Schlüsselwörter
Unterstützte Kommunikation - Partizipation - multimodale Kommunikation
Key Words
Augmentative and Alternative Communication - participation - multi modal communication
Der Beitrag skizziert die vielfältigen Formen der UK, die im Rahmen eines individuellen
multimodalen Kommunikationssystems einer Person zum Einsatz kommen und gibt einen
Überblick über (professionelle) Akteure und deren Aufgaben.
Einführung
Kommunikation als menschliches Grundbedürfnis „…ist eine wesentliche Bedingung für
soziale Partizipation und Selbstbestimmung und zudem eine wichtige Grundlage jeder
Entwicklung.“ (S. 7) [1]. Nicht sprechen zu können bedeutet, nur eingeschränkt Möglichkeiten zu haben, eigene
Empfindungen oder beispielsweise Erlebtes mitzuteilen, oft verbunden mit reduzierten
Erfahrungen des Verstandenwerdens, zur Beeinflussung der Lebensumwelt und zur Lebensgestaltung
[2].
Auch die WHO dokumentiert die Bedeutung von Kommunikation und führt sie als Domäne
der Komponenten „Aktivitäten“ und „Partizipation“ in der ICF bzw. ICF-CY und beschreibt
allgemeine und spezifische Merkmale der Kommunikation mittels Sprache, Zeichen und
Symbolen [3]. Im Hinblick auf ggf. notwendige Unterstützungen in der Kommunikation wird dabei
die Rolle als Sender bzw. Empfänger von Mitteilungen differenziert unterschieden und
auch das Benutzen von Kommunikationsgeräten und -techniken aufgeführt.
Was ist unterstützte Kommunikation?
Was ist unterstützte Kommunikation?
Bereits seit den 1970er Jahren kommen in Deutschland Möglichkeiten der unterstützten
Kommunikation (UK; im Engl.: Augmentative and Alternative Communication, AAC) als
kommunikative Formen zum Einsatz, die eine fehlende oder eingeschränkte Lautsprache
ergänzen („augmentative“) bzw. ersetzen („alternative“).
Unterstützte Kommunikation (UK)
„Unter UK werden alle therapeutischen sowie pädagogischen Hilfen und Maßnahmen verstanden,
um Menschen mit fehlender oder eingeschränkter Lautsprache zu einer Erweiterung ihrer
kommunikativen Kompetenz zu verhelfen. Die fehlende oder eingeschränkte Lautsprache
kann durch ergänzende oder ersetzende körpereigene, nichtelektronische und/oder elektronische
Kommunikationsmethoden/-hilfen kompensiert werden. Dabei ermöglicht häufig erst eine
multimodale Methodenanwendung eine erfolgreiche gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung
für die unterstützt kommunizierenden Menschen.“ (S. 201) [4]
„Ausgehend von den aktuellen Kompetenzen einer Person entwickelt unterstützte Kommunikation
individuelle Maßnahmen für eine bessere Verständigung und mehr Mitbestimmung im Alltag.“
[5]. UK umfasst dabei alle pädagogischen und therapeutischen Maßnahmen zum Aufbau und
Ausbau der kommunikativen Fähigkeiten. UK ist voraussetzungslos und orientiert sich
stets an den Ressourcen des Einzelnen. Bei Kindern und Jugendlichen, die von UK profitieren
würden, sollte idealerweise möglichst früh damit begonnen werden. So werden die Chancen
für erfolgreiche Kommunikationserfahrungen erhöht.
Formen unterstützter Kommunikation
Formen unterstützter Kommunikation
Kommunikation ist grundsätzlich auf unterschiedliche Art und Weise möglich. Es wird
hierbei die Verwendung verschiedener Codes, z. B. Lautsprache, Schriftsprache oder
Gebärdenspräche, unterschieden. UK bedient sich u. a. dieser Codes, um die eingeschränkten
lautsprachlichen Fähigkeiten zu ersetzen, zu unterstützen etc. Für eine unterstützte
kommunizierende Person und ihre Gesprächspartner werden zumeist verschiedene Kommunikationsformen
genutzt. Je nach Kontext und Kommunikationspartner kommen andere Formen zum Einsatz.
Im Bereich der UK werden traditionell körpereigene und körperfremde Kommunikationsformen
unterschieden:
-
Körpereigene Formen bilden die Basis eines individuellen Kommunikationssystems. Dies beginnt dabei sehr
basal bei Atemfrequenz und Körpertonus bis hin zum Einsatz von Mimik und verschiedenen
Gebärdensystemen ([Abb. 1]). Bei den verwendeten Handzeichen kommen neben Gesten und individualisierten Gebärden
konventionalisierte Gebärden zum Einsatz. Im Bereich UK sind dies neben beispielsweise
der Deutschen Gebärdensprache oder lautsprachbegleitenden Gebärden auch verschiedene
Gebärdensammlungen, wie sie z. B. in der Gebärden-unterstützen Kommunikation (GuK)
zum Einsatz kommen [1].
