Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-1007-9736
Zehn Jahre Hautkrebsscreening in Deutschland – Leuchtturmfunktion, Probleme und Verbesserungsansätze – Daten einer großen Hautarztpraxis
Ten Years of the German Skin Cancer Screening – Lighthouse Function, Problems and Possible Amendments – Data of a Big Dermatology OfficeKorrespondenzadresse
Publication History
Publication Date:
23 October 2019 (online)
- Zusammenfassung
- Abstract
- Einleitung
- Material und Methode
- Ergebnisse
- Diskussion
- Schlussfolgerungen
- Literatur
Zusammenfassung
Von 2008 – 2018 wurden ca. 40 000 Hautkrebsscreenings durchgeführt und die Daten analysiert.
Es zeigte sich zum einen eine hochsignifikant steigende Zunahme von epithelialen malignen Tumoren um mehr als das Doppelte zwischen 2009 – 2018. Bei Patienten des gesetzlichen Hautkrebsscreenings konnte bei jedem 10. Patienten „weißer Hautkrebs“ diagnostiziert werden, 1,2 % der Patienten litten unter einem malignen Melanom, wobei 50 % davon in situ waren. Eine statistische Analyse der dysplastischen Nävi erbrachte eine höchst signifikante Differenz zwischen Patienten des gesetzlichen Screenings (54,2 Jahre) und Patienten unter 35 Jahren (23,4 Jahre). Die jüngere Patientengruppe (< 35 Jahre) wies fast doppelt so häufig histologisch nachgewiesene dysplastische Nävi als die Patienten des gesetzlichen Screenings (> 35 Jahre) auf. Dies könnte ein früheres Screening ab 20 Jahren befürworten, um mögliche Risikogruppen rechtzeitig zu identifizieren. Die Senkung der Melanommortalität als einziger Erfolgsparameter ist allerdings kritisch zu hinterfragen.
#
Abstract
Between 2008 – 2018 about 40 000 skin cancer screenings have been carried out and data analysed.
A highly significant increase rate in the rate of epithelial malignant tumors in patients of the screening starting at 35 years could be detected. 10 % of all patients over 35 suffered from non melanoma skin cancer, 1,2 % had a malignant melanoma, of which 50 % had been in situ. A statistical analysis of histologically proven dysplastic nevi showed a highly significant difference in patients over 35 (54,2 years) and patients below 35 years (23,4 years). In the younger patient group (< 35 years) about double the rate of dysplastic nevi could be detected in comparison to patients over 35 years. This could be in favour of the start of screening at the age of 20 to identify risk groups ahead in time. The lowering of the melanoma mortality rate as the only parameter of success is debatable.
#
Einleitung
Seit Juli 2008 wurde in Deutschland bundesweit das Hautkrebsscreening für alle gesetzlich versicherten Patienten ab dem vollendeten 35. Lebensjahr alle 2 Kalenderjahre eingeführt. Hautärzte und Hausärzte können nach einem jeweils achtstündigen Trainingsprogramm diese Screenings durchführen. Hierzu ist die Verwendung eines Auflichtmikroskops nicht erforderlich. Zielsetzung war eine Senkung der Mortalität des malignen Melanoms wie sie zunächst erfolgreich im Rahmen eines Pilotprojekts in Schleswig Holstein gezeigt werden konnte. Hier konnte die Mortalitätsrate um 50 % von 2,3/100 000 Einwohner auf 1,0/100 000 Einwohner innerhalb von 5 Jahren gesenkt werden [1]. Kritik an der Effektivität des Modellprojekts, das seinen Erfolg vor allem über die Senkung der Mortalität in den folgenden Jahren definierte, wurde unter anderem aufgrund der großen Schwankungen dieses Parameters in einem kleinem Bundesland ohne individuelle Verlaufsdokumentation geäußert [2]. Erste statistische Aufarbeitungen [3] konnten die Erfolge der Senkung der Mortalität des malignen Melanoms wie im Pilotprojekt nach 5 Jahren bundesweit nicht nachweisen. Es konnte lediglich eine Erhöhung der Inzidenzrate des malignen Melanoms um 28 % innerhalb der ersten 2 Jahre gezeigt werden, was sicherlich auf eine intensivere Kontrolle und damit Entdeckung dieser Tumoren zurückzuführen ist.
