Zusammenfassung
Hintergrund: Eine angeborene Hörminderung kann bei einem Kind neben dem Spracherwerb die gesamte
intellektuell-kognitive und seelische Entwicklung und damit seine soziale Integration
behindern. Durch einen komplexen interdisziplinären Prozess kann diese Behinderung
zumindest teilweise kompensiert werden: Die Versorgung mit Hörgeräten ist bei diesen
Kindern bei frühzeitiger Diagnose die medizinische Erstbehandlung der Wahl, nur bei
Diagnosestellung jenseits des ersten Lebensjahres und im Falle einer sehr ausgeprägten
Schwerhörigkeit kommt die unmittelbare operative Ausstattung mit einem Cochlea-Implantat
in Betracht. Die Untersuchung und Behandlung (angeborener) kindlicher Schwerhörigkeiten
ist in nationalen und internationalen Leitlinien unterschiedlicher methodischer Qualität
festgelegt. In dieser Studie wird die Umsetzung der Leitlinien anhand von drei Jahrgängen
von in der berichtenden Abteilung erstmals mit Hörgeräten versorgten schwerhörigen
Kindern mit ihren Möglichkeiten und Grenzen dargelegt und diskutiert.
Methoden: Aktengestützt ausgewertet wurden retrospektiv erhobene klinische Daten von in den
Jahren 1997 bis 1999 von 107 stationär mit Hörgeräten versorgten Patienten. Als Referenz
zur Frage des leitlinienbasierten Vorgehens dienten die einschlägige deutsche und
US-amerikanische Leitlinie zur (angeborenen) kindlichen Schwerhörigkeit.
Ergebnisse: Im Kollektiv von 53 Mädchen und 54 Jungen hatten 45 % der Kinder eine hochgradige
oder an Gehörlosigkeit grenzende Schwerhörigkeit, 45 % eine mittelgradige und 10 %
eine geringgradige. 93 Kinder hatten eine sensorineurale, 8 eine kombinierte und 2
eine Schallleitungsschwerhörigkeit, bei zweien bestand eine einseitige, bei einem
Kind auf einem Ohr eine kombinierte und auf dem anderen eine sensorineurale und bei
einem Kind bestand eine zentrale Schwerhörigkeit. Der Zeitpunkt der Erstdiagnose hing
vom Grad der Schwerhörigkeit sowie von sozialen Auffälligkeiten ab. Es lagen unterschiedliche
Risikoprofile für eine kindliche Schwerhörigkeit vor. Auffällig war der ungewöhnlich
große Anteil syndromaler Schwerhörigkeiten bzw. der Anteil mehrfach behinderter Kinder.
Das audiologische Ergebnis der Hörgeräteversorgung war nur in Fällen einer an Gehörlosigkeit
grenzenden Schwerhörigkeit „unbefriedigend”.
Diskussion: Auch auf der Basis der dargelegten Daten ist die Notwendigkeit eines universellen
Hörscreenings Neugeborener zu unterstreichen. Die in der amerikanischen Leitlinie
formulierten Richtgrößen („Benchmarks”) für die Untersuchung und Behandlung (angeborener)
kindlicher Schwerhörigkeiten sind strenger als die in der derzeit überarbeiteten deutschen.
Auch wenn sich v. a. bedingt durch nicht allgemeingültig definierte Schnittstellen
zu Berufsgruppen bzw. Institutionen aus dem nicht primär audiologischen Umfeld z.
T. gravierende Defizite bei der Umsetzung der strengen Vorgaben aufzeigen lassen,
so z. B. bei den zeitlichen Vorgaben zum Neugeborenenhörscreening oder zum zeitlichen
Abschluss einer Hörgeräteversorgung, sollte vor der Motivation zur Qualitätsoptimierung
hinter diese begründeten strengen Standards nicht zurückgegangen werden. Dies sollte
bei der Überarbeitung der aktuellen deutschen Leitlinie beachtet werden. Die Behinderten-
und Sozialfürsorge bzw. die Sozialpädiatrie haben der Tatsache Rechnung zu tragen,
dass bei mehrfach behinderten Kindern und solchen aus auffälligen sozialen Verhältnissen
die Schwerhörigkeit noch später als bei anderen Kindern diagnostiziert wird. Unverständlich
ist, dass auch Kinder, selbst wenn sie unter auf eine Schwerhörigkeit hinweisenden
Vorerkrankungen und Syndromen leiden, sehr spät diagnostiziert werden. Bei Kindern
mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit muss das Behandlungskonzept mit der
bei frühzeitiger Diagnose zunächst erforderlichen Versorgung mit Hörgeräten vor der
Frage einer ausreichenden Sprachkompetenz geprüft und ggf. in Richtung einer Innenohrprothese
(Cochlea-Implantat) verändert werden.
Abstract
Background: Permanent congenital hearing loss in children does not only influence speech acquisition
but also has a severe impact on the entire intellectual and psychological development,
and thus social integration is handicapped. However, at least partial compensation
can be achieved by complex rehabilitative measures. One of the first medical therapies
in children with congenital hearing loss is to equip them with hearing aids. As part
of quality management the purpose of this study is to discuss pedaudiological aspects
and results of hearing - impaired children equipped with hearing aids against the
background of guidelines from Germany and the US.
Methods: Data of 107 children equipped with hearing aids from 1997 to 1999 were analysed referring
to the relevant German and US guideline.
Results: In 53 girls and 54 boys, 45 % were suffering from at least severe, 45 % from moderate
and 10 % from mild hearing loss. 93 children presented sensory hearing loss, 8 combined
and 2 conductive hearing loss. 2 children had unilateral hearing loss, one a combined
on one ear and a sensory hearing loss on the other and one child had a central auditory
processing disorder. The age when the hearing loss was diagnosed depended on its grade
and correlated with adverse environmental aspects. 34 children suffered from a syndrome
or multiple handicaps, in these cases, the hearing loss was diagnosed at a later date
than in children suffering from hearing loss only. In cases with near deafness audiological
results with hearing aids were not sufficient; in these cases, cochlea implantation
had to be discussed as an alternative measure.
Conclusion: The data obtained from this study underline the need for universal hearing screening.
Discussing the data against the relevant German and US guidelines clearly shows that
German benchmarks are not as strict as the American ones. This has to be taken into
account for further guideline development in Germany. As permanent hearing loss in
children with syndromes and multiple handicaps and children with adverse environment
is diagnosed at a later date than in other children public, measures have to be taken
to improve this situation.
Schlüsselwörter
Schwerhörigkeit - Früherkennung - Hörgeräteversorgung - Frühförderung - Leitlinie
Key words
Permanent hearing loss - screening - hearing aids - guidelines