Gesundheitswesen 2023; 85(S 02): S119-S126
DOI: 10.1055/a-1791-0918
Originalarbeit

Algorithmus zur Unterscheidung von Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 bei der Analyse von Routinedaten

Algorithm for the Classification of Type 1 and Type 2 Diabetes Mellitus for the Analysis of Routine Data
1   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin, Germany
,
Peter Ihle
2   PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Universität zu Köln, Köln, Germany
,
Christin Heidemann
1   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin, Germany
,
Rebecca Paprott
1   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin, Germany
,
Ingrid Köster
2   PMV forschungsgruppe an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Universität zu Köln, Köln, Germany
,
Christian Schmidt
1   Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring, Robert Koch-Institut, Berlin, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Diabetes mellitus ist eine Erkrankung von hoher Public-Health-Relevanz. Zur Schätzung der zeitlichen Entwicklung der Prävalenz kommen auch Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung zum Einsatz. In diesen primär zu Abrechnungszwecken generierten Daten stellt die Definition von Erkrankungen eine besondere methodische Herausforderung dar. In der vorliegenden Studie wurde ein Algorithmus zur Unterscheidung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes für die Analyse von Routinedaten entwickelt.

Methodik Datengrundlage ist eine alters- und geschlechtsstratifizierte Zufallsstichprobe der Versicherten der Barmer mit einer durchgehenden Versicherungsdauer von 2010 bis 2018 in der Größenordnung von 1% der deutschen Bevölkerung. Ein Diabetes wurde im Berichtsjahr 2018 definiert als Dokumentation (1) einer gesicherten ICD-Diagnose E10.- bis E14.- im ambulanten Sektor in mindestens 2 Quartalen, (2) einer gesicherten ICD-Diagnose E10.- bis E14.- in einem Quartal mit einer zusätzlichen Antidiabetikaverordnung (ATC-Codes A10) oder (3) einer ICD-Diagnose E10.- bis E14.- im stationären Sektor, dem ambulanten Operieren oder der Arbeitsunfähigkeit. Anhand der ICD-Diagnosen E10.- bis E14.- und der verordneten Arzneimittel, unterschieden nach Insulin und anderen Antidiabetika, wurden die Personen einem Diabetestypen zugeordnet. Nicht eindeutige oder widersprüchliche Konstellationen wurden anhand des Alters, der Häufigkeit sowie überjährigen Betrachtung der Diagnosedokumentation zugeordnet. Die Einschreibung in ein Disease-Management-Programm wurde in einer Sensitivitätsanalyse berücksichtigt.

Ergebnisse Die Prävalenz des dokumentierten Diabetes in der Stichprobe der Barmer betrug im Jahr 2018 8,8%. Anhand des Algorithmus konnten 98,5% der Personen mit Diabetes dem Typ-1-Diabetes (5,5%), dem Typ-2-Diabetes (92,6%) oder einer weiteren spezifischen Diabetesform (0,43%) zugeordnet werden. Somit ergaben sich für das Jahr 2018 Prävalenzen von 0,48% für den Typ-1-Diabetes und 8,1% für den Typ-2-Diabetes.

Schlussfolgerung Bereits anhand weniger Merkmale wie Diagnosen, Arzneimittelverordnung und dem Alter lässt sich die große Mehrzahl der Personen mit Diabetes einem Typ zuordnen. In weiterführenden Studien sollte im Abgleich mit Primärdaten die externe Validität geprüft werden. So ermöglicht der Algorithmus die Auswertung wichtiger epidemiologischer Kennzahlen und der Häufigkeit von Folge- und Begleiterkrankungen auf Basis von Routinedaten differenziert nach Typ-1- und Typ-2-Diabetes, welche in der Surveillance des Diabetes zukünftig berücksichtigt werden sollen.


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Abstract

Background Diabetes mellitus is a disease of high public health relevance. To estimate the temporal development of prevalence, routine data of statutory health insurances (SHI) are being increasingly used. However, these data are primarily collected for billing purposes and the case definition of specific diseases remains challenging. In this study, we present an algorithm for differentiation of diabetes types analyzing SHI routine data.

Methods The basis for the analysis was an age and sex-stratified random sample of persons of the Barmer SHI with a continuous insurance duration from 2010 to 2018 in the magnitude of 1% of the German population. Diabetes was defined in the reporting year 2018, as documentation of (1) a “confirmed” ICD diagnosis E10.- to E14.- in at least two quarters, (2) a “confirmed” ICD diagnosis E10.- to E14.- in one quarter with an additional prescription of an antidiabetic drug (ATC codes A10), or (3) an ICD diagnosis E10.- to E14.- in the inpatient sector, outpatient surgery, or work disability. Individuals were assigned to a diabetes type based on the specific ICD diagnosis E10.- to E14.- and prescribed medications, differentiated by insulin and other antidiabetics. Still unclear or conflicting constellations were assigned on the basis of the persons’ age or the frequency and observation of the diagnosis documentation over more than one year. The participation in a disease management program was considered in a sensitivity analysis.

