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DOI: 10.1055/a-2598-5953
Kommentar zu „Ernährungsinterventionen als Stimmungsaufheller beim metabolischen Syndrom?“

Head-to-head Studien mit dem direkten Vergleich verschiedener Interventionen sind in der Ernährungswissenschaft und -medizin eher selten. Die Studie von Zheng et al. stellt hier eine erfreuliche Ausnahme dar. Allerdings sollte betont werden, dass es sich bei der aktuellen Publikation um eine Zweitauswertung handelt, die Studie wurde initial durchgeführt mit Fokus auf Körpergewicht und Veränderung der viszeralen Fettmasse [1]. Dies ist wichtig zu betonen, da die Fallzahlschätzung und biostatistische Einordnung nicht für die aktuelle Fragestellung zu Lebensqualität, Schlaf sowie Appetit- und Sättigungsempfinden aufgesetzt war. Eine weitere Limitation stellt die nicht ganz homogene Verteilung der Probanden in die verschiedenen Interventionsgruppen (die LCD-Probanden hatten zum Studienbeginn ein stärkeres Appetitempfinden) und die fehlende Nachbeobachtung dar. Trotzdem ist dies eine wichtige Studie und die Ergebnisse lassen Schlüsse für den Praxisalltag zu und dienen auch als Grundlage für zukünftige wissenschaftliche Untersuchungen.
Obwohl die gewählten Interventionen grundsätzlich verschieden sind (TRE mit ad libitum Kalorien in begrenzter Zeit und LCD mit begrenzen Kalorien in ad libitum Zeit), hat sich in beiden Fällen die Lebensqualität, das Stressempfinden sowie das Sättigungsempfinden signifikant über die Zeit verbessert. Auch die hormonellen Veränderungen waren zwischen den beiden Ernährungsformen nicht wesentlich verschieden und entsprechen insbesondere beim Leptin und beim Amylin den durch die Gewichtsveränderung erwartbaren Effekten. Ebenfalls interessant ist, dass beide Interventionen zwar die Lebensqualität verbessern, allerdings keinen wesentlichen Effekt auf Depressionen und Angststörungen haben, was allerdings schon länger bekannt ist [2]. In der Zusammenfassung und Schlussfolgerung wird von den Autoren am Ende dennoch eher „pro-TRE“ argumentiert, was ich aus klinischer Sicht aus folgenden Gründen hinterfragen würde:
Im Umgang mit chronischen, nicht-übertragbaren Erkrankungen (NCD = Non-Communicable Diseases) wird zunehmend häufig von „Personalisierung“ gesprochen. Dies bedeutet, dass eine Intervention nicht nur studiengesicherte, positive Effekte erzielen sollte, sondern auch an den Patienten angepasst sein muss. In diesem Kontext würde ich die Studienergebnisse etwas offener diskutieren: TRE zeigt etwas stärkere Effekte bei der Lebensqualität und beim Schlaf (inklusive resultierender Einschränkungen am Tag), wohingegen die LCD das Appetitempfinden und das Verlangen nach Süßspeisen deutlicher reduziert. Ich würde an dieser Stelle nicht argumentieren, dass das eine besser ist als das andere, sondern dass die Intervention nach den individuellen Problemen der Patient*innen ausgewählt werden sollte. Gibt also eine betroffene Person an, dass sie schlecht schläft und deshalb am Tage sehr erschöpft ist, wäre die TRE wahrscheinlich die optimale Interventionsstrategie. Gibt eine Patientin oder ein Patient aber an, dass das größte persönliche Problem im Verlangen nach Süßigkeiten liegt, dann wäre in diesem Falle nach den Ergebnissen aus der Studie von Zheng et al. vielleicht eine LCD die individuell passendere Maßnahme.
Welche zukünftigen Untersuchungen wären nach Kenntnis der publizierten Studiendaten sinnvoll? Viele Aspekte zu Ernährung und Verhalten werden in klinischen Studien über Fragebögen erhoben, so wie auch in diesem Falle. Die Daten sind damit wenig objektiv und lassen nur eine limitierte Schlussfolgerung auf mögliche Mechanismen zu. Gerade die Physiologie des Schlafes ist in der modernen Medizin allerdings sehr gut messbar mittels moderner Polysomnographie. Ebenso sind funktionelle MRT Untersuchungen zielführend bei Fragen nach Veränderungen in den hypothalamischen Zentren der Appetit- und Sättigungsregulation sowie bei der Erfassung des körpereigenen Belohnungssystem. Aus meiner Sicht sollten als Reaktion auf die sehr wichtige Studie von Zheng et al. detaillierte Humanexperimente in solche Richtungen durchzuführen, damit die Erkenntnisse zukünftig auch in Therapie-Leitlinien aufgenommen werden können. Im klinischen Alltag brauchen wir eine personalisierte Ernährungsmedizin.
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
13. August 2025
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Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 He M. et al „Time-restricted eating with or without low-carbohydrate diet reduces visceral fat and improves metabolic syndrome: A randomized trial“. Cell reports medicine 2022; 3: 100777 Cell Reports Medicine
- 2 Varaee H. et al. “Effect of low-carbohydrate diet on depression and anxiety: a systematic review and meta-analysis of controlled trials”. J Affect Disord 2023; 325: 206-214