Schlüsselwörter
Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) - langzeiterkrankte Beschäftigte - Repräsentative
Erwerbstätigenbefragung - betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) - gesundheitsförderliche
Arbeitsbedingungen
Key words
Operational integration management (BEM) - employees on long-term sick leave - employment
survey - health-promoting working conditions - workplace health management (WHP)
Einleitung
Maßnahmen zum Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit
gewinnen an Bedeutung in einer Arbeitswelt, die zunehmend geprägt ist von
älter werdenden Belegschaften mit längeren Fehlzeiten und
häufigeren chronischen Erkrankungen [1]. Im Falle des Auftretens längerer Fehlzeiten und
Langzeiterkrankungen ist eine zielgerichtete Unterstützung der betroffenen
Beschäftigten ein wichtiger Teil der betrieblichen Gesundheitspolitik (zur
Arbeitssituation von längerfristig erkrankten Beschäftigten siehe
[2]). Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber
sind verpflichtet, Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger
als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren, ein
betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) anzubieten (§ 167 SGB IX). Es
soll hierdurch einerseits die aktuelle Arbeitsunfähigkeit (AU)
überwunden und einer erneuten AU vorgebeugt werden, mit dem Ziel, den
Arbeitsplatz zu erhalten. Betriebs- und Beschäftigtenbefragungen zeigen eine
Umsetzungshäufigkeit des BEM zwischen 30% und 95% –
letztere beschränkt auf Großunternehmen und teilweise mit einer
steigenden Tendenz im Verlauf der Jahre seit Inkrafttreten des Gesetzes [3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8].
Bei der deskriptiven Datenauswertung der gemeinsamen Befragung des Bundesinstituts
für Berufsbildung (BIBB) und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und
Arbeitsmedizin (BAuA) – der
BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung – deutete sich ein
Zusammenhang einer „Gesundheitsorientierung“ im Betrieb und einem
gesunden sozialen Klima mit der Umsetzung eines BEM an [7]. Eine statistische
Überprüfung dieser Hypothese soll im Rahmen der vorliegenden Studie
vorgenommen werden. Bislang wurde davon ausgegangen, dass Unterschiede in der
Verbreitung des BEM, genau wie die ebenfalls gesetzlich vorgeschriebene
Maßnahmen des Arbeitsschutzes sowie freiwilligen Maßnahmen der
betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF), vor allem auf die
Größe und den Wirtschaftsbereich des Betriebes
zurückgeführt werden können. Die Häufigkeit der
Umsetzung gesetzlicher Vorgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und BGF steigt
mit der Größe der Betriebe [3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]. In
Bezug auf die Branche bzw. den Wirtschaftsbereich kommen verschiedene Studien zu
unterschiedlichen Ergebnissen, was vor allem mit der jeweils vorgenommenen
Einteilung der Wirtschaftsbereiche zusammenhängt [9]. Die bereits erwähnte deskriptive
Auswertung von Wrage et al. [7] und eine
aktuelle Publikation von Hollederer [6] zeigen
allerdings, dass andere Faktoren, wie z. B. das Vorhandensein von
BGF-Maßnahmen eine bedeutendere Rolle spielen könnten. Ein weiterer
wichtiger Einflussfaktor auf die Einführung von Gesundheitsmaßnahmen
scheint das Vorhandensein einer Beschäftigtenvertretung zu sein [9]. Die Beschäftigtenvertretung gibt
häufig den Anstoß für die Einführung eines BEM. Dies
gilt vor allem in Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten [10].
Insbesondere auf Basis von qualitativen Studien wird angenommen, dass die
Einführung eines BEM mit Merkmalen einer gesundheitsorientierten
Organisation einhergeht, wie beispielsweise mit dem Vorhandensein eines
betrieblichen Gesundheitsmanagements oder anderer gesundheitsbezogener Strukturen,
eines kooperativen Führungsstils, sozialer Unterstützung sowie eines
vertrauensvollen Betriebsklimas [8]
[11]. Gerade für kleine und mittlere
Unternehmen (KMU) wird diskutiert, ob das BEM auch als Anstoß dient (oder
dienen könnte), die betriebliche Gesundheitspolitik auszubauen [10].
Loerbroks et al. [5] und Hollederer [6] betrachteten auch personenbezogene Variablen
wie beispielsweise Krankheit, Beruf, Anstellungsverhältnis und Alter als
Einflussgrößen für ein BEM-Angebot und fanden lediglich
schwache Zusammenhänge.
