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DOI: 10.1055/s-0045-1802201
Umsetzung institutioneller Lernprozesse auf kommunaler Ebene im ILEAs-Projekt
Einleitung: Während der COVID-19-Pandemie mussten Entscheidungen oft unter erheblichem Zeitdruck und bei unklarem Wissensstand getroffen werden. Generell bestehen in epidemisch bedeutsamen Lagen gerade in der Frühphase Ungewissheiten in Bezug auf die tatsächlichen Risiken, die zur Verfügung stehenden Kapazitäten und die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit der zu implementierenden Maßnahmen. Auch kann sich in Krisensituationen der (wissenschaftliche) Kenntnisstand schnell ändern, weshalb ein kontinuierliches Monitoring und Anpassung der implementierten Maßnahmen unerlässlich ist. Hierbei ist es wichtig, dass Ansätze zur systematischen Abwägung und Reflexion relevanter Entscheidungskriterien strukturiert vorbereitet und institutionell verankert werden. Im Beitrag werden die Projektlogik, die methodische Vorgehensweise und erste Ergebnisse vorgestellt.
Methodik: Im ILEAs-Projekt (Institutionelles Lernen aus epidemisch bedeutsamen Lagen) werden methodische und prozedurale Ansätze zur Implementierung evidenzinformierter Entscheidungsfindungsprozesse (TP 1) und eigenständigen Durchführung von Lernprozessen in Form von In(tra)- und After-Action-Reviews (TP 2) im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) entwickelt.
In TP 1 wird gemeinsam mit vier kommunalen Gesundheitsämtern ein Framework zur Implementierung evidenzinformierter, deliberativer Entscheidungsfindungsprozesse auf kommunaler Ebene entwickelt und pilotiert. Dieser Handlungsleitfaden soll eine praxisnahe, nachhaltige Grundlage für transparente Entscheidungen bieten. In jeder Kommune werden in Fokusgruppen prioritäre Themen diskutiert, die lokale Herausforderungen während der Pandemie adressieren. Zur Identifikation relevanter Akteursgruppen wird ein systematisches Stakeholdermapping durchgeführt. Qualitative Interviews und Expert:innenworkshops analysieren zurückliegende Entscheidungsfindungsprozesse im Sinne eines Lessons-Learned Ansatzes. Ergänzend wird eine systematische Übersichtsarbeit zur Nutzung von Evidenz in kommunalen Entscheidungsfindungsprozessen erstellt.
In TP2 werden Vertreter:innen des ÖGD Kompetenzen vermittelt, um selbstständig In(tra)- und After-Action-Reviews (IAR/AAR) zu konzeptionieren, vorzubereiten und durchzuführen. Aufbauend auf etablierten Methoden der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) wird ein Methodenhandbuch in deutscher Sprache erstellt sowie ein Grundlagentraining und Peer-Review-Workshop zur IAR/AAR-Methodik für interessierte Personen aus dem ÖGD entwickelt und angeboten.
Ergebnisse: Die Zusammenarbeit mit den Case Study Kommunen in TP1 und die Durchführung eines ersten Grundlagenworkshops in TP2 haben den Bedarf für Methoden zur Institutionalisierung von Entscheidungsfindungsprozessen und Lernprozessen für die Krisenbewältigung im ÖGD auf kommunaler Ebene bestätigt. Zentral ist, dass es bei diesen Prozessen nicht um die Aufdeckung fehlerhaften Verhaltens oder Kritik an vergangenen Entscheidungen bzw. Maßnahmen geht, sondern um die gemeinsame Erarbeitung von institutionellen Lernprozessen zur Vorbereitung auf künftige gesundheitliche Krisensituationen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der strukturierte Einbezug derjenigen Personen und Institutionen, die an den entsprechenden Entscheidungsprozessen bzw. Lagen beteiligt waren. Ihre Erfahrungen und Perspektiven sind entscheidend, um praxisnahe und umsetzbare Erkenntnisse zu gewinnen. Herausfordernd dabei ist der zeitliche Verzug der Reflexion zu Entscheidungsprozessen bzw. zu Lagen, weil wertvolles Wissen z.B. durch Personalwechsel verloren geht. Deshalb ist es umso wichtiger, auch Möglichkeiten der Planung sowie Reflexion während epidemisch bedeutsamer Lagen zu finden, dies bieten beispielsweise evidenzinformierte Entscheidungsfindungsprozesse und In(tra)-Action-Reviews.
Diskussion: Strukturell verankerte Entscheidungsfindungs- und Lernprozesse können eine reflektierte Herangehensweise während und nach Krisen fördern und den Einbezug der Vielzahl zu berücksichtigender Kriterien, auch unter Zeitdruck und (epistemischer) Unsicherheit, stärken. Es gilt, zu erarbeiten, wie solche Prozesse in Zeiten hoher Arbeitsdichte und möglicher Ressourcenknappheit auf kommunaler Ebene bestmöglich umgesetzt werden können.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
11. März 2025
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