Fallbeispiel
Ein junger, adipöser, ansonsten gesunder Mann stellt sich spätabends in einer Notambulanz
vor, nachdem zwei Stunden nach Einnahme einer kalorienreichen Mahlzeit Oberbauchschmerzen
aufgetreten waren. Die körperliche Untersuchung ergibt außer einem leichten epigastrischen
Druckschmerz keinen richtungsweisenden Befund, das Labor ist unauffällig. Nachdem
auf Schmerzmittelgabe Besserung eintritt, wird er mit Schmerzmitteln und Protonenpumpenhemmern
entlassen. Am frühen Morgen des folgenden Tages stellt er sich erneut in einer Notambulanz
eines anderen Krankenhauses vor, mit nun wiederum zunehmenden Schmerzen. Neben einem
lokalen Peritonismus epigastrisch fällt eine geringe Leukozytose im Labor sowie sonografisch
eine echoreiche Gallenblasenwand bei einem kleinen Konkrement auf, der Schmerz lässt
sich durch sonografische Palpation eindeutig der Gallenblase zuordnen. Im weiteren
Verlauf erfolgt die operative Entfernung einer akut ödematös entzündeten Gallenblase.
Definition Der Begriff akutes Abdomen fungiert im Klinikalltag gleich einem Codewort, das allen
Beteiligten signalisiert, dass es sich um einen unklaren bedrohlichen Zustand eines
Patienten handelt, der dringlich und rasch abgeklärt und behandelt werden muss.
Merke
Definition des akuten Abdomens: Kurzfristig (innerhalb der letzten 48 h) aufgetretene,
starke, auf das Abdomen bezogene Schmerzen, die mit einer peritonealen Reizung sowie
einer akuten bedrohlichen Zustandsverschlechterung bis zum Kreislaufschock des Patienten
einhergehen.
Das Krankheitsbild des akuten Abdomens ist ein klassisches viszeralmedizinisches Krankheitsbild
und setzt ein gutes interdisziplinäres Denken und Zusammenarbeiten zwischen Viszeralchirurgen
und Gastroenterologen voraus.
Ursachen Prinzipiell können systemische Erkrankungen, abdominelle und extraabdominelle Erkrankungen
für das klinische Bild eines akuten Abdomens verantwortlich sein ([Tab. 1]).
Tab. 1 Ursachen des akuten Abdomens [1].
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Ursache
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Beispiele
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abdominelle Erkrankung
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Entzündung mit oder ohne Perforation (Appendizitis, Cholezystitis, Ulcera, Pankreatitis,
Divertikulitis, spontan bakterielle Peritonitis)
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Obstruktion Hohlorgan (Dünn- oder Dickdarmileus, Choledocholithiasis, inkarzerierte
Hernie)
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vaskuläre Erkrankungen (Mesenterialischämie/ischämische Kolitis, Pfortaderthrombose)
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Trauma einschließlich intraabdomineller Blutung (Blutung)
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gynäkologische Erkrankungen (Extrauteringravidität, stielgedrehte Ovarialzyste)
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extraabdominelle Erkrankung
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Bauchwand (akuter Bauchwandschmerz, Bauchwandhämatom)
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Retroperitoneum (Nierenkolik, Niereninfarkt, Aortenruptur)
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genital (Hodentorsion)
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thorakal (Pneumonie, Myokardinfarkt)
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Skelett (Bandscheibenvorfall)
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systemische Erkrankung
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Stoffwechselerkrankungen (diabetische Ketoazidose, akute intermittierende Porphyrie,
Urämie, Hyperkalzämie, Addison-Krise, Mittelmeerfieber, C1-Esterase-Inhibitor-Mangel)
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hämatologische Erkrankungen (hämolytische Krise, Sichelzellkrise)
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Toxine (Bleivergiftung)
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Infektionen (Herpes zoster)
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Merke
Die Lokalisation der Schmerzen gibt häufig erste Hinweise auf mögliche Ursachen ([Tab. 2]).
Tab. 2 Lokalisationsabhängige Differenzialdiagnosen des akuten Abdomens [2].
