Allgemeine Definition von Schock
Allgemeine Definition von Schock
Der Schock ist ein medizinischer Notfall, bei dem durch eine schwere Kreislaufstörung
die Sauerstoffversorgung des Gewebes im kritischen Maße reduziert ist. Ursache können
folgende Krankheitsbilder sein:
Quelle: KH Krauskopf
Hypovolämischer Schock
Verkehrsunfall mit Frontalzusammenprall der Fahrzeuge ([Abb. 1]). Die Motorhaube des Kleinwagens ist zusammengedrückt, alle Airbags sind ausgelöst,
und das Armaturenbrett sowie das Lenkrad klemmen den Fahrzeugführer ein. Dieser ist
nur noch verzögert ansprechbar, und bei der Untersuchung gemäß cABCDE-Schema [1] vermuten Sie ein relevantes Becken- und Oberschenkeltrauma. Zusätzlich fällt Ihnen
eine starke Blutung am linken Unterschenkel auf. Aufgrund des stark eingedrückten
Armaturenbretts ist die Blutungsstelle nicht erreichbar, und Sie entscheiden sich
zur Anlage eines Tourniquets.
Abb. 1 Frontalzusammenprall eines Kleinwagens mit einem Lkw.
Definition
Bei einem Volumenmangelschock ist das intravasale Volumen kritisch reduziert. Dies
kann Folge eines hohen Blutverlusts oder anderer Flüssigkeitsverluste bei z. B. Verbrennungen,
Durchfall oder Erbrechen sein.
Pathophysiologie
Geringe Blut-/Flüssigkeitsverluste ([Tab. 1]) können durch den Organismus kompensiert werden. Sinkt das intravasale Volumen weiter,
bewirkt die Ausschüttung körpereigener Katecholamine eine Kontraktion der Blutgefäße,
um den Blutdruck aufrechtzuhalten. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass nur die
lebenswichtigen Organe durchblutet werden (Zentralisation) [2]. Des Weiteren ist das Volumen, das das Herz pro Minute durch den Körper pumpt, entscheidend
für die Versorgung der Organe und Gewebe mit Sauerstoff:
Tab. 1
Orientierungswerte: Blutverluste und ihre Ursachen.
Fraktur
|
Potenzieller Blutverlust
|
Unterarm
|
bis zu 400 ml
|
Oberarm
|
bis zu 800 ml
|
Unterschenkel
|
bis zu 1000 ml
|
Oberschenkel
|
bis zu 2000 ml
|
Becken
|
bis zu 4000 ml
|
Herzzeitvolumen (HZV) = Schlagvolumen × Herzfrequenz/min
Bei reduziertem Schlagvolumen kann das gleiche Herzzeitvolumen nur durch eine Erhöhung
der Herzfrequenz aufrechterhalten werden.
Therapie
-
Stoppen einer kritischen Blutung gemäß cABCDE (c = critical Bleeding).
-
Tourniquet mit Datum und Uhrzeit beschriften.
-
Legen eines großlumigen Venenzugangs.
-
Gabe von kristalloiden Vollelektrolytlösungen (z. B. Jonosteril, Sterofundin, Ringer-Lösung).
-
„Isotone“ Kochsalzlösung NaCl 0,9 % vermeiden: Gefahr eines pH-Wert-Abfalls (hyperchlorämische
Azidose) mit Minderung der Herzleistung, Gerinnungsstörung und Hemmung der Freisetzung
von Noradrenalin [3].
-
Kolloidale Infusionslösungen (z. B. HAES 6 %) sind zurzeit lediglich zugelassen bei
Hypovolämie infolge Blutverlusts [4]
.
-
Akzeptanz von Blutdruckwerten von ca. 80 mmHg systolisch sowie einem mittleren arteriellen
Druck von ca. 50 mmHg (permissive Hypotension) [5]. Wirkt einem weiteren Blutverlust entgegen.
-
Gabe von 1 g Tranexamsäure zur Förderung der Blutgerinnung. Tranexamsäure wird als
Antifibrinolytikum bezeichnet, da es zu einer Hemmung der Gerinnselauflösung (Fibrinolyse)
führt [6].