Zur Inanspruchnahme eines BEM-Angebots liegen bislang wenige Studien vor. Loerbroks
et al. [5] fanden einen Zusammenhang mit der
Betriebsgröße. Das angebotene BEM wurde eher in Kleinbetrieben in
Anspruch genommen. Hollederer [6] fand
außerdem eine geringe Inanspruchnahme, sofern keine
Beschäftigtenvertretung vorhanden ist, die Beschäftigten im
öffentlichen Dienst arbeiten und keine BGF-Angebote bekannt sind. Aus diesen
empirischen Befunden geht allerdings keine Erklärung für diese
Zusammenhänge hervor. Vor allem aus qualitativen Studien und Berichten von
Expertinnen und Experten ist bekannt, dass Transparenz, Vertrauen in das Verfahren
und den Datenschutz sowie generell ein vertrauensvolles Betriebsklima für
die Inanspruchnahme relevant sind [12]. Da es
sich bei der Frage zur BEM-Inanspruchnahme um eine individuelle Entscheidung
handelt, kann angenommen werden, dass auch personenbezogene Merkmale der
Beschäftigten wie Alter, Geschlecht und Dauer der AU eine Rolle spielen.
Vor dem Hintergrund der oben genannten Erkenntnisse soll in der vorliegenden Studie
die Rolle von gesundheitsbezogenen und sozialen Merkmalen genauer untersucht
werden:
-
Der Zusammenhang von BEM-Angebot mit den strukturellen betrieblichen
Merkmalen Betriebsgröße, Wirtschaftsbereich, Vorhandensein
von Betriebsrat/Personalrat, Angebot von BGF-Maßnahmen sowie
den subjektiv wahrgenommenen betrieblichen Merkmalen aus dem Bereich der
sozialen Ressourcen wie unterstützendes Verhalten von Vorgesetzten
und Kolleginnen und Kollegen sowie gutes Betriebsklima als Hinweise auf
einen gesundheitsorientierten Betrieb.
-
Der Zusammenhang von BEM-Inanspruchnahme mit den strukturellen betrieblichen
Merkmalen Betriebsgröße und Wirtschaftsbereich sowie den
subjektiv wahrgenommen betrieblichen Merkmalen aus dem Bereich der sozialen
Ressourcen wie unterstützendes Verhalten von Vorgesetzten und
Kolleginnen und Kollegen sowie gutes Betriebsklima als Hinweise auf einen
vertrauensvollen Umgang im Betrieb. Zusätzlich soll der Zusammenhang
von BEM-Inanspruchnahme mit den personenbezogenen Merkmalen Geschlecht,
Alter und Dauer der AU betrachtet werden.
Methodik
Datenbasis
Die Studie basiert auf den Daten der
BIBB/BAuA-Erwerbstätigenbefragung 2018 (ETB 2018). Befragt
wurden 20.012 Erwerbstätige ab einem Alter von 15 Jahren mit einer
Arbeitszeit von mindestens zehn Stunden pro Woche in Deutschland zu Beruf,
Ausbildung und Tätigkeit und der mit ihr verbundenen Belastung und
Beanspruchung. Erfasst wurden weiterhin gesundheitliche
Beeinträchtigungen. Es handelt sich bei diesen Querschnittdaten um eine
repräsentative Stichprobe für die Erwerbstätigen in
Deutschland (nach Gewichtungen auf Basis des Mikrozensus). Die Befragung
erfolgte zwischen dem 02.10.2017 und 05.04.2018 über ein Computer
Assisted Telephone Interview (CATI) [13].
Die Studienpopulation für die vorliegende Auswertung bildeten
abhängig Beschäftigte zwischen 18 und 65 Jahren, die angegeben
haben, innerhalb der vergangenen zwölf Monate insgesamt länger
als 30 Arbeitstage (sechs Wochen) krankgemeldet gewesen zu sein.
Selbstständige, freiberuflich Tätige, freie Mitarbeiter und
mithelfende Familienangehörige wurden ausgeschlossen.
Variablen
AU-Tage, BEM-Angebot und Inanspruchnahme
Die Teilnehmenden wurden zunächst nach den AU-Tagen der
vergangenen 12 Monate gefragt („Sind Sie in den letzten 12 Monaten
krank zu Hause geblieben bzw. haben sich krankgemeldet?“
nein/ja -->„Wie viele Arbeitstage waren das
insgesamt?“). Sofern es mehr als 30 Tage waren (diese Personen
werden im Folgenden als „Langzeiterkrankte“ bezeichnet),
wurden die Teilnehmenden außerdem gefragt, ob ihnen ein
betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten wurde
(„Wurde Ihnen aufgrund Ihrer längeren
Krankmeldung<en>ein betriebliches Eingliederungsmanagement
von Ihrem Arbeitgeber angeboten, z. B. Verringerung der
Arbeitsmenge, Verringerung oder Flexibilisierung der Arbeitszeit?“
nein/ja). Falls dies der Fall war, wurden sie gefragt, ob sie das
Angebot angenommen haben (nein/ja).