Auf internationalen Kongressen und Veranstaltungen wird immer wieder die Frage nach Erfolg oder Misserfolg und dem Sinn oder Unsinn des deutschen Hautkrebsscreenings gestellt.Die Auswertung von ca. 40 000 Hautkrebsscreenings von 2008 – 2018 sollte weitere Daten liefern, die eine kritische Auseinandersetzung mit möglichen Problemen und gegebenenfalls Verbesserungsansätze erbringen.[1]
#
Material und Methode
Institut und Praxis befinden sich im flächengrößten Landkreis Bayerns im Landkreis Ansbach, es werden ca. 17 000 Patienten im Jahr behandelt. Zwischen 2008 – 2018 wurden 32 061 Hautkrebsscreenings bei Patienten über 35 Jahre durchgeführt (Durchschnittsalter: 54,2 Jahre). Im gleichen Zeitraum erfolgten zusätzliche Screenings bei 6904 Patienten unter 35 Jahren (Durchschnittsalter: 23,4 Jahre).
Statistische Auswertung
Die Prüfung eines signifikanten Trends bei der Häufung des weißen Hautkrebses im Zeitraum 2009 – 2018 erfolgte mit dem Mann-Kendall-Trendtest und im Excel-basierten Auswertetool „MAKESENS“ [4].
Zur Untersuchung der unterschiedlichen Häufungen histologisch nachgewiesener dysplastischer Nävi in den beiden Altersgruppen (> 35 Jahre, < 35 Jahre) wurde ein in Excel implementierter Chi-Quadrat-Test genutzt.
#
#
Ergebnisse
Bei der Patientengruppe über 35 Jahren konnte in 10 % (n = 3143) ein maligner epithelialer Tumor, also ein Basaliom, Plattenepithelkarzinom oder ein Bowenkarzinom gefunden werden.
Bei der Patientengruppe unter 35 Jahren zeigte sich lediglich bei 0,28 % (n = 20) ein „weißer Hautkrebs“. Die Aufarbeitung der Praxisdaten beim malignen Melanom ergab bei Patienten über 35 Jahre eine Häufigkeit von 1,2 % (n = 374), davon lagen 50 % in der In-situ-Form vor. Patienten unter 35 Jahren zeigten in 0,3 % der Fälle (n = 25) ein malignes Melanom, auch hier betrug der Anteil der In-situ-Melanome 50 %. Zwischen 2009 – 2018 konnte in der Praxis eine Zunahme der epithelialen Malignome um mehr als das Doppelte verzeichnet werden. In [Abb. 1] ist der hochsignifikante Trend der Zunahme der epithelialen Malignome für alle Altersgruppen im Zeitraum von 2009 – 2018 dargestellt (Mann-Kendall-Trendtest, Z-Wert = 3,22, p = 0,01).


Im Zeitraum 2009 – 2011 lag die durchschnittliche Rate an epithelialen Malignomen bei 7,49 %, im Zeitraum 2016 – 2018 dagegen bei 14,50 %, was einen höchst signifikanten Unterschied bedeutet (Chi-Quadrat = 246,5983, df = 1, p = 0,001).
Weitere Analysen der Praxisdaten zeigten bei Patienten über 35 Jahren eine Häufigkeit von 7,28 % (n = 2336) bei dysplastischen Nävi, während Patienten unter 35 Jahren in 13 % (n = 903) dysplastische Nävi aufwiesen. Das deutlich häufigere Auftreten von dysplastischen Nävi bei Patienten unter 35 war höchst signifikant (Chi-Quadrat = 250,1519, df = 1, p = 0,001).