Allergischer (anaphylaktischer) Schock
Allergischer (anaphylaktischer) Schock
Ein 55-jähriger Landwirt mit bekannter allergischer Disposition auf Insektengifte
meldet sich bei der Notrufzentrale, da er bei Arbeiten auf dem Feld von einer Wespe
gestochen wurde. Sein Notfallset habe er zu Hause vergessen, ihm werde nun zunehmend
schwindelig, und eine leichte Luftnot stelle sich ein.
Bei Eintreffen des Rettungsteams liegt er kaltschweißig mit schnellem und schwachem
Puls am Boden. Beim Einatmen ist ein pfeifendes Geräusch (Stridor) zu hören.
Definition
Der allergische (anaphylaktische) Schock ist die Extremform einer allergischen Reaktion,
bei der durch Ausfall von wichtigen Körperfunktionen ein lebensbedrohlicher Zustand
eintritt.
Pathophysiologie
Obwohl allergische Reaktionen bereits vor ca. 2000 Jahren schriftlich erwähnt wurden,
ist der Begriff „Allergie“ erst 1906 durch den Kinderarzt Clemens von Pirquet geprägt
worden [7].
Einteilung
Die heutige Einteilung in die 4 Haupttypen (s. Übersicht) wurde 1963 von Coombs und
Gell entwickelt [8].
Einteilung des allergischen (anaphylaktischen) Schocks
Typ-I-Reaktion (Soforttyp)
(s. a. [Abb. 2])
Abb. 2 Pathophysiologie der Typ-I-Reaktion [9].
-
Der Erstkontakt von Körper und Allergenen bleibt symptomlos.
-
T2-Helferzellen senden Botenstoffe zu B-Lymphozyten → Antikörperbildung.
-
Bindung von Antikörpern auf der Oberfläche von Mastzellen.
-
Zweitkontakt: Ausschüttung von u. a. Histamin.
Typ-II-Reaktion (zytotoxischer Typ)
-
Medikamente/Bluttransfusionen binden als Antigene an Körperzellen.
-
Immunglobuline im Blut erkennen die Antigene und leiten dessen Auflösung (Lyse) ein.
-
Eine Unterscheidung zwischen Antigen und eigener Körperzelle ist nicht möglich.
Typ-III-Reaktion (Immunkomplex-Typ)
-
Ablagerung von Antigen-Antikörper-Komplexen an Blutgefäßen und Organen.
-
Auslösen einer Entzündungsreaktion und evtl. ein Gefäßverschluss, bei dem das nachfolgende
Gewebe durch Sauerstoffmangel geschädigt wird.
Typ-IV-Reaktion (Spättyp)
-
Symptome treten zeitverzögert erst nach 1 – 2 Tagen auf.
-
Keine Vermittlung durch Antikörper.
-
T-Lymphozyten und Helferzellen greifen ohne Zuhilfenahme von Immunglobulinen Antigene
an.
Die Typ-I-Reaktion (Soforttyp) ist die im Rettungsdienst am häufigsten vorkommende
allergische Reaktion.
Histaminrezeptoren
Histamin fungiert als Mediator und löst eine große Zahl von Folgereaktionen aus. Seine
Wirkung vermittelt Histamin über die membrangebundenen Histaminrezeptoren (H1 bis H4). Bei allergischen Reaktionen sind vor allem H1- und H2-Rezeptoren beteiligt.
-
H1-Rezeptoren:
-
Blutgefäße:
-
Gefäßweitstellung mit Blutdruckabfall,
-
Ödembildung aufgrund erhöhter Durchlässigkeit,
-
Schwellung, Hautrötung,
-
Bronchien:
-
H2-Rezeptoren:
Therapie
-
Unterbrechung der Allergenzufuhr.
-
1 Venenzugang mit Vollelektrolytlösung.
-
Gabe von Adrenalin (Aktivierung von α- und β-Rezeptoren als Gegenspielern zum Histamin
→ Gefäßengstellung/Bronchienerweiterung/Reduktion von Ödemen).
