Schlüsselwörter
Enteroviren - Diagnostik - Klinik - Enterosurveillance - EV-D68 - EV-A71
Abkürzungen
CV:
Coxsackieviren
E:
Echoviren
EV:
Enteroviren
IVIG:
intravenöse Immunglobuline
PCR:
Polymerase-Ketten-Reaktion
PV:
Polioviren
RKI:
Robert Koch-Institut
Einleitung
Die zu den Enteroviren zählenden Poliovirus-Typen 1 bis 3 sind Ziel einer weltweiten
Eradikationskampagne, und Infektionen mit Wildviren vom Typ 1 treten nur noch in zwei
Ländern (Pakistan, Afghanistan) auf. In den letzten Jahren traten jedoch Fälle von
schwer verlaufenden, polioartigen schlaffen Lähmungen auf, bei denen Nicht-Polio-Enteroviren
(NPEV) nachgewiesen wurden. Im Folgenden wird auf die Epidemiologie, Klinik und Diagnostik
von Enterovirus-Infektionen eingegangen. In diesem Zusammenhang wichtige Abkürzungen
sind hier zusammengefasst:
Erreger
Enteroviren gehören zur großen Familie der Picornaviridae, die in mehr als 40 Genera
eingeteilt wird. Aktuell sind mehr als 100 humanpathogene Enterovirus-Typen bekannt,
die vier Spezies (Enterovirus-A, -B, -C, -D) zugeordnet sind (http://www.picornaviridae.com) ([Tab. 1]). Die Nomenklatur beruht auf Genomorganisation und Sequenzhomologien, d. h. molekularen
Kriterien [4]. Die früher gebräuchliche Einteilung in Polioviren (3 Serotypen), Coxsackie-Viren
Gruppe A (23 Serotypen), Coxsackie-Viren Gruppe B (6 Serotypen) und ECHO-Viren (28
Serotypen), die auf serologischen Kriterien basierte, wird nicht mehr verwendet. Einziges
Reservoir für die humanpathogenen Enteroviren ist der Mensch, jedoch wurde für Enteroviren
auch ein zoonotisches Potenzial beschrieben [5].
Tab. 1 Humanpathogene Enterovirus-Spezies A bis D und Serotypen (Auswahl häufiger Vertreter).
Spezies
|
Enterovirus-Typen
|
wichtige Vertreter
|
CV: Coxsackievirus; E: Echovirus; EV: Enterovirus; PV: Poliovirus.
|
Enterovirus-A
|
21
|
CV-A2, CV-A6, CV-A10, CV-A16, EV-A71, EV-A76
|
Enterovirus-B
|
60
|
CV-B3, CV-B5, E-6, E-11, E-18, E-30, CV-A9
|
Enterovirus-C
|
23
|
PV-1, -2, -3, CV-A21, CV-A24, EV-C99, EV-C104
|
Enterovirus-D
|
4
|
EV-D68, EV-D70
|
Enteroviren sind klein (ca. 30 nm, lat. pico = klein) und verfügen über ein einzelsträngiges
RNA-Genom positiver Polarität. Die virale RNA kodiert für vier Strukturproteine (VP1,
VP2, VP3 und VP4) und sieben Nichtstrukturproteine. Die Proteine VP1, VP2 und VP3
bilden dabei die äußere Struktur des Kapsids, VP4 ist an der Innenseite des Kapsids
lokalisiert [6]. Im Rahmen der Immunantwort werden daher humorale und typenspezifische Antikörper
überwiegend gegen die Proteine VP1, 2 und 3 des Kapsids gebildet. Das Virusprotein
VP1 vermittelt die Bindung an den zellulären Rezeptor.
Generell verfügen Enteroviren über eine hohe genetische Variabilität, was sich in
der Vielzahl unterschiedlicher Typen widerspiegelt. Bei den Enteroviren kann es auch
zu Rekombinationen, d. h. zum Austausch von Gensegmenten, kommen. Diese Rekombinanten
können mit einer veränderten Pathogenität assoziiert sein [7].
