Schlüsselwörter
Palliativversorgung - Palliativpflege - Pflegeeinrichtungen - Altenheime - Versorgungsqualität
Key words
palliative care - hospice and palliative care nursing - nursing homes - quality of
health care
Einleitung
Im Zuge der demografischen Entwicklung gewinnt die Versorgung von schwerstkranken
und
sterbenden Menschen in Pflegeeinrichtungen zunehmend an Bedeutung. Laut einer
bevölkerungsbasierten Querschnittserhebung aus dem Jahr 2021 stellen
Pflegeeinrichtungen den zweithäufigsten Sterbeort in Deutschland dar [1]. Bereits jede*r Fünfte
verstirbt in einer Pflegeeinrichtung, der Anteil ist dabei im zeitlichen Verlauf
steigend [1]. Pflegeheimbewohner*innen
sind somit eine wichtige Zielgruppe für eine bedarfsgerechte palliative
Versorgung und hospizliche Begleitung am Lebensende [2].
In den letzten Jahren haben sich die Strukturen für die Palliativversorgung
in Deutschland aufgrund gesetzlicher Vorgaben weiterentwickelt. Mit dem Hospiz- und
Palliativgesetz aus dem Jahr 2015 gilt die allgemeine Palliativversorgung als
Bestandteil der gesetzlichen Regelversorgung im stationären Pflegesektor. In
§ 28 SGB XI Abs. 4 heißt es nun explizit „Pflege
schließt Sterbebegleitung mit ein.“ Während die
Palliativversorgung und Sterbebegleitung fortan als selbstverständlicher
Teil der Pflegeleistungen gilt, wird der zusätzliche Versorgungs- und
Betreuungsaufwand in der letzten Lebensphase finanziell nicht abgebildet. Durch die
Einführung der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) nach
§ 132 g SGB V besteht zwar ein Anspruch aus der gesetzlichen
Krankenversicherung für Bewohner*innen mit besonders aufwendiger
Palliativversorgung, bislang fehlt jedoch die Refinanzierung der allgemeinen
Palliativversorgung in der stationären Pflege [3]. Die Versorgung von schwerstkranken und
sterbenden Menschen ist zwar immer schon eine zentrale Aufgabe stationärer
Pflegeeinrichtungen gewesen, unter den veränderten Rahmenbedingungen liegt
der Schwerpunkt der fachlich-politischen Diskussion nun aber bei den Bedingungen
eines würdigen Sterbens [3].
Ein Ansatz, der besonders die Lebensqualität und die individuelle Begleitung
von sterbenden Menschen in den Fokus stellt, ist der Palliative Care-Ansatz [3]. Mittlerweile hat Palliative Care in
Deutschland zwar in die meisten Konzepte von Pflegeeinrichtungen Einzug erhalten,
die konkrete Integration in den Arbeitsalltag gelingt jedoch kaum. Studien zufolge
befindet sich die hospizlich-palliative Versorgung in den Einrichtungen auf
unterschiedlichem Niveau, wodurch die Verlässlichkeit adäquater
Versorgung von Bewohner*innen mit palliativ-hospizlichem Bedarf anzuzweifeln
ist [3].
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich Versorgungsunterschiede in
den
Pflegeeinrichtungen darstellen und wodurch Abweichungen zu theoretisch angelegten
Konzepten in der Praxis bedingt sind.
Methodik
Im Rahmen des dreijährigen Modellprojekts „Hospizliche Begleitung und
palliative Versorgung in der stationären Pflege – HoBepViP“
wird die Situation im Praxisalltag stationärer Pflegeeinrichtungen
untersucht, um Problemfelder im Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis zu
identifizieren.
Auf Grundlage einer Struktur- und Prozessanalyse werden die strukturellen
Gegebenheiten sowie die Handhabungsweise der hospizlich-palliativen Versorgung im
Praxisalltag zweier stationärer Piloteinrichtungen eines
Einrichtungsträgers im städtischen und ländlichen Raum in
Nordrhein-Westfalen untersucht. Um Erkenntnisse zu erweitern und (träger-)
spezifische Merkmale geringzuhalten werden zusätzlich drei Einrichtungen
eines erweiterten Trägerkreises sowie ein fachkundiger Expertenbeirat mit
eingebunden.
