Zentralbl Chir 2022; 147(06): 523-524
DOI: 10.1055/a-1958-8774
Editorial

Editorial

Till Hasenberg
,
Michael Ghadimi

Liebe Leserinnen und Leser des Zentralblatts für Chirurgie,

Übergewicht und Adipositas betreffen in Deutschland mehr als jeden 2. Erwachsenen und sind aus dem klinischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Und dies nicht nur, weil sich die Adipositaschirurgie zu einer fest etablierten Säule einer modernen Viszeralchirurgie entwickelt hat.

Eine Erkenntnis, die letztlich auch bei den politisch Verantwortlichen angekommen ist, was exemplarisch der neue Krankenhausplan NRW zeigt, in dem die bariatrische Chirurgie im Leistungsbereich „Viszeralchirurgie“ zukünftig neben Eingriffen an Leber, Ösophagus und Pankreas sowie dem tiefen Rektum eine der 5 Leistungsgruppen darstellt.

Die vom Statistischen Bundesamt belegte Diskrepanz zwischen den bundesweit jährlich ca. 25000 bariatrischen Operationen und den hierzulande etwa 10 Mio. Erwachsenen mit einer behandlungsbedürftigen Adipositas (BMI > 30 kg/m2) bzw. den rund 750000 Menschen mit einem BMI > 40 kg/m2, zeigt jedoch auch, dass die Herausforderung Adipositas nicht chirurgisch gelöst werden kann.

Nichtsdestotrotz ist die moderne Adipositaschirurgie für viele Betroffenen die einzige realistische Chance auf eine nachhaltige Gewichtsreduktion, mit all ihren Effekten auf die entsprechenden Komorbiditäten, insbesondere des Diabetes mellitus Typ II.

In diesem Schwerpunktheft des Zentralblatts für Chirurgie haben wir daher die Adipositas als Krankheit, die Adipositaschirurgie, aber auch postbariatrische Herausforderungen, wie das Komplikationsmanagement, das Thema der Gewichtszunahme nach operativen Eingriffen und die postbariatrische Wiederherstellung des Körperbildes in den Fokus gerückt.

Heesen et al. beleuchten im Übersichtsartikel „Indikationsstellung in der Adipositastherapie – Surgeons first?“ die verschiedenen Therapieansätze in der Adipositastherapie. In der Vergangenheit implizierte die Forderung nach einer „Ultima Ratio“ vor einem adipositaschirurgischen Eingriff, dass unabhängig vom Ausmaß der Erkrankung immer erst die „bessere“, die konservative Therapie ausgereizt sein musste. Nicht erst die wiederholt in randomisierten Studien beschriebenen Effekte einer „Metabolischen Chirurgie“ zur Therapie des Typ-II-Diabetes-mellitus zeigen, dass eine Indikationsstellung nicht starr nach dem BMI und dem „Abarbeiten“ eines konservativen Programms erfolgen sollte. Wir sollten uns vielmehr zu einer stadiengerechten Indikationsstellung und damit einem zielgerichteten Einsatz aller zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen, seien sie nun konservativ, medikamentös oder operativ, entwickeln.

Auch wenn das Risiko schwerwiegender Komplikationen in der Adipositaschirurgie insgesamt als gering angesehen werden kann, bleibt doch gerade das zeitgerechte Erkennen und die konsequente Behandlung von Komplikationen eine Herausforderung. Hier ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von entscheidender Bedeutung, wie Belle et al. in dem Übersichtsartikel über das endoskopisches Komplikationsmanagement nach bariatrischen Operationen anschaulich darlegen.

Ein bisher wenig beachteter Aspekt gerade bei der Behandlung einer chronischen Erkrankung wie der Adipositas ist das Krankheitsrezidiv. Im Fall der bariatrischen Chirurgie also die Gewichtszunahme nach relevanter Reduktion bzw. der schon initial ausbleibende Gewichtsverlust (insufficient weight loss). Finze et al. beschreiben in ihrer Übersichtsarbeit nicht nur mögliche Ursachen und Gründe, sondern auch die vielfältigen konservativen wie operativen Therapieoptionen.

Und auch nach erfolgreicher Gewichtsreduktion und -stabilisierung stellen für viele Betroffene die postbariatrischen Wiederherstellungsoperationen, also die Entfernung überschüssiger Hautanteile, ein wichtiges Etappenziel dar. Bozkurt et al. betonen, dass diese plastisch-chirurgischen Operationen zwar entscheidende Bausteine in Bezug auf die Lebensqualität der Patienten sind, sie aber nicht als ästhetische Eingriffe missverstanden werden dürfen, sondern funktionelle Störungen als Folge der Gewichtsreduktion behandeln.

In der abschließenden Übersichtsarbeit zur Adipositas aus viszeralonkologischer Perspektive lenken wir dann den Blick auf die Zusammenhänge zwischen einer Adipositas und der Entwicklung maligner Erkrankungen. An 5 ausgewählten viszeralonkologischen Tumorerkrankungen werden nicht nur gewichtsabhängige Einflüsse auf die Malignomprävalenz dargestellt, sondern auch veranschaulicht, wie sich Übergewicht und Adipositas auf Diagnostik und Tumortherapie auswirken und welche Effekte bariatrische Intervention auf die Entwicklung und die Prognose maligner Erkrankungen nehmen.

Wir hoffen sehr, dass Sie dieses Schwerpunktheft Adipositas mit Interesse aufnehmen, und verbleiben

mit besten Grüßen aus Oberhausen und Göttingen.



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Article published online:
07 December 2022

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