#
Diskussion
Dysplastische Nävi wurden erstmals von Clark und Kollegen als histologisch definierte Läsionen bei zu Melanomen neigenden Familien beschrieben [5].
Histologisch sind dabei architektonisch unruhige Strukturen und zytologische Atypien charakteristisch, aber auch klinische Kriterien gemäß der International Agency of Research on Cancer von 1990 – wie unregelmäßige Farbe, unscharfer Rand, Rötung, Läsion größer als 5 mm, erhabene Anteile insbesondere im Zentrum ([Abb. 2]).


Die Häufigkeit von dysplastischen Nävi variiert im nördlichen Europa zwischen 7 – 24 % [6]. Nur 20 % aller Melanome entstehen direkt aus dysplastischen Nävi [7], aber das Vorhandensein multipler dysplastischer Nävi führt zu einer Zunahme des Risikos von Melanomen, und somit scheinen dysplastische Nävi Indikatoren zur Identifikation von Risikopatienten zu sein.
Bei den analysierten Daten wiesen die Patienten unter 35 Jahre doppelt so viele histologisch nachgewiesene dysplastische Nävi auf wie Patienten über 35 Jahre.
Interessanterweise startete die erfolgreiche Pilotstudie in Schleswig-Holstein bereits mit 20 Jahren und nicht erst mit 35 Jahren wie beim bundesweiten Screening. Dies könnte ein möglicher Erklärungsversuch für den höheren Erfolg des Pilotprojekts gewesen sein, denn dadurch wurden Risikopatienten vielleicht bereits deutlich vor dem Auftreten eines Melanoms als solche identifiziert.
Ein weiterer auffälliger Befund der analysierten ca. 40 000 Screeningdaten im Zeitraum von 10 Jahren zeigt die massive Zunahme der epithelialen Hauttumoren um mehr als das Doppelte und das Vorliegen von „weißem Hautkrebs“ bei jedem 10. Patienten des gesetzlichen Screenings. Hier zeigt sich ein enormes, drohendes Risiko der Zunahme von epithelialen Tumoren und ihren Vorstufen in den nächsten Jahren, das sicherlich Auswirkungen auf unser Gesundheitssystem haben wird. Ohne rechtzeitige Intervention, sei es operativ oder mit anderen Methoden wie der photodynamischen Therapie, Imiquimod oder Ingenolmebutat, wird diese Zunahme in naher Zukunft im nördlichen Europa ein ernst zu nehmendes Problem der Versorgung der Bevölkerung darstellen.
#
Schlussfolgerungen
Das bundesweite Hautkrebsscreening steht im internationalen Fokus des Interesses, aber auch der kritischen Betrachtung. Die Senkung der Mortalitätsrate des malignen Melanoms wurde bisher als Zielgröße gesehen, gleichzeitig steht diese Sichtweise in der Kritik [2] [3]. Die Analyse der vorliegenden Daten legt jedoch neue Hinweise auf den früheren Start des Screenings mit 20 Jahren wie im Pilotprojekt in Schleswig Holstein nahe, da hierbei Patientenrisikogruppen mit erhöhter Rate an dysplastischen Nävi identifiziert und rechtzeitig behandelt bzw. regelmäßigen Kontrollen zugeführt werden können. Die massive Zunahme maligner epithelialer Tumoren ist ferner ein nicht zu unterschätzendes Problem. Mithilfe regelmäßiger Hautkrebsscreenings können größere Operationen mit einem erhöhten Mutilationsrisiko ([Abb. 3]) vermieden werden.


Insgesamt betrachtet, hat das bundesweite, in der Welt bisher einmalige Hautkrebsscreening sicherlich eine „Leuchtturmfunktion“, die nicht zu unterschätzen ist und die auf jeden Fall als wichtiges Mittel in der Patientenversorgung gesehen werden muss. Den Erfolg des deutschen Hautkrebsscreenings alleinig über die Senkung der Melanommortalität zu beurteilen, ist jedoch als fragwürdig anzusehen.
