CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2020; 82(S 03): S170-S176
DOI: 10.1055/a-1205-1285
Konsensstatement

Österreichische Bewegungsempfehlungen für Erwachsene und ältere Erwachsene ohne und mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung sowie für Menschen mit chronischen Erkrankungen

Austrian Physical Activity Guidelines for Adults and Older Adults with and without Physical, Sensory, or Mental Disabilities, as well as for Adults with Chronic Diseases
Sylvia Titze
1   Institut für Sportwissenschaft, Universität Graz, Graz, Austria
,
Christian Lackinger
2   Zentrum für Public Health, Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
,
Christian Fessl
3   BoaS – Büro für angewandte Sportwissenschaft, Wien, Austria
,
Thomas Ernst Dorner
2   Zentrum für Public Health, Abteilung für Sozial- und Präventivmedizin, Medizinische Universität Wien, Wien, Austria
4   Sozialversicherung öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau, Wien, Austria
,
Verena Zeuschner
5   Geschäftsbereich Fonds Gesundes Österreich, Gesundheit Österreich GmbH, Wien, Austria
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Es ist wissenschaftlich überzeugend belegt, dass durch regelmäßige Bewegung die körperliche, psychische und geistige Gesundheit positiv beeinflusst wird. Zielgruppenspezifisch formulierte Empfehlungen sind ein erster wesentlicher Baustein zur Förderung von Bewegung in der Bevölkerung. In diesem Beitrag werden die aktualisierten Österreichischen Bewegungsempfehlungen für Erwachsene und ältere Erwachsene ohne und mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung sowie für erwachsene Menschen mit chronischen Erkrankungen vorgestellt und deren Inhalte kommentiert. Als wissenschaftliche Grundlage und Vorlage dafür wurden die umfangreiche Literaturaufbereitung aus den USA sowie die daraus resultierenden Bewegungsempfehlungen verwendet. Neu in Österreich wurden Bewegungsempfehlungen für die Zielgruppe „Menschen mit chronischen Erkrankungen“ erstellt. Weiter werden keine separaten Bewegungsempfehlungen für Menschen mit Behinderung verfasst, sondern die Bewegungsempfehlungen wurden für Erwachsene und ältere Erwachsene ohne und mit Behinderung formuliert. Statt der Nennung eines Schwellenwertes zur Unterscheidung zwischen Bewegungsempfehlungen erfüllt/nicht erfüllt, wird neu empfohlen, zwischen 150 bis 300 Minuten Bewegung mit mittlerer Intensität auszuüben. Mit der Nennung der Empfehlungen für muskelkräftigende Übungen vor den ausdauerorientierten Bewegungsempfehlungen wird auf die Wichtigkeit muskelkräftigender Aktivitäten aufmerksam gemacht. Nachdrücklich wird darauf hingewiesen, sitzende Tätigkeiten immer wieder zu unterbrechen. Die Veröffentlichung von Bewegungsempfehlungen ist eine von vielen Strategien zur Gesundheitsförderung durch Bewegung. In der Umsetzung erfolgreich werden wir nur sein, wenn alle Bevölkerungsgruppen faire Möglichkeiten bekommen, Bewegungskompetenz zu erwerben und bewegungsfreundliche Rahmenbedingungen zur regelmäßigen Ausübung von Bewegung geschaffen werden.


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Abstract

There is sound scientific evidence that regular physical activity enhances physical, psychological, and mental health. Specific physical activity guidelines for target groups make an essential contribution to the promotion of physical activity behavior at a population level. In this article, we introduce the updated Austrian physical activity guidelines for adults and older adults with and without physical, sensory, or mental disabilities, as well as for adults with chronic diseases. We have also added comments to key elements of the guidelines. The scientific basis of the physical activity guidelines is the scientific report by the US advisory committee, as well as the 2nd edition of the physical activity guidelines for Americans. Guidelines for a new target group – adults with chronic health conditions – have been included. Furthermore, people with disabilities are now explicitly part of the (older) adult target groups. Instead of providing one cut-off point to separate people into meeting the guidelines/not meeting the guidelines, a range of 150 to 300 minutes per week is now recommended. Placing the guidelines for strength training above those for aerobic training emphasizes the importance of this type of training. In addition, it is now recommended that prolonged sitting is avoided by regularl interruptions. We believe that the publication of the physical activity guidelines for Austria will make an important contribution to the promotion of health through regular physical activity. However, the promotion of regular physical activity will only be successful if all target groups have a fair chance to reach physical activity competence, and attractive environments are created for regular physical activity.