Enteroviren haben keine Lipidhülle, was ihre relativ hohe Stabilität bedingt. Da sie
säurestabil sind, können sie die Magenpassage überstehen. In den letzten Jahren zeigte
sich die zunehmende klinische Bedeutung der Enterovirus-Typen A71 (Spezies A) und
D68 (Spezies D) [8], [9].
Epidemiologie
Enteroviren sind weltweit verbreitet. Über eine regionale Häufung einzelner Enterovirus-Typen
ist berichtet worden (z. B. Hand-Fuß-Mund-Erkrankung durch Infektionen mit Enterovirus-A71
in Südostasien). In gemäßigten Klimazonen treten Enterovirus-Infektionen gehäuft in
den Sommermonaten auf ([Abb. 1]). Dabei kommt es bezüglich der Häufigkeit zu jährlichen wie auch regionalen Schwankungen.
Abb. 1 Nachweis von Enteroviren in respiratorischen und Stuhlproben in Freiburg, 2016 – 2018.
Aktuelle Daten aus Deutschland zur Saisonalität und zum regionalen Auftreten von Enterovirus-Nachweisen
in respiratorischen Materialien werden vom Respvir-Netzwerk online zu Verfügung gestellt
(https://clinical-virology.net/de). Die Ergebnisse der bundesweiten Enterosurveillance (EVSurv), in der durch Enteroviren
verursachte neurologische Erkrankungen erfasst werden (Meningitis/Enzephalitis und
akute schlaffe Lähmungen der Extremitäten), sind unter https://evsurv.rki.de/ abrufbar.
Neben einem deutlichen saisonalen Auftreten der Enteroviren in den Monaten Mai bis
September kann für einzelne Erreger auch ein periodisches Auftreten beobachtet werden.
So wurde beispielsweise in Deutschland 2008 und 2013 eine stark erhöhte Zirkulation
von Echovirus 30 beobachtet (Zahlen aus der EVSurv für 2008: n = 662, 2013: n = 683),
hier waren bis zu 50% der untersuchten ZNS-Erkrankungen auf Echovirus 30 zurückzuführen.
Der Typ Enterovirus A71 zeigt ein erhöhtes Aufkommen alle drei Jahre, wobei hier auch
das Auftreten neuer Sub-Genotypen zu erwähnen ist. Lokale Ausbrüche in Schulen/Kindergärten
wurden u. a. auf Echovirus 18, Coxsackie-Virus A9 zurückgeführt.
Eine Virusausscheidung erfolgt sowohl von asymptomatisch Infizierten als auch von
akut Erkrankten. Die Übertragung erfolgt direkt in der Frühphase fäkal-oral, über
Speichel/Tröpfchen oder indirekt über kontaminierte Gegenstände. Die Inkubationszeit
beträgt in der Regel 7 – 14 Tage (bis maximal 35 Tage).
Cave
Ausnahme: Enterovirus-D70-Infektionen des Auges mit einer kurzen Inkubationszeit von
12 – 72 Stunden.
Epidemiologisch wichtig ist, dass wahrscheinlich bereits ein bis zwei Tage vor Beginn
der klinischen Symptomatik infektiöse Partikel ausgeschieden werden. Ein Infektionsrisiko
besteht mindestens für die Dauer der Symptome. Eine Virusausscheidung über den Stuhl
kann sich über mehrere Wochen erstrecken.
Merke
Nosokomiale Infektionen mit Enteroviren sind seit langer Zeit bekannt und insbesondere
auf neonatologischen Stationen gefürchtet.
Pathogenese
Die Ausbreitung der Enteroviren im Organismus findet in verschiedenen Stadien statt.
Nach Schmier- oder Tröpfcheninfektion findet eine erste Virusvermehrung im lymphatischen
Gewebe des Oropharynx statt. Voraussetzung für den Zelleintritt ist die Bindung an
einen virusspezifischen Rezeptor auf der Zelloberfläche (z. B. Coxsackie-Adenovirus-Rezeptor
(CAR) bei der Mehrzahl der Coxsackie-Viren) [10], [11].
