Gesundheitsökonomie & Qualitätsmanagement 2018; 23(04): 184-186
DOI: 10.1055/a-0661-6929
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Antwort zum Leserbrief – Dank für die sachliche Auseinandersetzung

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Publication Date:
23 August 2018 (online)

Technik, Werkzeug und Konzept des enzymatischen Debridements (ED) bei Verbrennungen, das weltweit am häufigsten mit dem Arzneimittel Nexobrid® durchgeführt wird, sind nach den Erfahrungen der letzten 5 Jahre seit Zulassung 2013 aus der Behandlung schwerer Verbrennungen nicht mehr wegzudenken. Jedoch verursacht das ED in der unmittelbaren Darstellung im Sachmittelverbrauch zunächst Mehrkosten pro Fall bzw. Abteilung, die innerhalb der Kliniken ohne zusätzliche Vergütung bis zum heutigen Tag in Deutschland mit Blick auf die unterfinanzierte Behandlung schwerster Brandverletzungen im G-DRG auch nicht allein mit den wissenschaftlich belegten Vorteilen zu begründen sind. Kosten-Nutzen-Rechnungen zum Einsatz des ED berücksichtigen zunächst nur die Kosten durch zusätzlichen Verbrauch, nicht jedoch die zu erwartenden Einsparungen in einer tatsächlichen Kosteneffizienz-Analyse: OP Zeiten, OP Personal, Siebsterilisation, Transfusionsprodukte etc. sowie das Potenzial, die gewonnene OP Kapazität für andere Patienten zu nutzen. Eine solche Betrachtung ist zwar äußerst innovativ und wünschenswert, bisher aber unüblich und aufgrund intransparenter Zusammenhänge der Bewertung von DRGs auch nur bedingt möglich. Im DRG-System wird daher jährlich auf Basis der Kostendaten der Kalkulationshäuser eine neue Kostenkalkulation der Relativgewichte aller DRGs durchgeführt. Sofern eine Kalkulation nicht möglich ist, weil z. B. die Streuung der Kosten zu groß ist oder die Fallzahl für eine statistische Kostenermittlung zu gering ist, wird die DRG auf lokaler Ebene durch die lokalen Verhandler in die Budgetverhandlung auf Basis der Daten des jeweiligen Krankenhauses verhandelt.

Ein logischer und ökonomisch verantwortungsbewusster Schritt zur nachhaltigen Implementierung eines Arzneimittels im Zusammenhang mit einem neuen Konzept als Teilersatz für eine chirurgische Leistung ist daher der Versuch, die Mehrkosten zumindest zum Teil erstattet zu bekommen. Auch wenn die Einsparungen argumentativ auf der Hand liegen und in unserem Artikel als mögliche Modelle vorgestellt wurden, macht es diesen Schritt aus o. g. Gründen aus Sicht der Leistungserbringer im Krankenhaus unumgänglich. Bis die theoretisch antizipierten Vorteile in den Kliniken Einzug erhalten und entsprechend wahrgenommen werden, ist der Weg über eine zusätzliche Vergütung auch ein Weg, das dahinterstehende Behandlungskonzept zu erhalten. Es sei jedem freigestellt, parallel mit langfristigem Blick Modelle basierend auf den zur Verfügung stehenden Daten der Kostenstruktur von Verbrennungs-DRGs zu erstellen und kurzfristig trotzdem eine zusätzliche Vergütung für die Mehrkosten zu erzielen, und sei es auf Zeit.

Die Implementierung eines neuen Behandlungskonzeptes, insbesondere in dem besonderen Feld der Verbrennungsmedizin, bedarf nebenbei bemerkt äußert kostenintensiver Mehrarbeit durch Personalressource, die nach unserer Auffassung im DRG System nur ungenügend abgebildet wird und daher auch so den Weg über die unmittelbar abrechenbaren Produkte wie Arzneimittel rechtfertigt. Wie im Dialog zwischen verschiedenen Interessenvertretungen üblich, gibt es auch hier –wie dem Leserbrief eindrücklich zu entnehmen ist – differente Standpunkte zu Zielen, Vorgehensweise und Umsetzung. Jeder „Akt“ hat seine Berechtigung, um schließlich – wie in diesem Fall – ein innovatives Werkzeug und Konzept für die Behandlung schwerer Verbrennungen für den Patienten langfristig und sinnvoll zu verankern.