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In diesem Beitrag werden eingangs Inhalte der Bewegungsempfehlungen, die für alle drei Zielgruppen relevant sind, kommentiert. Anschließend folgen die konkreten Bewegungsempfehlungen für Erwachsene und ältere Erwachsene ohne und mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung sowie für Menschen mit chronischen Erkrankungen.

Abgerundet wird der Beitrag mit einem Fazit für die Praxis.

Erklärungen zu den Themen: Wie erkennt man die Intensität der Bewegung? Was ist mit „ausdauerorientierter Bewegung“ (=aerobe körperliche Aktivität) gemeint? Muskelkräftigende Bewegungen: Wie lange, wie intensiv? sind im Artikel „Bewegung und Gesundheit“ [1] nachzulesen.

Kommentare zu den Bewegungsempfehlungen

Als wissenschaftliche Grundlage und Vorlage für die Bewegungsempfehlungen wurden die umfangreiche Literaturaufbereitung aus den USA [2] sowie die daraus resultierenden Bewegungsempfehlungen [3] verwendet.

Zielgruppen

Im Vorspann der Bewegungsempfehlungen gibt es eine kurze Beschreibung der Gesundheitseffekte durch regelmäßige Bewegung. Mit dieser zielgruppenspezifischen Auflistung wird den Leserinnen und Lesern noch einmal bewusstgemacht, wie bedeutsam Bewegung zur Förderung der Gesundheit ist. Daran anschließend wird die Zielgruppe in Bezug auf das Alter und andere Merkmale definiert. Was die Zielgruppen anbelangt, gibt es im Vergleich zu den im Jahr 2010 veröffentlichten Österreichischen Empfehlungen für gesundheitswirksame Bewegung [4] Änderungen. Zum einen wurden Empfehlungen für die Zielgruppe „Menschen mit chronischen Erkrankungen“ zum ersten Mal formuliert. Dies ist in Übereinstimmung mit den 2018 aktualisierten Bewegungsempfehlungen aus den USA [3] sowie mit den WHO Bewegungsempfehlungen, die im März/April 2020 im Begutachtungsprozess standen [5]. Weiter wurden Menschen mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung als Zielgruppe neu aufgenommen. Im Gegensatz zu den Bewegungsempfehlungen aus den USA [3], aus Großbritannien [6] und den WHO Empfehlungen im Begutachtungsprozess [5], wurden in Österreich die Empfehlungen nicht separat für Menschen mit Behinderungen formuliert. Da die Bewegungsempfehlungen für Menschen ohne und mit Behinderung gleichlautend sind, wird in der jeweiligen Überschrift kommuniziert, dass die Empfehlungen für Menschen ohne und mit Körper, Sinnes- oder Körperbehinderung gleichermaßen gelten. Dieses Vorgehen wurde beim Treffen mit den österreichischen Expertinnen und Experten, wo die Entwürfe der Empfehlungen vorgestellt wurden, vorgeschlagen und gutgeheißen. Ob es für die Kommunikation als förderlich angesehen wird, Infografiken getrennt für Menschen ohne und mit Behinderung zu erstellen, wie in Großbritannien [6] [6] [7], wird nach der Veröffentlichung der Österreichischen Bewegungsempfehlungen zu entscheiden sein.


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Kräftigende Übungen

In der Box mit den Bewegungsempfehlungen werden nach einer einleitenden Empfehlung (siehe nächster Absatz) die kräftigenden Übungen vor der ausdauerorientierten Bewegung thematisiert. Für die Änderung der Reihenfolge gab es 2 Argumente. In Österreich erreichen mehr Erwachsene (18+ Jahre) die Bewegungsempfehlungen für ausdauerorientierte Bewegung als für kräftigende Übungen. Mit der Platzierung der Empfehlungen für kräftigende Übungen an erster Stelle wird der Versuch gestartet, den Stellenwert für diese Empfehlung zu stärken. Ein zweiter Grund war eine inhaltliche Vereinfachung. Anstatt abwechselnd über ausdauerorientierte Bewegung, kräftigende Übungen und anschließend wieder ausdauerorientierte Bewegung zu schreiben, wie bisher in Österreich [4], werden die ausdauerorientierten Empfehlungen geblockt präsentiert. Diese Umstellung der Reihenfolge findet man auch in Großbritannien [8] sowie visuell überzeugend dargestellt in einer Infografik (Visualisierung der Bewegungsempfehlungen mit kurzen Begleittexten) aus Großbritannien [7].


