Gesundheitswesen 2004; 66 - 2
DOI: 10.1055/s-2004-833740

Fehlende Werte durch „Listenfragen-Effekt“: Vergleich verschiedener Surveys

O Mittag 1, R Deck 1, C Matthis 1, T Meyer 1, I Schäfer 1, H Raspe 1
  • 1Institut für Sozialmedizin, Lübeck

Hintergrund: Fehlende Werte (missing data=MD) stellen ein großes Problem in der angewandten Sozialforschung dar, insbesondere bei multivariater Auswertung. Hier führen bereits geringe Häufigkeiten von MD in einzelnen Variablen schnell zu einer deutlichen Reduktion der Fallzahl und möglichem bias. In einer Fragebogenstudie konnten wir beobachten, dass in einer Subskala des SCL-90-R (Somatisierung) gehäuft der Fall auftrat, dass Probanden einzelne Items ankreuzten, die „überhaupt nicht“-Kategorie aber konsequent ignorierten („Listenfragen-Effekt“). Ziel: Das Ausmaß dieses postulierten „Listenfragen-Effekts“ sollte aufgezeigt werden, mögliche Abhängigkeiten von Probandenmerkmalen sollten analysiert werden, und verschiedene Imputationsmethoden für MD sollten verglichen werden. Methoden: Drei Surveys wurden zugrundegelegt: (1) postalische Befragung von 228 Rehaantragstellern bzw. (2) von 5.211 LVA-Versicherten sowie (3) schriftliche Befragung von 686 ambulanten Rehapatienten. Die Häufigkeit des „Listenfragen-Effekts“ wurde bestimmt, Unterschiede zwischen Probanden mit abweichenden Antwortmustern wurden überprüft, und die Zusammenhänge zwischen den Werten der Subskala und externen Kriterien wurden unter verschiedenen Imputationsmethoden verglichen. Ergebnisse: Die Auftretenshäufigkeit des „Listenfragen-Effekte“ in den drei Surveys war sehr unterschiedlich (zwischen 1,4 und 30,6 Prozent). Substantielle Kovariationen mit anderen Probandenmerkmalen im Sinne eines missing-at-random wurden nicht gefunden. Die Imputation der MD bei Personen mit „Listenfragen-Effekt“ durch den Nullwert reduzierte den Anteil von MD gegenüber der Behandlung laut Manual von 12,3% auf 0,4%, der Mittelwert erniedrigte sich von M=1,04 (SD=0,67) auf M=0,98 (SD=0,61), gleichzeitig blieb die Korrelation mit verschiedenen Außenkriterien (allgemeine Gesundheit, Funktionsstatus, Depressivität) nahezu konstant (alles bezogen auf die Rehaantragsteller). Diskussion: Die Ergebnisse zeigen, dass unter Zugrundelegen des „Listenfragen-Effekts“ fast alle MD ersetzt werden können, ohne dass sich daraus eine substantielle Änderung des Zusammenhanges mit relevanten Außenkriterien ergibt. Bei einer Behandlung von MD nach Manual würden dagegen vor allem Probanden mit geringer Symptombelastung von weiteren Analysen ausgeschlossen werden, was zu einem erheblichen bias führt. Hinweise auf ein eventuelles missing-at-random fanden sich nicht, so dass insbesondere die komplexen statistischen Imputationsmethoden nicht sinnvoll angewendet werden können. Schlussfolgerungen: Wir schlagen aus diesem Grund vor, durch Fragebogen erhobene Daten immer auch auf einen möglichen Listenfrageneffekt hin zu überprüfen und zu überlegen, MD in diesem Fall auch abweichend vom Manual als „nein“ zu kodieren.