-
Körperexterne Kommunikationsformen wiederum werden ebenfalls traditionell in nichtelektronische Kommunikationshilfen
und elektronische Kommunikationshilfen eingeteilt. Wie [Abb. 1] verdeutlicht, sind hier vielfältige Umsetzungsformen etabliert.
Abb. 1 Formen und Methoden Unterstützter Kommunikation.
Alle in [Abb. 1] genannten Kommunikationsformen haben jeweils Vor- und Nachteile, die u. a. mit ihrer
Verfügbarkeit, der Möglichkeit zur ortsunabhängigen Kommunikation und der Verständigung
mit unvertrauten Gesprächspartnern oder in Gruppen zu begründen sind. Die Fragen,
welche kommunikativen Kompetenzen und Kommunikationsformen die soziale Teilhabe bei
den individuellen Aktivitäten ermöglichen/verbessern und wie die kommunikative Unabhängigkeit
einer unterstützt kommunizierenden Person langfristig unterstützt werden kann, sind
unabdingbar und handlungsleitend für eine Interventionsplanung [6]. Die individuell verwendeten Kommunikationsformen und vor allem das angebotene Vokabular
sind dabei entscheidend für die Teilhabemöglichkeiten einer Person. So gilt es, das
verwendete Vokabular für bestimmte Settings auszubauen und vor allem auszudifferenzieren
(z. B. Klink, Apotheke, Fachwortschatz einzelner Unterrichtsfächer).
Multimodale Kommunikation
Multimodalität bestimmt die Kommunikation von uns allen. Auch in der lautsprachlichen,
verbalen Interaktion setzen wir als Sprecher aktiv Mimik und Gestik ein, um unsere
kommunikativen Absichten zu unterstreichen bzw. überhaupt zu realisieren. Je nach
Setting/Kontext wechseln wir flexibel zur Schriftsprache oder verwenden Gesten.
Die Bedeutung der nonverbalen (Mimik, Gestik) und paraverbalen (Prosodie) Kommunikation
wird beispielsweise in der Schriftsprache deutlich, bei der wir mit Emojis, z. B.
;-), sicherstellen, dass unsere Nachricht beim Empfänger auch mit unserer Intention
ankommt (z. B. Ironie) und unsere kommunikativen Ziele erreicht werden.
Das individuelle multimodale Kommunikationssystem einer Person basiert auf ihren individuellen
Kompetenzen und wird mit ihr erarbeitet, auf- und ausgebaut.
Unterstützte Kommunikation ermöglichen
Unterstützte Kommunikation ermöglichen
Für die Anwendung von Methoden der UK existieren verschiedene Vorschläge zur Einteilung
potenzieller Zielgruppen. Von Tetzchner und Martinsen [7] schlagen 3 Personengruppen vor, die unterteilt werden in
-
Personen, für die UK ein reines Ausdrucksmittel ist,
-
Personen, für die UK ein Mittel zum Erwerb der Lautsprache darstellt,
-
Personen, für die UK eine Ersatzsprache ist.
Weid-Goldschmidt [8] benennt 4 Personengruppen, um vor allem Kompetenzen im Einsatz von Methoden der
UK abbilden zu können:
-
Personen, die präintentional kommunizieren,
-
Personen mit präsymbolischen Kommunikationsfähigkeiten,
-
nichtaltersgemäß symbolisch kommunizierende Personen,
-
altersgemäß symbolisch kommunizierende Personen.
Beide Einteilungsvorschläge zeigen, dass es keine Einschränkungen hinsichtlich der
Nutzergruppen gibt. UK ist voraussetzungslos. Jede Person kann mit Methoden der UK
in Kommunikation gebracht werden [9]. Hierfür gilt es die für die Person optimale Methode aus dem breiten Spektrum der
UK-Möglichkeiten auszuwählen und die unterstützt kommunizierende Person, sowie das
Umfeld mit der Methode vertraut zu machen.
In Deutschland gibt es aus der historischen Entwicklung heraus nicht die eine Profession,
die sich für den Einsatz verantwortlich zeichnet. So sind im Bereich der UK in Deutschland
unter anderem Sonder- und Reha-Pädagogen, pädagogische Fachkräfte, Therapeuten aus
dem Bereich der Ergo- und Sprachtherapie, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter u.v. a.m.
aktiv [10]. Diese Vielfalt an tätigen Berufsgruppen bringt ebenso eine Vielfalt an Kompetenzen
mit sich, die sich positiv auf die kommunikativen Fähigkeiten der unterstützt kommunizierenden
Personengruppe auswirken können.
In der UK kommen vermehrt Kommunikationshilfen (nichtelektronisch und elektronisch)
zum Einsatz. Der Zugang zu den hierfür notwendigen Materialien ist in den Hilfsmittelrichtlinien
des gemeinsamen Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen geregelt, da es sich
bei diesen Materialien um verordnungsfähige Hilfsmittel handelt. Je nachdem, wo die
Materialien zum Einsatz kommen sollen (Praxis, Einrichtung oder als Gerät für eine
einzelne Person), sind verschiedene Schritte zum Erhalt notwendig [11].