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Dauer der Bewegung

Was die empfohlene Dauer der Bewegung pro Woche anbelangt, gibt es in den Empfehlungen mehrere Botschaften. Eine aus Public Health Sicht wichtige Botschaft ist zu Beginn die Aufforderung an körperlich inaktive Personen. Als körperlich inaktiv werden Personen bezeichnet, die keinerlei – manchmal auch definiert als weniger als 30 Minuten – Bewegung pro Woche mit mittlerer Intensität ausüben [3] [9]. In den Bewegungsempfehlungen heißt es: „Vor allem der Wechsel von „körperlich inaktiv“ zu „ein wenig körperlich aktiv“ ist ein wichtiger erster Schritt“. Diese Aussage basiert auf dem (nichtlinearen) Dosis-Wirkungszusammenhang zwischen Bewegung und Gesundheit mit dem größten gesundheitlichen Nutzen am unteren Ende der Dosis Wirkungskurve (siehe auch Beitrag „Bewegung und Gesundheit“) [10]. Bei einem Umfang zwischen 150 bis 300 Minuten pro Woche Bewegung mit mittlerer Intensität (bzw. 75 bis 150 Minuten Bewegung pro Woche mit höherer Intensität oder einer entsprechenden Kombination aus Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität) geht man von einem substantiellen Nutzen für die Gesundheit aus. Daher heißt es in den Empfehlungen „ … sollen Erwachsene mindestens 150 Minuten (2 ½ Stunden) bis 300 Minuten (5 Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit mittlerer Intensität ausüben“. Die 150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche sind ein Orientierungsrahmen mit Vor- und Nachteilen. Vorteile ergeben sich für die Policy (Kommunikation von Bewegungsempfehlungen oder Durchführung von Bewegungsmonitoring), für Bewegungsförderungsprojekte (Evaluation von Interventionen, Beratung und Feedback) und für die Anwendung von Verhaltensänderungsstrategien (konkretes messbares Ziel) [11].

Nachteile sind, dass (1) die wenigsten Menschen wissen, wie viel Bewegung sie tatsächlich machen, (2) der Eindruck entstehen könnte, dass 147 Minuten Bewegung pro Woche mit mittlerer Intensität nichts wert seien und (3) für körperlich inaktive Menschen dieser Bewegungsumfang zu hoch ist, um als Ziel attraktiv zu sein.

Aus wissenschaftlicher Sicht überwiegen die Vorteile eines nummerischen Orientierungsrahmens. Durch Empfehlungen mit einer geringeren nummerischen Spezifizierung wie bspw. „Es wird empfohlen im Alltag und in der Freizeit mehrmals pro Woche körperlich aktiv zu sein“ werden die Nachteile des spezifischeren nummerischen Orientierungsrahmens (150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche) nicht zwingend aufgehoben.

Für die Empfehlung einen Bereich, nämlich zwischen 150 bis 300 Minuten Bewegung mit mittlerer Intensität (bzw. die entsprechende Dauer, je nachdem, ob auch Bewegung mit höherer Intensität ausgeübt wird) zu wählen, ändert möglicherweise etwas in der Einstellung zur Gesundheitsressource Bewegung. Bewegung ist ein Gesundheitsverhalten und keine Pille. Statt den Schwellenwert „150 Minuten Bewegung pro Woche“ vorzugeben, wird ein Kontinuum, nämlich 150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche, genannt. Damit wird signalisiert, dass es durchaus erstrebenswert ist, mehr als 150 Minuten pro Woche körperlich aktiv zu sein.

Schließlich heißt es: „Erwachsene können einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen erzielen, wenn sie den Bewegungsumfang über 300 Minuten pro Woche steigern“. Diese Empfehlung basiert auf dem aktuellen Wissenstand, dass mit zunehmenden Bewegungsumfang noch immer Gesundheitseffekte gegeben sind [3] [10]. Um noch einmal den Vergleich mit einem Medikament heranzuziehen, ist die Gefahr einer Überdosierung gering. Dennoch ist es wichtig, Sicherheitsaspekte zu beachten (siehe Artikel „Bewegung und Gesundheit“ [1]).