-
0,3 – 0,5 mg als intramuskuläre Gabe; ggf. Wiederholung,
-
ggf. bei unzureichender Stabilisierung: Spritzenpumpe (Dosierung: 0,05 – 1 µg/kg KG/min)
-
Gabe eines H1-Rezeptorantagonisten (Clemastin 0,05 mg/kg KG oder Dimetinden 0,1 mg/kg KG).
-
Gabe eines H2-Rezeptorantagonisten (z. B. Cimetidin 5 mg/kg KG) bei schwerer Anaphylaxie. → Ob
die Gabe einen Vorteil bringt, ist bis jetzt nicht abschließend geklärt.
-
Gabe von Glukokortikoiden (z. B. Prednisolon 1 – 2 mg/kg KG). → Wichtig, auch wenn
die Wirkung deutlich verzögert erst nach 30 – 60 Minuten eintritt [10].
Spinaler Schock
Beim Blick aus dem Fenster der Rettungswache sehen Sie eine umgestürzte Leiter und
daneben eine Person auf dem Boden liegend. Sie haben die Situation gleich erkannt
und melden der Leitstelle Ihr Ausrücken zum Einsatzort. Beobachter der Situation schildern,
dass die Sturzhöhe ca. 4 – 5 m betrug.
Ihr Patient ist wach, ansprechbar und orientiert. In Ihrer Untersuchung gemäß cABCDE-Schema
ist bei unauffälligen Befunden für Airway und Breathing ein schwacher Puls zu tasten.
Keine Einblutung in die großen Blutungsräume. Der Patient gibt an, er könne die Beine
nicht mehr bewegen. Trotz der niedrigen Blutdruckwerte ist der Patient nicht kaltschweißig,
sondern zeigt eine trockene und überwärmte Haut.
Mittels Spineboard wird der Patient immobilisiert und in die nächste Klinik mit neurochirurgischer
Abteilung gebracht.
Definition
Der spinale Schock ist eine Form des neurogenen Schocks, bei der aus dem Ausfall der
Regulationsmechanismen auf der Ebene des Rückenmarks ein niedriger Blutdruck resultiert.
Pathophysiologie
Die Aufrechterhaltung vieler lebenswichtiger Körperfunktionen wird durch das sogenannte
autonome/vegetative Nervensystem gesteuert. Dazu zählen vor allem Blutdruck, Atmung
und Herzfrequenz. Der Sympathikus als ein Teil dieses Systems erhöht die Leistungs-
und Alarmbereitschaft des Körpers. Als sogenannter Gegenspieler wirkt der Parasympathikus.
Die einzelnen Einflüsse von Sympathikus und Parasympathikus sind in [Tab. 2] gegenübergestellt.
Tab. 2
Darstellung der Wirkung des autonomen (vegetativen) Nervensystems am Erfolgsorgan.
Erfolgsorgan
|
Sympathikus
|
Parasympathikus
|
Herz
|
Herzfrequenz ↑
|
Herzfrequenz ↓
|
Blutgefäße
|
Verengung
|
Gefäßerweiterung (indirekte Wirkung durch Hemmung des Sympathikus)
|
Lunge
|
Bronchienerweiterung
|
Bronchienverengung
|
Magen-Darm-Trakt
|
Darmbewegung ↑
|
Darmbewegung ↓
|
Schweißdrüsen
|
vermehrtes Schwitzen
|
keine Wirkung
|
Eine traumatische Durchtrennung des Rückenmarks führt zu einer fehlenden nervalen
Innervation unterhalb der Läsion [11]. Die fehlende Regulation des Sympathikus an den Blutgefäßen sorgt für eine Gefäßweitstellung,
wodurch der Blutdruck deutlich absinkt (relativer Volumenmangel). Im Gegensatz zu
anderen Schockarten zeichnet den neurogenen Schock eine warme (Gefäßerweiterung) und
trockene (fehlende sympathische Innervation der Schweißdrüsen) Haut aus.
Je nach Höhe der Läsion können auch weitere lebenswichtige Funktionen beeinträchtig
sein. Das Herz erhält seine zuführenden Nervenfasern aus dem Bereich der Brustwirbel
1 – 4. Ein Ausfall des Sympathikus sorgt dort für ein Überwiegen des Parasympathikus
mit erniedrigter Herzfrequenz (Bradykardie).
