Schlüsselwörter Gesundheitskompetenz - Gesundheitsinformationen - digitale Gesundheit - Versorgungsforschung
- Navigationale Gesundheitskompetenz - Digitale Gesundheitskompetenz
Keywords Digital Health Literacy - eHealth Literacy - Health Literacy - Health Information
- Digital Health - Navigational health literacy
Einleitung
Die Digitalisierung soll helfen, innerhalb der fragmentierten und komplexen
Versorgungsstrukturen in Deutschland bedarfsgerechte und evidenzbasierte
Patient*inneninformationen bereitzustellen, gemeinsame Entscheidungsfindungen zu
unterstützen und so die Souveränität und das Empowerment der Patient*innen zu
fördern [1 ]. Auch die stärkere
Interaktion mit Akteur*innen und Einrichtungen der Gesundheitsversorgung soll
ermöglicht werden. Zur Ausschöpfung dieser Potenziale sowie für die Akzeptanz,
Nutzung und Wirksamkeit digitaler Anwendungen sind umfangreiche Kompetenzen
notwendig [1 ]: Es bedarf der
„Fähigkeit, Gesundheitsinformationen aus elektronischen Quellen zu suchen, zu
finden, zu verstehen und zu bewerten sowie dieses Wissen in der
Gesundheitsversorgung selbst anzuwenden“, was in Erweiterung der allgemeinen
Gesundheitskompetenz (GK) als digitale Gesundheitskompetenz (dGK) beschrieben wird
[2 ].
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, eine Arbeitsdefinition von dGK theoriebasiert
herzuleiten, die auf bekannten Definitionen der GK als übergeordnetes Konzept und
auf Dimensionen einschlägiger Rahmenmodelle fußt, da eine solche Definition gemäß
dem Wissensstand der Autor*innengruppe bisher nicht existiert. Zudem werden
international bewährte Operationalisierungen mit Transferpotential für den
deutschsprachigen Raum dargestellt.
Theoriebasierte Annäherung an digitale Gesundheitskompetenz
Im Folgenden wird die GK als grundlegende Kompetenz im Zusammenhang mit den Ebenen
individueller, organisationsbezogener sowie systembezogener GK beschrieben. Die dGK
wird als Erweiterung der GK interpretiert und die historische Entwicklung sowie
zugrundeliegende Modelle werden genutzt, um eine aktuelle Definition zu
erarbeiten.
Allgemeine Gesundheitskompetenz
Die Fähigkeiten, gesundheitsrelevante Informationen zu finden, zu verstehen, zu
bewerten und zum eigenen Wohl anzuwenden, werden unter dem Terminus GK
zusammengefasst [3 ]. Neben dem
Erhalt der eigenen Gesundheit soll GK Individuen im Krankheitsfall dazu
befähigen, die notwendige Unterstützung durch das Gesundheitssystem
einzufordern, eigenständige Entscheidungen zu treffen und kooperativ an der
Pflege und Behandlung von Zugehörigen und sich selbst teilzunehmen [4 ].
Als Bestandteil von GK bezieht sich die individuelle GK darauf, dass neben
individuellen Fertigkeiten, Kompetenzen, Einstellungen und Emotionen auch
weitere Strukturen (z. B. Familien, Peers, Gesundheitsinstitutionen) auf
verschiedene Art und Weise die GK und damit auch das Gesundheitsverhalten von
Individuen fördern oder hemmen [4 ]. Bildung, Beratung, Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen können die
persönliche GK beeinflussen [5 ].
Individuell passende Gesundheits- und Behandlungsentscheidungen zu treffen, ist
insbesondere für vulnerable Bevölkerungsgruppen herausfordernd. Gezielte
Informationen, niedrigschwellige Zugänge sowie Versorgungskoordination durch
spezialisierte Patient*innenlots*innen und ,Community Health Nurses‘ im Sinne
des Care- und Case Managements sind für diese Gruppen mit komplexen Bedarfen in
krisenhaften Lebenssituationen zur Stärkung ihrer GK (vgl. Abschnitt
navigationale GK) entscheidend [6 ]
[7 ].