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Bewegungsempfehlungen

Erwachsene ohne und mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung

Erwachsene, die sich regelmäßig bewegen, sind gesünder, fühlen sich besser und entwickeln mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit chronische Erkrankungen wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2, verschiedene Tumorarten (z. B. Dickdarm-, Brust-, Gebärmutter-, Blasen-, Speiseröhren-, Nieren-, Lungen- und Magenkrebs) als Personen, die körperlich inaktiv sind. Durch regelmäßige Bewegung mit mittlerer bis höherer Intensität werden Gefühle der Angst und Depression vermindert und der Schlaf sowie die Lebensqualität verbessert. Unmittelbare Effekte nach einer Bewegungssequenz sind verbesserte kognitive Funktionen und die Abnahme von Angstzuständen. Ein körperlich aktiver Lebensstil erlaubt es, alltägliche Anforderungen wie Stiegensteigen oder etwas Schweres tragen ohne übermäßige Ermüdung zu bewältigen. Gründe hierfür sind die Aufrechterhaltung der Fitness und die größere Wahrscheinlichkeit, ein gesundes Körpergewicht beizubehalten [1] [2].

Zielgruppe

Die Bewegungsempfehlungen gelten für Erwachsene von 18 bis 65 Jahren, unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und von Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderungen.


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Bewegungsempfehlungen

Erwachsene sollen regelmäßig körperlich aktiv sein. Vor allem der Wechsel von „körperlich inaktiv“ zu „ein wenig körperlich aktiv“ ist ein wichtiger erster Schritt.

Um die Gesundheit zu fördern und aufrecht zu erhalten …

… sollen Erwachsene an 2 oder mehr Tagen der Woche muskelkräftigende Übungen durchführen, bei denen alle großen Muskelgruppen berücksichtigt werden.

… sollen Erwachsene mindestens 150 Minuten (2 ½ Stunden) bis 300 Minuten (5 Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit mittlerer Intensität

oder

… 75 Minuten (1 ¼ Stunden) bis 150 Minuten (2 ½ Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit höherer Intensität

oder

… eine entsprechende Kombination aus ausdauerorientierter Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität durchführen.

Erwachsene können einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen erzielen, wenn sie den Bewegungsumfang über 300 Minuten pro Woche steigern. Wobei Bewegungen mit mittlerer und höherer Intensität wieder kombiniert werden können.

Langandauerndes Sitzen soll vermieden beziehungsweise immer wieder durch Bewegung unterbrochen werden.

In den Bewegungsempfehlungen wird zu Beginn darauf hingewiesen, dass Erwachsene regelmäßig körperlich aktiv sein sollen ohne weitere Hinweise, was mit „regelmäßig“ gemeint ist.

Idealerweise wird die ausdauerorientierte Bewegung auf möglichst viele Tage der Woche verteilt. Die Verteilung auf mehrere Tage pro Woche hat unter anderem den Vorteil, dass die positiven Effekte unmittelbar nach körperlicher Aktivität (z. B. niedrigerer Blutdruck, verminderte Angespanntheit, verbesserter Schlaf, verbesserte kognitive Funktionsfähigkeit [3]) regelmäßig erfahren werden.

Es gibt vielfältige Möglichkeiten, die 150 bis 300 Minuten ausdauerorientierte Bewegung pro Woche zusammenzustellen. Das Konzept des Aufsummierens von Bewegungseinheiten pro Woche lässt es zu, z. B. 5-mal 30 Minuten pro Woche Bewegung mit mittlerer Intensität durchzuführen. Diese 5-mal 30 Minuten pro Woche könnten auch dazu ermutigen, Bewegung als integralen Bestandteil des Alltagslebens zu betrachten.

Sitzen bzw. sitzendes Verhalten ist gekennzeichnet durch einen geringen Energieverbrauch. Hierzu zählen bspw. Sitzen, Liegen, Stehen, die meisten Formen von Büroarbeit, Fernsehen, Computerspielen oder Autofahren. Die Empfehlung ist, Sitzzeiten immer wieder mit Bewegung jeglicher Intensität (auch leichte Intensität) zu unterbrechen. Für Menschen, die sehr viel sitzen (müssen), ist es umso wichtiger, die Bewegungsempfehlungen zu erfüllen [12].