Results The prevalence of documented diabetes in the Barmer sample was 8.8% in 2018. Applying the algorithm, 98.5% of individuals with diabetes could be classified as having type 1 diabetes (5.5%), type 2 diabetes (92.6%), or another specific form of diabetes (0.43%). Thus, the prevalence was 0.48% for type 1 diabetes and 8.1% for type 2 diabetes in 2018.

Conclusion The vast majority of people with diabetes can be classified by their diabetes type on the basis of just a few characteristics, such as diagnoses, drug prescription, and age. Further studies should assess the external validity by comparing the results with primary data. The algorithm enables the analysis of important epidemiological indicators and the frequency of comorbidities based on routine data differentiated by type 1 and type 2 diabetes, which should be considered in the surveillance of diabetes in the future.


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Einleitung

Diabetes mellitus bezeichnet eine Gruppe von Stoffwechselerkrankungen, welche durch einen erhöhten Blutzuckerspiegel gekennzeichnet sind [1]. Die häufigsten Erkrankungsbilder sind der Typ-2-Diabetes, auch Altersdiabetes genannt, und der Typ-1-Diabetes, der sich meist bereits im Kindes- und Jugendalter manifestiert. In beiden Fällen liegt der Erkrankung ein Insulinmangel zugrunde. Der Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, welche die insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Da ein absoluter Insulinmangel vorliegt, muss immer eine Therapie mit Insulin erfolgen [2] [3]. Der Typ-2-Diabetes zeichnet sich durch einen relativen Insulinmangel aus, welcher primär durch eine erhöhte Insulinresistenz der Körperzellen bedingt ist. Die Therapie des Typ-2-Diabetes umfasst die Lebensstilintervention als Basistherapie und die Verordnung von oralen Antidiabetika zur Verbesserung der Stoffwechsellage. Insulin wird verabreicht sofern die Zielwerte für den Blutzucker mit zuvor genannten Therapien nicht erreicht werden [4] [5].

In Deutschland beträgt gemäß Untersuchungssurveydaten des Robert Koch-Instituts (RKI) der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung die Prävalenz des bekannten Diabetes 7,2% und die Prävalenz des unerkannten Diabetes 2,0% [6]. Abweichende Prävalenzschätzungen für den bekannten Diabetes aus anderen Datenquellen basieren auf Unterschieden in Definitionskriterien und eingeschlossenen Personengruppen, weisen jedoch zusammenfassend betrachtet auf eine Zunahme der Prävalenz des bekannten Diabetes hin [7]. Der Typ-2-Diabetes ist deutlich häufiger und es wird geschätzt, dass über 90% der Personen mit Diabetes einen Typ-2-Diabetes aufweisen [5]. Neben Befragungs- und Untersuchungssurveys gewinnt die Analyse von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zur Schätzung der Prävalenz des Diabetes an Bedeutung [8] [9] [10] [11] [12] [13]. Obwohl die verschiedenen Diabetestypen mittels unterschiedlicher ICD-Codes klassifiziert werden, erweist sich eine Unterscheidung von Typ-1- und Typ-2-Diabetes auf Basis von Routinedaten anhand der Diagnosen oft als schwierig [10].

Auch im Rahmen der Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut werden Routinedaten beispielsweise zur zeitnahen Abbildung der Prävalenzen von Begleit- und Folgeerkrankungen oder der Mortalität genutzt [14] [15] [16]. Da epidemiologische Studien zeigen, dass sich die Häufigkeit von Folge- und Begleiterkrankungen [17] [18] und auch die Mortalität [19] zwischen den Diabetestypen deutlich unterscheidet, soll ein Algorithmus zur Typenunterscheidung des Diabetes zur Anwendung in Routinedaten entwickelt werden. Durch Anwendung des erarbeiteten Algorithmus auf Daten einzelner GKVen oder Daten nach der Datentransparenzverordnung (DaTraV) aller GKVen soll zukünftig auch für Deutschland eine nach Diabetestyp differenzierte Abbildung häufiger Komplikationen ermöglicht werden. Die vorliegende Studie beschreibt den Zuordnungsalgorithmus und die resultierenden altersspezifischen Prävalenzen für Typ-1- und Typ-2-Diabetes auf Basis einer Stichprobe von Daten der Barmer Krankenversicherung.


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Methodik

Datengrundlage

Grundlage der Analyse bilden pseudonymisierte Daten der Barmer Krankenversicherung der Jahre 2010 bis 2018. Eingeschlossen wurden Personen mit vollständigen Angaben zu Geschlecht und Alter sowie einer durchgehenden Versicherungszeit von 2010 oder von Geburt (nach 2010) bis 2018. Für die Analyse wurde anschließend eine Zufallsstichprobe stratifiziert nach Alters- und Geschlechtsverteilung der Bevölkerung des Jahres 2018 gezogen [20], deren Fallzahl 1% der Bevölkerung umfasste. Hierbei wurden folgende Altersgruppen (in Jahren) verwendet:<18, 18–29, 30–39, 40–49, 50–59, 60–69, 70–79, 80–89,≥90. Die Daten beinhalten neben Stammdaten zu Alter, Geschlecht und Versicherungszeit Informationen zu ambulanten und stationären Diagnosen sowie Leistungen und Arzneimittelverordnungen. Diagnosen wurden gemäß der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10) [21] und Arzneimittelverordnungen gemäß der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen (ATC) Klassifikation [22] dokumentiert.


