Open Access
CC BY-NC-ND 4.0 · Gesundheitswesen 2025; 87(12): 712-714
DOI: 10.1055/a-2735-3562
Editorial | AGENS

Editorial

Authors

  • Enno Swart

  • Jelena Epping

  • Holger Gothe

  • Peter Ihle

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Liebe Leserinnen und Leser,

nach gut einem Jahr freuen wir uns, Ihnen nun das nächste AGENS-Supplement zu Methoden und Ergebnissen der Sekundärdatenanalyse vorlegen zu können, freundlicherweise wie immer unterstützt durch die Gesamtschriftleitung des Gesundheitswesens und die Mitarbeiter:innen des Thieme-Verlags. Vielen Dank.

Das Heft zeichnet sich wie inzwischen gewohnt durch eine Kompilation mehrerer methodischer Artikel aus, die die Vielzahl wissenschaftlich nutzbarer Datenquellen und spezifischer Methoden widerspiegelt. Aber auch die Reflexion über aktuelle wissenschaftspolitische Entwicklungen gehört zum Themenkanon dieser Supplementreihe, ebenso wie Berichte aus der Sekundärdaten-‚Szene‘, wie der Rückblick auf den AGENS Methodenworkshop 2024 in Hannover.

Ihle et al. stellen ergänzend in einem Kurzbericht die Ergebnisse einer Onlinebefragung potentieller Nutzer:innen des FDZ Gesundheit dar. Der Fokus lag hierbei auf den in der virtuellen Analyseumgebung vom FDZ bereitgestellten Softwaretools SQL, R und Python. Im Bericht wird diese Softwareauswahl vor dem Hintergrund der Nutzer:innenkenntnisse kritisch diskutiert, und es werden daraus Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen formuliert

Die ersten beiden Beiträge befassen sich mit der Validität von vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der privaten Krankenversicherungen und knüpfen damit an Artikel aus den vorangegangenen Supplements an. Gothe et al. beschreiben zunächst die Grundlagen und Voraussetzungen für die wissenschaftliche Nutzung dieser Daten. In der Darlegung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen GKV- und PKV-Daten sowie den besonderen Merkmalen von PKV-Daten wird erkennbar, warum diese bislang einem wissenschaftlichen Zugang weitgehend verschlossen blieben, was auch durch spezifische datenschutzrechtliche ‚Bewehrungen‘ dieser Daten erklärt wird. Eine Nutzung wie bei GKV-Daten inzwischen seit vielen Jahren üblich ist jedoch grundsätzlich möglich und erstrebenswert, wie die Autor:innen ausführen.

Anschließend adressieren Stallmann et al. konkret Datenentstehung, Datenfluss und Herausforderungen beim wissenschaftlichen Arbeiten mit diesen Daten. Um die PKV-Daten in der Forschung zu verwenden, ist es essenziell, die Logik des PKV-Systems bzgl. Einreichung von Rechnungen zu deren Erstattung für den Bereich der ambulant-ärztlichen Versorgung inklusive Arzneimittel zu verstehen. Ein exemplarisches Datenflussmodell für die genannten Sektoren illustriert Abläufe und Besonderheiten im PKV-System. Damit wird ein grundlegendes Verständnis für diese Daten ermöglicht. Mit diesen beiden Artikeln wird schrittweise der Blick auf die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen der rund 12% privat krankenversicherten Bürger:innen eröffnet. Der dritte Teil dieser Artikelserie wird im nächsten AGENS Supplement erscheinen.

Der Beitrag von Tuncer et al. thematisiert die Entwicklung und interne Validierung von Falldefinitionen für Nierenerkrankungen bei Personen mit Diabetes in GKV-Routinedaten. Die Autor:innen stellen Algorithmen zur Identifikation von chronischer Niereninsuffizienz und Nierenersatztherapie vor, die über Diagnose- und Leistungsangaben validiert werden. Schwierig erweist sich allerdings – wie schon für andere Krankheiten dargelegt - die Prävalenzschätzung von Niereninsuffizienz, wenn nur ein kurzer Beobachtungszeitraum vorliegt, weil diese Begleiterkrankung im Anfangsstadium nicht zwingend neben der Grunderkrankung Diabetes dokumentiert wird.

Heinze et al. beschreiben einen Ansatz zur Evaluation des deutschen Mammographie-Screening-Programms über ein Datenlinkage von GKV-Routinedaten mit Informationen zur Todesursache aus regionalen epidemiologischen Krebsregistern. Ein weiteres Ziel war die Untersuchung, in welchem Ausmaß die Identifikation von laut GKV-Daten verstorbenen Versicherten in Krebsregistern und dort ergänzend vorgehaltenen Angaben zur Todesursache gelingt. Da Todesursacheninformation jedoch nicht für alle Verstorbenen hinzugefügt werden konnten, bleiben weiterhin Routinedaten-basierte Algorithmen zur Todesursachenanreicherung mit Routinedaten notwendig.

