Einleitung
Dass die Segmentierung des deutschen Gesundheitssystems an vielen Stellen zu
Kommunikations- und Koordinationsproblemen führt, ist keine neue Erkenntnis. Die
Aufrechterhaltung starrer Sektorengrenzen (z. B. zwischen ambulanter und stationärer
Versorgung) und eine starke Orientierung an sektoralen Budgets kennzeichnen dieses
System
[1]. Die daraus resultierende unzureichende Abstimmung
und Vernetzung von Versorgungsabläufen ist seit längerem Gegenstand der Diskussion
um die
Zukunft des Gesundheitswesens [12]. Dies zeigt sich auch
und besonders im System der medizinischen Rehabilitation, das aufgrund des demografischen
Wandels und den damit einhergehenden Veränderungen des Krankheitsspektrums noch stärker
zu
einem tragenden Element der Gesundheitsversorgung geworden ist [3], [11], [17]. Die Rehabilitationskette hat viele Schnittstellen: die niedergelassenen
Ärzte (Haus- und/oder Fachärzte), die Kostenträger (allen voran Rentenversicherungen
und
gesetzliche Krankenkassen), die Rehabilitationskliniken/r und nicht zuletzt die
Rehabilitanden selbst. Die Zusammenarbeit dieser verschiedenen Akteure verläuft nicht
immer
reibungslos. Neben ökonomischen Interessen sind auch unterschiedliche Werte- und
Deutungsmuster der einzelnen Handelnden dafür verantwortlich. Die Folgen dieser
Reibungsverluste können z. B. in geringer Ergebnisqualität oder mangelnder
Wirtschaftlichkeit bestehen [12]. Seit über zwei
Jahrzehnten werden Anstrengungen unternommen, die Schnittstellenprobleme, die durch
die
Iterativität und mangelnde Linearität des Rehabilitationsprozesses (d. h. schrittweises,
sich wiederholendes und oft nicht auf ein gemeinsames Ziel ausgerichtetes Vorgehen)
entstehen, zu identifizieren und Lösungen zu finden [2],
[3], [16], [18].
„Ja, bei mir war es so, dass ich, hm, ja, arg am Untergehen war. Hatte einige Probleme
schon das ganze letzte Jahr und hatte denn bei meiner privaten Krankenversicherung
‘n
Antrag gestellt, um nach Bad A in die Klinik zu kommen. Die private Krankenversicherung
hat‘s dann abgelehnt, weil sie gesagt, das ist ganz klar das Reha-Thema. Für Reha
sind wir
nicht zuständig.
Wir sind zuständig für akute Erkrankungen. Aber das Schnittstellenproblem war das,
dass
die Psychologin ja keine Überweisung schreiben darf. Die Psychologin darf beraten,
darf
Gespräche führen. Und der Hausarzt ist quasi der, der darf die Pillen verschreiben
und
darf krankschreiben […] und noch den Reha-Antrag. Hat aber im Grunde genommen keine
Ahnung, was wirklich los ist“ (Abschnitt 11, Fokusgruppe mit Rehabilitanden mit
psychosomatischen Indikationen, während des Aufenthalts in der Rehabilitationsklinik
(FG
1)).
All diese Anstrengungen haben bisher jedoch noch nicht zu einer optimalen Verzahnung
der
Bemühungen von niedergelassenen Ärzten, Kostenträgern und Rehabilitationsklinikern
geführt
[5]. Informations- und Kommunikationsdefizite und die
Zusammenarbeit erschwerende Vorurteile lassen sich bei allen am Rehabilitationsprozess
Beteiligten ausmachen. Der Hausarzt oder auch der Facharzt (z. B. der Orthopäde oder
Psychotherapeut) ist für Personen, die ein Heilverfahren anstreben, die erste Bezugsperson
auf dem Weg zur Rehabilitation [7]. Sie entscheidet mit,
ob ein Patient einen Rehabilitationsantrag stellt. Des Weiteren kann sie geeignete
Informationen zur Vorbereitung einer möglichst effektiven Rehabilitationsmaßnahme
an den
Reha-Antragsteller weitergeben. Auch die Erstellung von Befundberichten, die für den
jeweiligen Kostenträger die Grundlage für die Entscheidung über den Antrag auf
Rehabilitation darstellen und den Rehabilitationsklinikern als Basis der Therapieplanung
dienen, fällt in den Aufgabenbereich der niedergelassenen Ärzte. Obwohl die Mehrheit
der
niedergelassenen Ärzte eine generell positive Einstellung zur Rehabilitation hat,
beklagen
sie im Vorfeld der Rehabilitation den vermeintlich hohen Aufwand, den eine
Rehabilitationsantragstellung für sie bedeutet [3], [18], und in diesem Zusammenhang auch die Intransparenz der
Prozesse beim Kostenträger bezüglich des Bearbeitungsstands und des Ergebnisses des
gestellten Antrags. Nach der Rehabilitation üben die Fachärzte oft Kritik an den wenig
nachvollziehbaren Therapieempfehlungen oder Therapieumstellungen der Rehabilitationskliniken
[4], [5].