Nach Eintritt in die Zelle kommt es dann zu einer lytischen Infektion, d. h. zum Zelluntergang
der infizierten Zelle. Nach Erreichen von Lymphknoten (Tonsillen, Peyer-Plaques) kommt
es zu einer lymphogenen und (teilweise) hämatogenen Ausbreitung (primäre Virämie).
Dies führt dann zur Infektion und erneuten Virusvermehrung in den Zielorganen wie
Muskeln, Myokard, Haut und ZNS und kann dort zu entsprechenden Symptomen führen.
Die Ausscheidung erfolgt hauptsächlich über den Stuhl. Im Verlauf der Infektion erfolgt
die Bildung von spezifischen Antikörpern, die zu einer Eliminierung des Virus führen.
Die Viruselimination wird u. a. unterstützt durch eine Interferon-Aktivierung im Rahmen
der unspezifischen Immunantwort.
Klinik
Die überwiegende Anzahl der Enterovirus-Infektionen verläuft asymptomatisch (bis zu
95% der Infektionen). Typische Krankheitsbilder sind die Herpangina, Hand-Fuß-Mund-Krankheit,
Pleurodynie (Bornholm-Krankheit), aseptische Meningitis und Poliomyelitis. Weiterhin
gehen Enterovirus-Infektionen häufig mit einem diskreten Hautausschlag einher. Im
Gegensatz zu den Polioviren verfügen die Nicht-Polio-Enteroviren über keinen eingeschränkten
Zelltropismus, sodass diese eine Vielfalt unterschiedlicher klinischer Bilder hervorrufen
können. Die Erkrankungen sind in der Regel selbstlimitierend (Ausnahme: Poliomyelitis).
Am häufigsten verursachen Enteroviren eine fieberhafte Erkrankung der oberen Atemwege,
die mit einer Pharyngitis, Lymphadenopathie und teilweise einer Bronchitis einhergehen
kann („Sommergrippe“). Selten werden akute schlaffe Lähmungen, die Polio-ähnlich verlaufen,
beobachtet. Im Jahr 2014 konnte eine epidemiologische Verbindung zwischen einer Zunahme
an Fällen von akuten schlaffen Lähmungen bei Kindern in den USA und dem Aufkommen
von Enterovirus-D68 hergestellt werden.
In jüngster Zeit wurde auch aus Europa über eine Assoziation von Enterovirus-D68-Infektion
und schlaffen Lähmungen berichtet, die sich klinisch als Myelitis darstellten. Hierbei
zeigten sich in der Magnetresonanztomografie charakteristische Läsionen der Motoneuronen
im Vorderhorn. Ein Zusammenhang zwischen typischen klinischen Erkrankungsbildern und
einem bestimmten Enterovirus-Typ besteht allerdings in der Regel nicht.
Merke
Trotz ihrer Bezeichnung gehören die Enteroviren nicht zu den typischen Erregern einer
viral bedingten Gastroenteritis, obwohl gastrointestinale Symptome bei Enterovirus-Infektionen
möglich sind.
Aseptische Meningitis
Zu einer aseptischen Meningitis kommt es teilweise als Komplikation einer Sommergrippe.
Es treten Kopfschmerzen, Übelkeit/Erbrechen, Nackensteife und Lichtscheu auf, begleitet
von Fieber und Allgemeinsymptomen.
Bornholm-Erkrankung
Die Bornholm-Erkrankung zeichnet sich durch plötzlichen Beginn mit Fieber und gastrointestinalen
Symptomen (Übelkeit, Durchfall, Erbrechen) aus. Dazu kommen heftige Schmerzen beim
Atmen im Brustbereich (Pleurodynie) und an anderen Lokalisationen (Myositis an den
Extremitäten, Abdomen).
Hämorrhagische Konjunktivitis
Eine hämorrhagische Konjunktivitis tritt überwiegend in tropischen Regionen auf. Sie
ist besonders bei Erwachsenen symptomatisch und wird insbesondere durch Enterovirus-D70,
in letzter Zeit auch durch Coxsackie-Virus-A24, hervorgerufen.
