Gesundheitswesen 2004; 66 - 61
DOI: 10.1055/s-2004-833799

Lebenserwartung, Geschlecht und Zivilstand: Ein ökonomisches Modell mit einer Anwendung auf die Schweiz

S Felder 1
  • 1Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie

Hintergrund: In den Ländern der OECD leben die Frauen im Durchschnitt sechs Jahre länger als die Männer. Je höher das Volkseinkommen eines Landes, desto geringer ist der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung. Ziel: Paare müssten ein Interesse haben, möglichst lange gemeinsam zu leben, wenn der Nutzen des Überlebenden geringer ist als der Nutzen, den sie einzeln aus der Paarbeziehung ziehen. Ausgehend von dieser Überlegung werden die Konsequenzen für den Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung zwischen Paaren und Singles untersucht. Dabei ist das Vermögen der Individuen sowie die Tatsache berücksichtigt, dass die Aufrechterhaltung des Gesundheitskapitals für Männer höher ist als für Frauen. Methoden: Ein mikro-ökonomisches Verhaltensmodell, das zwischen Singles, utilitaristischen und altruistischen Paaren unterscheidet, erlaubt es, Hypothesen über den Unterschied in der Lebenserwartung zwischen den Geschlechtern in seiner Verbindung zum Zivilstand und Vermögen abzuleiten. Diese werden mit Daten von rund 100.000 in den Jahren 2000 und 2001 verstorbenen Schweizer über 65 getestet. Ergebnisse: Die wichtigsten Hypothesen lauten: Der Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung ist i) geringer bei Paaren als bei Singles und ii) sinkt mit dem Vermögen; iii) eine Heirat verlängert die Lebenserwartung der Männer. Bei den über 65-jährigen Schweizer beträgt der Unterschied im Todesalter zwischen Frauen und Männern 6,4 Jahre falls ledig und 3,1 Jahre falls vvg (verheiratet, verwitwet oder geschieden). Ledige Männer sterben im Durchschnitt 1,7 Jahre früher als vvg Männer. Im Unterschied dazu leben ledige Frauen 1,4 Jahre länger als vvg Frauen. Der Zusammenhang zwischen Einkommen und Geschlechterunterschied in der Lebenserwartung ist negativ, jedoch schwach ausgeprägt. Schlussfolgerungen: Der Zivilstand beeinflusst, selbst unter Berücksichtigung der Vermögenssituation, die Lebenserwartung von Männern und Frauen unterschiedlich. Eine lang andauernde Paarbindung verkürzt den Unterschied im Todesalter und bestätigt das Interesse des Paares für ein langes gemeinsames Leben. Vorausgesetzt die medizinische Versorgung älterer Männer kostet nicht wesentlich mehr als jene der älteren Frauen, sollten angesichts des bestehenden großen Geschlechtsunterschieds in der Lebenserwartung Ressourcen für medizinische Forschung und Versorgung hin zu den Männern geleitet werden.