Gesundheitswesen 2008; 70(6): 352-353
DOI: 10.1055/s-2008-1062736
Kommentar

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Ware Gesundheit – Auswirkungen von Wettbewerb im Gesundheitswesen auf die medizinische Versorgungsqualität

Health for Sale – Effects of a Competitive Public Health System on the Quality of Medical CareR. Bittner 1
  • 1Kassenärztliche Vereinigung Bayerns, München
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Publication Date:
25 July 2008 (online)

Der folgende Kommentar zum Beitrag von F. Hengsbach in diesem Heft bezieht sich auf den Diskussionsbeitrag des Autors auf dem Kongress „Medizin und Gesellschaft”, Augsburg 2007. Alle Teilnehmer der Podiumsdiskussion „Mehr Markt macht nicht gesund” waren um ihren Beitrag gebeten worden.

Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der leistungsfähigsten in Europa neben der Schweiz und Österreich. In Deutschland sind Arztdichte und Anzahl der Beschäftigten in der medizinischen Versorgung sowie Anzahl der Krankenhausbetten hoch im Vergleich zu anderen europäischen Ländern [1]. Wartezeiten sind sehr gering [1]. Die Lebenserwartung liegt im Schnitt bei 76,6 Jahren für Männer und bei 82,1 Jahren für Frauen [2], das liegt im europäischen Mittel [3]. Das in Deutschland bestehende solidarische, kollektive Vertragssystem zwischen Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung und Ärzten garantiert deutschlandweit eine bedarfsgerechte, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung für jeden Bundesbürger.

Angesichts steigender Kosten, insbesondere im Arzneimittelbereich, wird die Finanzierung gekoppelt an die Lohnkosten mit steigenden Beitragssätzen als problematisch angesehen. Deshalb sind Reformen in großem Umfang gesetzlich beschlossen worden. Die Grundidee dieser Reformen ist ein verstärkter wirtschaftlicher Wettbewerb unter Krankenversicherungen, Krankenhäusern und Kassenärzten, von dem man sich Bedarfsgerechtigkeit, geringere Kosten, mehr Effizienz und weniger Bürokratie verspricht [4].

Ein wettbewerbsorientiertes Gesundheitssystem gibt es schon: Es wurde unter Ronald Reagan in Amerika eingeführt. Jeder Haushalt in den USA sollte sich seine persönliche Krankenversicherung kaufen, staatliche Zuschüsse waren nur vorgesehen, wenn die privaten Einnahmen des Haushalts nicht ausreichten [7]. Heute ist das amerikanische Gesundheitssystem vor allem in der allgemeinen Patientenversorgung in einem desolaten Zustand. Es werden jährlich etwa 1,8 Billionen US-Dollar für das Gesundheitssystem aufgewendet. Das ist im Vergleich zu Deutschland nahezu das Doppelte pro Kopf. Ca. 47 Millionen Amerikaner, etwa 16% der Gesamtbevölkerung, sind nicht krankenversichert [6] weitere 40 Millionen sind unterversichert [5]. Viele derjenigen, die versichert sind, müssen bei sämtlichen ärztlichen Leistungen zuzahlen, andere, die in einer health maintenance organization HMO sind, müssen bürokratische Papierkriege und lange Wartezeiten bei Einschränkung der Arztauswahl erdulden. Die Lebenserwartung lag 2004 in den USA bei 77,9 Jahren und damit weltweit auf Platz 42. Dies ist im Vergleich zu 1984 eine Verschlechterung um 20 Plätze. Als Gründe werden fehlende Krankenversicherungen und Fettleibigkeit genannt [7].

Die in Deutschland gesetzlich beschlossene Gesundheitsreform wird eine Entwicklung im Gesundheitswesen nach sich ziehen. Vor allem wird sich der verstärkte Wettbewerb auf die medizinische Versorgungsqualität auswirken [8].

Literatur

  • 1 Europäisches Observatorium für Gesundheitssysteme . Gesundheitssysteme im Wandel – Deutschland.  2000; 
  • 2 Statistisches Bundesamt . 2007; 
  • 3 Weiland S, Rapp K, Klenk J, Keil U. Zunahme der Lebenserwartung: Größenordnung, Determinanten und Perspektiven.  Deutsches Ärzteblatt.. 2006;  103 ((16)) A-1072/B-905/C-874
  • 4 Kühn H. Wettbewerb im Gesundheitswesen?. Westfälisches Ärzteblatt 6 2004
  • 5 Bauer U. Die sozialen Kosten der Ökonomisierung von Gesundheit. Aus Politik und Zeitgeschichte 8–9. Bundeszentrale für politische Bildung 2007
  • 6 US Census Bureau . Houshold Income Rises, Poverty Rate Declines, Number of Uninsured Up. 2007; 
  • 7 n-tv.de . Studie über Lebenserwartung – Amis weit abgeschlagen. 2007; 
  • 8 Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft . 2007;  http://www.vbw-bayern.de
  • 9 Hengsbach . „Mehr Markt” an zweiter Stelle – Gesellschaftliche Risiken und solidarische Sicherung entsprechen einander.  , Vortrag vom 30.09.2004. Kassenärztliche Vereinigung Westfahlen-Lippe 2007; 
  • 10 Kühn H. Zwanzig Jahre „Kostenexplosion”. In: Jahrbuch für kritische Medizin. Bd. 24. S 156f. Hamburg 1995

Korrespondenzadresse

R. Bittner

Kassenärztliche Vereinigung Bayerns

Elsenheimerstraße 39

80687 München

Email: Rudi.Bittner@kvb.de

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