Strukturelle betriebliche Merkmale
Die Betriebsgröße wurde durch die Frage „Wie
viele Personen sind in dem Betrieb, in dem Sie arbeiten, in etwa
beschäftigt, einschließlich Inhaber und
Auszubildende?“ erhoben. Für die univariable Auswertung
wurden zwei Gruppen gebildet (Betriebe mit 249 oder weniger
Beschäftigten vs. Betriebe mit 250 oder mehr
Beschäftigten).
Der Wirtschaftsbereich wurde durch die Frage „Wozu
gehört der Betrieb, in dem Sie arbeiten? (Öffentlicher
Dienst, Industrie, Handwerk, Handel, Sonstige Dienstleistungen, anderer
Bereich)“ erfasst. Für die hier vorgenommene Auswertung
wurden Handel und sonstige Dienstleistungen in der Kategorie
Dienstleistungen aufgrund geringer Fallzahlen zusammengefasst und die
Kategorie „anderer Bereich“ ausgeschlossen.
BGF-Maßnahmen wurden erfragt durch „Wurden in Ihrem
Betrieb in den letzten 2 Jahren Maßnahmen der
Gesundheitsförderung durchgeführt?“
(nein/ja/weiß nicht). Für die vorliegende
Auswetung wurden die Kategorien „nein“ und
„weiß nicht“ zusammengefasst.
Das Vorhandensein einer Beschäftigtenvertretung wurde durch
die Frage „Gibt es in Ihrem Betrieb einen Betriebs- oder
Personalrat?“ erhoben (nein/ja).
Weitere betriebliche Merkmale: Soziale Ressourcen, Führung und
Betriebsklima
Soziale Ressourcen durch Kolleginnen und Kollegen wurden erhoben,
indem gefragt wurde, wie oft es vorkomme, „dass Sie sich an Ihrem
Arbeitsplatz als Teil einer Gemeinschaft fühlen?“.
Außerdem wurde gefragt „Wie oft empfinden Sie die
Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihren Arbeitskollegen als gut?“
und „Wie oft bekommen Sie Hilfe und Unterstützung
für Ihre Arbeit von Kollegen, wenn Sie diese brauchen?“. Die
Antwortkategorien waren jeweils „häufig, manchmal, selten,
nie“.
Die soziale Unterstützung durch Vorgesetzte wurde durch zwei
Fragen erhoben: „Und wie oft bekommen Sie Hilfe und
Unterstützung für Ihre Arbeit von Ihrem direkten
Vorgesetzten, wenn Sie diese brauchen?“ und „Wie oft gibt
Ihnen Ihr direkter Vorgesetzter Lob und Anerkennung, wenn Sie gute Arbeit
leisten?“ (häufig, manchmal, selten, nie).
Das Betriebsklima wurde über die Zufriedenheit damit erhoben
(sehr zufrieden, zufrieden, weniger zufrieden, nicht zufrieden).
Personenbezogene Merkmale der Beschäftigten
Als personenbezogene Merkmale wurden Geschlecht, Alter und Dauer der
AU ausgewertet.
Statistische Analyse
Für alle Auswertungen wurden die nach Mikrozensus gewichteten Daten
verwendet. Die Unterschiede zwischen den Gruppen wurden mit Chi-Quadrat-Test
bzw. T-Test geprüft und als Maß für die
Effektstärke wurden phi bzw Cramer’s V und Cohens
d herangezogen (Interpretation bei allen:≥0,1:
klein;≥0,3: mittel;≥0,5: groß). Der Einfluss der
verschiedenen betrieblichen Faktoren darauf, ob ein BEM-Angebot erfolgte, wurde
mittels binärer logistischer Regression analysiert. Die Aufnahme der
unabhängigen Variablen in das Regressionsmodell erfolgte dabei mit der
Einschlussmethode auf Basis der in der Einleitung dargestellten Annahmen. Als
Schätzer wurden Odds Ratios (OR) mit 95%-Konfidenzintervallen
(KI) und p-Werten (α=0,05) berechnet. Die Beurteilung der
Modellgüte basiert auf dem Bestimmtheitsmaß Pseudo R²
(Nagelkerkes bzw. Cox und Snell). Alle statistischen Analysen wurden mit SPSS
(Version 26) durchgeführt.