Von der individuellen GK kann die organisationsbezogene GK unterschieden
werden, die in Interaktionen mit Akteur*innen in Gesundheitsorganisationen zum
Ausdruck bringt. Schaeffer et al. verstehen als organisationale GK, inwiefern
Organisationen es Einzelnen gleichberechtigt ermöglichen, Informationen und
Dienstleistungen zu finden, zu verstehen und zu nutzen, um für sich und andere
gesundheitsbezogene Entscheidungen zu treffen und entsprechend zu handeln [8 ].
Auf der nächsthöheren Ebene betrachtet die navigationale GK den Kontext
des Versorgungssystems einschließlich Selbsthilfe- und Laiensystem. Sie umfasst
die Kompetenz, sich im Gesundheitssystem zu orientieren sowie das eigene Hilfe-
und Kommunikationsverhalten im Kontakt mit dem Versorgungssystem adäquat zu
managen. Sie wird benötigt, um geeignete Unterstützungs- und
Versorgungsleistungen angemessen in Anspruch zu nehmen [9 ]. Zudem hat die navigationale GK
ihre Bezüge direkt zum wohnortnahen bzw. regionalen Versorgungssystems von
Bürger*innen und Patient*innen.
Digitale Gesundheitskompetenz
Neben dGK werden Begriffe wie eHealth literacy, digital health literacy [10 ] oder Internet-GK verwendet
[11 ], um eine Metakompetenz zu
beschreiben, welche auf dem sog. Lily-Modell von Norman und Skinner [12 ] basiert. Sie umfasst
traditionelle Kompetenzen im Bereich des Lesens und Rechnens (Texte und Zahlen
verstehen), Informationsgewinnung (Informationen verarbeiten,
Wissensorganisation verstehen), Mediennutzung (Medieninhalte verarbeiten und
beurteilen), Gesundheitskompetenz (Gesundheitsinformationen verarbeiten und
verstehen), Computernutzung (Computerhardware und -software nutzen) und
Wissenschaftsverständnis (wissenschaftliche Texte, Fakten und Zusammenhänge
verstehen) [12 ]. Im Update der
Definition von 2025 werden GK, sowie traditionelle Kompetenzen und
Wissenschaftsverständnis als grundlegende Kompetenzen beschrieben.
Informationskompetenz, Computerkompetenz und Medienkompetenz bauen darauf auf
[36 ].
„New Literacy Studies“ bieten eine sozial-kulturelle Perspektive auf dGK und
betonen, dass Kompetenzen durch soziale Praktiken, Machtstrukturen und Kontexte
geformt werden. Thematisiert werden der Austausch von Gesundheitsinformationen
mit Zugehörigen, Erfahrungswissen, der Zugang zu passenden digitalen
Gesundheitsinformationen in Abhängigkeit von Ressourcen und Machtverhältnissen
sowie die Vielfältigkeit von Informationen durch Bilder, Symbole oder digitale
Medien. Somit wird die dGK als relational bedingte Kompetenz verstanden, die im
Beziehungsgefüge zwischen Individuen, Technologie und gesellschaftlichen
Strukturen entsteht [5 ].
Kritische dGK nimmt ergänzend in den vergangenen Jahren durch nicht
qualitätsgesicherte oder gar falsche Informationen eine wichtige Rolle ein [13 ].
Historische Entwicklungen bestehender Modelle
Die Menge und Verfügbarkeit von Informationen in elektronischen Quellen haben
sich seit der Entstehung des Lily-Modells im Jahr 2006 (vgl. [Abb. 1 ]) deutlich erhöht, wobei
gleichzeitig die Urheber*innen der Informationen diverser und die Validität
auffindbarer Informationen schwieriger festzustellen sind [13 ]. Bereits fünf Jahre nach der
Veröffentlichung des Lily-Modells betonte Norman die Notwendigkeit der
Erweiterung um neue, relevante digitale Kompetenzen, etwa in Bezug auf soziale
Medien [14 ]. Neben diesen
technischen Anwendungskompetenzen forderten weitere Forscher*innen, auch
soziale, kulturelle, ethische, politische, rechtliche, organisatorische und
sozio-materielle Dimensionen der dGK zu berücksichtigen und benannten die
multidimensionale Beeinflussbarkeit der einzelnen Kompetenzen [15 ]. Seither wurde eine Vielzahl
weiterer Modelle entwickelt. [Abb.