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Definition des Diabetes mellitus

Aufbauend auf der Vorarbeit zur Definition von Typ-2-Diabetes in Routinedaten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) [12] wurden die Falldefinitionen des Diabetes weiter entwickelt. Im ambulanten Bereich wurden als „gesichert“ oder „Zustand nach“ bezeichnete Diagnosen und im stationären Bereich nur Hauptdiagnosen eingeschlossen. Zusätzlich wurde die Diagnosestellung im Rahmen der Arbeitsunfähigkeit und dem ambulanten Operieren berücksichtigt. Ein Diabetes wurde im ambulanten Bereich beim Vorliegen einer ICD-Diagnose E10.- bis E14.- in mindestens zwei Quartalen oder dem Vorliegen einer Diagnose in nur einem Quartal bei zusätzlicher Verordnung eines Antidiabetikums (ATC-Code A10) bezogen auf das Berichtsjahr 2018 angenommen. Hierbei musste mindestens eine Verordnung eines Antidiabetikums in mindestens einem Quartal vorliegen. Im stationären Sektor, dem ambulanten Operieren und der Arbeitsunfähigkeit war eine ICD-Diagnose E10.- bis E14.- im Berichtsjahrs 2018 für die Definition des Diabetes ausreichend.


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Algorithmus zur Unterscheidung der Diabetestypen

Anschließend wurden die Versicherten auf Basis der dokumentierten ICD-Diagnosen (E10.- bis E14.-) und der Verordnung von Antidiabetika (ATC-Codes A10) den verschiedenen Diabetestypen zugeordnet ([Tab. 2]). Bei den Diagnosen des Diabetes wurden der Diabetes mellitus Typ 1 (E10.-), der Diabetes mellitus Typ 2 (E11.-), der Diabetes mellitus in Verbindung mit Fehl- oder Mangelernährung (E12.-), der sonstige näher bezeichnete Diabetes mellitus (E13.-) und der nicht näher bezeichnete Diabetes mellitus (E14.-) berücksichtigt. Hinsichtlich der Arzneimittel wurde zwischen der Verordnung von Insulin (ATC-Code A10A) und anderen vorwiegend oralen Antidiabetika (ATC-Code A10B) (im folgenden OAD benannt) unterschieden. Die Verordnung der Antidiabetika musste mindestens einmal im Berichtsjahr dokumentiert sein.

Tab. 2 Algorithmus zur Typenunterscheidung der Personen mit dokumentiertem Diabetes.

Schritt

Logik für Zuordnung

Diabetestyp

Zugeordnet

Teil 1

Medikation

Diagnose

Insulin

OAD

E10

E11/E12

E13

E14

n

%

1

1

0

1

0

Typ 1

2474

3,4%

2

0

1

Typ 2

58 456

80,4%

3

1

1

1

Typ 2

3582

4,9%

4

0

1

1

Typ 2

564

0,78%

5

0

0

0

0

0

1

Typ 2

2654

3,6%

6

1

0

0

0

1

Typ 2

1212

1,7%

7

0

0

1

Andere Diabetesformen

311

0,43%

8

0

1

0

Nicht zuordenbar

312

0,43%

9

1

0

1

1

Nicht eindeutig identifizierbar

2959

4,1%

10

1

0

0

0

0

1

Nicht eindeutig identifizierbar

117

0,16%

11

1

1

1

Nicht eindeutig identifizierbar

103

0,14%

Teil 2

Weitere Zuordnung von „Nicht eindeutig identifizierbar“

12

Alter<20 Jahre

Typ 1

63

0,09%

13

Valide Diagnosedokumentation in 2018

Typ 1

261

0,36%

Typ 2

127

0,17%

14

Überjährige Diagnosedokumentation

Typ 1

1225

1,7%

Typ 2

737

1,0%

1: vorhanden; 0: nicht vorhanden; – : vorhanden oder nicht vorhanden jeweils bezogen auf das Berichtsjahr 2018; OAD: Orale Antidiabetika und sonstige Antidiabetika exkl. Insulin (ATC A10B).

Für den Typ-1-Diabetes wurde vorausgesetzt, dass bei Dokumentation mindestens einer E10-Diagnose auch eine Verordnung von ausschließlich Insulin dokumentiert vorliegen muss ([Tab. 2]/Schritt 1). Lag zusätzlich zur E10-Diagnose auch eine E11/E12-Diagnose vor, wurden diese Personen zunächst keinem Typ zugeordnet. Personen, für welche ausschließlich E10-Diagnosen ohne Insulinverordnung vorlagen, wurden als „nicht zuordenbar“ klassifiziert (Schritt 8). Im Gegensatz dazu wurde ein Typ-2-Diabetes bei Vorliegen von E11/E12-Diagnosen ohne gleichzeitig codierte E10-Diagnose und unabhängig von einer Arzneimittelverordnung angenommen (Schritt 2). Lag zusätzlich zu einer E11/E12-Diagnose eine E10-Diagnose vor, wurden die Arzneimittelverordnungen geprüft. Bei Verordnung eines OAD mit oder ohne Insulin (Schritt 3) oder wenn weder eine Verordnung von Insulin noch OAD vorlag (Schritt 4), wurde ein Typ-2-Diabetes angenommen. Die Zuordnung in den Schritten 1 bis 4 erfolgte unabhängig davon, ob E13- oder E14-Diagnosen dokumentiert vorlagen. Zusätzlich wurden Personen, welche nur E14-Diagnosen aufwiesen und keine Medikation (Schritt 5) oder eine Medikation mit OAD (mit oder ohne Insulin) verordnet (Schritt 6) bekamen, dem Typ-2-Diabetes zugeordnet. Davon abgegrenzt wurden Personen mit E13-Diagnosen (zusätzlich nur E14-Diagnosen möglich), da diese Gruppe andere Diabetesformen, wie beispielsweise den pankreopriven oder den arzneimittelinduzierten Diabetes, umfasst (Schritt 7).