#
#
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Tina Frieda Rothgang und Daniel Rothgang für die Mithilfe bei der Analyse von ca. 40 000 Hautkrebsscreeningdaten und der statistischen Aufarbeitung durch Herrn Prof. Dr. Andreas Hoffmann, Hochschule für angewandte Wissenschaften, Weihenstephan-Triesdorf.
Die histopathologischen Befunde wurden von Dres. Reusch, Reusch und Mielke, fachübergreifende Gemeinschaftspraxis für Dermatologie und Pathologie, Hamburg, und Dres. Hack und Wagner-Thiessen, Pathologie, Mutlangen, beurteilt.
1 Präsentation der Daten erfolgte im Rahmen des World Congress of Dermatology am 10. 06. 2019 in Mailand.
-
Literatur
- 1 Breitbart EW, Waldmann A, Nolte S. et al. Systematic skin cancer screening in Northern Germany. J Am Acad Dermatolog 2012; 66: 201-2011
- 2 Tacke J. Das deutsche Hautkrebsscreening: vom Ende einer Illusion. Deutscher Ärzteverlag Allg Med I 2015; 91: 299-303
- 3 Katalinic A, Eisemann N, Waldmann A. Hautkrebsscreening in Deutschland. Dtsch Ärztebl 2015; 112: 629-634
- 4 Salmi T, Määttä A, Anttila P. et al. Detecting trends of annual values of atmospheric pollutants by the Mann-Kendall test and Sen’s slope estimates – the excel template application Makesens. Finnish Meteorological Institute Helsinki. 2002. ISBN: 951-697-563-1; ISSN: 1456-789X Painopaikka:Edita Oyj
- 5 Clark WH, Reimer RR, Greene M. et al. Origin of familial malignant melanomas from heritable melanocytic lesions. “The B-K mole syndrome”. Arch Dermatol 1978; 114: 723-728
- 6 Goldstein A, Tucker M. Dysplastic nevi and melanoma. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2013; 22: 528-534
- 7 Duffy K, Grossman D. The dysplastic nevus: from historical perspective to management in the modern era. J Am Acad Dermatol 2012; 67: 1.e1-1.e16 quiz 1.e17–1.e18
Korrespondenzadresse
-
Literatur
- 1 Breitbart EW, Waldmann A, Nolte S. et al. Systematic skin cancer screening in Northern Germany. J Am Acad Dermatolog 2012; 66: 201-2011
- 2 Tacke J. Das deutsche Hautkrebsscreening: vom Ende einer Illusion. Deutscher Ärzteverlag Allg Med I 2015; 91: 299-303
- 3 Katalinic A, Eisemann N, Waldmann A. Hautkrebsscreening in Deutschland. Dtsch Ärztebl 2015; 112: 629-634
- 4 Salmi T, Määttä A, Anttila P. et al. Detecting trends of annual values of atmospheric pollutants by the Mann-Kendall test and Sen’s slope estimates – the excel template application Makesens. Finnish Meteorological Institute Helsinki. 2002. ISBN: 951-697-563-1; ISSN: 1456-789X Painopaikka:Edita Oyj
- 5 Clark WH, Reimer RR, Greene M. et al. Origin of familial malignant melanomas from heritable melanocytic lesions. “The B-K mole syndrome”. Arch Dermatol 1978; 114: 723-728
- 6 Goldstein A, Tucker M. Dysplastic nevi and melanoma. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2013; 22: 528-534
- 7 Duffy K, Grossman D. The dysplastic nevus: from historical perspective to management in the modern era. J Am Acad Dermatol 2012; 67: 1.e1-1.e16 quiz 1.e17–1.e18