Gerne gehen wir noch abschließend auf die vom Verfasser aufgeworfenen Fragen ein:

Zu der Aussage: Die maximale Einsparung durch Nexobrid® von 5.315 Euro ist laut Kern et al. möglich bei einem TBSA von 1 % (einem Prozent). Ein unsinniges Ergebnis. Die mit weitem Abstand höchste Inzidenz dieser Verbrennungen ist bei Kindern von 1–4 Jahren (und hier auch meist durch Verbrühung). Dort entspricht ein TBSA von 1 % etwa einer Wunde mit einer Seitenlänge von 1–2 cm. Wo dort überhaupt Gesamtkosten oder DRG-Erlöse bei einer solchen (oft ambulant versorgten) Wunde von über 5.000 Euro entstehen sollen, ist eine genauso absurde Frage, wie das Modellergebnis hier „im Durchschnitt“ über 5.000 Euro pro Wunde einsparen zu wollen. Nebenbei: Das gesamte potentiell eingesparte Suprathel® kostet in diesem Setting etwa 3–4 Euro.

Antwort: Die Aussage von Herrn Dr. Wahler zur Inzidenz von Verbrennungen mit 1 % verbrannter Körperoberfläche (VKOF) mag richtig sein, wird jedoch nicht belegt und ist im Zusammenhang mit Nexobrid nicht relevant. Unsere Kosteneffizienz-Analyse orientiert sich an der für Nexobrid zugelassenen Indikation laut Fachinformation. Das heißt, die Entfernung des Verbrennungsschorfs (Eschar) bei Erwachsenen mit tiefen thermischen Verletzungen (Grad 2b–3; „deep partial“ und „full thickness“). Nexobrid ist ausschließlich zur Anwendung durch geschultes medizinisches Fachpersonal in spezialisierten Verbrennungszentren bestimmt und die Gesamtfläche der behandelten Verbrennung darf 15 % der Gesamtkörperoberfläche nicht überschreiten. Die bei Manuskripterstellung aktuell verfügbare Verbrennungsstatistik der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin für das Jahr 2014 weist aus, dass Patienten im Alter von 20–59 Jahren 59,5 % der Patienten ausmachen, die in Verbrennungszentren behandelt wurden (https://www.verbrennungsmedizin.de/pdf/verbrennungsstatistik-2014.pdf). In den Zentren behandelte Verbrennungen wurden zum größten Teil durch Flammen (44,9 %) und Verbrühungen (25,9 %) hervorgerufen. Die Statistik macht keine Aussage zum Ausmaß der verbrannten Körperoberfläche.

Der Fokus unserer Analysen liegt auf Fällen mit 5 %, 10 % und 15 % VKOF. Das Modell erlaubt auch die Kalkulation der Kosten für die Versorgung von Verbrennungen geringeren Ausmaßes (Minimum 1 % VKOF = 173 cm2 KOF eines Erwachsenen!). Letztere stellen sicher nicht das Gros der in Verbrennungszentren behandelten Fällen dar, gehören aber in Anhängigkeit von der betroffenen Körperregion und dem Verbrennungsgrad in die Hand eines erfahrenen Verbrennungsspezialisten (näheres hierzu unter Punkt 3), so dass eine Betrachtung dieser Fälle in unseren Analysen durchaus berechtigt ist (Hand, Perineum, Genitale, Brust, Gesicht).

Zu 1.: Die Aussage von Kern et al., die 20–59jährigen Patienten machten 59,5 % der stationären Verbrennungspatienten aus, ist falsch. Gut die Hälfte der Fälle von stationären Versorgungen von Verbrennungen sind Kinder, die genannte Altersgruppe liegt bei max. einem Drittel.

Dieser Punkt wird bereits im vorangegangenen Abschnitt behandelt.

Zu 2.: Die G-DRG-Berechnungen von Kern et al. lassen die Y01Z aus. Diese DRG unterliegt der krankenhausindividuellen Vereinbarung auf Ortsebene. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich zugänglich. Bekannt ist die Gesamtzahl der Y01Z auf Bundesebene und einzelne Verhandlungsergebnisse. Daraus lässt sich folgern, dass die Schätzung der stationären Kosten im Artikel grob falsch ist, da die kostenintensivste DRG nicht einbezogen wurde. Noch gröber unrichtig ist die Schätzung des durchschnittlichen Aufwands pro Verbrennungs-DRG, da hier ebenfalls die mit weitem Abstand höchst bewertete DRG ausgespart wurde. Da die Y01Z in vielen Fällen nicht pauschaliert, sondern tagesgleich abbildet, ergeben sich weitere schwerwiegende Verzerrungen im Gesamtergebnis.