Die weiteren Kombinationen aus Diagnosen und Arzneimittelverordnungen wurden in der Gruppe „nicht eindeutig identifizierbar“ zusammengefasst. Insbesondere Personen mit gleichzeitigem Vorliegen von E10- und E11-Diagnosen oder der Dokumentation von ausschließlich E14-Diagnosen jeweils in Verbindung mit einer Verordnung von Insulin ohne zusätzliche Verordnung von OAD stellten eine Herausforderung in der Zuordnung dar (Schritte 9/10). Auch Personen mit Verordnungen von Insulin und OAD zusammen mit einer E10-Diagnose konnten nicht eindeutig einem Typ zugeordnet werden (Schritt 11).

Zur weiteren Klassifikation der Gruppe „nicht eindeutig identifizierbar“ erfolgte eine Betrachtung weiterer Merkmale. Da der Typ-2-Diabetes im Kindes- und Jugendalter sehr selten auftritt [23], wurden alle Personen unter 20 Jahren dem Typ-1-Diabetes zugeordnet (Schritt 12). In Fällen, bei denen im Berichtsjahr 2018 sowohl E10- als auch E11-Diagnosen vorlagen, erfolgte die Typisierung folgendermaßen: Falls eine der beiden Diagnosen nur einmal und die andere mindestens zweimal codiert wurde, wurde die einmalige Nennung verworfen und die mehrmalige Diagnosenennung als valide betrachtet (Schritt 13). Für Personen, die weiterhin nicht zugeordnet werden konnten, wurden die Diagnosen der vorausgegangenen Berichtsjahre 2010–2017 ausgewertet. Sofern in den Vorjahren nur E10- oder nur E11-Diagnosen codiert wurden, konnten diese Personen dem entsprechenden Diabetestyp zugeordnet werden (Schritt 14). Alle Personen, die in diesem Schritt nicht einem spezifischen Diabetestyp zugeordnet werden konnten, wurden als „nicht zuordenbar“ klassifiziert.

Darauffolgend wurde in einer Sensitivitätsanalyse geprüft, ob unter Hinzunahme der Information zur Einschreibung in eines der Disease-Management-Programme (DMP) für Typ-1-Diabetes oder Typ-2-Diabetes weitere Personen aus der Gruppe „nicht eindeutig identifizierbar“ einem Diabetestypen zugeordnet werden können. Zusätzlich wurde geprüft, ob die Angaben zum DMP mit der Zuordnung des vorgestellten Algorithmus übereinstimmen.


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Statistische Analysen

Die statistischen Analysen umfassen die deskriptive Beschreibung der Prävalenz der einzelnen Diabetestypen stratifiziert nach Alter und Geschlecht im Jahr 2018. Hierzu wurde der Quotient aus der Anzahl der Personen mit Vorliegen eines Typ-1-Diabetes, eines Typ-2-Diabetes oder eines sonstigen Diabetes (andere Diabetesformen und nicht zuordenbar) und der Gesamtpopulation der Versicherten stratifiziert nach Geschlecht und den oben genannten Altersgruppen gebildet.


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Ergebnisse

Studienpopulation und Prävalenz des Diabetes mellitus

Die 1%-Stichprobe der Bevölkerung im Jahr 2018 umfasste insgesamt 830 192 Versicherte. Insgesamt erfüllten 72 744 Personen die Kriterien eines Diabetes gemäß der aufgestellten Falldefinition. Leitgedanke war hierbei, dass die Personen mindestens eine Diabetesdiagnose aufwiesen. Für den überwiegenden Teil (n=71 092, 96,7% aller Personen mit Diabetes) fanden sich ambulante Diabetesdiagnosen in mindestens zwei Quartalen. Mit Hinzunahme der Arzneimittel konnten weitere 1,1% der Personen mit Diabetes (n=794) identifiziert werden, welche nur in einem Quartal eine ambulante Diabetesdiagnose aufwiesen. Der restliche Anteil an Personen mit Diabetes (2,2%) wurde über folgende Kriterien definiert (Doppelnennungen möglich): stationäre Hauptdiagnosen (2,1%, n=1558) oder Diagnosen aus dem Sektor ambulantes Operieren (1,0%, n=703) und Arbeitsunfähigkeit (1,2%, n=906). Somit ergibt sich eine Prävalenz des Diabetes in der Studienpopulation von insgesamt 8,8%. Frauen zeigten eine etwas niedrigere Prävalenz mit 7,8% im Vergleich zu Männern mit 9,8%. Mit dem Alter stieg die Prävalenz des Diabetes deutlich an und erreichte in der Altersgruppe der 80- bis 89-Jährigen ihr Maximum ([Tab. 1]).