Die Hilfsmittel werden bei den Kostenträgern, in der Regel den Krankenkassen, beantragt.
Neben einer korrekt ausgefüllten Hilfsmittelverordnung des Arztes sind ein Kostenvoranschlag
einer Hilfsmittelfirma, ein formloser Antrag auf Kostenübernahme durch die antragstellende
Person und ein von einem Therapeuten oder einem Sonderpädagogen erstelltes Gutachten
notwendig. Stellungnahmen durch weitere betreuende Personen sind vorteilhaft. Wichtig
ist in diesem Zusammenhang herauszuarbeiten, welche konkreten Einsatzmöglichkeiten
im Alltag, in der Therapie und Förderung vorgesehen sind.
Handlungsfelder professioneller Unterstützung
Handlungsfelder professioneller Unterstützung
Um Personen mit kommunikativem Unterstützungsbedarf optimal zu begleiten, sind professionelle
Kenntnisse im Bereich der UK unumgänglich. Die Personen, welche die Versorgung mit
Kommunikationshilfen jeglicher Art steuern, sollten über Kenntnisse in Beratung, Diagnostik,
Förderung und Therapie verfügen. Je nach zugrundeliegender Profession können hier
Spezialisierungen in den einzelnen Bereichen vorhanden sein. Um eine umfassende Beratung
der potenziellen Nutzer sicherzustellen, ist ein Überblick über die diversen Methoden
der UK und des Markts an Möglichkeiten des Einsatzes an UK notwendig. Einseitige Beratungen,
beispielweise nur in Bezug auf elektronische Kommunikationshilfen, können zu Fehlversorgungen
führen.
Für den Bereich der Diagnostik existieren kaum reliable und valide Verfahren, die
eine umfassende Einschätzung aller kommunikativen Ebenen ermöglicht. Vielmehr ist
eine breite Kenntnis verschiedener diagnostischer Methoden, Verfahren und deren Adaption
an die speziellen Bedürfnisse der unterstützt kommunizierenden Person notwendig [12]. Neben (angepassten) objektiven Verfahren sind Beobachtungen und subjektive Einschätzungen
elementarer Bestandteil der Diagnostik (vgl. Beitrag von Nonn, in diesem Heft). Ziel
ist es, auf der Basis der Diagnostik „möglichst konkret weitere Perspektiven und Maßnahmen
einer Förderung herauszuarbeiten.“ [13]. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Therapeuten und Pädagogen ist in diesem
Handlungsfeld zwingend geboten. Förderung und Therapie sind Angebote, welche von spezialisierten
UK-Fachkräften entlang eines z. B. im Rahmen eines runden Tisches ausgearbeiteten
Planes kommunikative Handlungsoptionen der unterstützt kommunizierenden Person aufbauen
(vgl. Beitrag von Giel und Liehs, in diesem Heft).
In den letzten Jahren rücken der Bereich der Mehrsprachigkeit und die entsprechende
Versorgung mit Methoden der UK in den Fokus. Lüke und Matthias weisen darauf hin,
dass es auch für eine Person, die in nur einem bedeutsamen Bereich Kontakt zu einer
weiteren Sprache hat, angezeigt ist, sie entsprechend zu unterstützen und verwendete
Methoden der UK entsprechend anzupassen [14]. Die notwendigen Anpassungen der Methoden ist vielfältig, beziehen sich aber vor
allem auf die externen Kommunikationsformen. Auch Lingk und Boenisch (in diesem Heft)
zeigen, dass auf einer breiten theoretischen Fundierung eine Adaption an andere Sprachen
möglich ist.
Die Vielfalt an Methoden der UK ermöglicht, je nach Fähigkeiten der sie nutzenden
Personen, eine breite Möglichkeit des Mitteilens von Wünschen, Zuneigung und Abneigung
auszudrücken. Hierbei ist es unabdingbare Notwendigkeit jeder Person mit Kommunikationseinschränkungen
zu helfen. Das Spektrum des Methodeneinsatzes reicht von basalen Kommunikationsformen
bis hin zu komplexen Kommunikationsformen, sodass durch geschickten und geplanten
Einsatz Kommunikationsbedürfnisse umfangreich befriedigt werden können. Nur durch
die Anwendung eines breiten Wissens der in die Versorgung mit UK eingebundenen Personen
ist eine umfassende Teilhabe bei richtigem Methodeneinsatz möglich.
Was war bekannt?
Die Methoden der unterstützen Kommunikation bieten eine große Bandbreite, um Kommunikation
individuell zu unterstützen bzw. zu ermöglichen. Unterschiedliche Professionen sind
hierbei beteiligt.
Was ist neu?
Für die Kommunikation einer Person mit unterschiedlichen Kommunikationspartnern in
den verschiedenen lebensweltlichen Settings gilt es, ein individuelles multimodales
Kommunikationssystem gemeinsam mit der Person zu erarbeiten und damit die Teilhabemöglichkeiten
auszuweiten.