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Lokalisation
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Differenzialdiagnosen
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* auch kontralateral
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rechter Oberbauch
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rechter Unterbauch
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Appendizitis
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Lymphadenitis mesenterialis
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Gastroenteritis
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Merkelʼsches Divertikel
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Zökumtumor
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Zökumdistension/-ischämie bei Kolonobstruktion
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Sigmadivertikulitis (Sigma elongatum)
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chronisch entzündliche Darmerkrankung
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Invagination
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Mittellinie des Abdomens oder diffus
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Pleuritis
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Angina pectoris, akuter Myokardinfarkt
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paraösophageale Hernie
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Ösophagusrupur/-perforation (Boerhaave)
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Aortenaneurysma/-dissektion
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diffuse Peritonitis
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Ulkusperforation
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Pankreatitis
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mesenteriale Ischämie
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Ileus
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metabolische/toxische/bakterielle Ursachen (spontan bakterielle Peritonitis
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Urozystitis
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linker Oberbauch
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Pankreatitis
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Ulcus ventriculi et duodeni
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Milzabszess, -infarkt, -ruptur
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Pleuropneumonie
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Pleuritis, Pleuraempyem
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Kolonobstruktion
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Kolondivertikulitis
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chronisch entzündliche Darmerkrankungen
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Ureterkolik*
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linker Unterbauch
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Prinzipien beim Vorgehen Ziel ist es, mit wenigen und einfachen Mitteln (Anamnese, körperliche Untersuchung,
Labor, Sonografie, ggf. CT-Abdomen) rasch eine Arbeitsdiagnose zu erstellen ([Abb. 1]).
Abb. 1 Diagnostik und Therapie beim akuten Abdomen.
Merke
Parallel zur diagnostischen Abklärung wird stets eine Schmerz- und Kreislauftherapie
eingeleitet, bei Sepsis eine rasche empirische Antibiotikatherapie.
Unter engmaschiger klinischer Kontrolle erfolgt die Therapie und ggf. weitere Diagnostik,
wobei die Arbeitsdiagnose immer kritisch zu reevaluieren ist. Die Ausführlichkeit
des Vorgehens orientiert sich am klinischen Bild. Es ist explizit nicht notwendig,
vor Beginn der Therapie eine definitive Diagnose zu stellen.
Strukturierte Anamnese Gerade hierbei gilt es, keine unnötige Zeit zu verlieren, gleichzeitig kann mit wenigen
Fragen eine erste Arbeitshypothese erarbeitet werden. Folgende Fragen sollten dabei
stets gestellt werden [1], [2], [3]:
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Wann begann der Schmerz?
-
Wie ist der zeitliche Verlauf?
-
Wo ist der Schmerz, hat sich die Lokalisation im Verlauf verändert?
-
Wie ist der Schmerzcharakter? (drückend/stechend, Ausstrahlung, kolikartig/dauerhaft?)
-
Gibt es ein den Schmerzen unmittelbar vorangehendes Ereignis (Unfall/Sturz)? Erfolgte
kürzlich eine Operation/ärztliche Behandlung?
Hilfreich ist zur weiteren Einordnung auch die Unterscheidung zwischen viszeralen
(dumpf, drückend, schlecht lokalisierbar) und somatischen (scharf, stechend, gut lokalisierbar)
Schmerzen.
Klassische Anamnesen Besonders typische Anamnesen sind die klassischen Verläufe der akuten Appendizitis,
des Mesenterialinfarktes und der Hohlorganperforation. Diese sollten allen Beteiligten
geläufig sein.
Bei der akuten Appendizitis bestehen häufig zunächst dumpfe Schmerzen periumbilikal,
die sich dann nach einem schmerzfreien Intervall als stechende Schmerzen in den rechten
Unterbauch verlagern.
Bei der akuten Mesenterialischämie tritt häufig plötzlich ein heftiger Schmerz auf,
der spontan abklingt. Der Testbefund ist meist eher unauffällig und passt scheinbar
nicht zur Anamnese. Im Verlauf kommt es zu einer zunehmenden peritonealen Reizung
und Zustandsverschlechterung, die in einem lebensbedrohlichen Schock mündet.
