Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S96
DOI: 10.1055/s-0045-1802086
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
03.04.2025
Prävention, Gesundheitsförderung, Gesundheitsplanung und Gesundheitsversorgung zusammen denken!
11:00 – 12:30

Welche Rolle spielen Diskriminierungserfahrungen, Zugehörigkeitsgefühl und Deutschkenntnisse bei Menschen mit Migrationsgeschichte in Deutschland im Hinblick auf Diabetesrisiko sowie Versorgung und psychische Belastung bei Diabetes?

Authors

  • M Buchmann

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • C Koschollek

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • Y Du

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • E Mauz

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • L Krause

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • L Neuperdt

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • O Tuncer

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • J Baumert

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • C Scheidt-Nave

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
  • C Heidemann

    1   Robert Koch-Institut, Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Berlin
 

Einleitung: Fast jede vierte Person in Deutschland hat eine Migrationsgeschichte, wobei die sozialen und gesundheitlichen Lagen sehr heterogen sind. In der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell: Fokus (GEDA Fokus) zeigten sich bei Erwachsenen mit ausgewählten Staatsangehörigkeiten gesundheitliche Unterschiede, z.B. in Bezug auf die subjektive Gesundheit, je nach Ausprägung von im Kontext von Migration und Gesundheit relevanten psychosozialen Faktoren wie Diskriminierungserfahrungen [1]. Die Diabetes-Surveillance stellt Informationen zur Risiko- und Versorgungssituation von Diabetes mellitus zusammen, aufgrund der unzureichenden Datenlage bisher jedoch nicht im Kontext von Migration. Ziel war es daher, Typ-2-Diabetesrisiko sowie Versorgung und psychische Belastungen bei Typ-2-Diabetes (T2D) und migrationsbezogene Faktoren zu untersuchen, um Bedarfe in der T2D-Prävention und -Versorgung zu identifizieren.

Methoden: In GEDA Fokus wurden in Deutschland lebendende Erwachsene mit italienischer, kroatischer, polnischer, syrischer oder türkischer Staatsangehörigkeit mithilfe von mehrsprachigen Studienmaterialien befragt (11/2021-05/2022; zufällige Einwohnermeldeamtsstichprobe). Bei 4.698 Personen ohne Diabetes (18-79 Jahre) wurde mithilfe des Deutschen Diabetes-Risiko-Tests, der u. a. Alter, Taillenumfang, Rauchen, Ernährungsfaktoren und Familienanamnese berücksichtigt, das 5-Jahresrisiko für T2D berechnet. Bei 326 Personen mit T2D (45-79 Jahre) wurden Kennzahlen zur Versorgung (Medikationsart, Blutzuckerkontrollen, Komplikationen: Augen-, Nerven-, Nierenerkrankungen, diabetischer Fuß, Amputationen) sowie depressive Symptomatik betrachtet. Als Ergebnisse werden Prävalenzen der Diabeteskennzahlen stratifiziert nach selbstberichteten Diskriminierungserfahrungen im Alltag bzw. im Gesundheits- oder Pflegebereich, Zugehörigkeitsgefühl zur Gesellschaft in Deutschland und selbsteingeschätzten Deutschkenntnissen berichtet.

Ergebnisse: Bei 6,8 % der Personen ohne Diabetes lag ein hohes oder sehr hohes 5-Jahresrisiko für T2D vor, wobei bei Personen mit muttersprachlichen, sehr guten oder guten Deutschkenntnissen seltener ein hohes bis sehr hohes Risiko beobachtet wurde als bei jenen mit geringeren Deutschkenntnissen (5,7 % vs. 8,8 %). Unter den 45- bis 79-Jährigen mit T2D berichteten jeweils über 90 % eine blutzuckersenkende Medikation sowie mindestens eine Blutzuckerkontrolle durch medizinisches Fachpersonal im vergangenen Jahr; knapp zwei Drittel berichteten Blutzuckerselbstkontrollen, wobei sich jeweils keine Unterschiede nach Deutschkenntnissen, Diskriminierungserfahrungen oder Zugehörigkeitsgefühl zeigten. Etwa ein Drittel gab mindestens eine der betrachteten Komplikationen an, häufiger diejenigen, die manchmal bis sehr oft (vs. selten/nie) Diskriminierung im Gesundheits- oder Pflegebereich berichteten (60,3 % vs. 26,2 %). Eine depressive Symptomatik lag bei Personen mit T2D häufiger bei jenen mit berichteten Diskriminierungserfahrungen in diesem Bereich (48,6 % vs. 13,7 % selten/nie) vor.

Diskussion: Verglichen mit Stichproben aus der Allgemeinbevölkerung zeigen sich keine wesentlichen Unterschiede bezogen auf das Diabetesrisiko insgesamt [2] und die Anteile der Behandlungsart, mit Blutzuckerkontrollen bzw. mit depressiver Symptomatik, während der Anteil mit Komplikationen in der untersuchten Stichprobe höher war (32,6 % vs. 26,7 %) [3]. Die beobachten Unterschiede nach Deutschkenntnissen bezogen auf das T2D-Risiko bzw. nach Diskriminierungserfahrungen hinsichtlich Komplikationen und depressiver Symptomatik weisen darauf hin, dass der Abbau von Sprachbarrieren und Diskriminierung allgemein sowie im Gesundheitswesen notwendig ist. Es bedarf zudem einer migrationssensiblen Surveillance von Diabetes und anderen chronischen Erkrankungen, um Verschränkungen zwischen Deutschkenntnissen, Diskriminierungserfahrungen und anderen sozialen Gesundheitsdeterminanten besser zu verstehen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025

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