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Ältere Erwachsene ohne und mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung

Regelmäßige Bewegung ist während der gesamten Lebensspanne bedeutsam für die Gesundheit. Mit der regelmäßigen Aktivierung großer Muskelgruppen können ältere Erwachsene dazu beitragen, ihre funktionale Fitness und ein unabhängiges Leben beizubehalten. Regelmäßige ausdauerorientierte und muskelkräftigende Bewegung hilft bspw., geistig gesund zu bleiben, die Lebensqualität zu verbessern sowie Herz-Kreislauferkrankungen und Stürzen vorzubeugen [3].

Zielgruppe

Die Empfehlungen gelten für Erwachsene ab 65 Jahren, bei denen keine Kontraindikation in Bezug auf körperliche Aktivität gegeben ist. Sie gelten unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderungen.

Bei älteren Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen sollen die Empfehlungen in Abhängigkeit vom Bewegungsvermögen und den spezifischen gesundheitlichen Risiken individuell angepasst werden. Die Förderung regelmäßiger Bewegung ist für ältere Menschen besonders wichtig, weil diese Gruppe im Vergleich zu den anderen Altersgruppen am wenigsten körperlich aktiv ist.


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Bewegungsempfehlungen

Für ältere Erwachsene mit guter Fitness gelten dieselben Empfehlungen wie für gesunde Erwachsene unter 65 Jahren. Die Bewegungsempfehlungen enthalten zwei Ergänzungen, die je nach der körperlichen Verfassung einer älteren Person, relevant werden können.

Ältere Erwachsene sollen regelmäßig körperlich aktiv sein. Vor allem der Wechsel von „körperlich inaktiv“ zu „ein wenig körperlich aktiv“ ist ein wichtiger erster Schritt.

Um die Gesundheit zu fördern und aufrecht zu erhalten …

… sollen ältere Erwachsene an 2 oder mehr Tagen der Woche muskelkräftigende Übungen durchführen, bei denen alle großen Muskelgruppen berücksichtigt werden.

… sollen ältere Erwachsene mindestens 150 Minuten (2 ½ Stunden) bis 300 Minuten (5 Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit mittlerer Intensität

oder

75 Minuten (1 ¼ Stunden) bis 150 Minuten (2 ½ Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit höherer Intensität

oder

eine entsprechende Kombination aus ausdauerorientierter Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität durchführen.

Ältere Erwachsene können einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen erzielen, wenn sie den Bewegungsumfang über 300 Minuten pro Woche steigern. Wobei Bewegungen mit mittlerer und höherer Intensität wieder kombiniert werden können.

Im Rahmen des wöchentlichen Bewegungsumfanges soll vielseitig trainiert werden, indem Aktivitäten zur Verbesserung der Kraft, der Ausdauer, des Gleichgewichts und der Beweglichkeit durchgeführt werden.

Ältere Menschen sollen die Belastung und den Umfang ihrer körperlichen Aktivität entsprechend ihrem Fitnessniveau beziehungsweise ihrer Einschränkungen festlegen.

Langandauerndes Sitzen soll vermieden beziehungsweise immer wieder durch Bewegung unterbrochen werden.

Der Gesundheits- und Fitnesszustand von Menschen, die 65 Jahre und älter sind, variiert stark. Mit steigendem Alter nehmen die motorischen Fähigkeiten Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Beweglichkeit, Koordination (wozu auch das Gleichgewicht gehört), Beweglichkeit und somit auch die funktionale Fitness ab.

Daher heißt es in den Bewegungsempfehlungen: „Im Rahmen des wöchentlichen Bewegungsumfanges soll vielseitig trainiert werden“. Sich vielseitig zu bewegen, bedeutet, dass im Laufe der Woche unterschiedliche motorische Fähigkeiten aktiviert werden. Bei manchen Aktivitäten werden mehrere Fähigkeiten gleichzeitig trainiert wie z. B. bei einer Wanderung auf einen Hügel oder Berg. Dabei werden Beinkraft, Ausdauer und auf unebenen Wegen auch die Koordination gefordert. Aber auch in angeleiteten Bewegungseinheiten werden üblicherweise mehrere motorische Fähigkeiten trainiert.

Wenn eine Person alltägliche Tätigkeiten nicht mehr verrichten kann, spricht man von funktionaler Einschränkung. Ältere Menschen mit funktionaler Einschränkung, die sich regelmäßig bewegen, können ihre vorhandenen funktionalen Fertigkeiten beibehalten oder sogar verbessern und tun sich dadurch im Alltag leichter.