Auch bei der Perforation entzündeter Hohlorgane (Cholezystitis, Ulcus duodeni) kann
es nach anfänglich heftigen Schmerzen zu einer spontanen Besserung kommen.
Cave
Ein Nachlassen des Schmerzes ohne plausible Erklärung bzw. therapeutische Intervention
sollte immer an die Möglichkeit eines „faulen Friedens“ denken lassen und einen weitgehend
sicheren Ausschluss der dafür infrage kommenden Erkrankungen veranlassen.
Körperliche Untersuchung Zentraler Aspekt der körperlichen Untersuchung ist die Palpation des Abdomens, bei
der der maximale Schmerzpunkt lokalisiert und der Schweregrad der peritonealen Reizung
eingeschätzt werden soll. Darüber hinaus können zusätzliche Informationen aus Inspektion,
Auskultation und Perkussion gewonnen werden. Zudem sollte eine kurzgehaltene Untersuchung
des Thorax, der Extremitäten und der Mundhöhle erfolgen. Besondere Aspekte der körperlichen
Untersuchung gibt [Tab. 3] wieder.
Tab. 3 Ausgewählte Aspekte der körperlichen Untersuchung.
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Untersuchung
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mögliche Hinweise
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Gesamteindruck
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Schwere des Krankheitsbildes
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unruhiger umherlaufender Patient (Kolik)
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Bewegung/Erschütterung vermeidender Patient (Peritonitis)
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Haut (Ikterus, Blässe, Turgor?)
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Inspektion Abdomen
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Narben (Briden? Z. n. Appendektomie, Cholezystektomie?)
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Perkussion
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Meteorismus (Passagestörung?)
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Palpation
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Gummibauch (Pankreatitis?)
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Abwehrspannung
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Loslassschmerz (Schweregrad peritoneale Reizung?)
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lokales Schmerzmaximum (betroffenes Organ?)
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Bauchwand
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Labor Mit den Laboruntersuchungen werden Ziele auf unterschiedlichen Ebenen verfolgt. Nur
wenige Parameter dienen unmittelbar der Diagnosefindung bzw. dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen
(z. B. Lipase, Troponin). Viele Parameter werden zur orientierenden Einschätzung der
Krankheitsschwere (Entzündungswerte, Nierenwerte, Säure-Basen-Status, Gerinnung) und
als Ausgangswerte für den weiteren Behandlungsverlauf erhoben. Andere Laborwerte werden
zur Einleitung weiterer diagnostischer oder therapeutischer Schritte (TSH-Bestimmung
und Nierenwerte vor Kontrastmittel-CT, Kreuzblut für eventuelle Transfusionen) benötigt.
Bestimmt werden sollten im Notfalllabor:
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Blutbild, möglichst als Differenzialblutbild
-
C-reaktives Protein
-
Lipase
-
Leberwerte (GPT, GOT, AP, GGT, Bilirubin)
-
LDH
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Gerinnung (INR, PTT)
-
Blutgasanalyse einschließlich Laktat
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Kreatinin, Harnstoff
-
Elektrolyte
-
TSH
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Urinstatus
-
Kreuzblut
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Troponin bei Oberbauchschmerzen
-
β-HCG bei prämenopausalen Frauen
-
Blutkulturen bei Sepsiskriterien
Weitere Untersuchungen Neben der Erhebung und regelmäßigen Kontrolle der Vitalparameter einschließlich Körpertemperatur
und Sättigung sollte ein EKG durchgeführt werden.
Merke
Bei jungen Frauen mit Unterbauchschmerzen sollte immer auch eine gynäkologische Mitbeurteilung
erfolgen.
Unsicherheit von Anamnese, Untersuchungs- und Laborbefunden Bei der Wertung der erhobenen Untersuchungs- und Laborbefunde sind viele Einschränkungen
zu beachten. Im Folgenden sind einige Beispiele aufgeführt.
Cave
Bei den Entzündungsparametern ist der zeitliche Bezug wichtig: Da Leukozyten (einige
Stunden) und CRP (12 – 24 h) erst verzögert ansteigen, kann gerade bei nur kurz zurückliegendem
Schmerzbeginn auch bei gänzlich unauffälligen Entzündungswerten ein lebensbedrohlicher
Zustand vorliegen.