Wechselseitige Kritik erschwert den Versorgungsablauf
Zu den Schnittstellenproblemen, die sich aus Sicht der anderen Beteiligten, der
Kostenträger und Rehabilitationskliniker ergeben, wissen wir nur wenig. Die bislang
vorliegenden Untersuchungen fokussieren hauptsächlich auf die Rolle des Hausarztes
im
Rehabilitationsprozess. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Kostenträger die
Funktionen des niedergelassenen Arztes im Rehabilitationsgeschehen ebenso kritisch
beurteilen. So wird den niedergelassenen Ärzten (speziell den Hausärzten) etwa eine
mangelnde Befähigung zur Erkennung von Rehabilitationsbedarf, mangelndes Interesse
an
Konzept und Inhalten der Rehabilitation und fehlende Kooperationsbereitschaft attestiert.
Rehabilitationskliniker auf der anderen Seite kritisieren vor allem die mangelnde
Kooperation bezüglich der Befundberichte und die unzureichende Vorbereitung der Patienten
auf die Rehabilitation.
Diese, in der Regel nicht direkt thematisierte, wechselseitige Kritik kann Störungen
im
Versorgungsablauf verursachen und nahtlose Übergänge ohne Reibungsverluste zwischen
den
unterschiedlichen Stationen des Systems (ambulante, rehabilitative und dann wieder
ambulante Versorgung) verhindern. Auch die Zusammenarbeit der einzelnen Akteure der
Rehabilitationskette (niedergelassene Ärzte, Kostenträger, Rehabilitationskliniker
und
betroffene Patienten) wird durch diese „Sollbruchstellen“ erschwert [15]. Die Opfer sind vor allem die betroffenen Patienten,
deren Versorgung durch diese Probleme nicht optimal gewährleistet ist. Sie erreichen
die
Rehabilitation zu spät oder gar nicht, sind schlecht aufgeklärt und nicht motiviert,
was
Adhärenzprobleme zur Folge haben kann [6]. Schließlich
leidet eine ausreichende, einen längerfristig anhaltenden Rehabilitationserfolg
gewährleistende Nachsorge darunter. Die Patienten sind jedoch nicht die einzigen
Leidtragenden, auch den „Professionellen“ wird eine effektive und effiziente Arbeit
schwieriger gemacht als nötig.
Übersicht der aktuellen Schnittstellenprobleme
Übersicht der aktuellen Schnittstellenprobleme
Die folgenden Daten erhoben die Autorinnen in einem vom Verein zur Förderung von
Rehabilitation in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern e. V. (vffr)
geförderten Projekt, welches im [Kasten „Projektbeschreibung“] kurz erwähnt ist. Trotz der
Verortung der Befragten in den Systemen der orthopädischen und psychosomatischen
Rehabilitation sind die erwähnten Probleme auch für andere Bereiche der rehabilitativen
Versorgung, z. B. der Neurologie, relevant.
„Optimierung der Zusammenarbeit von Reha-Kostenträgern, Reha-Einrichtungen und
ambulanter Versorgung“, Antragsteller: Dr. R. Deck, Prof. Dr. J.-M. Träder, Prof.
Dr.
M. Scherer
Im Rahmen des Forschungsprojekts sollen die Barrieren einer effizienten und
konfliktfreien Kooperation und Kommunikation in der Rehabilitationskette sowie deren
Ursachen identifiziert und Lösungsmöglichkeiten diskutiert werden. Ziel des Projekts
ist
die Etablierung neuer Begegnungs- und Kommunikationsformen zur Optimierung der
Zusammenarbeit aller an der Rehabilitation Beteiligten.