1 ] gibt einen Überblick über die historische Entwicklung zentraler
dGK-Modelle.
Abb. 1 Historische Entwicklung zentraler dGK Modelle und Theorien.
Daten aus: [12 ]
[15 ] und [16 ].
Erarbeitung einer aktuellen Definition der dGK im Kontext der
Versorgungsforschung
Die Arbeitsdefinition entstand in einem offenen und konsensuellen
Diskussionsprozess innerhalb der interdisziplinären Autor*innengruppe und stützt
sich auf die zuvor beschriebenen unterschiedlichen Dimensionen von (d)GK, die
Einflussgrößen auf selbige sowie auf bestehende Modelle (s. o.). Sowohl ältere
als auch Dimensionen neuerer Definitionen wurden berücksichtigt. Der
strukturell-individualistische Handlungsansatz, der Kompetenzen als individuelle
Fähigkeiten und Fertigkeiten, bedingt durch situationsbezogene Faktoren und
kulturell-institutionelle und rechtliche Rahmen- bzw. Systembedingungen,
ansieht, dient als Grundlage [17 ].
Der Kompetenzbegriff der dGK findet sich in den Hauptdimensionen des eHealth
Literacy Framework (eHLF) zur Operationalisierung von eHealth Literacy wieder
[18 ].
Die Autor*innengruppe definiert dGK auf der Ebene des Individuums als Fähigkeit
zur Informationsverarbeitung. Diese umfasst das Finden, Verstehen, Beurteilen
und Anwenden von passenden digitalen Gesundheitsinformationen im Alltag sowie
die Motivation, sich für die eigene Gesundheit aktiv einzusetzen. Zur
interaktionellen Ebene gehört die Fähigkeit, digitale Anwendungen und Dienste zu
nutzen und dabei ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle zu erleben. Auch die
Motivation, digitale Anwendungen und Services zu nutzen und die Fähigkeit, mit
Veränderungen in sozialen Interaktionen zurechtzukommen, sind immanente
Bestandteile. Zur Systemebene gehört der Zugang zu funktionierenden digitalen
Anwendungen, die zu den individuellen Bedürfnissen passen.
Mit dieser Arbeitsdefinition sind somit auch Wechselwirkungen zwischen den
verschiedenen Facetten und relevanten Ebenen (individuell, organisational,
navigational) von (d)GK sowie zwischen Individuen, Gesellschaft und Technik
abgedeckt [3 ]. GK stellt hierbei
eine notwendige, aber nicht hinreichende Komponente von dGK dar. Gleichzeitig
beeinflussen ähnliche Determinanten die GK und die dGK, weswegen die beiden
Ansätze nie getrennt voneinander betrachtet werden können [1 ].
Operationalisierung von dGK
Die Operationalisierung der dGK ermöglicht im nächsten Schritt eine (Selbst-)
Einschätzung, Bedarfserhebungen und die Entwicklung zielgerichteter
Unterstützungsangebote. Bestehende dGK-Messinstrumente basieren auf definierten
Konzepten von dGK oder auf der kombinierten Messung von GK und dGK [19 ]. Aufgrund der hohen Anzahl und
Diversität nicht-theoriebasierter Messinstrumente beschreibt der Artikel primär eine
Übersicht theorie- oder modellbasierter Messinstrumente (vgl. [Tab. 1 ]). Diese Instrumente werden im
Folgenden nach enthaltenen Dimensionen, adressierten Zielgruppen und Messmethoden
unterschieden.