Ergebnisse
Von den 17.324 abhängig Beschäftigten, die Angaben zu ihren AU-Tagen
gemacht haben, berichteten 1.382 (8%) Personen von mehr als 30 AU-Tagen. Von
dieser Gruppe machten 1.356 Personen Angaben zu einem BEM-Angebot. Im Mittel waren
die Langzeiterkrankten im betrachteten 12-Monats-Zeitraum 82 Tage
arbeitsunfähig. Mit rund 9% (n=689) waren mehr Frauen unter
den Langzeiterkrankten vertreten als Männer (7%; n=693). Im
Vergleich zu kürzer Erkrankten, waren die längerfristig Erkrankten
mit 48 Jahren im Durchschnitt fünf Jahre älter.
Vierzig Prozent der potenziell berechtigten Beschäftigten wurde ein BEM
angeboten, welches von 68% dieser Gruppe angenommen wurde. Somit hat
letztlich etwas mehr als ein Viertel der Beschäftigten, die für ein
BEM in Frage kamen, tatsächlich ein BEM in Anspruch genommen.
Männern und Frauen wurde gleich häufig ein BEM-Angebot unterbreitet
und sie haben es auch etwa gleich häufig in Anspruch genommen. Die 548
langzeiterkrankten Beschäftigten, denen nach eigener Aussage ein BEM
angeboten wurde, waren allerdings im Schnitt 2,5 Jahre älter als jene, die
kein Angebot erhielten. Sie waren außerdem im Mittel mit 93 Tagen
länger erkrankt als Langzeiterkrankte, die kein BEM-Angebot erhielten (siehe
[Tab. 1]).
Tab. 1 BEM-Angebot und Inanspruchnahme –
Personenbezogene Merkmale.
|
BEM-Angebot: ja
|
BEM-Angebot: nein
|
|
|
M /%
|
N
|
M /%
|
N
|
t (df); p; Cohens
d / χ2
(df); p
|
Alter ***
|
49,52
|
548
|
47,01
|
808
|
t=4,23 (1259); p<0,001; d=0,23
|
AU-Tage***
|
92,78
|
548
|
74,07
|
808
|
t=6,22 (1135); p<0,001; d=0,35
|
Geschlecht
|
Männer
|
39,6
|
269
|
60,4
|
411
|
χ2 (1)=0,41; p=0,520
|
Frauen
|
41,3
|
279
|
58,7
|
397
|
|
Inanspruchnahme: ja
|
Inanspruchnahme: nein
|
|
|
M
/%
|
N
|
M
/%
|
N
|
t (df), p;
Cohens
d
/ χ
2
(
df); p
|
Alter
|
49,65
|
367
|
49,23
|
170
|
t=6,22 (292); p=0,673,
|
AU-Tage**
|
97,47
|
367
|
83,35
|
170
|
t=2,85 (359); p=0,005; d=0,26
|
Geschlecht
|
Männer
|
67,6
|
180
|
32,4
|
87
|
χ2 (1)=0,19; p=0,667
|
Frauen
|
69,1
|
186
|
30,1
|
83
|
p<0,050*; p<0,010** ;
p<0,001***.
BEM-Angebot und betriebliche Merkmale
In der univariablen Analyse zeigten sich signifikante Zusammenhänge mit
der Häufigkeit eines BEM-Angebots für die Variablen
Betriebsgröße, Wirtschaftsbereich, BGF-Maßnahmen,
Beschäftigtenvertretung sowie mit den erhobenen sozialen Ressourcen
(siehe [Tab. 2]).
Tab. 2 BEM-Angebot und Inanspruchnahme –
Betriebliche Merkmale.