Es wurden 10 leitfadengestützte Gruppengespräche zur getrennten Befragung von
niedergelassenen Ärzten, Kostenträger-Vertretern, Rehabilitationsklinikern und
Rehabilitanden durchgeführt. Diese wurden aufgezeichnet, transkribiert und
inhaltsanalytisch ausgewertet. Es sind drei weitere interdisziplinäre Fokusgruppen
zur
Vorbereitung einer Abschlusskonferenz geplant. Probleme und Lösungsvorschläge werden
synoptisch aufgearbeitet und in dieser institutionsübergreifenden Abschlusskonferenz
vorgestellt, die Praktikabilität der potenziellen Lösungsansätze diskutiert und
Handlungsempfehlungen abgeleitet. Die institutionenübergreifende Problematisierung
von
Schnittstellenproblemen und die gemeinsame Erarbeitung von Handlungsstrategien sollen
zu
einer Optimierung der formalen Abläufe, einer Erhöhung der inhaltlichen Transparenz
und
einer Verstärkung des Austauschs zwischen allen Beteiligten an der Rehabilitationskette
führen.
Schnittstellenprobleme stellen sich aus verschiedenen Blickwinkeln unterschiedlich
dar.
Dabei ist der Blick der Akteure oft durch ihre professionsbedingten bzw. institutionellen
Werte- und Deutungsmuster gefärbt. Häufig sind die Beteiligten einer Schnittstelle
versucht,
dem jeweils anderen Beteiligten den „schwarzen Peter“ zuzuschieben. Umso wichtiger
ist es,
alle Mitglieder der Rehabilitationskette nach ihrer Sicht auf die gemeinsame Arbeit
am
Rehabilitationsprozess zu befragen. Der [Kasten „Auszug aus dem Gesprächsleitfaden“] zeigt als
Beispiel für die Rehabilitationskliniker, wie relevante Fragen zu Schnittstellenproblemen
aussehen können.
Auszug aus dem Gesprächsleitfaden
Beispiel: Rehabilitationskliniker
-
Wie sieht Ihre persönliche Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten aus? Wie würden
Sie diese Zusammenarbeit beurteilen? An welchen Stellen gibt es Probleme?
-
Werden die Befunde bzw. bisherigen Behandlungen des niedergelassenen Arztes
berücksichtigt? Wenn nein, warum nicht? Was hindert Sie daran?
-
Kommunizieren Sie mit den niedergelassenen Ärzten über die Nachsorge für Ihre
Rehabilitanden? Gibt es Schwierigkeiten bei der Kommunikation?
-
Was müsste sich Ihrer Meinung nach verändern, damit die Probleme bezüglich der
Fortführung der Behandlung/der Nachsorge durch die niedergelassenen Ärzte, die wir
gerade diskutiert haben, weniger würden?
-
Was könnten Sie sich vorstellen, selbst anders zu machen? Was müsste sich dafür
ändern?
-
Lassen Sie uns jetzt noch einen Blick auf die Zusammenarbeit mit den Kostenträgern,
also Rentenversicherung und Krankenkassen, werfen. Gibt es hier Probleme? Welche?
Blickwinkel der Rehabilitanden
Rehabilitanden haben kaum Probleme mit der für sie relevantesten direkten Schnittstelle,
dem niedergelassenen Arzt. Hier funktioniert die Zusammenarbeit fast immer problemlos.
In
der Zusammenarbeit mit den Kostenträgern, also hauptsächlich den Rentenversicherungen
und
den gesetzlichen Krankenkassen, sowie den Rehabilitationskliniken zeichnet sich ein
anderes Bild ab ([Tab. 1]). Im aktuellen Projekt werden
von den Rehabilitanden etwa vor allem die langen Wartezeiten auf einen Platz in einer
psychosomatischen Rehabilitationsklinik, häufig in Kombination mit einer schließlich
sehr
kurzfristigen Einbestellung beklagt. Noch wichtiger als die Wartezeit an sich scheint
jedoch der Umgang mit diesen Wartezeiten von Seiten der Kostenträger und
Rehabilitationskliniken zu sein. Die (zukünftigen) Rehabilitanden erhalten aus ihrer
Sicht
nur wenig Auskunft über die Abläufe bezüglich der Aufnahme in die psychosomatische
Klinik,
z. B. der Dauer der voraussichtlichen Wartezeit, der Möglichkeiten eines Eilantrags
und
der notwendigen Eigenaktivitäten (z. B. Nachfragen in der bewilligten Klinik).