Tab. 1 Operationalisierungsansätze zur dGK und den
Messeigenschaften der aufgeführten Instrumente.
Abkürzung/Instrument
Quelle/Jahr
Konstrukt oder theoretischer Rahmen
Items/Skala
Dimensionen
Ebenen
Art der Einschätzung
Ziel der Anwendung
Population
Individuum
Interaktion
System
Digital Healthy Literacy Assessment Tool (DHLAT)
St Jean, Taylor, Kodama, & Subramaniam, 2017 [26 ]
Komponenten der dGK in Literaturrecherche, Erfahrungen aus
vorherigen Lernangeboten für Schüler*innen zu Internet im Rahmen
des Projekts
13 Items im Freitext
Suchmaschinen kennen und nutzen, Prüfen der Informationen,
Ressourcen der Schulbibliothek nutzen, valide Informationen
nutzen, Aktualität der Informationen prüfen, Informationen
zusammenführen
x
Performanzbasiert
Fokus auf Bewertung der GK und Informationskompetenz von
Tweens
Schüler*innen im Alter von 12–15
DHLI/Digital Health Literacy Instrument
van der Vaart & Drossaert, 2017 [20 ]
Vorstudien zu Health 1.0 und Health 2.0 [37 ]
28 Items 5-Punkte-Likert-Skala („strongly disagree“ bis „strongly
agree“)
Operative Fähigkeiten, Suche von Informationen, Bewertung der
Zuverlässigkeit, Einschätzung der Relevanz,
Navigationsfähigkeiten, Hinzufügen von selbst erstellten
Inhalten, Schutz der Privatsphäre
x
x
Selbsteinschätzung mit 7 performanz-basierten Items
Vielfalt der Fähigkeiten zur Nutzung sowohl von Health 1.0- als
auch von Health 2.0-Tools erheben
Erwachsene Personen mit Internetzugang
eHEALS/eHealth Literacy Scale
Norman & Skinner, 2006 [12 ]
Lily Model/Sozial kognitive Theorie nach Bandura
8 Items 5-Punkte-Likert-Skala („strongly disagree“ bis „strongly
agree”)
Traditionelle Lese- und Schreib-, Medien-, Informations-;
Computer-, Wissenschaftskompetenz; GK
x
Selbsteinschätzung
Standard-Gesundheitsuntersuchung in der Primärversorgung oder
Unterstützung der Gesundheitsförderungsplanung
Junge und ältere Erwachsene in klinischen Settings
eHEALS-E/eHealth literacy scale-extended
Petrič, Atanasova, & Kamin, 2017 [27 ] Deutsche
Version: [28 ]
Lily Model, Erweiterung eHEALS
20 Items 5-Punkte-Likert-Skala („completely disagree“ bis
„completely agree“)
eHEALS erweitert um Wissen über oder Kenntnis von professionellen
Online-Ressourcen, Durchführung des Suchprozesses,
Kreuzvalidierung, Erfassen der Bedeutung, Überprüfung der
Glaubwürdigkeit und kritisches Bewusstsein für Verzerrungen in
Bezug auf internet-basierte Gesundheitsinformationen
x
Selbsteinschätzung
Verbesserung und Erweiterung der eHEALS basierend auf Kritik
durch Entwicklung neuer Items, sowie Anpassung bestehender Items
zur Verminderung der Gefahr sozialer Erwünschtheit
Nutzer*innen von Online Gesundheitscommunities
eHLA/eHealth literacy assessment toolkit
Karnoe, Furstrand, Christensen, Norgaard, & Kayser, 2018
[25 ]
Basierend auf HLS-EU sowie adaptierten Versionen verschiedener
Fragebögen
96 Items 7 Tools Unterschiede je nach Tool
Funktionelle GK, GK Selbsteinschätzung, Vertrautheit mit
Gesundheit(-sversorgung), Vertrautheit mit Technologien,