Tab. 1 Prävalenz des dokumentierten Diabetes stratifiziert nach Alter und Geschlecht im Berichtsjahr 2018.

Männer

Frauen

Gesamt

Altersgruppe

Diabetes

Population

Diabetes

Population

Diabetes

Population

n

%

n

n

%

n

n

%

n

Bis 17 Jahre

205 

0,29 

69 929 

178 

0,27 

66 043 

383 

0,28 

135 972 

18–29 Jahre

481 

0,80 

60 015 

423 

0,77 

54 962 

904 

0,79 

114 977 

30–39 Jahre

857 

1,6 

54 375 

835 

1,6 

52 091 

1692 

1,6 

106 466 

40–49 Jahre

2541 

4,8 

52 511 

1665 

3,2 

51 751 

4206 

4,0 

104 262 

50–59 Jahre

7132 

10,5 

67 680 

4057 

6,1 

67 064 

11 189 

8,3 

134 744 

60–69 Jahre

10 888 

21,8 

49 874 

7373 

13,9 

53 152 

18 261 

17,7 

103 026 

70–79 Jahre

11 112 

31,7 

35 034 

9349 

22,4 

41 824 

20 461 

26,6 

76 858 

80–89 Jahre

6308 

34,7 

18 172 

7424 

26,7 

27 765 

13 732 

29,9 

45 937 

≥90 Jahre

574 

27,7 

2076 

1342 

22,9 

5874 

1916 

24,1 

7950 

Gesamt

40 098 

9,8 

409 666 

32 646 

7,8 

420 526 

72 744 

8,8 

830 192 


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Algorithmus zur Unterscheidung der Diabetestypen

Initial konnten insgesamt 95,2% aller Personen der Diabetespopulation entweder dem Typ-1-Diabetes, dem Typ-2-Diabetes oder einer anderen spezifischen Diabetesform auf Basis des Algorithmus zugeordnet werden ([Tab. 2], Schritt 1–7). Der Großteil ließ sich erwartungsgemäß dem Typ-2-Diabetes zuordnen und nur ein kleiner Teil dem Typ-1-Diabetes. Weitere 0,43% der Personen wurden als nicht zuordenbar klassifiziert, da diese bei einer ausschließlichen E10-Diagnose kein Insulin erhielten (Schritt 8). 4,4% der Personen konnten nicht eindeutig einem Diabetestyp zugeordnet werden und wurden zunächst als „nicht eindeutig identifizierbar“ klassifiziert (Schritt 9–11). Hierbei handelte es sich größtenteils um Personen mit einer Doppeldiagnose E10.- und E11.-, welche ausschließlich mit Insulin behandelt wurden (Schritt 9).

Anschließend konnten weitere drei Viertel der als „nicht eindeutig identifizierbaren“ Personen (2 413 von 3179) anhand ihres Alters, der Anzahl der Diagnosen und des überjährigen Diagnosegeschehens den verschiedenen Diabetestypen zugeordnet werden ([Tab. 2]/Schritt 12–14). So konnten dem Typ-1-Diabetes 63 Personen aufgrund des Alters unter 20 Jahren, 261 Personen aufgrund der validen Diagnosedokumentation im Jahr 2018 und 1 225 aufgrund der validen Angabe in der überjährigen Betrachtung zugeordnet werden. Dem Typ-2-Diabetes wurden 127 Personen anhand der validen Diagnosedokumentation im Jahr 2018 und 737 Personen aufgrund der überjährigen Analyse zugeordnet. Nach Durchführung beider Teile des Zuordnungsalgorithmus wurden insgesamt 98,5% der Personen mit Diabetes einem spezifischen Typen zugeordnet. Es wurden 92,6% als Typ-2-Diabetes, 5,5% als Typ-1-Diabetes und 0,43% als andere spezifische Diabetesformen klassifiziert. Die verbleibenden 1,5% konnten keinem Typ zugeordnet werden.

Die Verteilung der Diabetestypen unterscheidet sich in Abhängigkeit der Altersgruppen erheblich ([Abb. 1]). Während bei den Personen bis 17 Jahren beinahe 90% dem Typ-1-Diabetes zuzuordnen sind, nimmt dieser Anteil mit zunehmendem Alter deutlich ab. Für den Typ-2-Diabetes zeigt sich ein umgekehrtes Bild, denn ab einem Alter von 30 Jahren lässt sich die Mehrheit der Personen diesem Diabetestyp zuordnen. Die Personen, welche sich nicht zuordnen ließen oder eine spezifische andere Diabetesform aufwiesen, sind unter der Gruppe „sonstiger Diabetes“ zusammengefasst und der relative Anteil variiert je nach Altersgruppe zwischen 1,5 und 6,0%.

Zoom Image
Abb. 1 Relative Zuordnung der Personen mit dokumentiertem Diabetes zu den verschiedenen Diabetestypen stratifiziert nach Altersgruppen im Berichtsjahr 2018.