Für Erwachsene und ältere Menschen gilt, dass während einer Erkrankung – wie z. B. Erkältungskrankheiten oder Grippe – es notwendig ist, die regelmäßige körperliche Aktivität zu unterbrechen. Es wird empfohlen, nach einer solchen Unterbrechung mit der Bewegung wieder zu beginnen, aber vorerst auf einem niedrigeren Niveau und mit dem Ziel, schrittweise wieder jenes Aktivitätsniveau von vor der Erkrankung zu erreichen. Wenn der Wiederaufbau des Bewegungsumfanges schwerfällt, wird empfohlen, Unterstützung zu suchen.


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Erwachsene mit chronischen Erkrankungen

Regelmäßige körperliche Aktivität ist bei Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen von besonderer Bedeutung. Bei dieser Zielgruppe geht es einerseits um eine generelle Stärkung der Gesundheit und einen positiven Einfluss auf die Lebensqualität, andererseits aber auch um positive Wirkungen, die im Management der chronischen Erkrankung wichtig sind. Zu beachten ist, dass das wöchentliche Ausmaß an ausdauerorientierter und muskelkräftigender Aktivität der chronischen Erkrankung einer Person angepasst werden muss. Je nach Gesundheitszustand soll die Bewegung nach Rücksprache mit Ärztinnen/Ärzten ausgeführt werden [3].

Zielgruppe

Die Empfehlungen gelten für Erwachsene mit chronischen körperlichen oder mentalen Erkrankungen im stabilen Stadium wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, nach einem Schlaganfall, bei Krebserkrankungen, depressiven Störungen, Hüft- und Kniegelenksarthrose, klinisch stabilen ischämischen Erkrankungen oder chronischen Rückenschmerzen.


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Empfehlungen

Erwachsenen mit einer chronischen Erkrankung wird empfohlen, regelmäßig körperlich aktiv zu sein. Vor allem der Wechsel von „körperlich inaktiv“ zu „ein wenig körperlich aktiv“ ist ein wichtiger erster Schritt.

Um die Gesundheit zu fördern …

… sollen Erwachsene an 2 oder mehr Tagen der Woche muskelkräftigende Übungen durchführen, bei denen alle großen Muskelgruppen berücksichtigt werden.

… sollen Erwachsene mindestens 150 Minuten (2 ½ Stunden) bis 300 Minuten (5 Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit mittlerer Intensität

oder

… 75 Minuten (1 ¼ Stunden) bis 150 Minuten (2 ½ Stunden) pro Woche ausdauerorientierte Bewegung mit höherer Intensität

oder

… eine entsprechende Kombination aus ausdauerorientierter Bewegung mit mittlerer und höherer Intensität durchführen.

Erwachsene können einen zusätzlichen gesundheitlichen Nutzen erzielen, wenn sie den Bewegungsumfang über 300 Minuten pro Woche steigern. Wobei Bewegungen mit mittlerer und höherer Intensität wieder kombiniert werden können.

Wenn erwachsene Personen auf Grund ihrer chronischen Erkrankung nicht in der Lage sind, diese Empfehlungen umzusetzen, dann sollen sie dennoch soweit wie möglich körperlich aktiv sein und Inaktivität möglichst vermeiden.

Langandauerndes Sitzen soll vermieden beziehungsweise immer wieder durch Bewegung unterbrochen werden.

Trotz einer oder mehrerer chronischer Gesundheitsbeeinträchtigungen gilt die klare Empfehlung, regelmäßig körperlich aktiv zu sein. Wenn Einschränkungen, betreffend Bewegungsart, -dauer, -häufigkeit oder -intensität, gegeben sind, kann im Rahmen von Beratungen mit der (Haus)Ärztin/dem (Haus)Arzt und weiteren Gesundheits- oder Bewegungsfachpersonen geklärt werden, wie individuelle Anpassungen der Bewegungsempfehlungen vorzunehmen sind. Zusätzlich kann es hilfreich sein, die Zusammenhänge zwischen körperlicher Aktivität, Gesundheitsbeeinträchtigung und Gesundheit zu erörtern. Gegebenenfalls wird empfohlen, gemeinsam mit einer Ärztin oder einem Arzt zu entscheiden, ob die selbstständige Durchführung körperlicher Aktivität sicher und angemessen oder ob eine fachliche Betreuung angebracht ist. In Phasen der Krankheitsprogression, mangelnder Krankheitskontrolle oder einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes wird empfohlen, den professionellen Rat von Personen aus Gesundheitsfachberufen einzuholen, weil z. B. veränderte körperliche Aktivitäten oder sogar eine Aktivitätspause notwendig sein könnten [13] [14].