Merzenich et al. berichten aus einem Innofonds-Projekt zu Spätfolgen nach einer Krebserkrankung im Kindes- und Jugendalter. Ebenso wie im vorhergehenden Artikel wird hierin das Datenlinkage zweier Datenquellen beschrieben. Dabei werden GKV-Routinedaten genutzt, um ehemalige im Deutschen Kinderkrebsregister (DKKR) registrierte Patient:innen auf das mögliche erhöhte Risiko für Spätfolgen zu untersuchen. In diesem Artikel wird das Linkageverfahren beschrieben und die Repräsentativität der entstandenen Positive-Match-Kohorte analysiert. Es zeigten sich keine relevanten Unterschiede zwischen Match- und Non-Match-Gruppe, was die Belastbarkeit der entstandenen Überlebenden-Kohorte belegt und den Linkage-Ansatz als attraktiv für vergleichbare Linkage-Studien erscheinen lässt. Im nächsten Supplement wird das Linkage-Verfahren in größerer Detailliertheit beschrieben.

Goldhahn et al. stellen eine weitere Datenlinkage-Studie vor, die Angaben aus dem Notfallregister AKTIN mit GKV-Daten verknüpft, um den Verbleib und das Follow-up der Notfallpatient:innen zu untersuchen. Es stellt sich heraus, dass sich stationäre Aufnahmen im direkten Anschluss an Notaufnahmebesuche sowie ambulante Behandlungen in Notaufnahmen in GKV-Routinedaten sinnvoll abbilden lassen. Die Verlinkung erfolgt auf der Basis indirekter stochastischer Verfahren, da ein direkter Schlüssel wie die Krankenversichertennummer in der Notfalldokumentation nicht vollständig vorliegt. Die Notwendigkeit einer eindeutigen Schlüsselvariablen in Linkage-Studien lässt sich damit als Grundpetitum für vergleichbare Studien ableiten.

Hauswaldt et al. beschäftigen sich mit verglichen mit den vertragsärztlichen Abrechnungsdaten sehr viel detaillierteren hausärztlichen Behandlungsdaten und den Möglichkeiten zur Anonymisierung sensibler Feldinhalte, um diese Behandlungsdaten der wissenschaftlichen Nutzung zuführen zu können. Mehrere Ansätze zur Anonymisierung wurden exemplarisch geprüft, jedoch gelang eine Anonymisierung nicht vollständig. Besonders Freitextfelder wie Dauerbemerkungen, aktuelle Diagnose, Medikament und Befund erschweren die faktische Anonymisierung. Sorgfältige Vorabauswahl der benötigen Variablen und Datensparsamkeit sowie privacy by design im Verarbeitungsprozess sind daher von entscheidender Bedeutung.

Das Supplement schließt mit dem Plädoyer von Schmitt et al. zugunsten einer kooperativen Forschungsdatenplattform der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung und des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM). Darin sollen perspektivisch Daten aus der klinischen Routineversorgung der 36 deutschen Universitätskliniken, aus klinischen Kohorten und klinisch-epidemiologischen Studien zusammenfließen. Nach Ansicht der Autor:innen könnte diese Datenbasis In strategischer Partnerschaft mit gesetzlichen Krankenkassen und privaten Krankenversicherungen perspektivisch für unterschiedliche Forschungsfragen auf der Basis des an allen NUM-Standorten implementierten „Broad Consent“ genutzt werden.

Wir wünschen Ihnen nun eine anregende Lektüre dieser vielfältigen Artikel, idealerweise mit konkreten Implikationen für Ihre eigene wissenschaftliche Arbeit mit Sekundärdaten. Schließen möchten wir mit der Ermunterung schließen, eigene wissenschaftliche Arbeiten mit methodischem Schwerpunkt für die Einreichung bei diesem Supplement in Erwägung zu ziehen.

Enno Swart, Jelena Epping, Holger Gothe und Peter Ihle


Zitierweise für diesen Artikel

Gesundheitswesen 2025 ; 87 (Suppl. 2): S203–S204. doi: 10.1055/a-2599-9607


Supplement 2

Liebe Leserinnen und Leser,

neben dem vorliegenden Heft veröffentlicht „Das Gesundheitswesen“ ein digitales Sonderheft. Die Beiträge in dieser digitalen Ausgabe sind wie die Beiträge der Printausgabe im Online-Archiv der Zeitschrift zu finden und über Literaturdatenbanken wie Pubmed auffindbar. Zudem stehen die Beiträge unserer digitalen Ausgabe zum freien Download zur Verfügung – nicht nur den Abonnenten der Zeitschrift, sondern auch allen anderen Interessierten.