Prävalenz des Typ-1- und Typ-2-Diabetes

Basierend auf der beschriebenen Zuordnung ergibt sich eine Prävalenz des Typ-1-Diabetes von 0,48%, wobei Männer mit 0,58% eine höhere Prävalenz als Frauen mit 0,39% aufweisen ([Tab. 3]). Bezogen auf die Bevölkerung entspricht dies knapp über 400 000 Menschen mit Typ-1-Diabetes. Bis zum Alter von 40 bis 49 Jahren zeigt sich für beide Geschlechter eine Zunahme der Prävalenz. In den höheren Altersgruppen zeigt sich – mit Ausnahme einer stagnierenden Prävalenz in der Altersgruppe 50–59 Jahre bei Männern – ein stetiger Rückgang der Prävalenz des Typ-1-Diabetes.

Tab. 3 Prävalenz des dokumentierten Typ-1- und Typ-2-Diabetes stratifiziert nach Alter und Geschlecht im Berichtsjahr 2018.

Typ-1-Diabetes

Typ-2-Diabetes

Altersgruppe

Männer

Frauen

Gesamt

Männer

Frauen

Gesamt

Bis 17 Jahre

0,26%

0,24%

0,25%

0,02%

0,03%

0,02%

18–29 Jahre

0,60%

0,43%

0,52%

0,15%

0,29%

0,22%

30–39 Jahre

0,66%

0,47%

0,57%

0,86%

1,0%

0,94%

40–49 Jahre

0,79%

0,57%

0,68%

3,9%

2,6%

3,2%

50–59 Jahre

0,79%

0,45%

0,62%

9,5%

5,5%

7,5%

60–69 Jahre

0,65%

0,43%

0,53%

20,8%

13,2%

16,9%

70–79 Jahre

0,40%

0,28%

0,33%

30,8%

21,7%

25,9%

≥80 Jahre

0,27%

0,20%

0,22%

33,3%

25,4%

28,3%

Gesamt

0,58%

0,39%

0,48%

9,0%

7,2%

8,1%

Anmerkung: Altersgruppen 80–89 Jahre und≥90 Jahre wurden aufgrund niedriger Fallzahlen für den Typ-1-Diabetes zusammengefasst.

Für den Typ-2-Diabetes ergibt sich eine Prävalenz von 8,1%. Auch hier weisen Männer mit 9,0% eine höhere Prävalenz als Frauen mit 7,2% auf. Während bei den Personen bis 39 Jahren die Prävalenz des Typ-2-Diabetes unter einem Prozent liegt, steigt diese ab dem Alter von 40 Jahren deutlich an und erreicht in der Altersgruppe ab 80 Jahren ihr Maximum.


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Sensitivitätsanalyse – Berücksichtigung der Disease-Management-Programme

Der Abgleich der Typenunterscheidung auf Basis des beschriebenen Algorithmus mit der Einschreibung in die DMP für Diabetes ergab eine hohe Übereinstimmung. Von allen Personen, die dem Typ-1-Diabetes oder Typ-2-Diabetes zugeordnet wurden, waren weniger als ein Prozent in einem DMP eingeschrieben, welches nicht dem identifizierten Diabetestyp entsprach ([Tab. 4]). Weiterhin zeigte sich, dass beinahe drei Viertel aller Personen mit Typ-1-Diabetes im entsprechenden DMP eingeschrieben sind. Beim Typ-2-Diabetes fiel dieser Anteil etwas geringer aus. In der Gruppe des sonstigen Diabetes waren rund 40% der Personen in ein DMP-Programm eingeschrieben. Unter Hinzunahme der Information zum DMP-Programm in den Algorithmus der Typenunterscheidung lassen sich insgesamt 72 152 (99,2%) Personen dem Typ-1-, Typ-2- Diabetes oder einer sonstigen spezifischen Diabetesform zuordnen.

Tab. 4 Anzahl der Personen mit dokumentiertem Typ-1- und Typ-2-Diabetes stratifiziert nach Einschreibung in ein Disease-Management-Programm im Berichtsjahr 2018.

Typ-1-Diabetes

Typ-2-Diabetes

Sonstiger Diabetes

Gesamt

Einschreibung DMP

n

%

n

%

n

%

n

%

DMP Typ-1-Diabetes

3008

74,8

166

0,25

301

21,7

3475

4,8

DMP Typ-2-Diabetes

26

0,65

42 703

63,4

250

18,0

42 979

59,1

Keine DMP-Einschreibung

989

24,6

24 463

36,3

838

60,3

26 290

36,1

Gesamt

4023

100,0

67 332

100,0

1389

100,0

72 744

100,0

DMP: Disease-Management-Programm.


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Diskussion

In der vorliegenden Studie wird ein umfassender Algorithmus zur Typenunterscheidung des Diabetes in Routinedaten vorgestellt, welcher insbesondere die Abgrenzung des Typ-1-Diabetes in den Blick nimmt. Die Prävalenz des dokumentieren Diabetes (alle Typen) betrug in der Studienpopulation für das Jahr 2018 8,8%. Hiervon konnten anhand des definierten Algorithmus 98,5% aller Personen mit Diabetes einem spezifischen Diabetestyp zugeordnet werden. So ergab sich eine Prävalenz des Typ-1-Diabetes von 0,48% und des Typ-2-Diabetes von 8,1%. Die Informationen zum DMP zeigten dabei eine hohe Übereinstimmung mit der Zuordnung auf Basis des Algorithmus.