Bei älteren Patienten bleibt ein Leukozytenanstieg häufig ganz aus und auch andere
klassische Symptome treten nur unregelmäßig auf. In einer Untersuchung hatten mehr
als ein Drittel der über 80 Jahre alten Patienten mit akutem Abdomen weder eine Leukozytose
noch Fieber [4]. In einer anderen Untersuchung an einer Gruppe von 168 geriatrischen Patienten mit
akuter Cholezystitis lagen nur bei 65% rechtsseitige Oberbauchschmerzen vor [5].
Ebenfalls untypische Verläufe, aber auch ungewöhnliche Ursachen, sind bei Patienten
mit Immunsuppression vorzufinden.
Bildgebende Verfahren
Sonografie An die körperliche Untersuchung schließt sich eine fokussierte Sonografie durch einen
erfahrenen und qualifizierten Untersucher an. Hierbei werden fünf Ziele verfolgt [6]:
-
Ausschluss bzw. Nachweis von freier Flüssigkeit
-
Ausschluss bzw. Nachweis von freier Luft ([Abb. 2])
-
Nachweis dilatierter Hohlorgane (Darm, Niere, Gallenblase) und Beurteilung der Darmperistaltik
-
Exploration der Schmerzregion bzw. des Areals des Schmerzmaximums
-
Erhebung eines (orientierenden) Organstatus
Abb. 2 Sonografischer Nachweis freier Luft zwischen Leber und vorderer Bauchwand.
Merke
Die Sonografie geht nicht mit einer Strahlen- oder Kontrastmittelbelastung einher.
Außerdem ist mithilfe der „Sonopalpation“ eine gezielte Exploration der Schmerzregion
möglich, die im Verlauf beliebig oft wiederholbar ist. Gerade bei einer akuten Entzündung
eines Hohlorgans (Gallenblase, Appendix) kann es hier innerhalb weniger Stunden zu
einer deutlichen Befundänderung und zur Diagnosestellung kommen.
Nachteile sind die Störanfälligkeit durch Patientenbedingungen (Adipositas, fehlende
Kooperationsfähigkeit) sowie die insbesondere bei abdominellen Erkrankungen häufig
bestehende Gasüberlagerung. Die Aussagekraft der Sonografie ist extrem von dem Können
und dem Engagement des Untersuchers abhängig [7]. Die einfache Verfügbarkeit und Durchführung erster Schritte führt häufig dazu,
dass weniger versierte Untersucher die primäre Untersuchung durchführen. Dies führt
zu unbefriedigenden Ergebnissen und fehlender Ausschöpfung der Methode.
Zusatzinfo
Bei der sonografischen Darstellung freier Luft wird der Patient in halber Linksseitenlage
untersucht [8]. Freie Luft sammelt sich so vor der Leber und führt zu typischen Wiederholungsechos
(Reverberationsechos), die sich nicht atemabhängig verhalten ([Abb. 2]). Hiermit gelingt bereits der Nachweis von wenigen Millilitern Luft.
Zusatzinfo
Sonografische Zeichen der Appendizitis [9]
-
Form: kreisrund, nicht komprimierbar
-
Durchmesser > 8 mm (6 – 8 mm = Graubereich)
-
Wandschichtung: initial akzentuiert, später verwaschen
-
Umgebung: Flüssigkeitssaum, echoreiche Netzkappe
-
Druckschmerz bei gezielter Palpation
-
zusätzlich: vermehrte Vaskularisation, bizarre Raumforderung bei perityphlitischem
Abszess, Koprolith (auslösend), LK, freie Luft, entzündliche Mitreaktion des Zökums
Röntgen-Abdomen Die Rolle des konventionellen Röntgen-Abdomens im Rahmen der Diagnostik des akuten
Abdomens wird zunehmend kritischer beurteilt [2], [10], [11]. Die vermeintliche Stärke der „Abdomenübersichtsaufnahme“, nämlich die Darstellung
von freier Luft und eines Ileus, gelingt mittels Sonografie und CT-Abdomen deutlich
besser [10], [12]. In der Optima-Studie führte das Röntgen-Abdomen ergänzend zu Anamnese und klinischer
Untersuchung zu keiner Änderung des Vorgehens [13]. Die Autoren sehen dennoch durchaus einen Stellenwert des konventionellen Röntgens,
beispielsweise bei der orientierenden Beurteilung einer Koprostase bzw. eines Subileus
bei älteren Patienten, um gerade bei mehrfachen Vorstellungen auf wiederholte CT-Diagnostik
verzichten zu können ([Abb. 3]).