Vertrauen in Technologien, Anreize für den Umgang mit
Technologien
x
x
x
Selbsteinschätzung und “Test of Skills”
GK, Computerkompetenz und digitale Kompetenz sowie
Informationskompetenz, Interaktion zwischen Individuum und
System im Fokus
Gesamtgesellschaft und klinisches Setting
e-HLS/electronic health literacy scale
Seçkin, Yeatts, Hughes, Hudson, & Bell, 2016 [29 ]
Transactional Model of eHealth Literacy (TMeHL)
19 Items 5-Punkte-Likert-Skala („never/strongly disagree“ bis
„always or strongly agree“)
Vertrauen, Handeln und Verhalten & Bewertung, Kommunikation
und Nutzung von Informationen, um fundierte Entscheidungen zu
treffen
x
x
Selbsteinschätzung
Fähigkeit zur Informationssuche und Beurteilung der Qualität
gefundener Informationen
Nutzer*innen von digital bereitgestellten
Gesundheitsinformationen
eHealth Literacy and Use Scale (eHLUS),
Stephan, Gehrmann, Dehner, Stullich, Richter, 2025 [31 ]
Literaturrecherchen, G.O. Boateng et al.2018 & G-eHEALS &
Experteninterviews
14 Items, unterteilt in drei Dimensionen, auf einer
5-Punkte-Likert-Skala
Dimensionen eines eHealth Literacy Instrumentes im Kontext
medizinischer Apps
X
X
X
Selbsteinschätzung
Messung der eHealth Kompetenz bei Nutzung medizinischer Apps:
Erweiterte Messung d. eHealth Kompetenz um die autonome Nutzung
u. den technischen Zugang sowie um das Engagement im Bereich
elektronischer Gesundheits-dienste bei Teilnehmenden der „RV Fit
Psychische Gesundheit“ Intervention im rehapro Modellprojekt
PE3PP
Psychisch belastete Erwerbstätige
eHLQ/eHealth literacy questionnaire
Kayser et al., 2018 [30 ]
eHealth Literacy Framework (eHLF)
35 Items 4-Punkte-Likert-Skala („strongly disagree“ bis „strongly
agree“)
Fähigkeit der Informationsverarbeitung, Engagement für die eigene
Gesundheit, Zugang zu funktionierenden, bedürfnisorientierten
digitalen Diensten
x
x
x
Selbsteinschätzung
Abbildung eines Fragebogens zum eHLF
Personen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen, Patient*innen
HLS19 -DIGI
Levin-Zamir et al., 2025 [32 ]
DHLI & Konzept von dGK aus der HLS-EU-Studie
10 Items 4-Punkte-Likert-Skala („very easy“ bis „very difficult”)
und 6 Items mit einem Score von 1 (“less than once a week” oder
“not relevant”) zu 5 (“more than once per day”)
Fähigkeit Online-Gesundheitsinformationen zu suchen, auf sie
zuzugreifen, sie zu verstehen, bewerten und anzuwenden sowie die
Fähigkeit, Fragen, Meinungen, Gedanken oder Gefühle klar zu
formulieren, wenn sie mit einem digitalen Gerät interagieren,
indem Informationen eingegeben oder gepostet werden sowie die
Häufigkeit der Nutzung
x
x
x
Selbsteinschätzung
Europäische Erhebung zur Gesundheitskompetenz (HLS19) sollte ein
neues Maß für Gesundheitskompetenz entwickeln, dass breiteren
gesellschaftlichen Kontext berücksichtigt
Allgemeinbevölkerung
The Patient Readiness to Engage in Health Internet Technology
(PRE-HIT) instrument
Koopman, Petroski, Canfield, Stuppy, & Mehr, 2014 [23 ]
Lily Model & Transactional Model of eHealth Literacy