In der vorliegenden Studie lag die Prävalenz des Diabetes insgesamt etwas niedriger als in den meisten vorausgegangen Analysen von GKV-Routinedaten, zeigt jedoch den gleichen altersspezifischen Verlauf. Studien auf Basis von Auswertungen der DaTraV-Daten berichten eine Prävalenz des Diabetes von 10,1% im Jahr 2010 [10] beziehungsweise mit einem engeren Aufgreifkriterium von 9,7% im Jahr 2011 [9]. Die Analyse von ausschließlich ambulanten Routinedaten zeigt eine Prävalenz des Diabetes von 10,0% im Jahr 2015 [8]. Die Analyse von Daten aller Allgemeiner Ortskrankenkassen (AOK) im Rahmen der „BURDEN 2020“-Studie berichtet hingegen eine vergleichbare Prävalenz von 8,9% im Jahr 2017 [24]. Neben dem Aufgreifkriterium können sich Abweichungen auch aus der unterschiedlichen Zusammensetzung der Studienpopulationen ergeben. So wurde in der vorliegenden Studie eine stratifizierte Stichprobe der Barmer Krankenkasse gezogen, welche der Zusammensetzung der Bevölkerung entsprach und auch die Prävalenz der AOK-Analyse wurde auf die Bevölkerung hochgerechnet [24]. Dies könnte Abweichungen von den Schätzungen innerhalb der GKV-Population erklären, da in dieser die Prävalenz von Diabetes höher geschätzt wird, als in der Gesamtbevölkerung [25].

Die genannten Studien berichten dabei über Schwierigkeiten bei der Zuordnung der Personen mit Diabetes zu einem Diabetestyp allein aufgrund der dokumentierten Diagnosen. So ließen sich bei Tamayo et al. 7,3% (72% der Diabetespopulation) dem Typ-2-Diabetes und 0,3% (3,0% der Diabetespopulation) dem Typ-1-Diabetes sicher zuordnen, da die Personen entweder nur E11-Diagnosen bzw. nur E10-Diagnosen oder eine E11-Diagnose bzw. eine E10-Diagnose jeweils in Kombination mit einer E14-Diagnose aufwiesen [10]. Bei Goffrier et al. zeigte sich ein ähnliches Bild mit 7,8% (78% der Diabetespopulation) für den Typ-2-Diabetes und 0,28% (2,8% der Diabetespopulation) für den Typ-1-Diabetes [8]. Im Vergleich liegen die Anteile unter Anwendung der Definition von Goffrier et al. und Tamayo et al. des Typ-2-Diabetes (nur Schritt 2 in [Tab. 2]) und Typ-1-Diabetes (nur Schritt 1 in [Tab. 2]) in der vorliegenden Studie etwas höher. Algorithmen zur weiteren Zuordnung von Personen mit widersprüchlichen (E10.- und E11.-) oder unklaren Diagnosen (nur E14.-) wurden im Rahmen eines Projekts des IQWIG [12] sowie einer Analyse von AOK-Daten [11] und darauf aufbauend im Rahmen der „BURDEN 2020“-Studie [13] [24] entwickelt. Die ersten beiden Studien fokussieren dabei auf die Abgrenzung des Typ-2-Diabetes. Analog zur vorliegenden Arbeit wurde in beiden Studien eine Verordnung von ausschließlich Insulin zur Definition von Typ-1-Diabetes gefordert und bei der Verordnung von OAD ein Typ-2-Diabetes angenommen. Der Algorithmus des IQWIG ordnet anschließend Personen mit widersprüchlichen Diagnosen (E10.- und E11.-) und einer Verordnung von Insulin ohne Gabe von OAD dem Typ-1-Diabetes zu [12]. In der vorliegenden Arbeit werden diese nicht alle dem Typ-1-Diabetes zugeordnet, da gemäß der RKI-Surveys circa 11% der Personen mit Typ-2-Diabetes ausschließlich mit Insulin behandelt werden [26]. In den beiden Analysen der AOK-Daten erfolgt die weitere Zuordnung anhand eindeutiger stationärer Hauptdiagnosen, einer Teilnahme im Disease-Management-Programm (DMP) für Typ-1- oder Typ-2-Diabetes sowie der relativen Diagnosehäufigkeit [11] [24]. In beiden Analysen werden knapp 97% der Personen mit Diabetes dem Typ-2-Diabetes zugeordnet, wohingegen dieser Anteil in der vorliegenden Arbeit mit 92,6% geringer ausfällt.