Die qualitative und quantitative Datenerhebung erfolgt mithilfe eines Fragebogens
sowie einer Checkliste. Die Inhalte beziehen sich dabei auf die Struktur von
Personal und Bewohner*innen, die Identifizierung von Palliativsituationen,
Vorgaben und Angebote im Umgang mit Palliativbewohner*innen,
Kooperationsbeziehungen, Kommunikation und Qualitätsmanagement. Die
Strukturdaten beruhen auf einrichtungsinternen Statistiken und
berücksichtigen die Jahre 2010 bis 2019. Für die Prozessanalyse wird
der Praxisalltag der Palliativversorgung in den Piloteinrichtungen wissenschaftlich
begleitet. Diese Erhebungsform zielt darauf ab, die tatsächlich
stattfindenden Abläufe und menschlichen Verhaltensweisen zu ermitteln [4]. Die Beobachtung erfolgt offen, ohne
Involvierung in das Geschehen.
Die ermittelten Struktur- und Prozessdaten werden anschließend ausgewertet
und mithilfe von Prozessmodellen dargestellt. Diese ermöglichen eine
abstrahierte Abbildung der chronologisch-sachlogischen Abfolge von Funktionen und
Tätigkeiten und vereinfachen die Identifizierung von Problemfeldern und
Optimierungspotenzialen.
Ergebnisse
Beide Piloteinrichtungen (X und Y) (Eckdaten vgl. [Tab. 1]) verfügen über ein Palliative Care-Konzept sowie
Verfahrensanweisungen zur Sterbebegleitung und beschäftigen qualifizierte
Palliative Care-Pflegefachkräfte. Letztere machen in der städtischen
Einrichtung X einen Anteil von 9,7% und in der ländlichen
Einrichtung Y einen Anteil von 15,8% bemessen an allen
Pflegefachkräften aus. In Einrichtung Y wird außerdem
sichergestellt, dass jeder Wohnbereich über mindestens eine Palliative
Care-Pflegefachkraft verfügt. Die Gesundheitliche Versorgungsplanung am
Lebensende (GVP) wird Bewohner*innen der Einrichtung X bereits
regelmäßig angeboten. Die Einrichtung Y befindet sich derzeit in der
GVP-Implementierungsphase. Beide Einrichtungen verfügen über einen
palliativen Qualitätszirkel, dessen Treffen in Einrichtung X monatlich und
in Einrichtung Y quartalsweise vorgesehen sind. Eine Zusammenarbeit mit ambulanten
Hospizdiensten besteht in beiden Einrichtungen. Einrichtung Y verfügt zudem
über einen Kooperationsvertrag mit einem palliativmedizinischen
Konsiliardienst (PKD). Hierdurch wird in Einrichtung Y gelegentlich die SAPV
hinzugezogen, in Einrichtung X erfolgt der Einbezug von SAPV kaum. Seelsorgeangebote
sind in beiden Einrichtungen rein konfessioneller Art.
Tab. 1 Strukturdaten der Projekteinrichtungen X und Y im
Vergleich.
