Gesundheitswesen 2007; 69(7): 408-414
DOI: 10.1055/s-2007-985133
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Bringt die Passivhausschule die Lösung der raumlufthygienischen Probleme in Schulen?

Passive-House Schools - A Tool for Improving Indoor Air Quality in Schools?U. Heudorf 1
  • 1Stadtgesundheitsamt Frankfurt, Abteilung Medizinische Dienste und Hygiene, Frankfurt
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Publication Date:
14 August 2007 (online)

Zusammenfassung

Passivhäuser haben Konjunktur, insbesondere im Zusammenhang mit der Diskussion um Klimaschutz und Energieeinsparung. Seit einigen Jahren wird das Passivhauskonzept auch für den Schulbau propagiert. Da eine maschinelle Grundlüftung mit guter Wärmerückgewinnung als unerlässlicher Bestandteil für ein Passivhaus-Konzept gilt, wird auch mit besserer Raumluftqualität und damit verbesserten Lern- und Lehrbedingungen in Passivhausschulen argumentiert. Bislang liegen jedoch fast keine Untersuchungsergebnisse zur Raumluftqualität in Passivhausschulen unter Unterrichtsbedingungen vor. Vor diesem Hintergrund wurden Untersuchungen zur Raumluftqualität in Klassenräumen einer Passivhausschule in Frankfurt durchgeführt.

Material und Methode: Die Passivhausschule in Frankfurt verfügt über Zuluftsysteme mit Wärmerückgewinnung ohne Heizregister. Der Luftwechsel pro Person beträgt ca. 15 m3/h. Die geringe Luftmenge garantiert die Aufheizung durch die Schüler. Die Lüftungsanlagen werden nach einem Wochenprogramm durch eine Gebäudeleittechnik (GLT) gesteuert. Diese maschinelle Belüftung ist nur in der Winterphase in Betrieb; in der Sommerphase ist eine konventionelle Fenster-Lüftung vorgesehen. An drei Unterrichtstagen in der Sommerphase wurde in einem Klassenraum die Kohlendioxidbelastung mit Drägerröhrchen in 15 min-Abständen untersucht. In der Winterphase wurde in 2 Klassenräumen über eine Unterrichtswoche die Kohlendioxidbelastung mit Infrarotmesszellen nach dem BIA 9070-Verfahren gemessen. Parallel dazu wurden in 5 min-Abständen die Anzahl der Personen im Raum, deren Aktivitäten und die Raumlüftung nach einem standardisierten Schema dokumentiert.

Ergebnisse: Die Kohlendioxidbelastung lag im Mittel (Mittelwert) während der Sommerphase bei 1127 ppm CO2, in der Winterphase bei 946 ppm. Wurden nur die Zeiten mit mehr als 5 Personen im Raum betrachtet, wurde sowohl in der Sommer- als auch in der Winterphase der lufthygienische Standard 1000 ppm in etwa zwei Drittel der Messwerte überschritten; der Richtwert (DIN 1946) von 1500 ppm wurde in 5% der Messungen in der „Sommer-” und in 10% der Messungen der „Winterphase”überschritten. Werte über 1500 ppm wurden an einem von drei Tagen in der Sommerphase und an drei von neun Tagen in der Winterphase (in denen im Klassenraum unterrichtet wurde) festgestellt.

Diskussion und Schlussfolgerung: Im Vergleich mit konventionell gelüfteten Räumen waren die mittleren Kohlendioxidbelastungen vergleichbar, die Maximalwerte lagen in der Passivhausschule niedriger, dennoch wurde auch in der Passivhausschule der DIN-Wert von 1500 ppm an 33% der Messtage überschritten. Legt man die neue DIN EN 13779 zugrunde, so wurde - bei Anwesenheit der Klasse - an zwei der drei Sommer- und an allen Wintermesstagen 1400 ppm in der Raumluft überschritten und somit eine niedrige Raumluftqualität erreicht. D. h. auch in einer Passivhausschule ist in der Winterphase zusätzlich zur gewählten mechanischen Grundlüftung eine Fensterlüftung in den Pausen zwingend erforderlich und auch in der Sommerphase ist die Fensterlüftung zu verbessern. Deswegen und auch wegen möglicher Ausfälle der Gebäudeleittechnik, sind auch in Passivhausschulen ausreichend große Fensterflächen zur Lüftung vorzuhalten und die Schulen sind über die Notwendigkeit ausreichender Lüftung sowohl im Sommer als auch im Winter zu informieren. Neben den energetischen Aspekten sind raumlufthygienische Kriterien vermehrt zu berücksichtigen - auch in Passivhausschulen.

Abstract

In Germany, some schools have already been built according to the passive-house standard as an answer to the discussion of climate change and energy saving. For European passive construction, a prerequisite is an annual heating requirement of less than 15 kWh/(m2a) (4755 Btu/ft2/yr). Efficient heat recovery from exhaust air using an air-to-air heat exchanger reduces energy consumption and is considered to improve indoor air quality as well. However, data on indoor air quality have been lacking up to now. Here, the data on indoor air quality in a passive house school are presented.

Material and Methods: In the passive-house school in Frankfurt/M in summer time ventilation is performed by opening the windows. In winter time a mechanical ventilation system provides air at 14-16 m3/person h, with the incoming air being heated by an air-to-air heat exchanger. CO2 levels were obtained during 3 school days in one classroom in summer time, and during 5 days in two classrooms in winter time. In 5-minute intervals a continuous documentation of the number of persons present in the room, their activity and ventilation was done parallel to the measurements.

Results: Mean CO2 levels in summer time were 1127 ppm, and 946 ppm in winter time. Regarding only those measurements with people present in the classroom, the air quality standard of 1000 ppm (Pettenkofer's level) was exceeded in two thirds of the measurements in summer and in winter, with 5% (summer) and 10% (winter) of the levels exceeding the guideline value (DIN 1946) of 1500 ppm. Considering the guideline values of the “new” DIN EN 13779, 9-21% of the measurements exceeded 1400 ppm, i.e., “low air quality”.

Discussion: Mean CO2 levels in the passive-house school were comparable to those in conventionally ventilated schools, i.e., ventilation via opening the windows, whereas maximal levels were lower in the passive-house school than in other schools. The guideline value of 1500 ppm was exceeded on 33% of the measurement days, the level of 1400 ppm was exceeded in 92% of the days. According to these data, indoor air quality should be improved not only in conventionally ventilated schools but also in passive-house schools. In addition to the mechanical ventilation, ventilation by opening the windows during breaks is necessary. Therefore, sufficient capacity for opening the windows should be available. This is mandatory not only for summer time ventilation but also in case of problems with the mechanical ventilation system. As a result air quality should be an important issue in passive houses as well, in addition to the focus on energy saving.

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Korrespondenzadresse

Priv.-Doz. Dr. U. Heudorf

Stadtgesundheitsamt Frankfurt

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