Gesundheitswesen 2021; 83(S 02): S62-S63
DOI: 10.1055/a-1655-8801
Editorial

Editorial

Enno Swart
1   Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISMG), Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
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Holger Gothe
2   Bereich Versorgungsforschung, IGES Institut GmbH, Berlin, Deutschland
3   Department für Public Health, Versorgungsforschung und Health Technology Assessment, UMIT – Private Universität für Gesundheitswissenschaften, Medizinische Informatik und Technik GmbH, Hall in Tirol, Austria
4   Lehrstuhl Gesundheitswissenschaften/Public Health, Medizinische Fakultät „Carl Gustav Carus“, Technische Universität Dresden, Dresden, Deutschland
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Peter Ihle
5   PMV forschungsgruppe an der Medizinischen Fakultät und Uniklinik Köln, Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Köln, Deutschland
› Author Affiliations
 

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, Liebe Leserinnen und Leser,

    vor Ihnen liegt das erste zusammen mit der Hauptschriftleitung von „Das Gesundheitswesen“ und dem Thieme-Verlag vereinbarte, regelmäßig ca. halbjährlich erscheinende AGENS-Supplement zu Methoden und Ergebnissen der Sekundärdatenanalyse. Alle an der Entstehung dieses Supplements Beteiligten sehen einen hohen Bedarf für ein derartiges Publikationsmedium, da im deutschsprachigen Raum trotz zunehmender wissenschaftlicher Nutzung von Sekundärdaten bislang kein spezifisches Journal existiert, das Sekundärdaten in ihren vielfältigen Ausprägungen und spezifischen methodischen Herausforderungen explizit zum Gegenstand hat. Somit stellt das regelmäßige AGENS-Supplement den Versuch dar, diese Lücke in der deutschen Fachjournal-Landschaft zu schließen. Die zahlreichen Projekte des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses sind nur ein Beispiel für ein Nutzungsfeld, aus dem heraus in den nächsten Jahren viele wissenschaftliche Beiträge für dieses Supplement entstehen dürften. Hinzu kommt der beginnende Aufbau eines Forschungsdatenzentrums Gesundheit im Zuge der Novellierung des §303a-f SGB V und der Datentransparenzverordnung (DaTraV; siehe Beitrag in diesem Heft), der eine zunehmende Nutzung der GKV-Abrechnungsdaten in den nächsten Jahren erwarten lässt.


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    PD Dr. Enno Swart
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    Dr. Holger Gothe
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    Peter Ihle

    Ein Schwerpunkt dieses regelmäßigen AGENS-Supplements soll auf der Darlegung methodischer Aspekte der Sekundärdatenanalyse liegen. Damit dient dieses neue Forum der Hilfestellung und Fortbildung für die zunehmende Zahl jüngerer Kolleginnen und Kollegen, die mit dem Bedeutungszuwachs der Versorgungsforschung dieses methodische Feld in den vergangenen Jahren für sich entdeckt haben. Außerdem stellt sich die Sekundärdatenanalyse als ein noch vergleichsweise junges Anwendungsgebiet mit hoher methodischer Dynamik dar. Gleichwohl sollen Ergebnisse hochwertiger Studien nicht zu kurz kommen, weil zu spezifischen wissenschaftlichen Fragestellungen stets anwendungs-, diagnose- oder leistungsbezogene Adaptationen gefunden werden müssen, in denen sich die geeigneten Methoden anschaulich widerspiegeln. Aus Ergebnisdarstellungen und daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen wiederum ergeben sich Motivationen für die Anwendung der Sekundärdatenanalyse, auch im Brückenschlag von Versorgungsforschung zu klinischer Forschung und den klinischen Fachdisziplinen sowie in der konkreten Kooperation zwischen Wissenschaft und Dateneignern. Das Supplement schließlich ist offen für Beiträge zu datenschutzrechtlichen Aspekten der Sekundärdatenanalyse und solchen mit Darlegungen forschungsorganisatorischer Herausforderungen und deren Lösungen.

    Für die Zukunft sind pro Jahr jeweils ein themenoffenes Heft und ein Supplement mit einem Schwerpunktthema geplant, für das Jahresende 2021 befinden sich Manuskripte zu Projekten des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses in Vorbereitung. Gerne nehmen wir Ihre Anregungen für Themenschwerpunkte der nächsten Jahre entgegen. Um dieses Angebot schrittweise zu verbessern, sind wir ebenfalls an Kritik und Verbesserungsvorschlägen zu seinem Format und seinen Inhalten interessiert. Zögern Sie daher nicht, diese direkt an die Sprecher der AGENS zu richten.

    Das neue Angebot an Autor:innen und Leser:innen wird nur dann von anhaltendem Erfolg gekrönt sein, wenn die wissenschaftliche Gemeinschaft der Sekundärdatenforscher:innen es aktiv annimmt.

