Gesundheitswesen 2010; 72(6): 315
DOI: 10.1055/s-0030-1254166
Gasteditorial

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Methoden der Sekundärdatenanalyse

E. Swart, P. Ihle
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Publication Date:
17 June 2010 (online)

Versorgungsforschung beschreibt und erklärt die Gesundheits- und Krankenversorgung und ihre Rahmenbedingungen, entwickelt Versorgungskonzepte und begleitet ihre Umsetzung und nimmt schließlich eine Evaluierung unter Alltagsbedingungen vor. Es liegt nahe, sich dabei bereits vorhandener Daten aus der täglichen Versorgungspraxis zu bedienen, wodurch die Routinedatenquellen der gesetzlichen Krankenversicherung in den Fokus der Versorgungsforschung geraten.

GKV-Routinedaten bieten sich für die Versorgungsforschung aus einer Vielzahl von Gründen an: Sie stehen im Prinzip jederzeit zur Nutzung bereit, sind daher (relativ) kostengünstig und schnell verfügbar. Wegen ihrer Generierung im Zuge der Leistungserbringung bzw. Kostenerstattung sind sie aktueller als viele andere routinemäßig verfügbaren Daten. Weitere herausragende Eigenschaften sind ihr eindeutiger Personen- bzw. Bevölkerungsbezug, ihre Vollständigkeit, die leistungserbringerübergreifende Perspektive oder die Möglichkeit längsschnittlicher Analysen. Sie bilden aber auch das Versorgungsgeschehen nahezu ohne Selektionsbias ab und werden aufgrund großteils standardisierter Erfassung, Übermittlung und Prüfung bei den Kostenträgern nicht – wie häufig bei Primärdaten – durch die Datenerhebung selbst verzerrt. Aus diesen Gründen haben sich GKV-Routinedaten als sinnvoll und nutzbar erwiesen und sich die Sekundärdatenanalyse als eigenständiger methodischer Ansatz der Versorgungsforschung etabliert.

Die Erörterung ausgewählter methodischer Aspekte bei der Nutzung von GKV-Routinedaten und anderen Datenquellen steht im Vordergrund dieses Schwerpunkthefts. Es geht um die Frage der Identifizierung von Versicherten mit einem bestimmten (chronischen) Krankheitsbild (Schubert et al.) und um die technische Erschließung von Daten aus hausärztlichen Arztinformationssystemen (Kersting et al.). Diese Daten und die von kassenärztlichen Vereinigungen werden bzgl. ihrer Eignung zur Abbildung von Impfquoten diskutiert (Hauswaldt et al., Reuss et al.) Es folgen Darstellungen fortgeschrittener statistischer Verfahren zur Identifikation von Diagnosemustern bei Schmerzpatienten (Schiffhorst et al.) und zur Bildung von Kontrollgruppen bei der Evaluation von Einschreibemodellen (Riens et al.), ebenso wie ein Beispiel zur gesundheitsökonomischen Nutzung von Routinedaten (Sindern et al.). Der Block der acht Beiträge schließt mit der Beschreibung einer Evaluation eines Patienteninformationssystems auf der Basis von Routinedaten (Weiß et al.).

Das vorliegende Schwerpunktheft möchte mit seinen primär methodisch ausgerichteten Beiträgen und in angemessener Abwägung ihrer Vor- und Nachteile zur (stärkeren) wissenschaftlichen Nutzung von Routinedaten der gesetzlichen Krankenversicherung und anderer Sozialversicherungsträger anregen. Die Beiträge entstanden zum ersten Methodenworkshop der AGENS (Arbeitsgruppe zur Erhebung und Nutzung von Sekundärdaten) der Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) im März 2009 an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Angesichts des Methodenmemorandums des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung, das im Herbst 2009 ebenfalls in dieser Zeitschrift publiziert wurde, machen sie deutlich, dass Sekundärdatenanalysen als Zweig der Versorgungsforschung besonderer Methoden bedürfen und ebenso hohe wissenschaftliche Anforderungen wie Primärerhebungen stellen. Die Sekundärdatenanalyse muss dabei allgemeinen epidemiologischen Standards gerecht werden. Die Gute Praxis Sekundärdatenanalyse (GPS), 2005 durch die AGENS publiziert und 2008 erstmalig überarbeitet[1] stellt einen solchen Wissenschaftsstandard dar, der in die vorgestellten Projekte eingeflossen ist und in den Beiträgen diskutiert wird.

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass die Nutzung von GKV-Routinedaten für die Versorgungsforschung bei vielen Fragestellungen die naheliegende Herangehensweise ist. Gleichzeitig lassen die Beiträge erkennen, dass Brückenstudien und die Verknüpfung mit Primärdaten geeignet sein können, die unabweisbaren Grenzen der Sekundärdaten zu überwinden.

Zum Abschluss möchten wir allen Reviewern danken, die mit ihren wertvollen Hinweisen maßgeblich zur Verbesserung der Beiträge beigetragen haben. Wir wünschen Ihnen nun eine anregende Lektüre.

1 Das Gesundheitswesen 70 (2008), S. 54 – 60; download unter http://www.dgepi.de.

Korrespondenzadresse

Dr. E. Swart

Diplom-Statistiker

Institut für Sozialmedizin und Gesundheitsökonomie (ISMHE)

Med. Fakultät Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg

Leipziger Straße 44

39120 Magdeburg

Email: enno.swart@med.ovgu.de

P. Ihle

PMV Forschungsgruppe Klinik und Poliklinik für

Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters

der Universität zu Köln

Hederstraße 52 – 54

50931 Köln

Email: peter.ihle@uk-koeln.de

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