Schauen Sie gleich mal rein:

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S203

Editorial | Editorial Enno Swart, Jelena Epping, Holger Gothe, Peter Ihle

S205

Kurzmitteilung | Softwaretools in den Analyseräumen des Forschungsdatenzentrum Gesundheit – Ergebnisse einer Onlinebefragung potentieller Nutzer:innen Peter Ihle, Enno Swart, Holger Gothe

S207

Kurzmitteilung| AGENS-Workshop 2024 in Hannover: Viel Gelegenheit zum Netzwerken! Jelena Epping

S208

Originalarbeit | Versichertenbezogene ambulante Rechnungsdaten der privaten Krankenversicherung – Teil 1: Grundlagen und Voraussetzungen für die wissenschaftliche Nutzung Holger Gothe, Katharina Achstetter, Tatjana Begerow, Ludwig Goldhahn, Philipp Hengel, Christian Jacke, Julia Köppen, Mario Kortmann, Philipp Ramm, Julia Schaarschmidt, Christoph Stallmann Original Article | Outpatient billing data from private health insurance – Part 1: Basics and requirements for scientific use

S226

Originalarbeit | Versichertenbezogene ambulante Rechnungsdaten der privaten Krankenversicherung – Teil 2: Datenentstehung und Datenfluss Christoph Stallmann, Katharina Achstetter, Ludwig Goldhahn, Philipp Hengel, Mario Kortmann, Julia Köppen, Philipp Ramm, Julia Schaarschmidt, Holger Gothe, Christian Jacke Original Article | Insured-Specific Outpatient Claims Data in Private Health Insurance – Part 2: Data Origin and Data Flow

S238

Originalarbeit | Entwicklung und interne Validierung von Falldefinitionen für Nierenerkrankungen bei Personen mit Diabetes in Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung Oktay Tuncer, Ingrid Köster, Ingo Meyer, Lukas Reitzle Original Article | Development and internal validation of case definitions for kidney disease in patients with diabetes based on routine data of statutory health insurance

S246

Original Article | Enrichment of health insurance claims data with official death certificate information from three German cancer registries: Proportions of successful linkages and differences by region, year, and age Franziska Heinze, Ingo Langner, Sebastian Bartholomäus, Martin Meyer, Joachim Kieschke, Kerstin Maaser, Jonas Czwikla Originalarbeit | Anreicherung von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung mit offiziellen Todesursacheninformationen von drei Krebsregistern: Trefferquoten und Unterschiede nach Region, Jahr und Alter

S254

Originalarbeit | Bildung einer Kohorte zur Untersuchung der medizinischen Versorgung nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter (VersKiK-Kohorte) mittels Record-Linkage zwischen Deutschem Kinderkrebsregister und gesetzlichen Krankenkassen Hiltrud Merzenich, Peter Ihle, Jutta Küpper-Nybelen, Christian Lüpkes, Claudia Bremensdorfer, Ekaterina Aleshchenko, Christian Apfelbacher, Pietro Trocchi, Dirk Horenkamp-Sonntag, Iris Meier, Patrik Dröge, Thomas Ruhnke, Ursula Marschall, Melanie Klein, Katja Baust, Gabriele Calaminus, Thorsten Langer, Enno Swart, Cecile Ronckers, Claudia Spix Original Article | Recruitment of a cohort to investigate medical follow-up care after childhood cancer: Record-Linkage between the German Childhood Cancer Registry and statutory health insurance companies (VersKiKCohort)

S260

Originalarbeit | Können Informationen von Patientinnen und Patienten zum Verbleib nach dem Notaufnahmebesuch für Analysen herangezogen werden? Ein Abgleich zwischen verknüpften Behandlungsdaten und GKV-Routinedaten Ludwig Goldhahn, Jonas Bienzeisler, Ronny Otto, Enno Swart, Susanne Drynda Original Article | Can information on patientsʼ whereabouts after an emergency department visit be used for analyses? A comparison between linked electronic health records and health claims data

272

Originalarbeit | Anonymisierung von Feldinhalten in hausärztlichen Behandlungsdaten – Exemplarische Untersuchung an zwei Forschungsdatensätzen Johannes Hauswaldt, Roland Groh, Knut Kaulke, Falk Schlegelmilch, Alireza Zarei, Eva Hummers Original Article | Anonymization of general practitioners‘ electronic medical records in two research datasets

S279

Stellungnahme | Datennutzung für eine bessere Gesundheitsversorgung–Plädoyer für eine kooperative Forschungsdatenplattform der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung und dem Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) Jochen Schmitt, Peter Ihle, Olaf Schoffer, Jens-Peter Reese, Steffen Ortmann, Enno Swart, Sabine Hanß, Falk Hoffmann, Christoph Stallmann, Monika Kraus, Sebastian Claudius Semler, Ralf Heyder, Jörg Janne Vehreschild, Peter Heuschmann, Dagmar Krefting, Martin Sedlmayr, Wolfgang Hoffmann, und die gemeinsame Arbeitsgruppe „Externe Daten“ des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) und der Medizininformatik- Initiative Stellungnahme | Access to and use of Data for better Healthcare: A Plea for a cooperative data and Research Infrastructure of Statutory and Private Health Insurers and the Network University Medicine (NUM)


Enno Swart

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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Enno Swart
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Medizinische Fakultät
Institut für Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung (ISMG)
Leipziger Str. 44
39120 Magdeburg
Germany

Publication History

Article published online:
03 December 2025

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