Abb. 3 Konventionelle „Übersichtsaufnahme“ bei 79-jähriger Patientin, die zum wiederholten
Male mit einer dekompensierten chronisch intestinalen Pseuodoobstruktion aufgenommen
wurde.(Quelle: PD Dr. med. Hans Scheffel, Radiologie Nuklearmedizin Mannheim)
CT-Abdomen Die Vorteile der Kontrastmittel-CT (KMCT) liegen in der überlagerungsfreien Darstellung
des gesamten Bauchraums einschließlich der Gefäße und des Retroperitoneums. Für die
häufigsten (Appendizitis, Divertikulitis) sowie die gefürchtetsten (rupturiertes Aortenaneurysma,
akute Mesenterialischämie) Diagnosen des akuten Abdomens weist das KM-CT die höchste
Sensitivität und Spezifität auf [14]. Bei der Darstellung eines Ileus gelingt zudem regelhaft auch die Darstellung der
Ursache der Obstruktion.
Demgegenüber stehen die Strahlenbelastung und die potenziellen Kontrastmittelnebenwirkungen
(Nephrotoxizität, Schilddrüsenfunktionsstörung bis zur thyreotoxischen Krise, allergische
Reaktion bis zum anaphylaktischen Schock), zudem ein stochastisches Krebsrisiko, das
auf bis zu 1 : 900 geschätzt wird [15].
Merke
Auch wenn die Computertomografie die aussagekräftigste Untersuchungsmethode darstellt,
sprechen die Risiken wie auch die Ergebnisse mehrerer Studien, die verschiedene diagnostische
Strategien miteinander vergleichen, gegen den reflexhaften Einsatz der CT beim akuten
Abdomen. Viele Diagnosen können durch Anamnese, klinische Untersuchung und Sonografie
sicher und zuverlässig gestellt werden.
Mit einer Strategie, bei der eine CT-Diagnostik nur dann erfolgte, wenn nach der Sonografie
keine Diagnose gestellt werden konnte, wurde in der Optima-Studie in über 90% der
Fälle eine korrekte Diagnose gestellt. Hierbei musste nur in der Hälfte der Fälle
ein CT tatsächlich eingesetzt werden [13]. Bei perakutem klinischen Befund kann aus Zeit- und Logistikgründen direkt eine
CT-Untersuchung angestrebt werden. Bei einem charakteristischen sonografischen Befund
kann die Indikation zur sofortigen Exploration ohne weitere Diagnostik gestellt werden.
Röntgen-Thorax Eine Röntgenaufnahme des Thorax in 2 Ebenen beim stehenden Patienten sollte zumindest
bei Oberbauchschmerzen immer zum Ausschluss einer basalen Pneumonie erfolgen. Hierbei
kann gleichzeitig freie Luft subphrenisch detektiert werden.
MRT und Kontrastmittelsonografie Diese Untersuchungen weisen einige vielversprechende Vorteile und potenzielle Einsatzgebiete
auf, werden bislang jedoch nicht flächendeckend routinemäßig beim akuten Abdomen eingesetzt.
Diagnostische Laparoskopie
Diagnostische Laparoskopie
Indikation zur diagnostischen Laparoskopie Bei der Diagnostik des akuten Abdomens besitzt die Laparoskopie einen hohen Stellenwert
([Abb. 2]). Trotz ständiger Weiterentwicklungen im Bereich der bildgebenden Verfahren kann
nicht in allen Fällen eine korrekte präoperative Diagnose gestellt werden, in manchen
Untersuchungen beträgt dieser Anteil bis zu 25%. Hierzu trägt sicherlich bei, dass
nicht in allen Kliniken Sonografie und CT-Expertise rund um die Uhr verfügbar sind.
