Erfahrungsheilkunde 2022; 71(01): 2
DOI: 10.1055/a-1659-8564
Editorial

Sport – Gesundheitsmotor oder Verletzungstreiber?

Peter W. Gündling

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Leserinnen, liebe Leser,

wie positiv sich körperliche Aktivität auf unserer Herz-Kreislauf-Risiko auswirkt, zeigte der berühmte Kardiologe Paffenbarger an College Alumni bereits vor über 40 Jahren: Er kam auf die einfache Formel, dass eine Steigerung der körperlichen Aktivität mit einem zusätzlichen Energieumsatz von ca. 2000 kcal/Woche das Risiko für eine Koronare Herzerkrankung um ca. 60 % reduziert [Paffenbarger RS, Wing AL, Hyde RT. Physical activity as an index of heart attack risk in college alumni. Am J Epidemiol 1978; 108:161–175].

20 Jahre später beschrieben Wannamethee et al. im Lancet anhand einer vierjährigen Untersuchung mit 4311 Männern im Alter von 52–72 Jahren, dass bereits moderate Aktivität im Vergleich zu Inaktivität sowohl die kardiovaskuläre als auch die nichtkardiovaskuläre Mortalität um rund 65 % senkt [Wannamethee SG et al. Lancet 1998; 1603–8].

Allerdings stellte die WHO im Jahre 2000 fest, dass rund 60 % der Weltbevölkerung es nicht schafft, ihrer Empfehlung von (mindestens) 30 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro Tag nachzukommen. In der Folge verringerte sie ihren Anspruch und gab bekannt, dass schon 150 Minuten moderate bzw. 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche ausreichen. Doch auch dieses Ziel wird – zumindest bei uns in Deutschland – immer weniger erreicht. So zeigt eine Untersuchungen der DKV an knapp 3000 erwachsenen Bundesbürgern vom März 2018, dass der Anteil der Personen, die sich ausreichend bewegen von 60 % in 2010 auf 43 % in 2018 gefallen ist.

Ausdrücklich gefragt nach sportlicher Betätigung gaben ca. 57 % der Erwachsenen an, nie oder weniger als 1 × pro Monat Sport zu treiben, und lediglich etwa 15 % erklärten, dies mehrmals wöchentlich zu tun. Und das war noch vor Corona. Bereits im Januar 2021 gaben rund 45 % der Befragten an, im Lockdown (noch) träger geworden zu sein.

Dabei ist seit vielen Jahren bekannt, dass eine hohe Korrelation zwischen Leistungsfähigkeit und kardiovaskulärer Mortalität besteht: Herzgesunde Personen, die nur 50 Watt Leistung erbringen, haben ein 4,5-fach höheres Mortalitätsrisiko als Personen, die über 200 Watt schaffen [Gohlke H et al. Leitlinie Risikoadjustierte Prävention von Herz- und Kreislauferkrankungen].

Das zellbiologische Korrelat für die positive Wirkung von Ausdauertraining konnten Werner et al. zeigen [Werner GS et al. Eur Heart J 2018; 2484–2498]. Sowohl moderates Lauftraining als auch intensives Lauf-Intervalltraining verdoppelten die Telomeraseaktivität und erhöhten die Telomerlänge in Lymphozyten, was wichtig für die zelluläre Seneszenz der Immunzellen, deren Regenerationsfähigkeit und somit gesundes Altern ist.

Obwohl also bei sportlichen Betätigungen noch ein hoher Nachholbedarf besteht, trägt auch jede Sportart ein gewisses Verletzungsrisiko: Rund 1,25 Millionen Menschen verletzen sich jährlich hier in Deutschland beim Sport so schwer, dass sie ärztlich versorgt werden müssen. Männer am häufigsten beim Fußball, gefolgt von Unfällen beim Skisport, Handball, Tennis und Volleyball. Bei Frauen führen Handball, Volleyball und Gymnastik die Statistik an, gefolgt von Turnen und Fußball. Die meisten Verletzungen sind dabei Prellungen und Zerrungen, Brüche und Verrenkungen sowie Muskel-, Sehnen- und Bandverletzungen.

Damit ergibt sich die Notwendigkeit medizinischer Interventionen, bei denen auch die Naturheilkunde und komplementäre Medizin sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch wertvolle Hilfe zu bieten hat. Einige ausgewählte Beispiele dazu finden Sie in unserem aktuellen Heft.

Herzlichst Ihr
Peter W. Gündling



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Article published online:
23 February 2022

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