Krankenhausindividuell zu vereinbarende DRGs werden vom InEK bei der Kalkulation der DRG-Kosten immer dann vergeben, wenn die Spannweite der Kosten zu groß ist um eine trennscharfe Kostenkalkulation durchzuführen, bzw. wenn zu wenig Fälle für eine belastbare statistische Kalkulation vorliegen. Es ist sinnvoll in diesen Fällen die Preisverhandlung auf lokale Ebene zu verschieben, da hier eher je nach Standort eine homogenere Kostensituation zu erwarten ist, da die Zentren ihr Fallspektrum besser überschauen können und kostentechnisch besser eingrenzen können.

Der Verfasser beantwortet selbst seine Frage und fasst damit unsere eigenen Beweggründe zusammen, warum die Y01Z aus der Berechnung herausgelassen wurde: landesweit unterschiedliche Berechnungsgrundlagen und fehlende Details, die die Spekulation in den Vordergrund gestellt hätten. Eine Zusammenfassung von DRG basierten und tagesgleichen Abrechnungsmodalitäten hätte die Modellrechnungen zu komplex und für den Leser wenig nachvollziehbar gemacht. Insofern sind wir weiterhin der Meinung, damit eine „gröbere Unrichtigkeit“ bewusst vermieden zu haben – sofern das semantisch möglich ist.

Zu 3.: Kern et al. postulieren die grundsätzliche Versorgung in einem Verbrennungszentrum. Das ist unrichtig. Ungefähr 50 % der zweitgradigen Verbrennungen werden nicht in Zenten versorgt, dazu wurde zuletzt mehrfach publiziert. Gerade die benannte Wunde, die zu angeblich maximaler Einsparung durch NexoBrid® führt, mit 1 % TBSA muss vermutlich nicht regelhaft in ein im Mittel 50 km entferntes Zentrum überstellt werden. Das macht auch schon mal der Hausarzt oder ein Chirurg ambulant in der Notaufnahme.

Der Hersteller selbst hat Wert darauf gelegt, die Anwendung des ED nur auf Verbrennungszentren zu beschränken, um so bestmögliche Ergebnisse der nicht ganz trivialen Implementierung des Konzeptes zu erreichen. Darüber hinaus sind gemäß den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin (DGV) bereits kleinflächige Verbrennungen (inklusive der beispielhaft herangezogenen 1 % VKOF) dann im Zentrum zu behandeln, wenn Sie bestimmte Körperregionen betreffen (Hand, Gesicht, Perineum, Genitale, Brust, etc.). Insbesondere diese Regionen können von einem sehr genauen, selektiven Debridement , z. B. durch ED, nur profitieren. Die Annahme des Verfassers müssen wir damit leider entkräften. Eine weitere wichtige Grundlage für die Beurteilung von Verbrennungen sind neben der VKOF die Tiefenausdehnung und damit der Grad. ED wird – zur Klarstellung – nicht bei 2a° Verbrennungen durchgeführt, sondern ab dem Grad 2b aufwärts. Diese Aspekte sind nach unserer Einschätzung in den Zahlen, die Dr. Wahler heranzieht, nicht ausreichend differenziert, da er in seiner Darstellung nur von zweitgradigen Verbrennungen spricht. Wir können abschließend aus unserer Sicht und gemäß den Leitlinien der DGV keinem Hausarzt oder ambulantem Chirurgen empfehlen, eine 2b gradige Verbrennung an besonderen Arealen (hervorgehoben durch die DGV) ausschließlich selbst oder stets ambulant zu behandeln, um Komplikationen mit Funktionsausfällen oder unnötigen Narben zu vermeiden – so würden es die Autoren und sicherlich auch Herr Dr. Wahler schlussendlich auch mit Mitgliedern der eigenen Familie machen, um eine bestmögliche Therapie zu erhalten.

Zu 4.: In der Diskussion postulieren Kern et al., dass einfache Verbrennungen für Krankenhäuser profitabel seien, während schwere Verbrennungen unterfinanziert wären. Woher diese Erkenntnis stammt bleibt im Dunklen. Da die schweren Verbrennungen in Deutschland nicht über das DRG-System finanziert werden sondern auf Ortsebene verhandelt werden und diese Ergebnisse unbekannt sind, ist diese Aussage unhaltbar. Auch könnte ein Verhandlungsergebnis auf Ortsebene für tagesgleiche Vergütung vom InEK nicht beeinflusst werden, insbesondere nicht durch Zusatzentgelte.