|
BEM-Angebot: ja
|
|
N
|
%
|
χ2 (df); p
Phi/Cramers V
|
Gesamt
|
548
|
40,4
|
–
|
Strukturelle betriebliche Merkmale
|
Betriebsgröße***
|
|
|
|
bis 249 Beschäftigte
|
310
|
36,1
|
χ2(1)=24,48; p<0,001
Phi=0,14; p<0,001
|
250 oder mehr Beschäftigte
|
230
|
50,0
|
Wirtschaftsbereich***
|
|
|
|
Öffentlicher Dienst
|
190
|
50,2
|
χ2(3)=31,76; p<0,001
Cramer’s V=0,16; p<0,001
|
Industrie
|
130
|
45,3
|
Handwerk
|
55
|
33,6
|
Dienstleistung
|
133
|
32,2
|
BGF-Maßnahmen***
|
|
|
|
BGF-Maßnahmen bekannt
|
329
|
56,7
|
χ2(1)=111,23; p<0,001
Phi=0,29; p<0,001
|
Keine BGF-Maßnahmen
bekannt/„Weiß nicht“
|
219
|
28,3
|
Betriebs- oder
Personalrat***
|
|
|
|
Betriebs- oder Personalrat vorhanden
|
400
|
45,5
|
χ2(1)=18,31; p<0,001
Phi=0,12; p<0,001
|
Kein Betriebs- oder Personalrat vorhanden
|
128
|
32,8
|
Soziale Ressourcen, Führung und
Betriebsklima
|
„Zufriedenheit mit dem
Betriebsklima“***
|
|
|
|
Sehr zufrieden
|
149
|
46,7%
|
χ2 (3)=21,71; p<0,001
Cramer’s V=0,13; p<0,001
|
Zufrieden
|
266
|
41,7%
|
Weniger zufrieden
|
97
|
39,0%
|
Nicht zufrieden
|
36
|
24,2%
|
„Am Arbeitsplatz Teil einer
Gemeinschaft“***
|
|
|
|
häufig
|
437
|
45,0%
|
χ2 (3)=41,50; p<0,001;
Cramer’s V=0,18; p<0,001
|
manchmal
|
67
|
35,7%
|
selten
|
31
|
31,4%
|
nie
|
12
|
13,4%
|
„Gute Zusammenarbeit mit
Kollegen“***
|
|
|
|
häufig
|
467
|
44,1%
|
χ2 (3)=24,59; p<0,001;
Cramer’s V=0,14; p<0,001
|
manchmal
|
63
|
31,8%
|
selten
|
13
|
23,0%
|
nie
|
4
|
18,2%
|
„Hilfe/Unterstützung von
Kollegen“**
|
|
|
|
häufig
|
425
|
43,9%
|
χ2 (3)=17,04; p=0,001;
Cramer’s V=0,12; p=0,001
|
manchmal
|
80
|
34,0%
|
selten
|
34
|
33,6%
|
nie
|
10
|
21,3%
|
„Hilfe/Unterstützung vom direkten
Vorgesetzten“***
|
|
|
|
häufig
|
291
|
46,7%
|
χ2 (3)=33,65; p<0,001;
Cramer’s V=0,16; p<0,001
|
manchmal
|
129
|
39,6%
|
selten
|
92
|
36,9%
|
nie
|
33
|
21,6%
|
„Lob und Anerkennung vom direkten
Vorgesetzten“***
|
|
|
|
häufig
|
169
|
53,5%
|
χ2 (3)=67,21; p<0,001;
Cramer’s V=0,22; p<0,001
|
manchmal
|
188
|
46,0%
|
selten
|
130
|
35,6%
|
nie
|
56
|
22,0%
|
|
Inanspruchnahme: ja
|
|
N
|
%
|
χ
2
(df); p
Phi/Cramers V
|
Gesamt
|
367
|
68,3
|
-
|
Strukturelle betriebliche Merkmale
|
Betriebsgröße**
|
|
|
|
bis 249 Beschäftigte
|
220
|
73,2
|
χ2(1)=7,21; p=0,007
Phi=0,12; p=0,007
|
250 oder mehr Beschäftigte
|
141
|
62,0
|
Wirtschaftsbereich***
|
|
|
|
Öffentlicher Dienst
|
108
|
57,4
|
χ2(3)=22,59; p<0,001
Cramer’s V=0,21; p<0,001
|
Industrie
|
86
|
66,7
|
Handwerk
|
46
|
86,1
|
Dienstleistung
|
98
|
76,4
|
Soziale Ressourcen, Führung und
Betriebsklima
|
Keine signifikanten Unterschiede
|
p<0,050*; p<0,010** ;
p<0,001***.
In Betrieben mit 250 oder mehr Beschäftigten wurde häufiger ein
BEM angeboten als in kleineren Betrieben. Beschäftigte im
öffentlichen Dienst erhielten am häufigsten ein BEM-Angebot.
Beschäftigte, die berichteten, dass in ihrem Betrieb in den letzten zwei
Jahren BGF-Maßnahmen durchgeführt wurden, erhielten
häufiger ein BEM-Angebot als Beschäftigte, bei denen keine
BGF-Maßnahmen durchgeführt wurden bzw. dies nicht bekannt war.
In Betrieben, in denen ein Personal- oder Betriebsrat existierte, wurde
häufiger ein BEM angeboten als in Betrieben ohne
Beschäftigtenvertretung. (siehe [Tab.