Herpangina
Die Herpangina beginnt mit Fieber und unspezifischen Allgemeinsymptomen (z. B. Appetitlosigkeit,
Schwäche). Dann erscheinen im Rachen kleine, helle Bläschen. Nachdem sie geplatzt
sind, hinterlassen sie gelbe Ulzera mit einem roten Hof.
Hand-Fuß-Mund-Krankheit
Bei der Hand-Fuß-Mund-Krankheit (HFMK) typisch sind (hohes) Fieber und das gleichzeitige
Vorhandensein von Bläschen im Mund (schmerzhafte Stomatitis) sowie an Händen und Füßen.
Die Erkrankung heilt nach 8 – 14 Tagen aus. Hauptbetroffene sind Kinder im Kindergarten-
bzw. Grundschulalter. Es werden teilweise größere Ausbrüche beobachtet. Komplikationen
sind das Auftreten neurologischer Symptome. Seit 2008 werden auch atypische Verläufe
der HFMK berichtet: Lokalisation des Exanthems an Rumpf, Ellen- und Kniebeugen sowie
im Genitalbereich, selten auf dem Kopf. Hierbei waren auch auffallend häufig Erwachsene
betroffen. Eine Onycholyse (zeitverzögertes Ablösen der Fingernägel) kann als schwere
Komplikation auftreten.
Fallbeispiel 1
Eine 35-jährige Frau stellt sich in der Notfallsprechstunde vor. Sie berichtet, dass
sie seit ca. einer Woche rote Flecken an den Fußsohlen habe, die schmerzhaft seien.
An den Handflächen und im Mundbereich seien ebenfalls Läsionen aufgetreten. In der
letzten Woche sei zudem einmalig Fieber gemessen worden und Schüttelfrost aufgetreten.
Ansonsten bestünden keine Beschwerden. Die Patientin erwähnt noch, dass vor einer
Woche bei ihrer 4-jährigen Tochter ebenfalls kleine Flecken im Mund aufgetreten seien.
Anamnestisch bestehen keine Vorerkrankungen oder Allergien, Medikamente werden nicht
dauerhaft eingenommen. Der dermatologische Befund zeigt beidseits rötlich-livide Makulae
palmar ([Abb. 2 a]). An den Plantae mehrere Blasen mit seröser Flüssigkeit ([Abb. 2 b]). Enoral zeigen sich ebenfalls rötliche Makulae.
Abb. 2 Hand-Fuß-Mund-Krankheit (aus: Baumann T. Anamnese und Untersuchung. In: Baumann T,
Hrsg. Atlas der Entwicklungsdiagnostik. 4., unveränderte Auflage. Stuttgart: Thieme;
2015).
a Hand-Fuß-Mund-Krankheit an den Händen.
b Hand-Fuß-Mund-Krankheit plantar.
Bei Verdacht auf Hand-Fuß-Mund-Krankheit wird ein Abstrich aus einer Läsion genommen
und mittels PCR im Labor untersucht. Es kann Enterovirus-RNA nachgewiesen werden,
sodass die Verdachtsdiagnose virologisch bestätigt wird. Die Patientin wird über den
gutartigen Verlauf der Erkrankung aufgeklärt.
Sommergrippe
Die Sommergrippe ist eine in der Regel relativ leicht verlaufende Erkrankung mit Pharyngitis
und respiratorischen Symptomen sowie Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen.
Sepsis-ähnliche Erkrankung
Bei der Sepsis-ähnlichen Erkrankung handelt es sich um eine generalisierte und schwer
verlaufende Infektion bei Neonaten mit hohem Fieber, Lethargie und reduzierter Nahrungsaufnahme.
Es kann zu neurologischen Symptomen (Enzephalitis) und Hepatitis kommen. Massive Durchfälle,
Hämorrhagien und Nierenversagen können zu tödlichen Verläufen führen.