|
Projekteinrichtung X
|
Projekteinrichtung Y
|
Palliativversorgung
|
Palliative Care Konzept
|
ja
|
ja
|
Verfahrensanweisungen zur Sterbebegleitung
|
ja
|
ja
|
Anteil Palliative Care-Pflegefachkräftea
|
9,7%
|
15,8%
|
Min. eine Palliative Care-Pflegefachkraft je Wohnbereich
|
nein
|
ja
|
Gesundheitliche Versorgungsplanung am Lebensende
|
ja
|
Implementierungsphase
|
Palliativ-Qualitätszirkel
|
ja
|
ja
|
Kooperation PKD
|
nein
|
ja
|
Kooperation ambulanter Hospizdienst
|
ja
|
ja
|
Einbezug von SAPV
|
kaum
|
gelegentlich
|
Bewohner*innen gesamt
|
Anzahl Bewohner*innen pro Jahr
|
133,3
|
106,1
|
Durchschnittsalter
|
87,1 Jahre
|
85,8 Jahre
|
Verweildauer
|
255,7 Tage
|
255,0 Tage
|
Sterberate pro Jahr
|
30,5%
|
28,9%
|
Bewohner*innen palliativ
|
Anteil Palliativbewohner*innenb
|
18%
|
18%
|
Durchschnittsalter
|
87,0 Jahre
|
86,6 Jahre
|
Verweildauer
|
213,2 Tage
|
88,6 Tage
|
Sterberate pro Jahr am Anteil aller
Sterbefällec
|
26%
|
63,6%
|
aBemessen am Anteil aller Pflegefachkräfte;
bBemessen an der Anzahl aller Bewohner*innen;
cBezogen auf die jeweilige Einrichtung
Die Struktur der Bewohner*innen weicht in beiden Häusern insgesamt
nur wenig voneinander ab (vgl. [Tab. 1]). Das
durchschnittliche Alter aller Bewohner*innen ist mit rund 87 Jahren in
Einrichtung X und knapp 86 Jahren in Einrichtung Y ähnlich, ebenso wie die
durchschnittliche Verweildauer mit 255 und 256 Tagen. Auch der Anteil palliativer
Bewohner*innen sowie ihr Durchschnittsalter stimmt in beiden Einrichtungen
mit 18% sowie rund 87 Jahren überein. Da Einrichtung X über
mehr Wohnplätze verfügt, werden hier pro Jahr mit durchschnittlich
133,3 Bewohner*innen mehr Menschen versorgt als in Einrichtung Y mit rund
106,1 Bewohner*innen.
Obwohl die durchschnittliche Verweildauer aller Bewohner*innen in beiden
Einrichtungen ähnlich ist, unterscheidet sie sich bei palliativen
Bewohner*innen deutlich (vgl. [Tab.
1]). In Projekteinrichtung X liegt die dokumentierte Verweildauer in der
Palliativphase bei durchschnittlich 213,2 Tagen, während sie in
Projekteinrichtung Y 88,6 Tage beträgt. Auch der Anteil verstorbener
Bewohner*innen mit Palliativstatus weicht in den beiden Häusern
deutlich voneinander ab und liegt in Einrichtung X bei 26% und in
Einrichtung Y bei 63,6% bemessen am Anteil aller Sterbefälle (vgl.
[Tab. 1]).
Obgleich sich das Palliative Care-Konzept und die Verfahrensanweisungen zur
Sterbebegleitung beider Häuser inhaltlich stark ähneln, gibt es in
der Praxis deutliche Unterschiede in den Prozessfolgen. In Einrichtung X (vgl. [Abb. 1]) wird die Palliativphase nach
Einschätzung der versorgenden Pflegekraft identifiziert. Je nach
Grundausbildung und Erfahrungswerten können Einschätzung und
Zeitpunkt daher variieren. Nach Identifizierung der Palliativphase erfolgen bereits
Vorbereitungen auf die Lebensendphase: Es wird ein GVP-Gespräch angeboten
und bereits geführte GVP-Gespräche werden hinsichtlich ihrer
Aktualität geprüft, sodass Wünsche und Bedürfnisse
der Bewohner*innen in Bezug auf ihre letzte Lebensphase bekannt sind und
berücksichtigt werden können. Falls noch nicht vorhanden wird
zusätzlich beim Hausarzt/-ärztin die Ausstellung des Essener
Palliativausweises angefragt. Dieser dient dazu,
Patient*innenwünsche in Bezug auf die letzte Lebensphase
insbesondere in Notfallsituationen zu berücksichtigen. Die Versorgung wird
bedürfnisgerecht fortgeführt und nach Bedarf angepasst, bis der
Eintritt der Lebensendphase festgestellt wird. Die palliativmedizinische Versorgung
wird in Einrichtung X frühzeitig und größtenteils durch
Allgemein- und Palliativmediziner*innen sichergestellt. In der
Lebensendphase werden nach ärztlicher Verordnung pflegerische
Maßnahmen reduziert, die nicht zum Wohlbefinden des Bewohners/der
Bewohnerin beitragen und je nach Bedarf symptomlindernde Medikation eingesetzt. Bei
Veränderungen des Zustands werden Maßnahmen und Medikation
entsprechend angepasst. Gleichzeitig werden An- und Zugehörige von der
zuständigen Pflegefachkraft oder Wohnbereichsleitung über die
Lebensendphase informiert, Gespräche angeboten und die Möglichkeit
zum Abschiednehmen gegeben.