Der Zwerchfellnerv (N. phrenicus) entspringt aus einem Nervengeflecht am Hals (Zervikalnerv
III–V). Läsionen in diesem Bereich führen zu mechanischen Atemstörungen (Ateminsuffizienz)
mit Indikation zur Beatmung. Zusätzlich kommt es unterhalb des Verletzungsniveaus
zu einem inkompletten oder kompletten Ausfall von Empfindungen (Sensibilität) und
Beweglichkeit (Motorik).
Therapie
-
Untersuchung gemäß cABCDE-Schema.
-
Die Immobilisierung mittels Spineboard oder Vakuummatratze ist unerlässlich.
-
1 Venenzugang legen.
-
Volumengabe (Vollelektrolytlösung) zur Therapie der relativen Hypovolämie.
-
Gegebenenfalls Noradrenalin bei unzureichender Stabilisierung: Spritzenpumpe (Dosierung:
0,05 – 1 µg/kg/min).
-
Sauerstoffgabe, ggf. Intubation bei mechanischem Atemversagen.
Die Gabe von Methylprednisolon wird nicht mehr empfohlen, da kein verbessertes Endergebnis
resultiert [12].
Kardiogener Schock
Der Gast eines Restaurants klagt nach dem Essen über Schmerzen in Brustkorb und linkem
Arm. Im RTW beginnen Sie mit der Basisdiagnostik und sehen ST-Streckenhebungen im
EKG. Unter dem Bild eines akuten Herzinfarkts beginnen Sie Ihre Therapie. Zeitnah
wird der Patient in die nächstgelegene Klinik mit Herzkatheterlabor gebracht.
Kurz nach Fahrtbeginn zeigt er plötzlich ein blasses kaltschweißiges Hautkolorit.
Der Blutdruck ist kaum noch messbar, und der Puls ist schwach und schnell. In der
Notfallechokardiografie in der Notaufnahme ist zu sehen, dass die Herzleistung deutlich
eingeschränkt ist. Ein Arzt in der Notaufnahme erklärt Ihnen, dass ein kardiogener
Schock bei ca. 5 – 10 % aller Herzinfarkte auftritt und eine hohe Sterblichkeit aufweist.
Definition
Bei einem kardiogenen Schock kommt es zu einem Missverhältnis zwischen Sauerstoffbedarf
und Angebot im Gewebe. Ursache ist eine Störung der Pumpfunktion des Herzens.
Klinik, Symptomatik
Symptome des kardiogenen Schocks
-
niedriger Blutdruck (Hypotonie)
-
schneller Puls (Tachykardie)
-
bläuliches Hautkolorit (Zyanose)
-
kaltschweißige Haut
-
gestaute Halsvenen
-
Bewusstseinseinschränkung
-
geringe Urinausscheidung (Oligurie)
Pathophysiologie
Mögliche Ursachen eines kardiogenen Schocks
-
Herzinfarkt
-
Herzmuskelentzündung (Myokarditis)
-
akute Herzklappenerkrankungen
-
Ruptur eines Ventrikels oder des Septums
-
akuter Verschluss des Ausflusstraktes (z. B. Lungenembolie)
Werden die Ursachen eines kardiogenen Schocks nicht zeitnah behoben, kommt es oft
zu einer Abwärtsspirale bis hin zum Tod. In einem Teufelskreis (Circulus vitiosus;
[Abb. 3]) versucht der Körper, durch körpereigene Mechanismen den Kreislauf aufrechtzuerhalten
[13]. Diese Mechanismen führen oft zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation.
Abb. 3 Circulus vitiosus (Teufelskreis) bei kardiogenem Schock.
Bei einem Herzinfarkt kommt es zu einem Verschluss eines Herzkranzgefäßes mit einer
Sauerstoffunterversorgung des Herzmuskels. Resultiert aus der verschlechterten Herzleistung
ein niedriger Blutdruck, versucht der Körper gegenzusteuern, um das Herzminutenvolumen
aufrechtzuerhalten. Eine Möglichkeit ist eine erhöhte Herzfrequenz (Tachykardie).