Körperliche Aktivität hat bei vielen chronischen Krankheiten sehr unterschiedliche positive Auswirkungen, die jedoch wechselseitig miteinander in Beziehung stehen können und sich optimaler Weise gegenseitig verstärken. Hier sind einige dieser Effekte dargestellt: (1) Zunächst trägt Bewegung im Sinne der Empfehlungen dazu bei, dass sich das generelle Wohlbefinden, die Lebensqualität und somit die Gesundheit verbessern, unabhängig von der Krankheit und unabhängig davon, ob sich durch Bewegung im Krankheitsverlauf etwas ändert. (2) Weiter kann Bewegung bei vielen chronischen Krankheiten Teil der kurativen Therapie sein, insbesondere bei chronischen Krankheiten, die durch Bewegungsmangel (mit)verursacht werden. (3) Bei eben diesen chronischen Erkrankungen kann Bewegung dazu beitragen, das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. (4) Bewegung hilft dabei, der Entstehung von zusätzlichen Sekundärerkrankungen entgegenzuwirken, die möglicherweise durch die Primärerkrankung begünstigt würden. (5) Schließlich trägt Bewegung bei chronischen Krankheiten dazu bei, dass sich die Funktionalität verbessert und Symptome (beispielsweise Schmerz) reduziert werden, wodurch Personen trotz chronischer Erkrankung mit dem täglichen Leben besser zurechtkommen.

Die Empfehlungen für Bewegung bei chronischen Erkrankungen sind jenen für die Allgemeinbevölkerung zumeist sehr ähnlich. Beispielsweise entsprechen die Bewegungsempfehlungen bei Diabetes mellitus Typ 2, gemäß der Leitlinie der Österreichische Diabetes Gesellschaft [15], jenen der Allgemeinbevölkerung.

In [Tab. 1] ist dargestellt, bei welchen Erkrankungen – den Empfehlungen entsprechende – Bewegung wissenschaftlich gut abgesicherte Effekte hat.

Tab. 1 Gesundheitseffekte durch Bewegung bei Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen. Dargestellt sind nur Effekte, für die es eine starke oder mittlere Beweislage gibt [2].

Chronische Erkrankung

Gesundheitseffekte

Brustkrebs

Reduzierte Gesamtmortalität und reduzierte Brustkrebs-spezifische Mortalität

Dickdarmkrebs

Reduzierte Gesamtmortalität und reduzierte Dickdarmkrebs-spezifische Mortalität

Prostatakrebs

Reduzierte Prostatakrebs-spezifische Mortalität

Arthrosen

Schmerzreduktion Verbesserte Funktionen und verbesserte Lebensqualität

Bluthochdruck

Reduziertes Risiko der Progression von Herz-Kreislauferkrankungen Reduziertes Risiko einer weiteren Steigerung des Blutdruckes

Diabetes mellitus Typ 2

Reduziertes Risiko für Mortalität an Herz-Kreislauferkrankungen Reduziertes Risiko für die Progression von Erkrankungsindikatoren: HbA1c, Blutdruck, Blutlipidwerte, Body Mass Index

Multiple Sklerose

Verbesserter Gang Verbesserte körperliche Fitness

Demenz

Verbesserte Kognition

Weitere Erkrankungen mit beeinträchtigenden Funktionen (z. B. Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität, Schizophrenie, Parkinsonkrankheit, Schlaganfall)

Verbesserte Kognition

Folgende chronische Krankheiten sind Paradebeispiele, bei denen die Bewegungsempfehlungen für Erwachsene angewendet werden sollen. Die Auswahl wurde basierend auf der Verbreitung der Erkrankung in der Bevölkerung und dem aktuellen Wissensstand zur Risikoreduktion durch regelmäßige Bewegung getroffen.