Abb. 1 Palliativer Versorgungsprozess in Projekteinrichtung X.
Anders als in Einrichtung X, in der die Palliativversorgung bereits früher im
Versorgungsverlauf beginnt, setzt die Palliativversorgung in Einrichtung Y mit
Erkennen der Lebensendphase ein (vgl. [Abb.
2]). Auch hier erfolgt die Identifizierung nach fachlicher
Einschätzung der versorgenden Pflegekraft und variiert je nach Erfahrung und
Grundausbildung. Nach Feststellung der Lebensendphase werden An- und
Zugehörige kontaktiert, über die Situation aufgeklärt und
Gespräche angeboten. Anschließend erfolgen Vorbereitungen auf eine
Versorgungsumstellung. Hierzu wird, neben Allgemein- und
Palliativmediziner*innen und anders als in Einrichtung X, vornehmlich ein
örtlich ansässiger palliativmedizinischer Konsiliardienst (PKD)
einbezogen, um die palliativmedizinische Versorgung zu gewährleisten. Die
Kontaktaufnahme erfolgt nach Ausstellung einer entsprechenden Verordnung durch den
Hausarzt/-ärztin, die palliative Leistungen zunächst
für acht Wochen vorsieht. Nach Einschätzung des PKD vor Ort werden
auch hier pflegerische Maßnahmen unterlassen, die nicht mehr zum
Wohlbefinden des Bewohners/der Bewohnerin beitragen und palliative
Medikation verordnet. Die palliative Versorgungssituation wird im Verlauf nicht nur
bei Bedarf verändert, sondern nach Ablauf der Verordnung
palliativmedizinischer Leistungen gemeinsam mit dem PKD evaluiert. Bei weiterem
palliativen Versorgungsbedarf kann die Verordnung verlängert werden;
gleichzeitig kann die Versorgung durch den PKD auch pausieren, sofern sich der
Zustand entsprechend verbessert.
Abb. 2 Palliativer Versorgungsprozess in Projekteinrichtung Y.
In beiden Einrichtungen erfolgt die Kommunikation mit An- und Zugehörigen
oder der gesetzlichen Vertretung ohne definierte Vorgaben und
regelmäßiger Frequenz. Sie findet bei Gelegenheit oder bei
Veränderungen in Bezug auf den/der Bewohner*in statt. Auch die
Bedarfsermittlung zusätzlicher (Gesprächs-) Angebote und der
Einbezug weiterer Kooperationspartner, wie dem ambulanten Hospizdienst und einer
seelsorgerischen Betreuung, erfolgen unsystematisch und ohne klare Organisation.
Zusätzlich besteht in beiden Einrichtungen die Schwierigkeit den einsetzenden
Palliativstatus verlässlich zu identifizieren. Wie weiter oben beschrieben,
beruht die Einschätzung vornehmlich auf subjektivem Ermessen der jeweiligen
Pflegekraft, was je nach vorhandenen Erfahrungen Inkonsistenzen und Unsicherheiten
begünstigt. Assessments oder Screenings als Orientierungshilfe zur
Identifizierung der Palliativsituation werden nicht hinzugezogen. Bei
Problemkonstellationen oder Unsicherheiten sind jedoch in beiden Pflegeeinrichtungen
Fallbesprechungen und Bewohnerkonferenzen zur gemeinsamen Konsensfindung
vorgesehen.
Diskussion
Die Erkenntnisse der Analysen zeigen, dass sowohl zwischen den Piloteinrichtungen
als
auch innerhalb der einzelnen Pflegeeinrichtungen des erweiterten Projektkreises
– folglich unabhängig von Trägerschaft und Standort
– deutliche Unterschiede in der Ausgestaltung palliativer Versorgung und
hospizlicher Begleitung bestehen. Viele Vorgänge sind zwar theoretisch
definiert, basieren in der Praxis jedoch auf der subjektiven Handhabung von
Mitarbeitenden und deren Erfahrungswissen.