8 Items 4-Punkte-Likert-Skala („Strongly disagree“ bis „Strongly
agree“)
Bedarf an Gesundheitsinformationen, Angst vor Computern,
bevorzugte Interaktion, Beziehung zu Ärzt*innen,, Internet- und
Handyexpertise, Bedenken bzgl. des Schutzes der Privatsphäre im
Internet, Einstellung zur Informiertheit in
Gesundheitsfragen
x
x
x
Selbsteinschätzung
Messung der Wahrscheinlichkeit der Nutzung von
Gesundheitsinformationsressourcen bei Patient*innen mit
chronischen Erkrankungen
Ältere mit chronischen Erkrankungen
TeHLI/transactional eHealth literacy instrument
Paige et al., 2019 [22 ] Paige et al., 2018 [21 ]
Lily Model & Transactional Model of eHealth Literacy
18 Items 5-Punkte-Likert-Skala („strongly disagree“ bis „strongly
agree“)
Funktionale, kommunikative, kritische und translationale dGK
x
Selbsteinschätzung
Messung der wahrgenommenen Fähigkeiten in Bezug auf ihre
Fähigkeit Gesundheitsinformationen aus verschiedenen
Online-Quellen und Multimedia zu verstehen, auszutauschen, zu
bewerten und anzuwenden
Patient*innen mit Lungenerkrankungen
Unterscheidung mit Blick auf die Grundlagen und enthaltenen
Dimensionen
Zur Operationalisierung von dGK werden traditionelle Aspekte wie Lese- ,
Schreib-, Medien-, Informations-, Computer- und Wissenschaftskompetenz in der
ersten und meistgenutzten Skala der eHealth Literacy Scale (eHEALS) [12 ] aus 2006 eingeschlossen. Die
Electronic Health Literacy Scale (eHLS) erweitert das Spektrum um Dimensionen,
wie das Vertrauen in digitale Anwendungen. Neuere Instrumente inkludieren
Einschätzungen zu sozialen Medien (Digital Health Literacy Instrument (DHLI)
[20 ], Transactional eHealth
Literacy Instrument (TeHLI) [21 ]
[22 ]), Fragen zum
Schutz der Privatsphäre und dem Teilen von Inhalten im Internet (DHLI) oder
Datenschutz und –sicherheit. (DHLI, Patient Readiness to Engage in Health
Internet Technology (PRE-HIT) [23 ]).
Unterscheidung mit Blick auf die Zielgruppe
Entwickelt wurden auch zielgruppen-spezifische Instrumente, etwa für
Patient*innen mit chronischen Erkrankungen (PRE-HIT, TeHLI, Digital Healthy
Literacy Assessment Tool (DHLAT)). Aktuell ist die Auswahl an Instrumenten, die
die dGK von Versorger*innen erhebt, begrenzt. Die eHealth Literacy Scale for
Carers of People With Chronic Diseases (eHeals-Carer) [24 ] deckt als Subdimensionen der
dGK auf der individuellen- und Interaktionsebene digitale Verordnungswege und
digitale Versorgungsprozesse (z. B. DiGA) sowie potenziell erforderliche
Anleitungen für die Versorger*innen mit ab.
Unterscheidung mit Blick auf die Methodik der Messung
Die Mehrheit der Instrumente nutzt Selbsteinschätzungen, was methodische und
inhaltliche Einschränkungen aufgrund fehlender relationaler Faktoren, mangelnder
Objektivität, kognitiver Verzerrungen und begrenzter Aussagekraft birgt.
Lediglich die Instrumente eHLA [25 ], DHLAT [26 ] und
DHLI beinhalten neben Items zur Selbsteinschätzung auch Items zur Performanz
(z. B. Fähigkeitstests).
