Gesundheitswesen 2004; 66 - 19
DOI: 10.1055/s-2004-833757

Immer mehr Interventionen während der Geburt – welche Frauen sind besonders davon betroffen?

CM Schwarz 1, BA Schücking 1
  • 1FB Humanwissenschaften, Universität Osnabrück

Hintergrund: Mehr als 70% aller Schwangeren gelten nach den geltenden Mutterschafts-Richtlinien als Risikoschwangere. Die zunehmende Pathologisierung zeigt sich auch in steigenden geburtshilflichen Interventionsraten. Ziel: Sind Gruppen von Frauen zu identifizieren, die von dieser Entwicklung besonders betroffen sind? Hat sich das geburtshilfliche Outcome verändert? Methoden: Analyse der Daten von 16 Jahrgängen (1984–1999) der Niedersächsischen Perinatal-Erhebung (N=1.066.802); quantitative, retrospektive Längsschnittuntersuchung mithilfe deskriptiver Statistik. Ergebnisse: Fast alle untersuchten Interventionsraten steigen im beobachteten Zeitraum, während interventionsfreie Geburtsverläufe entsprechend abnehmen (auf 6,7%). Die geburtshilflichen Outcome-Parameter lassen während der betrachteten 16 Jahre auf keine Verbesserung schließen. Besonders auffallend steigen die Interventionsraten der Gruppe von Frauen, die nach WHO-Kriterien die „Voraussetzungen für eine normale Geburt“ erfüllen. Außerdem werden neue Ergebnisse der zurzeit durchgeführten differenzierteren Analyse einzelner geburtshilflicher Interventionen präsentiert, die zeigen soll, welche Untergruppen besonders betroffen sind. Diskussion: Auch wenn es gelungen ist, die Gefahren und Risiken von Eingriffen zu minimieren, so ist die Praxis der immer „weicher“ werdenden Indikationen bis hin zu Eingriffen ganz ohne medizinische Indikation, die präventiv bzw. elektiv (auf Wunsch der Frau) durchgeführt werden, fragwürdig. Neben den Folgen durch höhere Raten an nachfolgenden Interventionen sowie Komplikationen ist nicht nur mit einem Restrisiko sondern auch mit langfristigen Folgeerscheinungen zu rechnen. Schlussfolgerungen: Durch zunehmende Interventionen entstehen, insbesondere wenn sie nicht mehr zu einer Verbesserung des geburtshilflichen Outcomes beitragen, vermeidbare Kosten. Die personellen und materiellen Ressourcen könnten an anderer Stelle möglicherweise nutzbringender eingesetzt werden. Vorausgesetzt die Senkung geburtshilflicher Interventionsraten ist ein angestrebtes Ziel, könnte die Kenntnis um besonders betroffene Untergruppen Hinweise liefern, um entsprechende Strategien zu entwickeln.