; 6: 42