Gesundheitswesen 2006; 68 - A151
DOI: 10.1055/s-2006-948707

Kenntnisstand über Folsäure in Deutschland und die Versorgung der Schwangeren zur Prävention von Neuralrohrdefekten

A Wiesel 1, 2, G Stolz 1, K Schlaefer 2, E Boehler 3, A Queißer-Luft 1
  • 1Geburtenregister Mainz Modell, Universitätskinderklinik Mainz
  • 2Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Universitätsklinik Mainz
  • 3Abteilung Umweltepidemiologie, DKFZ, Heidelberg

Hintergrund: Folsäure und ihre gesundheitsprotektiven Wirkungen, insbesondere bei Schwangeren zur Prävention von Neuralrohrdefekten (NRD), sind unumstritten u. wissenschaftlich belegt. In anderen Ländern, wie z.B. den USA, wurde durch eine Anreicherung von Mehl die gesundheitspolitische Konsequenz gezogen. Ziele: Der Bekanntheitsgrad und das Wissen über Folsäure in der Allgemeinbevölkerung sollte für Rheinland-Pfalz überprüft werden. Der Anteil der werdenden Mütter, die über den positiven Effekt der perikonzeptionellen Folsäureprophylaxe informiert sind und sie durchführen, sollte ermittelt werden. Methode: In einer Stichprobe wurden 5.366 Mütter neugeborener Kinder in Rheinland-Pfalz (23% aller Geburten des Studienzeitraumes 2003/2004) zum Kenntnisstand über Folsäure und deren Substitution befragt, 2.346 (44%) Fragebögen wurden ausgewertet. Ende 2005 wurde in Rheinland-Pfalz eine repräsentative Telefonumfrage mit 1.076 deutschsprachigen Einwohnern zum Wissen über Folsäure durchgeführt. Die deskriptive Analyse erfolgte mittels SPSS. Ergebnisse: 2/3 der Schwangeren kannten den Sinn einer perikonzeptionellen Folsäuresubstitution, jedoch nur jede elfte Mutter hat zum richtigen Zeitpunkt in ausreichender Dosis eine Prophylaxe durchgeführt. Der Anteil der Kinder mit NRD liegt seit mehr als 10 Jahren unverändert bei ca. 2 Kindern pro 1.000 Geburten. Der Bekanntheitsgrad der Folsäure lag bei den Teilnehmern der Telefonumfrage bei ca. 60%, wobei Frauen (w:56% vs. m:44%) und höhere soziale Schichten (40% vs. 71%) besser informiert waren, ein Stadt-Land-Unterschied nicht erkennbar war und jüngere Teilnehmer (16–19 Jahre; 31%) gegenüber älteren (30–39J.; 70%) schlechter abschnitten. Schlussfolgerung: Trotz des Wissens einer Mehrheit der Bevölkerung über Folsäure und deren Nutzen ist von einer Unterversorgung – insbesondere von Schwangeren – auszugehen. Eine Verminderung des Auftretens von Neuralrohrdefekten ist nicht festzustellen. Deutschland kann als „Folsäure-Entwicklungsland“ bezeichnet werden. Die bisherige Aufklärung ist als unzureichend anzusehen. Eine Anreicherung von Grundnahrungsmitteln muss diskutiert werden.