Da die Eigenversorgung des Herzens mit Blut in der Entspannungsphase des Herzens (Diastole)
stattfindet und die Diastole bei einer höheren Herzfrequenz zeitlich verkürzt wird,
resultiert daraus eine verschlechterte Eigenversorgung.
Die Niere detektiert einen zu geringen Blutdruck und bildet ein hormonähnliches Enzym
(Renin), das in Wechselwirkung mit anderen Enzymen (Renin-Angiotensin-Aldosteron-System,
RAAS) sowohl zu einer starken Gefäßverengung (Vasokonstriktion) als auch zu einer
Rückresorption von Flüssigkeit führt [14].
Gegen einen höheren Blutdruck in der Schlagader (Aorta) muss das geschwächte Herz
mehr Kraft aufwenden, was einen höheren Sauerstoffbedarf bedeutet. Im Rahmen des Rückwärtsversagens
kommt es zum Aufstau von Blut in der Lunge. Das dadurch entstehende Lungenödem sorgt
für eine verminderte Aufnahme von Sauerstoff ins Blut.
Therapie
-
Die Behebung der Ursache des kardiogenen Schocks spielt die wichtigste Rolle.
-
Zügiger Transport in eine geeignete Klinik.
-
Basisdiagnostik mit 12-Kanal-EKG, Blutdruckmessung und Pulsoxymetrie.
-
Oberkörperhochlagerung (RRsyst. > 80 mmHg) oder Flachlagerung.
-
1 Venenzugang legen.
-
Gegebenenfalls Katecholamingaben:
-
Noradrenalin 0,05 – 1 µg/kg KG/min,
-
Dobutamin 2,5 – 10 μg/kg KG/min.
-
Einerseits kritisch, da der Sauerstoffverbrauch des Herzens gesteigert wird.
-
Andererseits besteht bei unzureichendem Blutdruck/Auswurfleistung oftmals keine andere
Möglichkeit.
Septischer Schock
Ein RTW-Team wird zu einer älteren Dame (82 Jahre) gerufen und von den Angehörigen
in Empfang genommen. Wegen eines Harnwegsinfekts wurde sie mit einem Antibiotikum
behandelt. Seit gestern sei sie schläfriger und nun schwer erweckbar. In der Untersuchung
zeigt sich die Patientin somnolent (GCS 10), hypoton (RR 92/60 mmHg) und tachypnoeisch
(Atemfrequenz 26/min). Das Thermometer zeigt 39,3 °C an. Der Urin ist stark konzentriert
und übelriechend.
Die Patientin wird in das nächstliegende Krankenhaus mit freier Intensivkapazität
gebracht. Der Blutdruck lässt sich zu diesem Zeitpunkt nur noch durch Volumengabe
sowie Katecholamine aufrechterhalten.
Definition
Der Begriff der Sepsis ist im Lauf der Zeit durch drei Konsensuskonferenzen geprägt
worden. Neue Erkenntnisse haben im Verlauf dazu geführt, dass die SIRS-Kriterien (s.
Infobox „Hintergrundwissen“) im Jahr 2016 durch den qSOFA- ([Abb. 4]) und SOFA-Score ersetzt wurden. Gründe waren unter anderem, dass die SIRS-Kriterien
auch auf gesunde Menschen anwendbar sind (z. B. bei Marathonläufern).
Abb. 4 quickSOFA-Score.
Tipp
Der qSOFA-Score (quick Sepsis-related Organ Failure Assessment Score; [Abb. 4]) wurde für das schnelle Erkennen einer möglichen Sepsis konzipiert und kann ohne
große Hilfsmittel auch präklinisch erhoben werden.
(SIRS = Systemic Inflammatory Response Syndrome)
-
Leukozyten im Blut < 4000 oder > 12 000/mm3
-
Körpertemperatur ≤ 36 oder ≥ 38 °C
-
Herzfrequenz ≥ 90/min
-
Atemfrequenz ≥ 20/min oder Hyperventilation mit erniedrigtem CO2
Sepsis
Lebensbedrohliche Organfunktionsstörung (z. B. Lungen-, Nieren-, Leberversagen), hervorgerufen
durch eine fehlregulierte Antwort des menschlichen Körpers auf eine Infektion ([Abb. 5]).