Fallbeispiel 2
Anamnese und Klinik
In der pädiatrischen Notfallambulanz stellen Eltern Anfang August ihren 1 Monat alten
Sohn vor. Die Eltern berichten, dass er seit 1½ Tagen auffallend ruhig sei und sich
auch seltener bewege. Es sei Fieber bis 39 °C gemessen worden. Weiterhin habe sich
das Kind seltener zu den Mahlzeiten gemeldet und habe auch wenig getrunken. Der Stuhlgang
sei regelmäßig und von weicher Konsistenz. Andere Zeichen seien nicht aufgefallen.
Das Kind wird zur weiteren Beobachtung bei Fieber und Lethargie stationär aufgenommen.
Myokarditis/Perikarditis
Myokarditis und Perikarditis sind seltene, aber schwere Komplikationen eines vorangegangenen
unspezifischen Infekts. Symptomatisch zeigen sich Tachykardie und Tachypnoe, bis hin
zu kardiorespiratorischem Versagen. Im EKG kommt es zu typischen Zeichen einer Myokarditis/Perikarditis.
Eine schlechte Prognose ist vor allem bei Neonaten zu stellen, die Mortalität beträgt
bis zu 30%.
Orchitis
Die Enterovirus-bedingte Orchitis zeichnet sich durch akut einsetzenden Schmerz, lokale
Entzündungszeichen, Druck- und Berührungsempfindlichkeit aus. Ein Virusnachweis im
Ejakulat ist möglich.
Poliomyelitis
Merke
Die Poliomyelitis ist nach IfSG § 6,7 meldepflichtig.
Es handelt sich um eine akut auftretende Erkrankung, bei der es zu einer akuten schlaffen
Lähmung der Extremitäten kommen kann. Diese Lähmungen treten entweder asymmetrisch
oder als Tetraparesen auf und sind in der Regel nicht reversibel (paralytische Poliomyelitis).
In den meisten Fällen verläuft eine Infektion mit Polioviren jedoch als abortive Poliomyelitis
(grippeähnliche Symptome, Fieber, Magen-Darm-Beschwerden) oder als nichtparalytische
Poliomyelitis (Symptome einer Meningitis).
Kommt es zu einer Infektion des Hirnstamms (Atemzentrum), tritt als schwere Komplikation
eine bulbäre Poliomyelitis mit fast immer fatalem Ausgang auf. Dank des weltweiten
Polio-Eradikationsprogramms der WHO und ihrer Partnern konnte die Zahl der Poliomyelitis-Fälle
drastisch reduziert werden. Dennoch muss bei Patienten mit Polio-kompatiblen Symptomen
eine Enterovirus-Diagnostik mit Typisierung durchgeführt werden, um eine Wiedereinschleppung
der Polioviren schnell zu erkennen und eine Weiterverbreitung zu verhindern.
Diagnostik
Klinische Diagnose und Laborwerte
Eine rein klinische Diagnose wird im Alltag häufig im ambulanten Bereich und bei typischen
Erkrankungsbildern (z. B. bei Hand-Fuß-Mund-Erkrankung) gestellt. Laborchemisch imponiert
oft eine (unspezifische) Erhöhung der Entzündungsparameter.
Cave
Eine Granulozytose mit Linksverschiebung kann zu einer Verwechslung mit bakteriellen
Erkrankungen führen.
Virologische Diagnostik
Bei schweren Verläufen ist eine virologische Diagnostik unabdingbar. Dies betrifft
vor allem schwer erkrankte Säuglinge und Fälle mit neurologischer Symptomatik. Um
in diesen Fällen eine rasche Diagnose zu erstellen, haben sich in den letzten Jahren
molekularbiologische Nachweisverfahren durchgesetzt. In diesem Zusammenhang ist auch
die bundesweite Enterovirus-Surveillance zu nennen. Zur differenzialdiagnostischen
Abklärung von viralen Meningitiden bzw. Enzephalitiden und akuten schlaffen Paresen
wird hier eine unentgeltliche Enterovirus-Diagnostik angeboten (weitere Informationen
unter https://evsurv.rki.de).
Nach Anamnese und gründlicher körperlicher Untersuchung wird eine Blutentnahme durchgeführt.
