Klin Monbl Augenheilkd 2004; 221(11): 891-892
DOI: 10.1055/s-2004-813836
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erkrankungen der Orbita - Die Rolle des Augenarztes als Netzwerk Koordinator

Diseases of the Orbit - The Role of the Ophthalmologist as Network CoordinatorR. F. Guthoff1
  • 1Universitäts-Augenklinik Rostock
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Publication Date:
24 November 2004 (online)

Zu sehr ist in den letzten Jahren der Augapfel als das alleinige Interessengebiet der Augenheilkunde verstanden worden - dazu haben die großen Erfolge, die bei der Behandlung von Erkrankungen des Bulbus oculi erzielt worden sind, beigetragen und an diesen Erfolgen teilzuhaben ist ein nachvollziehbarer Wunsch aller in unserem Fachgebiet Tätigen.

In diesem Heft haben es sich die Herausgeber zum Ziel gesetzt, uns alle daran zu erinnern, dass der Augenarzt aber auch fast immer den ersten Ansprechpartner für einen Patienten darstellt, dessen Auge tränt, dessen Lid sich verändert hat oder der das Hervortreten eines Augapfels bemerkt.

Es liegt an uns, der persönliche Koordinator eines Netzwerkes zu werden, in dem sich der Patient aufgehoben fühlt, auch wenn wir nicht in jedem Fall selbst die Therapeuten sind.

Wir haben inzwischen in Deutschland engagierte Kollegen, die sich der Therapie von Lid- und Orbitaerkrankungen - einem für unser Fach schon teilweise verloren gegangenen Gebiet - mit großem Erfolg angenommen haben. Nicht immer sind hier die großen und umfangreichen Eingriffe, wie sie von den Nachbardisziplinen bevorzugt werden, das Optimum für den Patienten. Oft helfen nach sorgfältiger Analyse der Ausgangssituation kleine ophthalmologische, meist mikrochirurgische Maßnahmen, die der Pathogenese gezielt Rechnung tragen. Dies darf jedoch nicht als Absage an die weiterhin notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit verstanden werden, die auch in diesem Sonderheft der Klinischen Monatsblätter zum Ausdruck kommt.

Im Gegensatz zur Untersuchung des Auges sind bei der Beurteilung der okulären Adnexe und der Orbitawandstrukturen die bildgebenden diagnostischen Methoden von zentraler Bedeutung. Anamnese, klinische Untersuchung von Funktion, Lage und Beweglichkeit des Bulbus unter Einbeziehung des Palpationsbefundes sind absolut notwendige Voraussetzungen für ihren sinnvollen und gezielten Einsatz. Entsprechend dieser Überlegung sind auch in diesem Heft die Arbeiten von Hingst et al. zur MRT-Orbitavolumetrie und Schittkowski et al. zur Umsetzung dieser Daten bei der Behandlung des kongenitalen Anophthalmus hauptsächlich diagnostischen Maßnahmen gewidmet. Bei der Behandlung von A.-carotis-Sinus-cavernosus-Fisteln durch Vertreter der interventionellen Neuroradiologie fließen beide Aspekte - diagnostische und therapeutische - in einer eindrucksvollen Weise minimalinvasiv zusammen (Solymosi, Würzburg).

Trobe sprach 1993 von einem wenig hilfreichen „Orbitobrainogramm”, das ohne klare Fragestellung das Ergebnis der teuren bildgebenden Diagnostik darstellt, gäbe es nicht aufgrund des klinischen Befundes präzise augenärztliche Anforderungen an den Röntgendiagnostiker.

Der enge Kontakt zwischen Augenarzt und weiterführendem Diagnostiker beschleunigt und verbessert die Diagnostik und ist für alle Beteiligten eine sehr befriedigende Aufgabe, gerade auf einem Gebiet, das aufgrund seines interdisziplinären Charakters immer auf eine enge Zusammenarbeit angewiesen ist.

Die Betreuung von Patienten mit endokriner Orbitopathie belegt diese interdisziplinäre Kooperation in besonderer Weise, wie die Arbeiten über die Strahlenbehandlung, die Dekompressionschirurgie, Augenmuskel- und Lidoperationen verdeutlichen (Kuhnt et al., Halle; Ettl, St. Pölten; Bloching, Halle; Fichter et al., Rostock; Schittkowski et al., Rostock).

Dass erregerbedingte Erkrankungen auch bei hochentwickelter Antibiotikatherapie letalen Charakter annehmen können und ebenfalls eine interdisziplinäre Betreuung erfordern, wird am Beispiel der Mukormykose und periorbitaler und orbitaler bakterieller Entzündungen dargestellt (von Eicken et al., Tübingen; Knipping et al., Halle).

Seltene Orbitaerkrankungen, die bei rechtzeitiger Diagnose den Behandlungserfolg deutlich verbessern können, erfordern das besondere Engagement aller beteiligten Kollegen. Beispiele hierfür bieten die Erdheim-Chester-Krankheit und die mikroskopische Polyangiitis (Röpke et al., Halle; Beck et al., Rostock).

Bei der Behandlung komplexer kraniofazialer Fehlbildungen und der Behandlung die knöcherne Orbita einbeziehender Verletzungen ist grundsätzlich die interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig. Die Nutzung neuer Werkstoffe und neuer Verankerungstechniken hat die epithetische Versorgung schwer verletzter Patienten in den letzten Jahren verbessert (Kotrikova et al., Heidelberg; Sandner et al., Halle; Röpke et al., Halle).

Nach Lektüre dieses Heftes - davon sind die Verantwortlichen überzeugt - wird allen Augenärzten deutlich, dass die Aufgabe der Augenheilkunde notwendigerweise die Betreuung des Orbitapatienten einbezieht und der Augenarzt im Sinne von Hippokrates prädestiniert ist, „der begleitende Freund und Zeichendeuter” des Patienten zu sein.

Prof. Dr. R. F. Guthoff

Universitäts-Augenklinik Rostock

Doberaner Straße 140

18057 Rostock

Email: rudolf.guthoff@med.uni-rostock.de

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