  • Bluthochdruck (Hypertonie)

  • Muskuloskelettale Erkrankungen wie Arthrosen, Osteoporose oder chronische Rückenschmerzen

  • Common Mental Disorders wie Depressionen, Angststörungen und Stress-bedingte Störungen

  • Ischämische Herz-Kreislauferkrankungen, inklusive Nachsorge kardiovaskulärer Vorfälle wie Herzinfarkt und Schlaganfall

  • Adipositas (Body Mass Index≥30 kg/m²)

  • Diabetes mellitus, Typ 2 (Zuckerkrankheit)

  • Krebs

Einige wissenschaftliche Fachgesellschaften haben auf Basis nationaler und internationaler Bewegungsempfehlungen bereits spezifische Leitlinien beschrieben. Weitere Fachgesellschaften sind dazu eingeladen, basierend auf den allgemeinen Bewegungsempfehlungen für Erwachsene mit chronischen Erkrankungen spezielle Bewegungsempfehlungen bzw. Umsetzungsempfehlungen zu formulieren.


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Fazit für die Praxis

Bei der Erstellung der Bewegungsempfehlungen war es das Ziel, unmissverständliche Formulierungen zu verwenden. Beispielsweise wurde nach der Veröffentlichung der Österreichischen Bewegungsempfehlungen im Jahr 2010 häufig gefragt, ob die Zeit, die man für kräftigende Übungen aufwendet zu den 150 Minuten Bewegung mit mittlerer Intensität addiert werden kann. Die Empfehlung ist, zusätzlich zu den kräftigenden Übungen 150 bis 300 Minuten Bewegung pro Woche mit mittlerer Intensität zu betreiben. Aus diesem Grund, wird in den aktualisierten Österreichischen Bewegungsempfehlungen ausdrücklich zwischen ausdauerorientierter Bewegung und kräftigenden Übungen unterschieden.

Die Formulierung von Bewegungsempfehlungen ist ein wichtiger erster Schritt. Dieser Policy-Maßnahme müssen Kommunikations- und Umsetzungsprogramme folgen, damit regelmäßige Bewegung im Alltag und in der Freizeit (wieder) zur Gewohnheit werden kann. Dazu gehören die Schaffung bewegungsfreundlicher Infrastrukturen/Städte sowie bewegungsfreundlicher sozialer Normen beginnend beim Kindergarten über den Betrieb bis zum Pflegewohnheim und es bedarf der Unterstützung, sich von klein auf Bewegungskompetenz aneignen zu können. Möglichkeiten, Bewegungskompetenz zu erwerben, soll es für alle Bevölkerungsgruppen geben, auch für jene mit niedrigerem Einkommen. Bei der Angebotsgestaltung ist ebenfalls auf kulturelle Vorlieben zu achten. Für den fair gestalteten Zugang zu sicheren Bewegungsräumen sind nationale und lokale Verantwortliche zuständig.

Für das Erlernen technisch anspruchsvoller neuer Sportarten, z. B. Schwimmen oder Tanzen, wird empfohlen, sich an Bewegungsexpertinnen und -experten zu wenden, um den technisch richtigen Bewegungsablauf zu erlernen.

Eine Zusammenarbeit mit Bewegungsexpertinnen oder -experten ist ebenfalls für inaktive Erwachsene mit Körper-, Sinnes- oder Mentalbehinderung hilfreich, um zu verstehen, welche Aktivitäten und welche Bewegungsumfänge geeignet sind.

Generell sind Bewegungsexpertinnen und -experten ausgebildet, Sportarten zu lehren, Trainingsprogramme zu erstellen und die Motivation aufrecht zu erhalten.

Die Bewegungsempfehlungen wurden für Personen aus dem Bereich Gesundheits- und Bewegungsförderung formuliert. Bei der Vermittlung und Umsetzungsunterstützung wird es notwendig sein, beim Kommunizieren eine Trägerfrequenz zu finden, bei der die Empfänger/innen der Botschaft den Wert regelmäßiger Bewegung verstehen und beginnen, Bewegung emotional positiv zu besetzen [16]. Unser Ziel ist es, dass regelmäßige Bewegung für den Großteil der Bevölkerung zur Gewohnheit werden kann. Die vorliegenden Bewegungsempfehlungen sind ein Baustein von vielen, um dieses Ziel zu erreichen.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Erstellung der Österreichischen Bewegungsempfehlungen und diese open access Publikation wurden dankenswerter Weise von der Gesundheit Österreich GmbH, Geschäftsbereich Fonds Gesundes Österreich und der Österreichischen Gesellschaft für Public Health unterstützt.


Korrespondenzadresse

Univ.-Prof. Mag. Dr. Sylvia Titze, MPH
Institut für Sportwissenschaft
Mozartgasse 14
8010 Graz
Austria   

Publication History

Article published online:
28 August 2020

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