Nach dem Extremkostenbericht des InEK [ 1 ] werden unter 3.2.2.1 explizit Verbrennungsbetten mit besonderer Ausstattung bzw. hohen Vorhaltungskosten und damit per se relativ hohen Kostensätzen, und hohen Behandlungsdauern als eine Fallklientel mit auffälligen Kostenunterdeckungen benannt. Nur die DRG Y02 wird auf Ortsebene verhandelt, die anderen Verbrennungs-DRGs sind kalkuliert und bundesweit mit Preisen versehen. Der Hinweis, dass ein Verhandlungsergebnis auf Ortsebene für tagesgleiche Vergütung nicht vom InEK durch Zusatzentgelte „beeinflusst“ werden kann, ist falsch. Zusatzentgelte können zusätzlich zu einer DRG abgerechnet werden, das ist im DRG System so vorgesehen und gilt auch für DRGs die nicht vom InEK kalkuliert sind, sondern vor Ort verhandelt werden müssen.

Zu 5.: Ohne genauere Zahlen zu nennen, halten Kern et al. die Verbrennungsmedizin für generell unterfinanziert. Ohne Kenntnis der Abrechnungen für Hochkostenfälle der Zentren ist das eine mutige Aussage. Obendrein legt man Behandlungsusancen des Jahres 2005 zugrunde und multipliziert diese mit den Kosten des Jahres 2018. Selbst wenn man die Abrechnungen kennen würde, käme man methodisch auf kein Ergebnis, dass diese Aussage rechtfertigt. Es scheint auch das ökonomische Prinzip der DRG nicht verstanden worden zu sein. Vereinfacht gesagt: Das InEK sammelt die Kosten und macht daraus Entgelte. Eine generelle Unterfinanzierung für ein abgeschlossenes Fachgebiet mit eigener MDC ist dann schwierig zu konstruieren.

Die Selbstverwaltungspartner haben das InEK mit der Einführung, Weiterentwicklung uns Pflege des G-DRG Systems beauftragt. Das G-DRG System ist ein wachsendes und lernendes System, welches durch die jährlichen Abschlussberichte des InEK aktualisiert und weiterentwickelt wird. Das InEK hat im bereits zitierten Extremkostenbericht die Verbrennungsmedizin schwerer Verbrennungen als einen Bereich mit Kostenunterdeckungen identifiziert.

Zu der Aussage: Die Arbeit kommt zu durchschnittlichen Einsparungen durch NexoBrid® von 3.800 Euro pro Patient (bei TBSA von 5 %). Nehmen wir an, das wäre korrekt. Warum sollte das InEK für ein Verfahren, das dem Krankenhaus diesen Betrag im Durchschnitt einspart ein Zusatzentgelt vergeben und das Verfahren zusätzlich vergüten?

Es gibt durchaus analoge Kalkulationsprozesse bei denen über mehrere Jahre vom InEK die Kosten bestimmter Medizinprodukte, die zu Kosteneinsparungen führten zunächst entsprechend dem Mehraufwand vergütet wurden und anschließend die Vergütung reduziert wurde. Zum Beispiel wurden bei den Koronarstents unter Berücksichtigung der gesamten Fallkosten wegen der im Verlauf der jährlichen Kalkulationen nicht mehr nachweisbaren Kostenunterschiede, diese schließlich nur in den höher bewerteten DRGs und bei der Implantation ab 3 Koronarstents vergütet. Diese Vorgehensweise ist die übliche Vorgehensweise des InEK zur Kalkulation von ZE und Neubewertung von Kostentrennern bzw. DRGs. Der Kalkulationsweg führt ggf. auch nach einer Phase erhöhter Kosten, die mit der Einführung eines neuen Produktes verknüpft sind (hier ist ja nicht nur der Preis der Sachkosten zu betrachten) über eine Konsolidierungsphase zu einer Kostenreduktion. Die Kostenreduktion bzw. die Einspareffekte treten erst dann ein, wenn sich die tatsächliche Kosteneffizienz eingestellt hat und die Methode in der klinischen Routine ihren Platz gefunden hat. Dies entspricht auch der Zielsetzung eines „lernenden Systems“.

Wir danken Herrn Dr. Wahler für die sachliche Auseinandersetzung und sind froh und stolz zugleich, dadurch eine lebhafte Diskussion zu diesem innovativen Konzept und prinzipiellen Überlegungen zur Kostenstruktur im deutschen Gesundheitssystem aus Sicht der Leitungserbringer angestoßen zu haben.

Für die Autoren: Dr. Monika Kern, Dr. Norbert von Depka und Prof. Dr. Christoph Hirche