Gesundheitswesen 2004; 66 - 120
DOI: 10.1055/s-2004-833858

Frühberentet ohne Rehabilitation – Eine Gerechtigkeitslücke? – Welche Versicherten werden bei Antrag auf Erwerbsunfähigkeit zur Antragstellung auf medizinische Rehabilitation aufgefordert?

M Zimmermann 1, G Langer 1, A Dreyer-Tümmel 1, J Behrens 1
  • 1Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Hintergrund: Nach verschiedenen Berechnungen haben trotz des Grundsatzes „Reha vor Rente“ in den Jahren, die der Frühberentung unmittelbar vorausgehen, zwischen einem Drittel und der Hälfte der Sozialversicherten keine Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation in Anspruch genommen. Ziel: Ziel des Projektes „Frühberentete ohne Rehabilitation“ des Forschungsverbunds Rehabilitationswissenschaften Sachsen-Anhalt/Mecklenburg-Vorpommern ist es, Faktoren und Faktorenbündel zu identifizieren, die sich negativ oder positiv auf das Inanspruchnahmeverhalten rehabilitationsbedürftiger Männer und Frauen auswirken können. Methoden: Neben einer Analyse des Berentungsjahrgangs 2000 aufgrundlage von Routinedaten der LVA Sachsen-Anhalt wurde eine Stichprobe von Frühberenteten ohne medizinische Rehabilitation (n=1000) und von Früh- und Altersberenteten mit Rehabilitation (je n=500) schriftlich nach ihrer Krankheitsgeschichte, ihren Erwerbsverläufen und ihren Gründen und Motiven zur (Nicht-) Inanspruchnahme von rehabilitativen Angeboten befragt. Der Rücklauf betrug bei zwei Erinnerungen etwas über 50%. Ergebnisse: Mittels logistischer Regression konnte als wichtigster Faktor für einen Antrag auf medizinische Rehabilitation in den letzten fünf Jahren vor einer Frühberentung die Aufforderung zum Rehaantrag durch die Rentenversicherung mit einem 7,5fach erhöhten Risiko ermittelt werden. Die Gruppe von Versicherten, die durch die LVA zum Rehaantrag aufgefordert worden war, konnte näher beschrieben werden. Sie unterschied sich signifikant von denjenigen, die nicht aufgefordert wurden, durch höhere AU-Zeiten im Jahr vor der Frühberentung (>6 Monate) und durch die Zahl der chronischen Erkrankungen, ohne dass diese Faktoren (mit relativen Risiken kleiner 1,0) als Prädiktorvariablen aufzufassen wären. Diskussion: Nach den Selbstauskünften der Versicherten werden Versicherte mit höheren AU-Zeiten im Jahr vor der Antragstellung auf Erwerbsunfähigkeit häufiger von der Rentenversicherung zur vorlaufenden „Reha vor Rente“ aufgefordert. Schlussfolgerungen: Aufgrund der feststellbaren, aber nicht erklärenden Unterschiede zwischen Versicherten, die von der LVA angesichts drohender Erwerbsunfähigkeit aufgefordert werden, einen Antrag auf medizinische Rehabilitationsleistungen zu stellen, und denen, die diese Aufforderung nicht erhalten, ist zu fragen, ob diese Steuerung vor der Frühberentung einerseits erfolgreich ist, andererseits diejenigen Versicherten erreicht, die am meisten von einer Rehabilitation profitieren können.