Tab. 1
Sicht der Rehabilitanden: Probleme in der Zusammenarbeit mit
… Kostenträgern
|
… Rehabilitationsklinikern
|
-
lange Wartezeiten bei psychosomatischer Rehabilitation und mangelnde
Information über Wartezeiten und Abläufe
-
schlechte Erreichbarkeit von DRV-Ansprechpartnern
-
unklare Zuständigkeiten (z. B. für Nachsorge)
|
-
unklare Auskünfte über den formalen Ablauf
-
kurzfristige Einbestellungen bei psychosomatischer Rehabilitation
-
lange Laufzeiten der Reha-Berichte
|
Im Vorfeld der Reha beklagen die Rehabilitanden die schlechte Erreichbarkeit der
Ansprechpartner der Rentenversicherung; telefonische Kontaktaufnahme wird z. B. durch
lange Warteschleifen, elektronische Kontaktaufnahme durch nicht zugängliche
E-Mail-Adressen erschwert. Auch scheinen häufiger die Zuständigkeiten verschiedener
Kostenträger (z. B. für die Nachsorge) aus Rehabilitandensicht nicht klar zu sein.
Schon
aus anderen Projekten sind die Kommunikationsprobleme mit den Kostenträgern bekannt,
z. B.
bei der Bescheidung zu geäußerten Klinikwünschen im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts
[14].
Der Austausch von Unterlagen (z. B. Befunden und Entlassungsberichten) weist in den
Augen
der Rehabilitanden ebenfalls Defizite auf. Hier fallen den Betroffenen vor allem Mängel
bei der Weitergabe von Befundberichten durch die niedergelassenen Ärzte an die
Rehabilitationskliniken sowie der zeitliche Verzug bei der Übermittlung von
Entlassungsberichten der Rehabilitationskliniken an die niedergelassenen Ärzte auf.
Aus Sicht der niedergelassenen Ärzte
Auch die niedergelassenen Ärzte berichten keine Probleme in der Zusammenarbeit mit
ihren
Patienten, die eine Rehabilitation in Anspruch nehmen möchten. Aus ihrer Sicht zeigen
sich
die Probleme ebenfalls vor allem an den Schnittstellen zu den Kostenträgern und
Rehabilitationsklinike(r)n ([Tab. 2]). Die
niedergelassenen Ärzte berichten in der Zusammenarbeit mit den Kostenträgern vor allem
über Probleme, die sich unter die Kategorien „Bürokratie bzw. Formularwut“,
Schwierigkeiten/Intransparenz bei der Antragstellung und Bewilligung sowie nicht zumutbare
Belastungen subsumieren lassen. Oftmals resultieren diese Probleme, besonders die
subjektiv empfundene Intransparenz bezüglich Bewilligungs- bzw. Ablehnungskriterien,
in
dem Gefühl, dass die geleistete Arbeit hinsichtlich der Antragstellung nur sehr geringe
Wertschätzung erfährt.
Tab. 2
Sicht der niedergelassenen Ärzte: Probleme in der Zusammenarbeit mit
… Kostenträgern
|
… Rehabilitationsklinike(r)n
|
-
Formulare (zu lang, Antrag auf Antragsformular, nicht geeignet)
-
Bürokratismus
-
intransparente Zuständigkeiten bei der DRV
-
mangelnde Nachvollziehbarkeit der Bewilligung/Ablehnung von Anträgen
-
Arzt vs. anonymer Sachbearbeiter / mangelnde Wertschätzung der
Arztmeinung
-
starke (Zeit-)Ressourcenbindung durch Antragstellungen
-
Vergütung erfolgt nicht immer/entspricht nicht dem Aufwand
|
-
mangelnde Informationen über Eignung/Qualität einer Klinik
-
keine Strategie für systematischen Kontakt/Austausch bzgl. der Patienten
-
Entlassberichte zu lang
-
Entlassberichte nicht immer konsistent mit Patientenangaben
-
Unkenntnis über den „idealen“/von den Kliniken gewünschten Reha-Patient
|
Bezüglich der Zusammenarbeit mit den Rehabilitationsklinike(r)n gibt es aus Sicht
der
niedergelassenen Ärzte vor allem Mängel in der Vernetzung. Ein systematischer Austausch
über die Patienten fände nicht statt, weder im Vorfeld noch im Nachgang der
Rehabilitation. Darüber hinaus geben die niedergelassenen Ärzte aber auch z. T. zu,
dass
ihnen selbst Informationen dazu fehlen, welche Patienten wirklich für die Rehabilitation
geeignet sind und davon am meisten profitieren könnten (was auch von den
Kostenträger-Vertretern als Defizit bei den niedergelassenen Ärzten wahrgenommen wird).
Sowohl Rehabilitationskliniker als auch niedergelassene Ärzte betonen, dass es aufgrund
der großen Einzugsgebiete der Kliniken keinen regelmäßigen Kontakt zwischen ihren
Gruppen
gäbe. Die niedergelassenen Ärzte halten außerdem die hohe personelle Fluktuation in
den
Kliniken für problematisch.
An den Rehabilitationsentlassungsberichten beklagen die niedergelassenen Ärzte vor
allem
die Länge und die „Text-Bausteinitis“. Umstände, die auch die Rehabilitationskliniker
selbst an den Pranger stellen. Zuweilen seien auch die Angaben in den
Entlassungsberichten, vor allem zu den durchgeführten Therapien, nicht konsistent
mit dem,
was die Rehabilitanden nach der Reha-Maßnahme berichten.
Wahrnehmung der Kostenträger-Vertreter
An der Schnittstelle Rehabilitationsantragsteller – Kostenträger wurden kaum Probleme
benannt. Lediglich die Selbstauskunftsbögen seien oftmals nicht sorgfältig ausgefüllt,
was
die Arbeit des Medizinischen Diensts erschwere. Kostenträger beklagen allerdings
ihrerseits Probleme mit niedergelassenen Ärzten und Rehabilitationsklinike(r)n. [Tab. 3] zeigt eine Übersicht der Nennungen ([Tab. 3]). Bei der Zusammenarbeit mit den niedergelassenen
Ärzten entstehen Probleme vor allem dort, wo der niedergelassene Arzt nur über ein
mangelndes Wissen über Rehabilitations- und Vorsorge-Indikationen verfüge und
Rehabilitationsbedarf nicht rechtzeitig oder zu spät erkenne. Hinsichtlich der
psychosomatischen Indikationen treten Schwierigkeiten auf, wenn Rehabilitationsmaßnahmen
beantragt werden, obwohl keine Einbindung in eine ambulante psychologische oder
psychiatrische Betreuung vorhanden ist. Ein weiteres Problemfeld stellen hier
„F“-Diagnosen (nach ICD 10) dar, die bei Patienten mit primär somatischen Störungen
an die
Stelle der Erstindikation rutschen und somit zu Fehlzuweisungen in psychosomatische
Rehabilitationskliniken führen. Lange Wartezeiten auf psychosomatische
Rehabilitationsplätze kämen u. a. auch durch solche Problemkonstellationen bzw.
Fehlzuweisungen zustande.
Tab. 3
Aus Sicht der Kostenträger-Vertreter: Probleme in der Zusammenarbeit mit
… niedergelassenen Ärzten
|
… Rehabilitationsklinikern
|
-
mangelnde Kompetenzen bei der Erkennung von Reha-Bedarf
-
mangelndes Wissen bzgl. Rehabilitationsindikationen
-
Anträge auf psychosomatische Rehabilitation ohne Einbindung in ambulante
Psychotherapie
-
Fehlzuweisung durch falsche ICD10-„F“-Erstdiagnosen
|
|
Aus Sicht der Krankenkassenvertreter stellt der Fakt, dass die
Rehabilitations-Entlassungsberichte seit der Entscheidung des GBA nicht mehr direkt
an sie
weitergeleitet werden, ein Hindernis für die kontinuierliche Versorgung der Patienten
im
Rehabilitationsprozess dar. Der niedergelassene Arzt könne nicht als alleiniger
Ansprechpartner und Organisator für die Nachsorge dienen. Wenn von der
Rehabilitationsklinik Empfehlungen zur Weiterbehandlung, wie z. B. Ernährungsberatung,
gegeben werden, so müsse die Krankenkasse davon erfahren, um geeignete Schritte
einzuleiten bzw. eine zweckmäßige Beratung durchführen zu können.
Die Zuweisung von Patienten zur Rehabilitation laufe oft aufgrund der kurzen (vom
Gesetzgeber vorgegebenen) Bearbeitungsfristen nicht optimal ab. Wenn es an Unterlagen
von
den niedergelassenen Ärzten fehle, kämen schon einmal nichtrehabilitationsfähige bzw.
-bedürftige Patienten in die Rehabilitation. Des Weiteren kann der Medizinische Dienst
die
Rehabilitationskliniken nicht immer mit vollständigen Unterlagen ausstatten, da die
engen
Bearbeitungsfristen eine umfassende Diagnostik von Gesundheitsstörungen nicht zuließen.
Dieser Mangel wurde auch von den Rehabilitationsklinikern benannt, denen die fachgerechte
Aufnahme und Therapieplanung dadurch erschwert wird.
Aus Sicht der Rehabilitationskliniker
Die Rehabilitationskliniker berichten bezüglich der Zusammenarbeit mit den
niedergelassenen Ärzten vor allem Probleme, die sich unter den Kategorien Bürokratie,
Kommunikationsdefizite, reharelevante Vorarbeiten und Nachsorge subsumieren lassen.
Oft
scheitert eine reibungslose Zusammenarbeit mit den niedergelassenen Ärzten daran,
dass zu
wenig Zeit zur Verfügung steht, um (vor allem) telefonische Kontaktpflege zu betreiben.
Gründe dafür sind zum einen, wie oben erwähnt, die großen Einzugsgebiete der Kliniken
und
damit die große Zahl der potenziellen Kontaktpartner sowie zum anderen die schlechte
telefonische Erreichbarkeit der Hausärzte. Die Kommunikation zwischen
Rehabilitationsklinik und niedergelassenen Ärzten erfolgt meist „ausschließlich per
Brief“. Viele Probleme bestehen aufgrund der bürokratischen Zwänge, die den
Rehabilitationsprozess beherrschen. Von den Entlassungsberichten, die die
Rehabilitationskliniker aufgrund der Qualitätssicherungsanforderungen sehr ausführlich
verfassen, würde der niedergelassene Arzt nur wenige, für ihn relevante Teile (z.
B.
Empfehlungen) rezipieren. Wichtige Informationen, wie z. B. Begründungen für
Therapieumstellungen, werden dabei manchmal übersehen. Die vom Hausarzt oftmals nur
unzureichend gelieferten Befunde oder Dokumentationen über erfolgte Behandlungen und
die
aktuelle Medikation sind Folge der aufwendig auszufüllenden Formulare. Diese Formulare
bieten offensichtlich weder genug Raum noch passenden Anlass, die Vorbehandlung des
Patienten ausführlich zu erläutern. Fehlende Daten und Informationen werden andererseits
von den Medizinischen Diensten der Krankenkassen und Rentenversicherungen auch nicht
in
ausreichendem Maß im Antragsprozess korrigiert bzw. ergänzt.
Die Rehabilitationskliniker sehen die niedergelassenen Ärzte (noch) nicht zwingend
als
Ansprechpartner (des Patienten) für die Nachsorge an. Entsprechende Empfehlungen für
die
Zeit nach der Rehabilitation werden den Rehabilitanden von den Rehabilitationsklinikern
verordnet bzw. nahegelegt. Im Fall der ambulanten psychosomatischen Weiterbehandlung
wird
versucht, diese, falls notwendig, anzubahnen. Über diesen Prozess wird der niedergelassene
Arzt lediglich im Entlassungsbericht informiert, aber nicht in ihn eingebunden. Die
Rehabilitationskliniker und Kostenträger-Vertreter befürworten dieses Vorgehen zum
Teil
sogar. Es wird kein Bedarf an einer engeren Einbindung des niedergelassenen Arztes
in
diesen Prozess gesehen.
Tab. 4
Sicht der Rehabilitationskliniker: Probleme in der Zusammenarbeit mit
… niedergelassenen Ärzten
|
… Kostenträgern
|
Tabelle modifiziert nach Pohontsch & Deck [13]
|
-
Schwierigkeiten bei der Kontaktpflege (großes Einzugsgebiet, schlechte
Erreichbarkeit)
-
Kommunikation fast nur „per Brief“
-
unzureichende, veraltete Befunde/Dokumentation von Vorbehandlungen
-
Formulare/Bürokratie
-
unzureichende Rezeption der Entlassungsbriefe
-
Verordnung der Nachsorge am niedergelassenen Arzt „vorbei“
|
-
(zu) lange Entlassungsbriefe wg. Qualitätssicherungsanforderungen
-
intransparente Zuständigkeiten bei der DRV
-
Formulare (Umfang/Darstellungsmöglichkeiten)
-
(Fehl-)Zuweisung („falsche“ Indikationen/mangelnde
Rehabilitationsfähigkeit)
-
Therapiestandards vs. Vergütung
-
zu wenig Reha-Berater
|
Bedeutung der Schnittstellenproblematik für die rehabilitative Versorgung
Bedeutung der Schnittstellenproblematik für die rehabilitative Versorgung
Die aufgeführten Schnittstellenprobleme haben unterschiedliche Auswirkungen auf die
einzelnen Mitglieder der Rehabilitationskette und den Rehabilitationsprozess. Während
für
die Rehabilitanden vermutet werden muss, dass diese Problematiken vor allem Einfluss
auf die
Zufriedenheit mit der Reha-Maßnahme und den Rehabilitationserfolg haben, bedeuten
für die
niedergelassenen Ärzte und Rehabilitationskliniker Schnittstellenprobleme eher zusätzliche
Belastungen und Frustrationsquellen. Den Kostenträgern entstehen hauptsächlich unnötige
Kosten.
Unzufriedenheit mit den Abläufen
Bei den psychosomatischen Rehabilitanden stellen vor allem die langen Wartezeiten
auf die
Aufnahme in der Rehabilitationsklinik einen starken Belastungsfaktor dar. Die
resultierende Behandlungslücke ist unter dem Aspekt, dass häufig psychosomatische
Rehabilitationsmaßnahmen beantragt werden, ohne dass die Betroffenen in eine ambulante
psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung eingebunden sind, als besonders
kritisch zu beurteilen. Neben dem Problem der mangelnden Kontinuität der Behandlung
entstehen für diese Rehabilitanden auch oft Schwierigkeiten im Bereich der
Entgeltfortzahlung bzw. durch lange Fehlzeiten auch Probleme mit dem Arbeitgeber.
Im
Vorfeld der Rehabilitation stellt die, im Anschluss an lange Wartezeiten zum Teil
sehr
kurzfristige Einbestellung in die Klinik für psychosomatische Rehabilitanden oft einen
destabilisierenden Faktor dar. Neben ihren psychischen Beeinträchtigungen fühlen sie
sich
zusätzlich durch den erforderlichen, subjektiv als hoch empfundenen Organisationsaufwand
in kurzer Zeit belastet. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Aspekte einen
eher
abträglichen Einfluss auf den Rehabilitationserfolg haben.
Erhöhte Belastung im Arbeitsalltag
Unklare Zuständigkeiten und die schlechte Erreichbarkeit von Ansprechpartnern der
Rentenversicherung führen zu Verzögerungen in den formalen Abläufen und erschweren
den
Austausch von Unterlagen bzw. Informationen. Aus diesen Verzögerungen heraus resultieren
auch für die Rehabilitationskliniker Erschwernisse für ihre Arbeit, z. B. durch
Verzögerung der Therapieplanung und Behandlung der Rehabilitanden. Die mangelnde
Aufklärung der Rehabilitanden über die Zuständigkeiten der Kostenträger im Bereich
der
Nachsorge führen zu unnötigen Eigenleistungen der Rehabilitanden
(„Selbstzahler“-Nachsorge) oder zur Nichtinanspruchnahme existierender Angebote. Hinzu
kommt, dass durch die Nichteinbindung der niedergelassenen Ärzte als Beratungs- und
Kontrollinstanz für die Nachsorge wichtige vorhandene Ressourcen zur Festigung und
Verstetigung des Rehabilitationserfolgs nicht genutzt werden.
Zuweisungsprobleme und Zuweisungsfehler
Die unzureichende Informiertheit niedergelassener Ärzte (hier wahrscheinlich vor allem
der Hausärzte) führt immer wieder dazu, dass die falschen Patienten in die Rehabilitation
gelangen und solche, die eine Rehabilitation nötig hätten, zu spät oder gar nicht
an
Reha-Maßnahmen teilnehmen. Ohne Aufklärung bleiben eventuelle Vorurteile gegen die
Rehabilitation und damit auch die „Zuweisungsprobleme“ weiter bestehen. Das Gefühl,
keine
Kontrolle über die Prozesse (vor allem die Bewilligung oder Ablehnung) des
Rehabilitationsantrags zu haben, führt zusammen mit dem Gefühl der geringen Wertschätzung
der ärztlichen Expertise zur Frustration und mangelnden Motivation der niedergelassenen
Ärzte, sich mit der Materie zu beschäftigen. Den Kostenträgern wiederum entstehen
durch zu
späte, falsche oder gar nicht erfolgte Rehabilitationsanträge hauptsächlich Kosten.