Limitationen und Verbesserungspotentiale bestehender
Operationalisierungen
Aus Sicht der Autor*innen sind die bestehenden Formen der Operationalisierung
derzeit zwar vielfältig, aber unzureichend. Entscheidend für die
Operationalisierung sind Messeigenschaften wie z. B. die Konstruktvalidität und
interne Konsistenz [19 ]. Auch die
Berücksichtigung der vielfältigen Einflussfaktoren auf dGK entsprechend der oben
erarbeiteten Definition ist entscheidend. Selbsteinschätzungen betrachten
ausschließlich die individuelle Ebene und vernachlässigen technologische Hürden,
soziale Ressourcen oder institutionelle Rahmenbedingungen. Es findet keine
Messung der tatsächlichen Fähigkeiten, bspw. innerhalb des Versorgungssystems,
statt (inkl. Selbsthilfe- und Laiensystem). Der Referenzrahmen ist ebenfalls
individuell unterschiedlich. Zudem sind soziale Erwünschtheit und eine verzerrte
Selbsteinschätzung zu vermuten, die sich sowohl in einer Über- als auch in einer
Unterschätzung eigener Fähigkeiten äußern können. Zu empfehlen ist die
Entwicklung von performanzbasierten Tests und simulierten Szenarien zur Messung
realer Fähigkeiten sowie Mixed-Methods-Ansätze, die Selbsteinschätzung,
objektive Tests und qualitative Interviews verbinden. Die o.g. Verzerrungen
können so minimiert werden, wenngleich performanzbasierte Testungen großen
Aufwand mit sich bringen.
Bisher stehen selbst für Selbsteinschätzungen ausschließlich der eHEALS [28 ], eHLUS [31 ] und HLS19 -DIGI [32 ] als validierte deutsche
Übersetzung und angepasste Version (GR-eHEALS) [33 ] zur Verfügung. Validierungen
für einzelne Zielgruppen bestehen in geringem Umfang [34 ].
Implikationen für die Praxis
Um zu entscheiden, welche Messinstrumente zur Erhebung der dGK in welchem
Versorgungskontext und bei welcher Zielgruppe am besten geeignet sind, braucht
es ein breiteres Verständnis der dGK. Zudem müssen regulatorische Anforderungen
für die Zulassungen digitaler bzw. digital gestützter Versorgungslösungen
betrachtet werden. Beispielsweise wird bei der Zulassung von DiGA auf einen
medizinischen Nutzen, patient*innenrelevante Struktur- und Prozessverbesserungen
(pSVV) und eine definierte Indikation abgezielt. Die GK wird als eine pSVV
angesehen. Unter methodologischen Gesichtspunkten stellen DiGA komplexe
Interventionen dar, deren Effekte durch Nutzungsroutinen der Nutzer*innen und
Verordner*innen mitbedingt sind, was für die Wirksamkeitsnachweise methodische
Herausforderungen impliziert [35 ].
Aus Sicht der Autor*innen bedarf es für eine Wirksamkeitsanalyse der DiGA
zusätzlich der Erhebung der vorliegenden dGK der Zielgruppe, um Verzerrungen bei
Effektmessungen durch nicht regelhafte Messung der Einflüsse der dGK auf den
Effekt einer Anwendung zu vermeiden.
Der vorgelegte Beitrag grenzt die dGK von der GK ab, systematisiert bestehende
Definitionen zu dGK und zeigt wechselseitige Einflüsse zwischen Teilbereichen der
dGK auf. Individuelle, organisationale und navigationale GK werden als relevante
Dimensionen der dGK herausgestellt. Basierend auf der
strukturell-individualistischen Handlungstheorie wird ein breites relational
bedingtes Kompetenzverständnis der Arbeitsdefinition von dGK zugrunde gelegt.
Nach Einschätzung der Autor*innengruppe ist die Operationalisierung von dGK bisher
unzureichend. Hier besteht großer Bedarf an performanzbasierten und
mehrdimensionalen Instrumenten, um einen Beitrag zur Umsetzung der Empfehlung des
Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und in der
Pflege aus dem Jahre 2021 zu leisten. Verbunden mit den Empfehlungen ist das Ziel,
frühzeitig die digitale Spaltung in Deutschland zu fokussieren und ihr mit gezielten
Maßnahmen entgegenzuwirken. Wie die Entwicklung digitaler bzw. hybrider
Interventionen, das Reporting und die Implementierung von erprobten Interventionen
zur Steigerung der dGK ausgestaltet werden könnten, behandelt Teil II.