Die laborchemischen Parameter bei Aufnahme zeigen sich unauffällig (CRP 2,8 mg/l,
Leukozyten 7,3 Tsd/µl). Während des stationären Aufenthalts besteht allerdings weiterhin
Fieber. Es erfolgt eine symptomatische Therapie mit i. v. Flüssigkeitszufuhr und antipyretischer
Therapie. An Tag 2 nach Aufnahme besteht Fieber bis 39,6 °C, Trinkschwäche und erstmalig
ein CRP von 38,8 mg/l. Zum Meningitis-Ausschluss wird der Junge lumbalpunktiert und
eine Breitbandantibiose mit Piperacillin/Tazobactam angesetzt. Der Liquorbefund bleibt
unauffällig. Eine virologische Diagnostik erbringt einen Enterovirus-RNA-Nachweis
aus Serum mittels PCR.
Im Laborbereich stehen prinzipiell folgende Methoden zur Verfügung [12]:
-
PCR
-
Virusisolierung
-
Serologie
-
Sequenzierung
Polymerase Chain Reaction (PCR)
Mithilfe molekularbiologischer Amplifikationsverfahren lässt sich enterovirale RNA
rasch und mit hoher Sensitivität und Spezifität nachweisen. Molekularbiologische Verfahren
sind deshalb in der Routinediagnostik Methode der Wahl und haben die Zellkultur als
Goldstandard abgelöst. Neben Rachen- und Stuhlproben gelingt ein Enterovirus-Nachweis
auch aus Liquorproben, Serum/Plasma, Konjunktivalabstrichen und Biopsie-/Autopsiematerial.
Die Verwendung von mehr als einer Probe aus unterschiedlichen Körperkompartimenten
erhöht dabei die Nachweisrate.
Merke
Eine vor Kurzem publizierte Studie empfahl die Testung von Blutproben bei Kindern
unter zwei Jahren mittels Enterovirus-PCR [13].
Enterovirus-Nachweise sind auch in einigen neueren Multiplex-PCR-Formaten enthalten,
mit denen parallel ein Nachweis von bis zu 25 verschiedenen Erregern aus Atemwegsproben
durchgeführt werden kann. Diese Multiplex-PCR können teilweise in weniger als zwei
Stunden Ergebnisse erbringen. Bei einigen Testsystemen ist allerdings die Kreuzreaktivität
zwischen Rhinoviren und Enteroviren zu beachten, sodass Ergebnisse nur kombiniert
als Rhinovirus-/Enterovirus-positiv ausgegeben werden und eine weitere Differenzierung
entfällt.
Der Junge zeigt klinisch ein Sepsis-ähnliches Krankheitsbild mit dem Nachweis von
Enterovirus-RNA im Serum und im Verlauf auch in einer Stuhlprobe, was vereinbar ist
mit einer akuten Enterovirus-Infektion. Im Verlauf zeigt sich eine rasche Besserung
des Allgemeinzustands. Der Junge trinkt gut und zeigt sich zunehmend agil. Das Fieber
geht zurück und das Kind setzt mehrmals breiige Stühle ab. Der Junge kann bei unauffälligem
klinischen Untersuchungsbefund und Rückgang der Infektparameter gesund aus der stationären
Behandlung entlassen werden.
Virusisolierung
Enteroviren vermehren sich relativ leicht in Zellkultur und rufen aufgrund ihrer lytischen
Fähigkeit einen „zytopathischen“ Effekt hervor. Bevorzugtes Material für die Virusisolierung
sind Stuhlproben und Rachenabstriche bzw. -spülwasser. Da inzwischen nur noch wenige
Labore über Kenntnisse über und Möglichkeiten zur Virusisolierung verfügen, ist die
Virusisolierung im Rahmen der Routinediagnostik in den Hintergrund gerückt. Sie bleibt
jedoch u. a. wichtig im Rahmen der Charakterisierung neuer Enterovirus-Typen.
Serologie
Serologische Verfahren zum Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern sind für die Akutdiagnostik
obsolet, u. a. da die Durchseuchung in der Bevölkerung sehr hoch ist. Serologische
Testverfahren sind generell relativ zeit- und arbeitsaufwendig und wenig standardisierbar.