2])
Bezüglich der sozialen Ressourcen zeigte sich der stärkste
Zusammenhang mit dem Verhalten der Vorgesetzten: Von den Personen, die
berichteten, nie Lob und Anerkennung von direkten Vorgesetzten zu erhalten,
bekam weniger als ein Viertel ein BEM angeboten, während von denjenigen,
die häufig Lob erhielten, mehr als die Hälfte ein BEM-Angebot
bekam. Personen, die sich häufig als ein Teil einer Gemeinschaft am
Arbeitsplatz erlebten und Personen, die über häufige soziale
Unterstützung durch Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte sowie ein
Gefühl von guter Zusammenarbeit berichteten, erhielten
überdurchschnittlich häufig ein BEM-Angebot. Gleiches galt
für Beschäftigte, die mit dem Betriebsklima sehr zufrieden waren
(siehe [Tab. 2]).
In die logistische Regression wurden neun Variablen per Einschluss einbezogen.
Das Modell war statistisch signifikant mit χ2 (11,
N=1126)=168,9, p<0,000, erklärte zwischen
13,8% (Cox und Snell R2) und 18,6% (Nagelkerke
R2) der Varianz im BEM-Angebot und klassifizierte 66,7%
der Fälle korrekt, wobei vier der neun Variablen einen signifikanten
Beitrag zu dem Modell leisteten. Der stärkste Prädiktor war BGF
mit einer OR von 2,3. Die Wahrscheinlichkeit eines BEM-Angebots wurde
außerdem dadurch erhöht, Lob und Anerkennung von direkten
Vorgesetzten zu erhalten, das Gefühl zu haben, am Arbeitsplatz ein Teil
einer Gemeinschaft zu sein sowie bei dem Vorhandensein einer
Beschäftigtenvertretung. [Tabelle
3] zeigt für alle einbezogenen Variablen den
Regressionskoeffizienten (B), Standardfehler (SE), Wald-Statistik,
Signifikanz (p) Odds Ratio (OR) und 95% Konfidenzintervall
(KI).
Tab. 3 BEM-Angebot – Logistische
Regression.
|
B
|
SE
|
Wald
|
p
|
OR
|
95%-KI für OR
|
BGF-Maßnahmen***
|
0,83
|
0,14
|
35,67
|
0,000
|
2,30
|
1,75–3,02
|
Lob und Anerkennung vom direkten
Vorgesetzten***
|
0,47
|
0,08
|
33,93
|
0,000
|
1,60
|
1,36–1,87
|
Am Arbeitsplatz Teil einer Gemeinschaft*
|
0,25
|
0,10
|
6,01
|
0,014
|
1,28
|
1,05–1,57
|
Betriebs- oder Personalrat*
|
0,42
|
0,19
|
5,00
|
0,025
|
1,52
|
1,05–2,20
|
Wirtschaftsbereich: Dienstleistung
|
|
0,19
|
5,00
|
0,487
|
|
|
Wirtschaftsbereich: Öffentlicher Dienst
|
0,20
|
0,19
|
5,00
|
0,257
|
1,22
|
0,86–1,73
|
Wirtschaftsbereich: Industrie
|
0,29
|
0,19
|
5,00
|
0,136
|
1,33
|
0,91–1,95
|
Wirtschaftsbereich: Handwerk
|
0,13
|
0,19
|
5,00
|
0,567
|
1,14
|
0,73–1,79
|
Hilfe/Unterstützung vom direkten
Vorgesetzten
|
−0,05
|
0,08
|
0,31
|
0,579
|
0,96
|
0,82–1,12
|
Anzahl Personen im Betrieb
|
−0,02
|
0,04
|
0,18
|
0,669
|
0,98
|
0,92–1,06
|
Gute Zusammenarbeit mit Kollegen
|
0,16
|
0,16
|
0,96
|
0,327
|
1,17
|
0,85–1,62
|
Hilfe/Unterstützung von Kollegen
|
−0,05
|
0,11
|
0,17
|
0,678
|
0,96
|
0,77–1,19
|
Zufriedenheit mit dem Betriebsklima
|
−0,02
|
0,09
|
0,04
|
0,840
|
0,98
|
0,83–1,17
|
Konstante
|
−3,38
|
0,67
|
14,49
|
0,000
|
0,03
|
|
p<0,050*; p<0,010** ;
p<0,001***.
BEM-Inanspruchnahme und betriebliche sowie personenbezogene Merkmale
In der univariablen Analyse zeigten sich signifikante Zusammenhänge mit
der Häufigkeit der Inanspruchnahme des BEM-Angebots für die
Variablen Betriebsgröße und Wirtschaftsbereich. In Betrieben mit
weniger als 250 Beschäftigten wurde das BEM-Angebot häufiger
angenommen. Am ehesten wurde das BEM in Handwerksbetrieben angenommen und am
seltensten im öffentlichen Dienst (siehe [Tab. 2]).
