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DOI: 10.1055/a-2565-4195
Mehr Awareness für das Schädel-Hirn-Trauma

Schätzungen zur Häufigkeit eines Schädelhirntraumas in Deutschland liegen bei 270.000–350.000 Fälle im Jahr. In 90% der Fälle liegen glücklicherweise nur leichtere Traumata vor. Doch auch Häufungen kleinerer Traumata über eine längere Zeit können zu deutlichen Risiken für hirnorganische Störungen führen. So hat die Tatsache, dass Profifußballer auf Positionen mit häufigem Kopfballspielen ein ca. 1,5-faches Risiko für eine Demenz gegenüber Torhütern haben dazu geführt, dass die UEFA das Kopfballtraining für Kinder unter 12 Jahren verbietet. In den USA haben psychische Auffälligkeiten bei Spielern der National Football-League zu großen Diskussionen um den Begriff der chronisch traumatischen Enzephalopathie und Schadensersatzforderungen geführt. Regeländerungen führten daraufhin dazu, dass Spieler nach einem Zusammenstoß nicht mehr weiterspielen dürfen, auch wenn sie „nur“ kurzfristig das Bewusstsein verloren hatten. Also nicht nur bei Kontaktsportarten wie Boxen mit der bekannten Dementia pugilistica muss man sich Gedanken machen, ob dies die richtige Sportempfehlung zur Gesundheitsförderung ist. Die Empfehlung zu Fahrrad- und Skifahrhelmen sowie Sicherheitsgurten ist sicher richtig.
Die psychiatrischen Symptome eines Schädel-Hirn-Traumas wie Probleme des planenden Denkens, Gedächtnis und Konzentrationsprobleme, emotionale Instabilität oder Apathie, sind vielfältig. Je nach Umständen der Verletzungsentstehung muss noch mit Aspekten einer zusätzlichen psychischen Traumatisierung gerechnet werden. Die Gemengelage ist komplex und die Auswirkungen der psychischen und somatischen Traumatisierung bei einem Schädel-Hirn-Trauma auf die psychiatrische Symptomatologie kaum zu entwirren.
Während die chronisch traumatische Enzephalopathie erst postmortem durch eine Gliose und Tauopathie unter dem Mikroskop nachweisbar ist, sind größere Traumafolgen in einer Kernspintomographie darstellbar. Die Region und Ausdehnung der Schädigung können dabei Hinweise auf die mögliche psychiatrische Symptomatologie haben. Dies ist aber bei weitem keine 1:1 Abbildung! Geringe Läsionen in der Bildgebung können mit massiven Beeinträchtigungen einhergehen – und umgekehrt.
In dieser Ausgabe stellt Frau Prof. Thoma eine praxisnahe Übersicht über die Symptomatologie in Folge von erworbenen Hirnschäden dar, ohne die Komplexität zu verschweigen. Hängt die Reizbarkeit nach dem Autounfall mit dem Aufprall auf das Armaturenbrett oder dem Tod der Beifahrerin zusammen? Ist es ein hirnorganischer Verlust der Steuerungsfähigkeit oder eine atypische Trauerreaktion? Wichtig ist vor allem, in beide Richtungen zu denken. Kommen dann noch Scham- und Schuldgefühle mit ins Spiel, stehen Schmerzensgeld oder Berentung zur Debatte, sind einzelne Verhaltensweisen kaum mehr isoliert zu betrachten.
Nach weniger schweren Unfällen können leichtere Schädel-Hirn Traumata als hirnorganische Ursachen von psychiatrischen Veränderungen leicht übersehen werden. Apathie wird dann als Lustlosigkeit verkannt, Störungen der Theory of Mind als erziehungsbedingte Distanzlosigkeit. Die fehlende Awareness für diese Verhaltensänderungen bei den Betroffenen selbst führt oft dazu, dass sie dem Schädel-Hirn-Trauma keine große Bedeutung beimessen. Der Beitrag von Frau Thoma steigert bei den Leserinnen und Lesern zurecht die Awareness für diese Problematik.
Publication History
Article published online:
18 July 2025
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