Enterovirus-Neutralisationstests finden ihre Anwendung teilweise im Rahmen von epidemiologischen
Studien (z. B. Immunitätslage gegen Poliomyelitis in den KiGGS- und DEGS-Studien des
RKI).
Cave
Obwohl Parechoviren ebenfalls zur Familie der Picornaviridae gehören und mit den Enteroviren
verwandt sind, werden sie von den gängigen Enterovirus-PCR-Tests nicht detektiert.
Bei Verdacht auf Parechovirus-Infektion (Kind unter 3 Monaten mit Sepsis-ähnlichem
Krankheitsbild) ist deshalb eine spezifische Parechovirus-PCR notwendig.
Testinterpretation: Wird beispielsweise bei einem Säugling mit Sepsis-ähnlichem Krankheitsbild
und neurologischen Symptomen Enterovirus-RNA in Serum und Liquor nachgewiesen, besteht
eine hohe Wahrscheinlichkeit eines kausalen Zusammenhangs. Auf der anderen Seite ist
die lange Virusausscheidung im Stuhl nach Erkrankung zu beachten, die klinisch nicht
relevant ist.
Cave
Auch nach Impfung mit dem oralen Poliovirus-Impfstoff können über längere Zeit Impf-Polioviren
im Stuhl mittels PCR/Zellkultur nachgewiesen werden. Dies ist besonders bei mit dem
oralen Poliovirus-Impfstoff (OPV) geimpften Kindern mit angeborenem Immundefekt, z. B.
mit schwerem kombiniertem Immundefekt (SCID), zu beachten, da diese oft jahrelang
unerkannt Polioviren ausscheiden können.
Attenuierte Lebendimpfviren können aufgrund der hohen Mutagenität des Erregers rasch
zum neurologischen Phänotyp revertieren und in Kontaktpersonen eine Infektion (bzw.
Erkrankung) hervorrufen. In Personengruppen mit nicht ausreichendem Impfschutz kann
so schnell ein Polioausbruch erfolgen. Im Hinblick auf die globale Polio-Eradikationskampagne
der Weltgesundheitsorganisation ist es daher wichtig, solche Fälle zu erkennen und
angemessen zu handeln (Meldung an RKI, Isolation des Patienten, Umgebungsuntersuchungen,
Impfangebot Kontaktpersonen) [11], [14].
Sequenzierung
Zur molekularen Typisierung von Enteroviren wird die Sequenzierung der VP1-Region
herangezogen. Hiermit können wichtige Daten zur Durchführung molekularer epidemiologischer
Analysen erhoben werden. Dies ist u. a. bei ungewöhnlichen Erkrankungsbildern oder
dem Verdacht auf ein Ausbruchgeschehen wichtig.
Differenzialdiagnose
Wichtige Differenzialdiagnosen sind die durch Herpes-simplex-Virus hervorgerufene
Stomatitis aphthosa und der durch Pilze verursachte Soor (v. a. bei immungeschwächten
Patienten). Bei akuten schlaffen Paresen sind andere infektiöse Ursachen (z. B. West-Nil-Fieber,
Frühsommer-Meningoenzephalitis) oder auch nichtinfektiöse Ursachen (z. B. Guillain-Barré-Syndrom)
differenzialdiagnostisch zu beachten.
Parechovirus-Infektionen kommen in der Mehrzahl bei Kindern im Alter von weniger als
drei Monaten vor und können unter dem Bild einer schweren, Sepsis-ähnlichen Infektion
verlaufen. Weiterhin sind ZNS-Infektionen durch Herpesviren möglich sowie Erkrankungen
durch eine Vielzahl respiratorischer Viren, z. B. Rhinoviren, RSV, Influenzaviren
und Parainfluenzaviren.
Therapie
Zurzeit ist keine spezifische antivirale Therapie verfügbar. Evidenzbasierte Daten
zu Pleconaril, einem sogenannten Canyon-Blocker zur Inhibition der Replikation, fehlen.
