Gesundheitswesen 2004; 66 - 84
DOI: 10.1055/s-2004-833822

Lebensqualität bei Stressinkontinenz vor und nach dem TVT-Verfahren

W Slesina 1, U Weber 1, EA Drauschke 2, H Kölbl 3
  • 1Sektion medizinische Soziologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • 2Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Reproduktionsmedizin, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
  • 3Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten, Universität Mainz

Hintergrund: Harninkontinenz kann das alltägliche Leben und die sozialen Aktivitäten der betroffenen Frauen stören und beeinträchtigen. Auswirkungen auf Bereiche wie soziale Beziehungen, Sexualität, Selbstwahrnehmung, allgemeine Gesundheit und Lebensqualität werden in der Literatur diskutiert. Zur Behandlung der Stressinkontinenz gibt es zahlreiche operative Verfahren, darunter das Einsetzen einer sogenannten TVT-Plastik nach Ulmsten (Tension free vaginal tape). Hierbei handelt es sich um ein minimalinvasives Verfahren, bei dem ein Polypropylenband spannungsfrei unter die Harnröhre gelegt wird (Peschers et al. 2003). Ziel: Ziel der vorgestellten Studie ist es, die gesundheitsbezogene Lebensqualität von Frauen mit Stressinkontinenz vor und nach dem Anlegen einer TVT-Schlinge zu vergleichen. Methoden: In dem Projekt „Lebensqualität und Harninkontinenz“ wurden neben soziodemographischen Variablen, der medizinischen Vorgeschichte bzgl. des Harninkontinenzsyndroms, dem Urge-Incontinence Impact Questionnaire (UI-IQ) und dem Urge-Urinary Distress Inventory (UU-DI) der SF36 zur Erhebung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei den betroffenen Frauen eingesetzt. Die drei Messzeitpunkte waren „Aufnahme in die Klinik t1“, „4 Wochen nach Anlegen der TVT-Plastik t2“ und „12 Monate nach der TVT-Operation t3“. Ergebnisse: Für die 101 Frauen (durchschnittliches Alter 60,0 Jahre, Standardabw. 8,9 Jahre), die an allen drei Messzeitpunkten teilnahmen, zeigten sich folgende Ergebnisse: Der Vergleich der acht Subskalen des SF36 vor der TVT-Operation (t1) und 4 Wochen danach (t2) ergab für fast alle Skalen eine Verbesserung der Mittelwerte. (Ausnahme: nicht signifikante Verschlechterung der Skala „Schmerzen“). Statistisch relevant bei einem Signifikanzniveau von 0.05 war der Anstieg der Lebensqualität bei den Skalen „Körperliche Funktionsfähigkeit“, „Psychisches Wohlbefinden“, „Soziale Funktionsfähigkeit“ und „Vitalität“, die auch 12 Monate nach der TVT-Operation noch anhielten. Zu dem Zeitpunkt t3 haben sich auch die Mittelwerte der Skalen „Körperliche Rollenfunktion“ und „Emotionale Rollenfunktion“ im Vergleich zum Zeitpunkt t2 statistisch signifikant verbessert (p-Wert<.05). Diskussion: Die Ergebnisse leisten einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung von evidenzbasierten Leitlinien bei Stressinkontinenz, die im Sinne einer Outcome-Orientierung und eines HTA eine über den postoperativen Zustand hinausgehende Untersuchung mittels Lebensqualitätsparametern fordern. Schlussfolgerungen: Der Langzeiteffekt auf die Lebensqualität bei stressinkontinenten Frauen (5–10 Jahre nach TVT-Operation) sollte mittels einer prospektiven Beobachtungskohortenstudie untersucht werden, gerade um sozialen und sozialmedizinischen Aspekten Rechnung zu tragen.