Während die Unterschiede in der Zuordnung sich relativ gering auf die Prävalenz des ohnehin sehr häufigen Typ-2-Diabetes auswirken, sind die relativen Unterschiede für die Prävalenz des Typ-1-Diabetes bedeutsam. So ergibt die Analyse der „BURDEN 2020“-Studie eine Prävalenz des Typ-1-Diabetes für alle Altersgruppen von 0,29% [24]. In der vorliegenden Studie wurde eine höhere Prävalenz für Typ-1-Diabetes (0,48%) geschätzt. Diese ist vergleichbar zu den Schätzungen des DPV-Registers, welches für Personen im Alter von 0–19 Jahren eine Prävalenz von 0,21% [27] und für Personen ab 18 Jahren eine Prävalenz von 0,49% berichtet [23]. Auch bei Betrachtung der Alters- und Geschlechtsverteilung zeigt sich ein ähnliches Prävalenzmuster. So ist die Prävalenz des Typ-1-Diabetes im Register in der Altersgruppe 35–44 Jahre mit 0,68% am höchsten und bei Männern ist die Prävalenz über alle Altersgruppen mit 0,54% insgesamt höher als bei Frauen mit 0,45% [23]. In den vorliegenden Daten ist das Maximum der Prävalenz in der Altersgruppe 40–49 Jahre mit 0,68% erreicht und Männer weisen eine Prävalenz von 0,58% im Vergleich zu Frauen mit 0,39% auf. Die Prävalenzschätzungen stehen auch im Einklang mit internationalen Ergebnissen. In Schottland liegt die Prävalenz des Typ-1-Diabetes im Jahr 2018 bei 0,6% [28], in den USA im Jahr 2016–17 bei 0,5% [29] und in Dänemark im Jahr 2016 bei 0,5% [30]. Auch hier sind Männer durchgehend häufiger betroffen und der Altersverlauf ähnelt den Schätzungen der vorliegenden Arbeit.

Limitationen

Bei der vorliegenden Studienpopulation handelt es sich um die Stichprobe einer einzelnen Krankenkasse. Die stratifizierte Ziehung der Strichprobe kann nur Abweichungen in der Alters- und Geschlechtsverteilung zur Bevölkerung ausgleichen, nicht aber in anderen Variablen, sodass ein Selektionsbias („Kassenbias“) bestehen bleibt. Auch die durchgängige Versicherungszeit der Studienpopulation von 2010 bis 2018 kann zu einer Verzerrung führen, da Personen welche aus der Versicherung ein- und austreten ausgeschlossen wurden und bei diesen seltener chronische Krankheiten vorliegen [31]. Die Zuordnung der Personen zu einem Diabetestyp erfolgte auf Grundlage der dokumentierten Diagnosen und Arzneimittelverordnungen, bei welchen Dokumentationsfehler nicht ausgeschlossen werden können. Auch die Dokumentation der DMP-Einschreibung kann in selten Fällen fehlerhaft sein. Weiterführende Analysen sollten daher die Dokumentation mit Primärdaten vergleichen, beispielsweise durch Linkage von Daten einer Kohortenstudie mit Routinedaten [32]. Weiterhin lassen sich seltene Diabetesformen wie beispielsweise der auf genetischen Mutationen beruhende „Maturity Onset Diabetes of the Young“ (MODY) oder sekundäre Diabetestypen bei Vorliegen anderer Erkrankungen in den dokumentierten Daten nur schwer unterscheiden und es ist davon auszugehen, dass diese teilweise als E10.- oder E11.- codiert werden. Auch besteht die Möglichkeit, dass Personen mit Typ-1-Diabetes bei Vorliegen eines Übergewichts oder einer Adipositas zusätzlich mit oralen Antidiabetika behandelt werden [2]. Aufgrund der geringen Fallzahlen sollte dies nur wenig Einfluss auf die Prävalenzschätzung haben.


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Förderung

Der Aufbau und die Fortsetzung der Nationalen Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut erfolgen durch eine Förderung des Bundesministeriums für Gesundheit (Förderkennzeichen: GE20150323 und GE20190305).


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Schlussfolgerung und Ausblick

Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung stellen eine wichtige Datengrundlage für die zeitnahe Surveillance von Diabetes mellitus dar. Die vorliegende Studie zeigt, dass sich Typ-1- und Typ-2-Diabetes bereits bei der Verwendung eines Algorithmus mit wenigen Variablen gut differenzieren lassen und dieser sich somit für die meisten Abrechnungsdatenquellen eignet. In weiterführenden Studien sollte im Abgleich mit Primärdaten die externe Validität geprüft werden. Auf dieser Grundlage können Fragestellungen, bei welchen die Typenunterscheidung eine wichtige Rolle spielt, analysiert werden. So können Prävalenzen von Folge- und Begleiterkrankungen und auch die Mortalität differenziert nach Diabetestyp geschätzt werden und in der Surveillance des Diabetes zukünftig zum Einsatz kommen.


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Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Die Autorinnen und Autoren bedanken sich bei der Barmer Krankenversicherung für die Bereitstellung der Daten der vorliegenden Studie.


Korrespondenzadresse

Dr. Lukas Reitzle
Robert Koch-Institut
Abteilung für Epidemiologie und Gesundheitsmonitoring
General-Pape-Straße 62-66
12101 Berlin
Germany   

Publication History

Article published online:
02 June 2022

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Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Relative Zuordnung der Personen mit dokumentiertem Diabetes zu den verschiedenen Diabetestypen stratifiziert nach Altersgruppen im Berichtsjahr 2018.