Aufgrund unzureichend belegter Wirksamkeit und starker Nebenwirkungen ist er in Deutschland
nicht mehr zugelassen. Die Viruselimination erfolgte über neutralisierende Antikörper.
Bei Patienten mit angeborenen oder erworbenen Defekten der Immunantwort wird deshalb
eine Gabe von Immunglobulin-Präparaten (intravenöse Immunglobuline, IVIG) erwogen,
z. B. bei Kindern mit Agammaglobulinämie. Eine IVIG-Gabe zeigte auch bei schwer erkrankten
Neugeborenen mit disseminierter Enterovirus-Infektion klinischen Erfolg.
Cave
IVIG nicht bei Enterovirus-D68 anwenden, da es hier unter Umständen zu einer Symptomverschlechterung
kommen kann.
Prophylaktische Maßnahmen
Prophylaktische Maßnahmen
Gegenwärtig sind in Europa außer der Poliovakzine keine Impfstoffe gegen andere Enteroviren
verfügbar. In China sind zurzeit verschiedene Impfstoffe gegen Enterovirus-A71 zugelassen.
Eine universelle Impfung gegen Enterovirus-Infektionen ist aufgrund der hohen Typenvielfalt
allerdings zurzeit nicht absehbar.
Hygiene
Effektive Maßnahmen zur Infektionsprävention betreffen die frühe Erkennung und ggf.
Isolierung von akuten Fällen (vor allem auf neonatologischen Stationen). Nosokomiale
Enterovirus-Infektionen auf neonatologischen Stationen sind beschrieben und gefürchtet.
Aufgrund der hohen Umweltstabilität sind die Enteroviren gegen einfache Händedesinfektionsmittel
resistent. Bei Kontakt mit Stuhl/Ausscheidungen schützen Handschuhe. Speziell viruzide
Desinfektionsmittel sind für eine effektive Hände- bzw. Flächendesinfektion notwendig.
Eine kontinuierliche Surveillance liefert wertvolle Hinweise zur Epidemiologie einzelner
Typen und zu einer möglichen Einschleppung von Poliovirus (Polio- und Enterovirus-Surveillance
am Robert Koch-Institut). Um eine Virustransmission vor allem im Krankenhausbereich
zu vermeiden bzw. zu unterbrechen, sollen persönliche Hygienemaßnahmen wie das häufige
Händewaschen regelmäßig durchgeführt werden.
Meldepflicht
Eine allgemeine Meldepflicht nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) gibt es für Enterovirus-Infektionen
nicht, jedoch sollten über das übliche Maß hinausgehende Krankheitshäufungen gemeldet
werden. Meldepflichtig ist allerdings bereits der Krankheitsverdacht, die Erkrankung
sowie der Tod aufgrund einer Poliomyelitis (§ 7 Abs. 1 IfSG).
Kernaussagen
-
Enterovirus-Infektionen sind weltweit verbreitet und rufen Poliomyelitis, Meningitis,
Hand-Fuß-Mund-Erkrankung, Sepsis-ähnliche Bilder und weitere Erkrankungen hervor.
-
Die Poliomyelitis ist eine vor allem im Kindesalter auftretende Erkrankung, die zu
akuten schlaffen Lähmungen (meist irreversibel) der Extremitäten führen kann.
-
Trotz des drastischen Rückgangs der Poliomyelitis dank des globalen Polio-Eradikationsprogramms
der WHO muss weiterhin mit importierten Fällen gerechnet werden.
-
Die Übertragung erfolgt in der Regel fäkal-oral oder über kontaminierte Gegenstände/Oberflächen.
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Die Mehrzahl der Infektionen verläuft asymptomatisch.
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Schwere Sepsis-ähnliche Krankheitsbilder werden bei kleinen Kindern beobachtet.
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Nosokomiale Infektionen sind möglich und insbesondere auf neonatologischen Stationen
gefürchtet.
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Die Akutdiagnostik basiert auf molekularbiologischen Nachweisverfahren.
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Eine spezifische antivirale Therapie ist nicht verfügbar.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Marcus Panning, Freiburg.