Dagegen ist durch eine diagnostische Laparoskopie eine Diagnosesicherung mit einer
Sensitivität von 99% erreichbar [16]. In einer großen Untersuchung an 1320 Patienten mit akutem Abdomen führte die Laparoskopie
bei 90% zu einer definitiven Diagnose, bei 30% änderte sich die präoperative klinische
Diagnose. Eine laparoskopische Therapie war bei 83% möglich, die Konversionsrate lag
nur bei 7% [17].
Möglichkeiten und Grenzen der Laparoskopie beim akuten Abdomen Durch die zunehmende Erfahrung und Weiterentwicklung der laparoskopischen Techniken
ist in mehr als 75% der Fälle eine laparoskopische Therapie möglich. Eine Laparotomie
mit ihren Früh- und Spätfolgen wird so vermieden [16], [17]. Beispielsweise erfolgt bei Appendizitis ([Abb. 4]), akuter Cholezystitis, (gedeckt) perforierter Sigmadivertikulitis, perforiertem
Vorderwandulkus des Magens ([Abb. 5]), iatrogenen Kolonperforationen und bei gynäkologischen Indikationen die definitive
Therapie regelhaft in gleicher Sitzung.
Abb. 4 Laparoskopische Darstellung einer phlegmonösen Appendizitis.
Abb. 5 Laparoskopische Übernähung eines perforierten präpylorischen Magenulkus.
Merke
Eine absolute Kontraindikation zur diagnostischen Laparoskopie besteht in der Regel
nicht. Selbst kardiopulmonal kompromittierte Patienten (ASA III und höher) können
unter Abwägung des allgemeinen Narkoserisikos laparoskopiert werden. Mögliche Kontraindikationen
bestehen bei Patienten mit manifesten Gerinnungsstörungen und bei Schwangeren im 3. Trimenon
[18].
Bei voroperierten Patienten kann die Laparoskopie infolge intraabdominaler Verwachsungen
erschwert sein. Beim Dünn- und dekompensiertem Dickdarmileus kann das Vorgehen wegen
zu wenig Raum in der Abdominalhöhle infolge aufgetriebener Dünndarmschlingen erschwert
oder unmöglich sein. Hier ist schon bei Anlage des Pneumoperitoneums die Gefahr einer
Darmverletzung erhöht. Verständlicherweise ist die Durchführbarkeit der Laparoskopie
nicht nur von der Art der Erkrankung abhängig, sondern sie wird wesentlich von der
Erfahrung des Operateurs und der technischen Ausstattung der Klinik beeinflusst. Gerade
bei Notfalleingriffen ist eine besondere laparoskopische Erfahrung des Operateurs
und seines Teams erforderlich, die nicht in jeder Klinik über 24 Stunden gegeben ist.
Therapie Unabhängig von der diagnostischen Abklärung sollte stets eine Basistherapie aus Analgesie
und Volumengabe begonnen werden. Die früher geäußerten Bedenken, eine Schmerztherapie
könnte durch Verschleierung der Symptomatik zu einer nicht korrekten Diagnose und
Einleitung einer falschen Therapie führen, werden heute nicht mehr geteilt [19]. Eine Infusionstherapie ist bei definitionsgemäß vorliegender bzw. zumindest drohender
Kreislaufbeeinträchtigung ebenfalls stets zu beginnen. Die Patienten sollten in jedem
Fall bis zur vorläufigen diagnostischen Klärung nüchtern bleiben. Bei Erbrechen und
Ileusverdacht sollte eine Magensonde zur Entlastung gelegt werden.
Sepsis Liegen beim akuten Abdomen zwei von drei Merkmalen des quick SOFA (Atemfrequenz ≥ 22/min,
Bewusstseinsveränderung [GCS < 15], systolischer Blutdruck ≤ 100 mmHg) vor, so ist
von einer Sepsis auszugehen und eine Sepsistherapie einzuleiten, bei der die (chirurgische
oder interventionelle) Herdsanierung neben der Antibiotika- und Kreislauftherapie
das zentrale therapeutische Instrument darstellt [20].
