Gesundheitswesen 2025; 87(S 01): S150-S151
DOI: 10.1055/s-0045-1802206
Abstracts │ BVÖGD, BZÖG, DGÖG, LGL
03.04.2025
Postersitzung Infektionsschutz
13:30 – 15:00

Bläschenalarm auf der Frühgeborenenstation! Varizellen?

B Faiß
1   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
,
C Schlegel
1   Landratsamt Reutlingen, Kreisgesundheitsamt, Reutlingen
› Author Affiliations
 

Hintergrund: Mitte August 2024 ging beim Gesundheitsamt Reutlingen eine ungewöhnliche Labormeldung des Instituts für Medizinische Virologie und Epidemiologie des Universitätsklinikums Tübingen ein. Bei einem 2 Tage alten Neugeborenen aus dem Landkreis Reutlingen, welches via Sectio zur Welt kam, wurde im Serum Varizella Zoster-Virus (VZV) DNA nachgewiesen (PCR). Im Rahmen der Ermittlungen wurde klar, dass es sich um ein Frühgeborenes auf der Intensivstation der Neonatalogie handelt, bei dem knapp 2 Tage nach der Geburt Bläschen am Körper aufgetreten sind, die laut Klinikern nicht typisch, jedoch vereinbar mit Varizellen sein könnten (Fotomaterial vorhanden).

Welche Maßnahmen sollten in dieser kritischen Situation ergriffen werden? Nicht nur im Hinblick auf das betroffene Kind, sondern auch hinsichtlich der anderen Frühgeborenen auf Station? Wie kann die Abstimmung zwischen den beteiligten Stellen in solchen Fällen gelingen?

Umsetzung: Das Gesundheitsamt Reutlingen ermittelte aufgrund einer § 7 IfSG Labormeldung. Die Universitätsklinik stimmte das Vorgehen auf Station mit dem zuständigen Gesundheitsamt Tübingen ab. Das Gesundheitsamt Reutlingen war über das im LK Reutlingen wohnende betroffene Kind mit eingebunden und erläuterte das Vorgehen der Klinikärzte, die unter der Arbeitsdiagnose Varizellen entsprechende Maßnahmen ergriffen, den verständlicherweise sehr besorgten Eltern. Sachliche Informationsweitergabe durch das Gesundheitsamt sorgte in dieser hochemotionalen Situation für Beruhigung und Aufklärung der betroffenen Reutlinger Familie und damit auch zur Entlastung der behandelnden Ärzte.

Vorgehen der Klinik: Umgehende Isolation des betroffenen Frühgeborenen und Behandlung mit Aciclovir i.v.. Serum VZV PCR zu Beginn positiv, ein Bläschen-Abstrich VZV negativ. Alle weiteren Befunde negativ, die Mutter selbst VZV-IgG positiv. Nach Rücksprache mit dem NRZ in Freiburg konnte jedoch eine VZV-Infektion des Kindes nicht sicher ausgeschlossen werden.

Aufgrund der Gefahr eines fatalen Verlaufs von Varizellen bei Frühgeborenen entschieden die Klinker, den übrigen Frühgeborenen < 28 SSW (laut Empfehlung RKI) und sicherheitshalber allen Frühgeborenen > 28 SSW auf Station mit fehlender/unbekannter VZV-Immunität der Mutter eine postexpositionelle Prophylaxe mit VZV Immunglobulin (Varitect CP 25 I.E.) zu verabreichen bzw. diese den Kindern > 28 SSW mit fehlender/unbekannter VZV-Immunität der Mutter zumindest anzubieten. Dies betraf 4 Frühgeborene von insgesamt 16 möglichen Kontaktpersonen.

Die Effloreszenzen des betroffenen Frühgeborenen heilten erfreulicherweise innerhalb von wenigen Tagen ab. Bei keinem weiteren Frühgeborenen traten vergleichbare Hautveränderungen auf.

Diskussion: Der Öffentliche Gesundheitsdienst ist an der Abstimmung und Kommunikation der erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen im Rahmen eines so komplexen Geschehens ermittlungsbedingt beteiligt. Das Gesundheitsamt Reutlingen hat die handelnden Stellen hierbei unterstützt, die Kommunikation mit der Klinik und dem dort ermittelnden Gesundheitsamt Tübingen war sehr konstruktiv.

Das Fallbeispiel unterstreicht sowohl die Wichtigkeit des fachlichen Austausches zwischen behandelnden Ärzten, beteiligten Laboren und den Behörden im Rahmen der Ermittlungen auf Basis des Infektionsschutzgesetzes als auch die Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes bei der Beratung und Aufklärung der Bevölkerung über erforderliche Maßnahmen des Infektionsschutzes.



Publication History

Article published online:
11 March 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany