Sprache · Stimme · Gehör 2010; 34(3): e34-e41
DOI: 10.1055/s-0030-1265171
Originalarbeit

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Eine Leseschwäche, viele Ursachen – kognitive Subtypen der Entwicklungsdyslexie

One Reading Disorder, Many Causes – Cognitive Subtypes of Developmental DyslexiaM. Grande1 , J. Tschierse1 , E. Meffert1 , 2 , 3 , W. Huber1 , M. Wilms2 , K. Willmes5 , S. Heim2 , 3 , 4
  • 1Neurologische Klinik – Neurolinguistik (Leiter: Prof. Dr. W. Huber), Universitätsklinikum, RWTH Aachen University
  • 2Forschungszentrum Jülich, Institut für Neurowissenschaften und Medizin (INM) (Geschäftsführender Direktor: Prof. Dr. K. Zilles), Jülich
  • 3Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Direktor: Prof. Dr. Dr. F. Schneider), Universitätsklinikum, RWTH Aachen University
  • 4JARA-BRAIN (Leiter: Univ.-Prof. Dr. Dr. F. Schneider und Univ.-Prof. Dr. K. Zilles, Jülich und Aachen)
  • 5Neurologische Klinik – Neuropsychologie (Leiter: Prof. Dr. K. Willmes), Universitätsklinikum, RWTH Aachen University
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
12. Oktober 2010 (online)

Zusammenfassung

Unterschiedliche Theorien beschreiben die Entwicklungsdyslexie entweder als phonologisches, auditives, magnozelluläres Aufmerksamkeits- oder Automatisierungsdefizit. Diese große Heterogenität lässt vermuten, dass sich Kinder mit Dyslexie Subgruppen mit unterschiedlichem Störungsschwerpunkt zuordnen lassen. Das Ziel der vorliegenden Studie war daher die Identifikation solcher Subtypen. 2 Gruppen von Drittklässlern (49 mit Dyslexie und 48 Kontrollkinder) wurden mit Testverfahren zur phonologischen Bewusstheit, Lautdifferenzierung, Bewegungsdetektion, visuellen Aufmerksamkeit und Rhythmusimitation untersucht. Eine kombinierte Cluster- und Diskriminanzanalyse ergab 3 Cluster innerhalb der Dyslektiker. Im Vergleich zu den unauffälligen Lesern zeigte Cluster 1 eine Beeinträchtigung der phonologischen Bewusstheit, Cluster 2 fiel durch schlechtere Leistungen in der visuellen Aufmerksamkeit auf und Cluster 3 zeigte Defizite in den phonologischen, magnozellulären und Lautdifferenzierungsaufgaben. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass Dyslexie verschiedene kognitive Ursachen haben kann. Als Konsequenz daraus sollten Trainingsprogramme dem jeweiligen Störungsschwerpunkt angepasst werden.

Abstract

Different theories conceptualise dyslexia as either a phonological, attentional, auditory, magnocellular, or automatisation deficit. Such heterogeneity suggests the existence of yet unrecognised subtypes of dyslexics suffering from distinguishable deficits. The purpose of the study was to identify cognitive subtypes of dyslexia. Out of 642 children screened for reading ability 49 dyslexics and 48 controls were tested for phonological awareness, auditory discrimination, motion detection, visual attention, and rhythm imitation. A combined cluster and discriminant analysis approach revealed 3 clusters of dyslexics with different cognitive deficits. Compared to reading-unimpaired children cluster #1 had worse phonological awareness; cluster #2 had higher attentional costs; cluster #3 performed worse in the phonological, auditory, and magnocellular tasks. These results indicate that dyslexia may result from distinct cognitive impairments. As a consequence, prevention and remediation programmes should be specifically targeted for the individual child's deficit pattern.

Literatur

1 Zur Einschätzung eines eventuell vorliegenden Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADS) wurden die Eltern der Kinder zusätzlich gebeten, den Fremdbeurteilungsbogen für hyperkinetische Störungen auszufüllen. Dieser ist Teil des Diagnostiksystems für psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter nach ICD-10 und DSM-IV (DISYPS-KJ [30]). Es liegen separate Normen für die Bereiche „Aufmerksamkeitsdefizit”, „Hyperaktivität” und „Impulsivität” vor. Da für die vorliegende Studie nur eine Komorbidität mit ADS relevant war, wurde nur die Bewertung des Aufmerksamkeitsdefizits berücksichtigt. Kinder mit ADS wurden nicht aus der Studie ausgeschlossen. Stattdessen ging die Anzahl der Kinder mit ADS als weitere Variable in die Analyse ein, um den Einfluss von Symptomen einer ADS auf die Leistung in den einzelnen Tests zu überprüfen.

2 Die folgenden Einstellungen wurden gewählt: maximale Clusteranzahl 15; Log-Likelihood Distance Estimation; Akakike's Information Criterion as Clustering Criterion; No Noise Handling for Outlier Treatment; Initial Distance Change Threshold 0; Maximum of 8 Branches per Leaf Node; Maximum of 3 Tree Depth Levels.

3 BMBF-Projekt „Effekte von spezifischem vs. unspezifischem Training auf Hirnfunktion und Performanz bei kognitiven Subtypen von Dyslexie”, Förderkennzeichen 01GJ0804, Projektnehmer Marion Grande und Stefan Heim.

Hinweis:

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Erratum:

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Korrespondenzadresse

Dr. M. Grande

Neurologische Klinik

– Neurolinguistik

Universitätsklinikum

RWTH Aachen University

Pauwelsstraße 30

52074 Aachen

eMail: mgrande@ukaachen.de