Hinsichtlich der sozialen Ressourcen und in der Zufriedenheit mit dem
Betriebsklima unterschieden sich die Arbeitsbedingungen von Personen, die das
BEM-Angebot angenommen haben kaum von denen, die es abgelehnt haben.
Zwischen Langzeiterkrankten, die das BEM-Angebot angenommen haben und jenen, die
es abgelehnt haben, fanden sich keine signifikanten Unterschiede bei Geschlecht
und Alter. Unterschiede gab es nur in Bezug auf die Dauer der AU.
Beschäftigte, die das Angebot angenommen haben, waren im Durchschnitt 14
Tage länger krankgeschrieben (siehe [Tab. 1]).
Diskussion
Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen
krank, müssen ihnen ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ein BEM anbieten.
Obwohl Studien der vergangenen Jahre einen moderaten Anstieg im Angebot des BEM
erkennen lassen [4], konnte auch die
vorliegende Studie zeigen, dass die flächendeckende Umsetzung des BEM in
Deutschland noch nicht annähernd vollständig erfolgt ist.
Während laut Betriebsbefragungen zwischen 56% und 95% der
Betriebe ein BEM anbieten [4], gaben bei
dieser Erwerbstätigenbefragung nur 40% der langzeiterkrankten
Beschäftigten an, ein BEM-Angebot erhalten zu haben.
Die Vermutung, dass ein BEM-Angebot eher in Betrieben angeboten wird, in denen das
Thema Gesundheit insgesamt eine größere Relevanz hat, wird
bestärkt dadurch, dass Beschäftigte, denen ein BEM angeboten wurde,
auch häufiger als andere Langzeiterkrankte berichteten, dass in ihrem
Betrieb BGF-Maßnahmen durchgeführt wurden. Dieser Zusammenhang war
in der durchgeführten Auswertung am stärksten. Die wichtige Rolle
der Vorgesetzten konnte ebenfalls durch diese Analyse bestätigt werden, da
der zweitstärkste Zusammenhang mit Lob und Anerkennung durch Vorgesetzte
gefunden wurde. Diese Variablen können, gemeinsam mit dem
Gemeinschaftsgefühl in der Belegschaft und dem Vorhandensein einer
Beschäftigtenvertretung – die ebenfalls signifikant mit dem
BEM-Angebot zusammenhingen – als Indikatoren guter Arbeitsbedingungen
betrachtet werden. Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass Betriebe, in denen
Gesundheitsförderung, Wertschätzung und Gemeinschaftsgefühl
einen höheren Stellenwert haben, die gesetzlichen Anforderungen zum BEM eher
umsetzen. Gleichzeitig ist es denkbar, dass ein umgekehrter Effekt vorliegen
könnte, und Betriebe die Einführung eines BEM aufgrund von
Langzeiterkrankungen zum Anlass der Überprüfung ihres sonstigen
Engagements für die Gesundheit der Beschäftigten genommen haben.
Nicht betrachtet wurde der Einfluss von belastenden Arbeitsbedingungen auf ein
BEM-Angebot, da hier kein direkter Einfluss plausibel schien und unklar
wäre, in welche Richtung ein Zusammenhang weisen würde. Denkbar
wäre, dass ein Betrieb mit belastenden Arbeitsbedingungen dem Thema
Gesundheit wenig Priorität einräumt und somit eher kein BEM
einführt. Es wäre allerdings auch möglich, dass Betriebe
belastendende Arbeitsbedingungen oder einen hohen Krankenstand zum Anlass nehmen,
ein BEM einzuführen. Auch personenbezogene Variablen wie Alter, Beruf und
Anstellungsverhältnis wurden in dieser Auswertung nicht als
Einflussgrößen für ein BEM-Angebot betrachtet, da davon
ausgegangen wird, dass ein einmal eingeführtes BEM-Prozedere alle
Beschäftigten eines Betriebes gleichermaßen berücksichtigt
und nicht nach Alter oder Beruf unterscheidet.
In Bezug auf die Inanspruchnahme von BEM zeigt sich – vergleichbar zu Studien
zum Zusammenhang von Betriebsgröße und Wirtschaftsbereich mit
BGF-Angebot und Inanspruchnahme [14] –
auch hier ein umgekehrter Effekt zum Angebot. In Dienstleistungs- und
Handwerksbetrieben, sowie in kleineren Betrieben wurde das BEM-Angebot
häufiger angenommen als in größeren Betrieben, im
öffentlichen Dienst und in Betrieben der Industrie. Eine mögliche
Erklärung für den Betriebsgrößeneffekt
könnte sein, dass gerade in sehr kleinen Betrieben durch eine
größere Nähe der Beteiligten zueinander mehr Vertrauen
vorhanden ist und das Angebot als „persönlicher“
wahrgenommen wird. Gleichzeitig ist es denkbar, dass auch der Druck, das Angebot
anzunehmen, größer ist. Das BEM wurde außerdem eher von
Beschäftigten mit einer längeren AU-Dauer angenommen. Es
könnte sein, dass sich bei den längerfristig Erkrankten
zusätzlich das Gefühl verstärkt, bei der Wiedereingliederung
Unterstützung zu benötigen.
