Aktuelle Ernährungsmedizin 2006; 31 - V2
DOI: 10.1055/s-2006-954455

Melanocortinerges System und Adipositas: Die bislang unterschätzte Rolle des beta-MSH

H Biebermann 1, TR Castañeda 2, 3, F van Landeghem 4, A von Deimling 4, F Escher 1, G Brabant 5, J Hebebrand 6, A Hinney 6, MH Tschöp 2, 3, A Grüters 1, H Krude 1
  • 1Institut für Experimentelle Pädiatrische Endokrinologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany
  • 2Department of Psychiatry-Obesity Research Center, University of Cincinnati, Cincinnati, OH, USA
  • 3Deutsches Institut für Ernährungsforschung, Nuthetal, Germany
  • 4Institut für Neuropathologie, Charité Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Germany
  • 5Institut für Endokrinologie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH), Hannover, Germany
  • 6Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Rheinische Kliniken der Universität Duisburg-Essen, Essen, Germany.

Einleitung und Ziel: Ein wichtiger Schritt im Leptin-Melanocortin Signalweg ist die verstärkte Expression von Proopiomelanocortin (POMC) im hypothalamischen Nukleus arcuatus als Antwort auf das Leptin Signal. Die POMC-exprimierenden Neurone des Nukleus arcuatus projizieren in andere hypothalamische Kerngebiete wie den Nukleus paraventrikularis, in dem die Aktivierung des Melanocortin 4 Rezeptors (MC4R) einen wichtigen Schritt der Energiehomeostase darstellt. Aus dem POMC wird eine Reihe von Peptiden prozessiert. Bislang wurde angenommen, dass alpha-MSH für die Aktivierung des MC4R die entscheidende Rolle spielt, obwohl beta-MSH ebenso den Rezeptor aktiviert. Patienten und Methode: In einer Kohorte von 15 übergewichtigen Kindern wurde der kodierende Bereich des POMC Gens mittels direkter Sequenzierung untersucht. Die dort identifizierte Mutation Y5C-beta-MSH wurde bei 722 übergewichtigen Kindern und 1270 Kontrollpersonen mittels PCR-RFLP genotypisiert. Zur funktionellen Charakterisierung der beta-MSH Mutation Y5C wurden stabil mit dem MC4R transfizierte CHO-Zellen zur Untersuchung der Bindung und Signaltransduktion verwendet. Die Untersuchung der in vivo Rolle des beta-MSHs erfolgte an intracerebroventrikulär kanülierte Ratten, deren Fressverhaltung nach Peptidapplikation online aufgezeichnet wurde. Der Nachweis von hypothalamisch exprimiertem beta-MSH wurde durch Immunhistochemie an post mortem Schnitten humaner Nuklei arcuati durchgeführt. Ergebnis: In der Gruppe der 15 übergewichtigen Patienten konnten wir bei einem Geschwisterpaar, nachweisen, dass deren Vater und Großmutter heterozygot für die Y5C-beta-MSH, Mutation waren. Bei zwei der untersuchten 722 übergewichtigen Patienten konnte diese Mutation ebenfalls nachwiesen werden, jedoch bei keiner Kontrolle. Die funktionelle Charakterisierung ergab einen kompletten Funktionsverlust von Y5C-beta-MSH im Vergleich zu alpha- und wildtypischem beta-MSH. In vivo konnte Y5C-beta-MSH das Fressverhalten der Ratten nicht unterdrücken wie dies bei alpha- und beta-MSH der Fall war. Die Immunhistochemie der humanen post mortem Schnitte zeigte einen im Vergleich zu alpha-MSH höheren Anteil an beta-MSH. Schlussfolgerung: Beta-MSH spielt wahrscheinlich eine viel größere Rolle in der Appetitregulation als bislang angenommen. Damit könnte auch beta-MSH die Grundlage für die Entwicklung von Therapeutika zur Gewichtsreduktion darstellen.