Besonders deutlich sind die Unterschiede hinsichtlich der Verweildauer palliativer
Bewohner*innen mit durchschnittlich 213,2 Tage in Einrichtung X und 88,6
Tage in Einrichtung Y (vgl. [Tab. 1]). Mit
Blick auf die Prozessfolge lässt sich vermuten, dass Bewohner*innen
der Einrichtung X im Vergleich zur Einrichtung Y durch eine frühzeitigere
formale Einstufung in die Palliativphase länger als
„palliativ“ gelten (vgl. [Abb.
1] und [Abb. 2]). Das
GVP-Gespräch sowie der Einbezug des Essener Palliativausweises, dessen
Ausstellung in einer besonders frühen palliativmedizinischen Phase erfolgt,
könnten potenzielle Gründe für den formal früheren
„Startzeitpunkt“ sein (vgl. [Abb.
1] und [Abb. 2]).
Auffällig sind auch die Abweichungen der Sterberaten palliativer
Bewohner*innen am Anteil aller Sterbefälle. Hier sind es 26%
in Einrichtung X und 63,6% in Einrichtung Y, während die
Gesamtsterberate in beiden Häusern mit rund 30% vergleichbar ist
(vgl. [Tab. 1]). Als potenzielle
Erklärungsgründe könnten die grundsätzlich
unsystematische Fallerfassung und der fehlende Einsatz geeigneter
Screeninginstrumente angeführt werden. Letzteres belegt auch eine NRW-weite
IST-Stand-Erhebung zur Hospizkultur und Palliativversorgung in Pflegeeinrichtungen.
Nur rund 20% der 430 Befragten gaben an, dass in ihrer Pflegeeinrichtung
konkrete Assessmentinstrumente eingesetzt werden [5]. Über ein Viertel (26,3%; n=411) der Befragten
gaben an, dass überhaupt keine speziellen Verfahren zur Identifizierung von
Bewohner*innen mit palliativem Versorgungsbedarf in ihren Einrichtungen
entwickelt wurden [5]. Eine künftige
Anwendung von praxistauglichen Handlungshilfen könnte dazu beitragen, dass
palliativer Versorgungsbedarf frühzeitiger und zuverlässiger
identifiziert wird und gleichzeitig Mitarbeitende entlastet, die dadurch keine
Entscheidungen auf Grundlage ihrer eigenen (ggf. noch geringen) Erfahrungswerte
treffen müssen.
Dass die Sterberate palliativer Bewohner*innen am Anteil aller
Sterbefälle – bei gleichzeitig niedrigerer Verweildauer – in
Einrichtung Y deutlich höher als in Einrichtung X ausfällt,
könnte zudem mit höherer palliativer Fachlichkeit verbunden sein.
Einrichtung Y weist mit einem Anteil von 15,8% Palliative
Care-Pflegefachkräften mehr fachweitergebildete Mitarbeitende aus als
Einrichtung X mit 9,7%. Die ergänzend hinzugezogene Fachexpertise
des PKD, als palliativ-spezialisierten Kooperationspartner, könnte
darüber hinaus dazu beitragen, dass in Einrichtung Y im Vergleich zu
Einrichtung X grundsätzlich mehr palliative Bewohner*innen als
solche erkannt werden und folglich auch zum Zeitpunkt des Todes einen
Palliativstatus aufweisen.
Vermehrte Fort- und Weiterbildungsangebote zum Thema Palliativversorgung
können dazu beitragen, das Fachwissen der Mitarbeitenden zu steigern.
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Palliativversorgung für die
Grundausbildung von Pflegekräften zwar empfohlen und in den meisten
Rahmenlehrplänen berücksichtigt wird, Inhalt und Umfang jedoch nicht
verpflichtend geregelt sind [6], scheint die
Vermittlung palliativ-spezifischer Fachkenntnisse umso wichtiger. Über eine
entsprechende Fachweiterbildung verfügt derzeit lediglich jede
fünfte Pflegefachkraft [7].
Auch im Hinblick anderer palliativer Strukturen lässt sich eine Diskrepanz
zwischen Theorie und Praxis feststellen. Zwar gibt es formell in beiden
Einrichtungen jeweils einen palliativen Qualitätszirkel, die Treffen sind
jedoch unregelmäßig und in geringerer Frequenz als vorgesehen.
