Gesundheitswesen 2021; 83(11): 882
DOI: 10.1055/a-1579-6324
Panorama
Buchrezension

Kontexteffekte als Grundlage für Präventionsprogramme zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheit

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Nach einer Rezension des neuen Buchs von Johannes Siegrist, die alle 8 Kapitel umfasste (https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/siegrist-gesundheit-fuer-alle/) soll an dieser Stelle ein besonders bedeutsamer Einzelaspekt aus dem Buch im Zentrum einer Rezension stehen: der eigenständige Kontexteffekt auf gesundheitliche Ungleichheit. Der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) in seiner momentanen, durch die Pandemie schmerzhaft geborenen, Aufbruchstimmung braucht solche Fundierungen, wie sie im Buch von Johannes Siegrist aufbereitet sind, um seine Modernisierung nachhaltig zu konsolidieren einschließlich der finanziellen Ausstattung (Leitbild und Pakt für den ÖGD).

In einer sorgfältigen Analyse stellt Siegrist in Kapitel 7 zunächst die geschichtliche Entwicklung der Untersuchung von Kontexteffekten beginnend bei Émile Durkheim dar: Nachweis sozialer Muster der Verteilung von Krankheiten. Anschließend beschreibt er – gut verständlich insbesondere für die in der Gesundheitsförderung praktisch Tätigen – anhand von Beispielen (z. B. Nachbarschaftsgruppen) den statistisch korrekten Nachweis von Kontexteffekten.

Er untersucht den eigenständigen Beitrag zur Erklärung gesundheitlicher Ungleichheit der soziologischen Konzepte der sozialen Kohäsion und des sozialen Kapitals und bewertet die wissenschaftliche Einbeziehung materiell-physikalischer Aspekte zur Bestimmung der Umweltgerechtigkeit.

Schließlich wird die Wirkung von Projekten zum Abbau gesundheitlicher Ungleichheit durch Veränderung von Kontexteinflüssen dargestellt. Dem ethischen Prinzip eines proportionalen Universalismus folgend wird sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen der Zugang zu wichtigen Ressourcen ermöglicht (frühkindliche Förderung, bezahlbarer Wohnraum usw.).

Dies bedeutet für den kommunalen Bereich eine „Health in all Politik“ (Stadt- und Verkehrsplanung, lokale Jugend-, Bildungs- und Sozialpolitik) wie sie beispielsweise im Good Practice Kriterium „integriertes Handlungskonzept“ für gesundheitliche Chancengleichheit (https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/qualitaetsentwicklung/09-vernetzung/) beschrieben ist.

Siegrist berichtet über ermutigende Ergebnisse aus England bis hin zu einem Abbau des sozialen Schichtgradienten in der Lebenserwartung durch ein umfassendes kommunales Präventionsprogramm.

Hiermit bietet Siegrist eine Verstärkung der rationalen Grundlage für die Im Leitbild für einen modernen ÖGD und im Pakt für den ÖGD beschriebenen Aufgaben. Es ist zu wünschen, dass dieses Buch eifrig genutzt wird, um die Neuausrichtung des ÖGD wissenschaftlich fundiert zu begründen.

Dr. Frank Lehmann, Köln



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Article published online:
11 November 2021

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