Merke
Eine (beginnende) Sepsis zu erkennen ist besonders wichtig, da beim septischen Schock
die Mortalitätsraten bei Vorliegen eines abdominellen Fokus sehr hoch ausfallen [21].
Frühe Antibiotikatherapie Bei schwerem Krankheitsbild kann eine Antibiotikatherapie in der Regel früh und großzügig
indiziert werden, da sie bei vielen konservativ wie operativ behandelten Erkrankungen
im Verlauf ohnehin notwendig wird [2]. Bei Sepsis sollte so rasch wie möglich mit einer breiten Antibiotikatherapie, die
grampositive, gramnegative und anaerobe Keime abdeckt, begonnen werden. Problematisch
bzw. kontraproduktiv ist eine großzügig indizierte frühe Antibiotikagabe bei Patienten,
die ein hohes Risiko für eine Clostridien-Enteritis aufweisen bzw. aufgrund einer
Clostridium-difficile-Enteritis ein akutes Abdomen entwickeln.
Outcome Häufige Diagnosen sind Appendizitis (ca. 25%), Cholezystitis (ca. 10%), Ileus und
gynäkologische Erkrankungen (je ca. 5%) [1]. Insgesamt wird etwas weniger als die Hälfte der Patienten operiert. Extraintestinale
Ursachen bestehen in 5 – 10% [3]. Die häufigste Diagnose ist etwas überraschend der unspezifische Abdominalschmerz,
der konstant in etwa einem Drittel der Fälle vorliegt. Das bedeutet, dass letztlich
keine Diagnose gestellt werden konnte. Hierbei handelt es sich um eine sehr heterogene
Gruppe. Im Alter scheint der Anteil an unspezifischem Abdominalschmerz abzunehmen.
In einer Nachbeobachtung wurde innerhalb von 12 Monaten bei 2% eine Karzinomdiagnose
gestellt, überwiegend bei Patienten älter als 60 Jahre [22]. Leider kommt es immer wieder vor, dass bei systemischer oder extraabdomineller
Erkrankung fälschlicherweise operiert wird. Dies wird vermutlich niemals ganz zu vermeiden
sein. Es sollte jedoch Ansporn sein, auch an seltene Ursachen des akuten Abdomens
zu denken, insbesondere, wenn die erhobenen Befunde nicht zusammenzupassen scheinen
(z. B. stärkste Bauchschmerzen bei Patienten mit Diabetes oder Morbus Addison mit
unauffälligen Entzündungswerten und unauffälligem sonografischem Befund), oder besondere
anamnestische Informationen erhoben werden (z. B. wiederholte nicht diagnostische
Laparotomien in der Vorgeschichte bei Patienten mit nicht erkannter Porphyrie).
Kernaussagen
-
Dem klinischen Bild des „akutes Abdomens“ kann eine Vielzahl von Erkrankungen zugrunde
liegen.
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Eine fokussierte Anamnese, klinische Untersuchung und wenige Laboruntersuchungen sollen
rasch erfolgen und zur Bildung einer ersten Arbeitsdiagnose führen.
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Unmittelbar hieran schließt sich eine engagierte Ultraschalluntersuchung durch einen
qualifizierten Untersucher. Erbringt die Sonografie keine Diagnose, erfolgt in der
Regel ein Kontrastmittel-CT des Abdomens.
-
Das behandelnde Team muss die Limitationen der einzelnen Untersuchungsmethoden kennen
und akzeptieren und im Verlauf die Arbeitsdiagnose regelhaft überprüfen.
-
Neben einer spezifischen Therapie erfolgt immer eine Basistherapie (Analgesie, Volumentherapie)
sowie eine engmaschige klinische Überwachung.
-
Liegt eine Sepsis vor, erfolgt die Therapie primär als Sepsistherapie, bei der die
Behandlung des abdominellen Fokus das zentrale kausale Element im Sinne einer Herdsanierung
darstellt.
Zitierweise für diesen Beitrag
Becker P, Böttcher K, Schilling D. Das akute Abdomen. DMW – Deutsche Medizinische
Wochenschrift 2017; 142: 432 – 441. doi:10.1055/s-0042-110648