Zusätzlich existieren zwar Kooperationsverträge in den
Einrichtungen, im Praxisalltag erfolgen jedoch keine systemisch angelegten und
regelmäßigen Bedarfsermittlungen zum Einbezug der
Kooperationspartnern in die hospizlich-palliative Versorgung. Insgesamt bedarf es
festgelegter Verantwortungsbereiche sowie einer in den Praxisalltag
überführten Organisation und Koordination palliativer
Versorgungsabläufe, um eine verlässlichere Versorgung von
Bewohner*innen in der letzten Lebensphase sicherzustellen.
In den untersuchten Piloteinrichtungen werden 18% der Bewohner*innen
palliativ versorgt. Die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin geht
davon aus, dass bis zu 90% der Menschen am Lebensende einen palliativen
Versorgungsbedarf haben [8]. International
wird der Bedarf auf 56% bis 83% geschätzt [9]. Eine Routinedatenauswertung zur
Inanspruchnahme und regionaler Verteilung palliativer Leistungen ergab, dass im
Bundesdurchschnitt weniger als ein Drittel (32,7%; n=95.962) der
Versicherten palliative Leistungen in den letzten sechs Lebensmonaten erhielten
[10]. Angesichts der geschätzten
Bedarfswerte bestünde laut Ditscheid et al. 2020 eine deutliche palliative
Unterversorgung, was sich anhand der vorliegenden Projektergebnisse ebenfalls
vermuten lässt. Auch die subjektive Einschätzung von
Pflegeeinrichtungen stimmt damit überein. In einer Studie gaben über
die Hälfte (56%; n=430) der befragten Pflegeeinrichtungen
an, dass lediglich 30% oder weniger der Bewohner*innen mit
palliativem Versorgungsbedarf auch tatsächlich hospizlich-palliative
Versorgungsangebote erhalten [11]. Angesichts
des bekannten Pflegenotstands sowie der fehlenden Refinanzierung des
zusätzlichen Versorgungsaufwands im Rahmen der allgemeinen
Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen, sind limitierte
personelle Ressourcen als mögliche Ursache aufzuführen, dass
Palliativversorgung im Praxisalltag nicht in dem Umfang umsetzbar ist, wie es der
tatsächliche Versorgungsbedarf verlangt. Die als durchgängig zu
niedrig beschriebene Personalausstattung führt bereits jetzt dazu, dass
Pflegekräfte ihr Arbeitspensum kaum bewältigen können. In
einer Studie von Fuchs-Frohnhofen et al. 2019 sind mehr als ein Drittel der
befragten Pflegekräfte der Meinung für zu viele Bewohner
zuständig zu sein [12] und 42%
der Altenpflegekräfte geben in einer Befragung zu Arbeitsbedingungen in der
Pflege an, oft oder sehr häufig Abstriche bei der Qualität ihrer
Arbeit zu machen, um ihr Arbeitspensum bewältigen zu können [13].
Es besteht somit weiterhin Handlungsbedarf, um die Lücke zwischen
theoretischen Rahmenbedingungen und Praxisalltag in der hospizlich-palliativen
Versorgung stationärer Pflegeeinrichtungen zu schließen. Neben der
Integration von praxistauglichen Leitfäden, der Vermittlung von
palliativ-spezifischem Fachwissen, definierten Verantwortungsbereichen und
Organisations- und Koordinationshilfen bedarf es ferner der Entwicklung geeigneter
Finanzierungskonzepte auf gesundheitspolitischer Ebene [3]. Denn um geeignete Strukturen in den
Praxisalltag zu überführen, fehlt bislang die Refinanzierung des
zusätzlichen palliativ-hospizlichen Versorgungsaufwands in
Pflegeeinrichtungen [3].
Limitationen
Mithilfe der verwendeten Forschungsmethodik waren tiefergehende Analysen in Bezug
auf
hospizlich-palliative Versorgungsprozesse und -strukturen im Praxisalltag sowie der
Abgleich von Theorie und Praxis möglich. Gleichzeitig können
aufgrund des Stichprobenumfangs Einschränkungen bezüglich der
internen und externen Validität bestehen. So stehen die Ergebnisse
möglicherweise nicht vollständig repräsentativ für
die Gesamtheit stationärer Pflegeeinrichtungen. Das impliziert auch, dass
sich Versorgungsstrukturen und -prozesse in anderen Einrichtungen womöglich
anderweitig darstellen.