    Wir möchten Sie daher ermuntern, Ihre Beiträge zu diesem Forschungsbereich in „Das Gesundheitswesen“ einzureichen. Bei der Nutzung des gewohnten Scholar-Autor:innenportals können Sie auf die Platzierung im AGENS-Supplement hinweisen; die eingereichten Beiträge durchlaufen dann unter Koordination der AGENS-Ko-Schriftleitung das bekannte substantielle Reviewverfahren. Damit ist die gewohnt hohe Qualität der Beiträge gewährleistet, gleichzeitig ist ihre Sichtbarkeit in Literaturdatenbanken garantiert, und der impact factor der GESU ist den Veröffentlichungen sicher. Ein ganz herzlicher Dank sei an dieser Stelle der Schriftleitung der GESU und Herrn Prof. Wildner bzw. Frau Sterlike sowie dem Thieme-Verlag für dieses großzügige Angebot und die Unterstützung bei der Umsetzung ausgesprochen.

    Das vorliegende Supplement bietet einen Strauß von Beiträgen, die die Vielfalt der Sekundärdatenquellen und der methodischen Herangehensweisen zeigen. Dabei ist zu beachten, dass entsprechend der methodischen Schwerpunktsetzung des Supplements die übliche Manuskriptstruktur für Originalarbeiten, bestehend aus Einleitung – Methodik – Ergebnisse – Diskussion, häufig eine Modifikation erfahren hat. Einleitend unternehmen Gothe et al. eine grundsätzliche sprachliche Reflexion zur terminologischen Einordnung und Definition des Begriffs Sekundärdaten, der in der Vergangenheit vielfach Anlass gab, den Stellenwert der Sekundärdatenanalyse zu verkennen. Pigeot et al. thematisieren verschiedene typische Biasquellen und zeigen Strategien auf, diese zu vermeiden und den durch ungemessenes Confounding entstehenden Bias abzuschätzen. Dazu gehören Target Trials, marginale Strukturmodelle und instrumentelle Variablen. Abschließend wird Record Linkage als Ansatz diskutiert, fehlende Information in den Daten zu ergänzen. Epping et al. vergleichen Herzinfarktprävalenzen in GKV-Abrechnungsdaten und Surveydaten des RKI, in dem über die in beiden Datenquellen vorliegenden soziodemographischen Informationen eine Parallelisierung der Datenkörper vorgenommen und damit die Basis für einen validen Vergleich hergestellt wird. Schubert et al. beschreiben den Prozess der Generierung von Qualitätsindikatoren für die Langzeit-Evaluation des IV-Projekts „Gesundes Kinzigtal“, deren grundsätzliche Abbildbarkeit mittels Routinedaten in einem Innofondsprojekt überprüft wurde. Sawicki et al. beschreiben die methodisch anspruchsvolle Evaluation komplexer Versorgungsformen und zeigen am Beispiel generalisierter Schätzungsgleichungen, wie Qualitätsunterschiede zwischen der Hausarztzentrierten Versorgung und der Regelversorgung über die Zeit aufgedeckt werden können. Goldhahn et al. beschreiben für Sekundärdaten des Rettungsdienstes die patientenbezogene mittel- und langfristige Abbildung von Outcomes mit einer Verknüpfung von GKV-Daten. Für den Fall, dass die eindeutige Schlüsselvariable Krankenversichertennummer in den Rettungsdienstdaten fehlt, wird ein belastbares Verfahren zum probabilistischen Linkage vorgestellt. Meinert et al. stellen für kleinräumige Versorgungsanalysen einen Ansatz vor, der Versicherten der GKV und Patient:innen der Rettungsdienste einen Sozialstatus ihres Wohnortes zuweist. Damit lassen sich auch auf Ebene des unmittelbaren Wohnumfelds bekannte Zusammenhänge der Sozialepidemiologie reproduzieren. Nimptsch und Busse untersuchen anhand von DRG-Daten die Validität von Zeitangaben in GKV-Abrechnungsdaten am Beispiel von Linksherzkatheteruntersuchungen. Gelänge es, die Genauigkeit dieser Angaben zu erhöhen, könnten Zeitangaben als Prozessindikatoren für die Qualitätsbewertung der stationären Versorgung genutzt werden. Hauswaldt et al. berichten über methodische Vorgehensweisen und Ergebnisse aus einem Projekt, das „Real World“-Daten aus der ambulanten Gesundheitsversorgung alternativ zum Zugang über die GKV direkt aus Hausarztpraxen in eine längsschnittliche Datenquelle mit repräsentativen, de-identifizierten Patienten- und Versorgungsdaten überführt, um diese der Versorgungsforschung bereitzustellen. Abgerundet wird das Heft von redaktionellen Mitteilungen der AGENS zu deren neuen Kommunikationskanälen und dem digitalen Methodenworkshop im März 2021 sowie ein mit zwei befreundeten Arbeitsgruppen erstelltes Diskussionspapier zu einem Forschungsdatenzentrum Gesundheit.

    Viel Spaß beim Lesen wünschen Ihnen

    Enno Swart & Holger Gothe & Peter Ihle


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    Interessenkonflikt

    Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

    Korrespondenzadresse

    PD Dr. rer. biol. hum. Enno Swart
    Medizinische Fakultät
    Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISMG)
    Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
    Leipziger Straße 44
    39120 Magdeburg
    Deutschland   

    Publication History

    Article published online:
    29 November 2021

    © 2021. Thieme. All rights reserved.

    Georg Thieme Verlag
    Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany

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