Sprache · Stimme · Gehör 2020; 44(03): 120-121
DOI: 10.1055/a-1086-1274
Der kleine Repetitor

Flynn- und Anti-Flynn-Effekt

Ein Intelligenzquotient (IQ) gibt die Intelligenzhöhe eines Menschen im Verhältnis zur Intelligenz einer repräsentativen Vergleichsgruppe an. Die „Intelligenzhöhe“ ist in der Bevölkerung normalverteilt. Das bedeutet, dass sich die Testergebnisse um den Durchschnitt häufen und nach oben und nach unten der „IQ-Glockenkurve“ weniger werden. Der Durchschnittsbereich erstreckt sich von IQ 85–115, mit einem Mittelwert von 100. Im Bereich der Abweichung von ± einer Standardabweichung vom Mittelwert befinden sich ca. 68 % aller Ergebniswerte. James R. Flynn berichtete 1987 [4], nachdem er Hunderte von internationalen Studien zur Entwicklung der Intelligenz miteinander verglichen hatte, dass die durchschnittliche Testintelligenz in sprachfreien Tests (wie u. a. in den Raven Matrizentests) im 20. Jahrhundert in 14 Nationen von Generation zu Generation angestiegen sei, um ca. 5–25 IQ-Punkte in jeder Generation. Vor allem jüngere Personen schnitten besser ab als ältere, seien demnach intelligenter. Dieses Phänomen sei vorwiegend in westliche Gesellschaften, insbesondere in Industrienationen, zu beobachten. Seitdem spricht man vom „Flynn-Effekt“, wenngleich das Phänomen schon wesentlich früher bekannt war [12]. Nahezu von selbst stellt sich nun die Frage: Sind die Menschen wirklich intelligenter als früher, oder sind die Intelligenztests zu einfach? Schwer zu beantworten, denn die Befunde zum „Flynn-Effekt“ sind inhomogen [16].

Fazit

Werden wir nun intelligenter oder gar dümmer? Eine endgültige Antwort auf diese Frage steht noch aus. Es ist außerordentlich schwierig, die vielen Variablen, die das Konstrukt „Intelligenzhöhe“ beeinflussen, in empirisch-experimentellen Analysen zu kontrollieren, und der „Knackpunkt“ bleibt der Intelligenztest, mit dem das festgestellt werden soll. Das betrifft zum einen den Bereich der Intelligenz, zum anderen die Aktualität seiner Normen.

Die Gefahr, dass Testnormen nicht die aktuelle Intelligenzhöhe der Bevölkerung widerspiegeln, sondern ein statistisches Artefakt abbilden, steigt mit der verstrichenen Zeit seit der Normierung eines Tests an. Normwerte sind in Anlehnung an die DIN 33430 für berufsbezogene Eignungsbeurteilungen [8] alle 8 Jahre zu überprüfen. Nach 10 Jahren dürfen Normen als veraltet gelten, so dass eine Neu-Normierung indiziert ist, will man nicht das Risiko von Fehlklassifikationen eingehen.



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
21. September 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York