Die Stärke der vorliegenden Studie liegt vor allem in der
Repräsentativität der Datengrundlage und in der Fokussierung auf die
Frage der Rolle Gesundheitsorientierung und sozialen Ressourcen. Die Befragung wurde
allerdings nicht primär mit dem Ziel der Prüfung der Umsetzung des
BEM durchgeführt. Hierdurch ergeben sich für die Auswertung einige
Limitationen. Sowohl die Angabe der AU-Tage als auch die Angabe zum BEM-Angebot
erfolgten retrospektiv als Selbstangabe der Beschäftigten. Der Anteil
Langzeiterkrankter ist allerdings vergleichbar mit Daten aus anderen
Veröffentlichungen, die teilweise auf Krankenkassendaten oder Daten der
Gesundheitsberichterstattung beruhen [15]
[16]
[17].
Es ist möglich, dass Beschäftigte sich nicht an ein BEM-Angebot
erinnern oder es nicht als ein solches erkannt haben. Dieser Effekt sollte
allerdings relativ gering ausfallen, da in der Frage zum BEM-Angebot bereits
exemplarische Maßnahmen genannt wurden. Die Genauigkeit der Aussagen zu den
Einflussgrößen auf ein BEM-Angebot wird ebenfalls dadurch begrenzt,
dass die verwendeten Variablen nicht primär zu diesem Zweck, z. B.
zur Beschreibung einer gesundheitsorientierten Organisation, erhoben wurden.
Weiterhin wird die Aussagekraft dadurch begrenzt, dass es sich um eine
Querschnittsbefragung handelt und somit keine Aussagen zur Kausalität
möglich sind. In Bezug auf die Frage nach BEM-Angebot und Vorhandensein von
BGF-Maßnahmen ist eine Verzerrung durch „Common Method Bias“
bzw. „Single Source Bias“ denkbar [18]. In der Befragung wurden zunächst nur Personen mit der
entsprechenden Anzahl von Krankheitstagen nach dem Angebot eines BEM sowie nach der
Inanspruchnahme gefragt. Direkt danach folgte die, wieder an alle Befragten
gerichtete Frage, nach dem Vorhandensein von BGF-Maßnahmen im Betrieb. Diese
zeitliche Nähe und die Ähnlichkeit der Frageformulierung
begünstigen womöglich eine Verzerrung im Sinne einer
„Ja-Sage-Tendenz“ (Acquiescence). Andererseits sind die Fragen
eindeutig formuliert und die Frage nach dem BEM-Angebot ist sehr spezifisch und
bezieht sich auf eine bestimmte Phase im Leben der Befragten. Dies macht die Fragen
eindeutig beantwortbar und gut unterscheidbar und könnte somit einer
Ja-Sage-Tendenz entgegenwirken [18].
Trotz der großen Gesamtstichprobe ist die Gruppe der Langzeiterkrankten eher
klein. Noch geringer fällt die Gruppe der Personen aus, die ein BEM-Angebot
in Anspruch nehmen. Dies könnte ein Grund dafür sein, dass kaum
signifikante Zusammenhänge für die Inanspruchnahme gefunden wurden.
Eine weitere Ursache dürfte sein, dass im Rahmen dieser
Sekundärdatenanalyse keine Auswertung der für die Inanspruchnahme
als relevant angenommenen Variablen (wie bspw. Vertrauen in den
Rückkehrprozess und Vertrauen in die BEM-Akteurinnen und -Akteure)
möglich war, da diese nicht erhoben wurden. Aufgrund der begrenzten
Studienlage erscheinen hierzu zunächst explorative, qualitative Befragungen
sinnvoll.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass es nach wie vor großen
Nachholbedarf hinsichtlich der Umsetzung des BEM gibt und möglicherweise
andere Faktoren als Betriebsgröße und Branche bedeutsam sind. Der
Fokus auf die Gesundheit aller Beschäftigten und somit die Integration von
Maßnahmen zur Prävention von Belastungen und Erkrankungen mit
solchen zur Wiederherstellung der Gesundheit und zur Gesundheitsförderung
scheint auch vor dem Hintergrund der vorliegenden Analyse am sinnvollsten.