Abb. 5 Sepsis.
Septischer Schock
Unterform der Sepsis, bei der ein adäquater Blutdruck nicht durch Infusionen aufrechterhalten
werden kann und der Einsatz von Katecholaminen (z. B. Noradrenalin) notwendig ist.
Gleichzeitig zeigt das Laktat im Blut einen Wert > 2 mmol/l.
Pathophysiologie
Im Normalfall ist der Körper in der Lage, kleinere lokale Infektionen selbst einzudämmen
und zu behandeln. Nach dem Erkennen von Bakterien wird eine Reihe von Botenstoffen
freigesetzt, die unter anderem dafür sorgen, dass lokale Blutgefäße sich weit stellen
(Vasodilatation) und die Wände der Gefäße ihre Durchlässigkeit erhöhen. So dringen
neben Flüssigkeit auch Abwehrzellen in das Gewebe ein.
Eine entscheidende Rolle in der körpereigenen Abwehr spielt die Antigenpräsentation.
Dabei werden den Lymphozyten Bruchstücke des Erregers (Antigen) präsentiert. Die Lymphozyten
beginnen daraufhin mit der Bildung auf den Erreger abgestimmter Abwehrstoffe (Antikörper).
Gleichzeitig werden im Sinne einer Rückkopplung Botenstoffe zurückgesendet, die verhindern,
dass weitere Abwehrzellen rekrutiert werden. Bei Störung der Antigenpräsentation fehlt
zum einen die Bildung spezieller Antikörper und zum anderen die Rückkopplung zur Beendigung
der Reaktion. Gründe können z. B. Sauerstoffmangel, Trauma, Z. n. Bluttransfusion
oder auch eine Chemotherapie sein. Es kommt zu einer Ausbreitung der lokalen Reaktionen
auf den ganzen Körper.
Eine generalisierte Weitstellung der Blutgefäße und eine erhöhte Durchlässigkeit sorgen
dann für Wassereinlagerungen am ganzen Körper und Blutdruckabfall. Die Minderdurchblutung
einzelner Organe kann ein Organversagen hervorrufen oder eine bereits gestörte Funktion
weiter verschlechtern [15].
Therapie
-
Zeitnahe Behandlung! Jede Stunde ohne effektive antibiotische Therapie erhöht das
Sterberisiko um 7 % [16].
-
1 Venenzugang legen/Vollelektrolytlösung.
-
Stabilisierung der Vitalwerte.
-
Gegebenenfalls Noradrenalin bei unzureichender Stabilisierung: Spritzenpumpe (Dosierung:
0,05 – 1 µg/kg KG/min).
-
Jede Schockform ist ein Notfall und bedarf eines zeitnahen und zielgerichteten Handelns.
-
Ist eine Blutung die Ursache eines hypovolämischen Schocks, hat das Stoppen der Blutungsquelle
erste Priorität.
-
Bei anaphylaktischen Reaktionen wirkt die Gabe von Adrenalin der Histaminwirkung entgegen.
-
Die adäquate Immobilisierung von Patienten mit Wirbelsäulentrauma kann verhindern,
dass es zu Folgeverletzungen des Rückenmarks und des vegetativen Nervensystems kommt.
-
Bleibt die Ursache eines kardiogenen Schocks unbehandelt, kann sich ein Teufelskreis
ergeben, der evtl. tödlich endet.
-
Mit jeder Stunde einer ausbleibenden Behandlung bei Sepsis steigt die Wahrscheinlichkeit
zu versterben.
Abkürzungen
cABCDE:
critical Bleeding + Airway – Breathing – Circulation – Disability – Exposure/Examination
GCS:
Glasgow Coma Scale
HAES:
Hydroxyethylstärke
HZV:
Herzzeitvolumen
qSOFA:
quick Sepsis-related Organ Failure Assessment Score
RAAS:
Renin-Angiotensin-Aldosteron-System
RR:
Blutdruck
SIRS:
Systemic Inflammatory Response Syndrome
SOFA:
Sepsis-related Organ Failure Assessment Score)
syst.:
systolisch
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Michael Gores, Bergisch Gladbach.