Nervenheilkunde 2019; 38(04): 201-205
DOI: 10.1055/a-0829-8555
Schwerpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie geht man mit dem Sterbewunsch eines psychisch kranken Patienten um, der bei einem Verein für Sterbehilfe angemeldet ist?

How shall the wish to die of a mentally ill person be treated, if he has signed up for an association for assisted suicide?
Ursula S. Spitzer
1   Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
,
Christoph Linnemann
1   Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
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Publication Date:
04 April 2019 (online)

Zusammenfassung

Der Behandlung psychischer Erkrankungen liegen in Deutschland und in der Schweiz die gleichen Kenntnisse über Pathogenese und Wirkmechanismus der jeweiligen Therapieoptionen zugrunde. Unterschiede im ärztlichen Handeln ergeben sich aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung einiger Rechtsnormen, wobei die Möglichkeit in der Schweiz, das Leben auch mit Beihilfe Dritter beenden zu dürfen, einen wesentlichen Unterschied darstellt. Dies ist weder in Deutschland noch weltweit anderswo legal. Durch Inanspruchnahme eines Laien, der bereit ist, aktiv Sterbehilfe zu leisten, ist es in der Schweiz rechtlich möglich, den Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen. Die Beihilfe zum Suizid, wenn sie nicht aus selbstsüchtigen Beweggründen erfolgt ist, ist nach Artikel 115 des Strafgesetzbuches straffrei. Die Anzahl der in der Schweiz erfolgten Suizide hat in den letzten 30 Jahren abgenommen auf 1029 Fälle im Jahr 2014. Zugleich ist die Anzahl der assistierten Suizide auf zuletzt knapp 1000 Fälle pro Jahr angestiegen. Mittlerweile gibt es mehrere Vereine, die eine Sterbebegleitung für Schweizer und Nicht-Schweizer anbieten, wobei meistens eine somatische Erkrankung ursächlich für den Sterbewunsch ist. Bei 3 % ist jedoch eine Depression die zugrunde liegende Erkrankung, und psychiatrische Gutachten werden durchgeführt, um die Urteilsfähigkeit attestieren zu können. Dabei wird grundsätzlich zunächst davon ausgegangen, dass eine Person urteilsfähig ist. Die Urteilsunfähigkeit muss aktiv zugesprochen bzw. bewiesen werden, was beim gutachterlich tätigen Psychiater, der Suizidalität als Symptom psychiatrischer Erkrankungen ansonsten behandelt, aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen eine Voreingenommenheit bewirken kann, die schon vor der Begutachtung besteht und diese wesentlich beeinflusst.

Abstract

The same knowledge about pathogenesis and mode of action of psychiatric illnesses influence therapy options in Germany and Switzerland. Differences in the way doctors treat patients are due to distinctions in legal norms. It is e. g. possible to end one’s own life with the help of a layperson in Switzerland. This practice is not legal in any other country in the world. Through the help of a layperson who is in accordance with assisted suicide, it is possible to choose the time of one’s own death in Switzerland. According to the Criminal Code article 115, assisted suicide is if it does not happen for selfish reasons exempt from punishment. The suicide rate has dropped in the past 30 years in Switzerland to 1029 cases per year in 2014, whereas the number of assisted suicides has risen to almost 1000 cases per year. Meanwhile several associations exist that offer terminal care for people from Switzerland and abroad. Most of the time, a somatic illness is the reason for which a person does not want to live any longer. Yet, in 3 % of the cases a depression is the illness for which a person wishes to die and the ability to judge is examined by a psychiatrist. In general, it is assumed that a person can judge and the inability to judge is actively questioned by a psychiatrist. Put differently, a psychiatrist rendering an expert opinion who usually treats suicidal thoughts as a symptom of a psychiatric illness may be biased in this issue.