Diese
Kosten können durch fehldiagnostizierte oder in den falschen Kliniken durchgeführte
Maßnahmen oder schlimmstenfalls durch frühzeitige Berentungen der Betroffenen aufgrund
zu
spät oder gar nicht initiierter Maßnahmen entstehen.
Fehlzuweisungen durch den Kostenträger, die durch mangelnde Unterlagen vom
niedergelassenen Arzt und zu kurze Fristen zur Behebung dieses Mangels entstehen,
stellen
sowohl für den betroffenen Patienten als auch für den Kostenträger und die
Rehabilitationskliniker ein Problem dar. Der betroffene Patient erfährt nicht die
richtige
Therapie am richtigen Ort, während dem Kostenträger auch hier unnötige, vermeidbare
Kosten
entstehen. Den Rehabilitationsklinikern fehlen notwendige Unterlagen zur Therapieplanung
und ggf. die Expertise, den Rehabilitanden richtig zu behandeln.
Entlassungsbriefe gleichen einem Labyrinth
Unter den ausführlichen Entlassungsbriefen, deren Länge auch den
Qualitätssicherungsanforderungen geschuldet ist, leiden sowohl die Verfasser (die
Rehabilitationskliniker) als auch die Leser (niedergelassene Hausärzte und
Rehabilitanden). Den Rehabilitationsklinikern geht wertvolle Zeit für die Rehabilitanden
verloren, während sich die niedergelassenen Ärzte durch ein Labyrinth von Informationen
kämpfen müssen. Relevante Informationen zu Gründen von Therapieumstellungen oder
notwendigen Weiterbehandlungen sind unsystematisch über die Entlassungsbriefe verteilt
und
laufen so auch Gefahr, vom weiterbehandelnden Arzt nicht rezipiert zu werden.
Lösungsmöglichkeiten
Schnittstellen zwischen verschiedenen Versorgungsbereichen, unterschiedlichen
Sozialgesetzbüchern oder sektoralen Zuständigkeiten erschweren komplexe patientenorientierte
Behandlungspfade und insbesondere auch die der medizinischen Rehabilitation. Die
demografische Entwicklung und die Zunahme an chronischen Erkrankungen erfordert eine
Abkehr
von einer Orientierung an Sektoren und Kostenträgern. Eine erfolgreiche medizinische
Rehabilitation muss sich sektorenübergreifend an den Patienten mit ihren individuellen
Krankheitsverläufen orientieren. Erfolgversprechende Ansätze liefern z. B. Modelle
der
integrierten Versorgung und Managed Care [9], [10]. Lösungen auf Systemebene sind allerdings nicht einfach
und nicht schnell zu realisieren. Als kurzfristig gangbarer Weg bietet sich zunächst
der
Ausbau einer interdisziplinären Kommunikationskultur an.
Das vorhandene Potenzial für diese interdisziplinäre Kommunikationskultur und ein
gemeinschaftliches Arbeitsbündnis aller Akteure der Rehabilitationskette soll in diesem
Projekt aus Sicht aller Beteiligten abgewogen werden. Für die Schaffung eines Common
Grounds
wird die Entwicklung und Implementation neuer Begegnungs- und Kommunikationsformen
entscheidend sein. Kolloquien und ärztliche Qualitätszirkel könnten eine Begegnungsform
für
Rehabilitationskliniker und niedergelassene Ärzte darstellen. Auf
Fortbildungsveranstaltungen für niedergelassene Ärzte könnten regelmäßig Vertreter
der
Rehabilitationsmedizin bzw. der Kostenträger (z. B. des Medizinischen Dienstes) zu
Expertenvorträgen eingeladen werden. Niedergelassenen Ärzten sollte der Zugang zu
rehabilitationsinternen Veranstaltungen ermöglicht und deren Besuch durch die Vergabe
von
Fortbildungspunkten gefördert werden.
Ein weiterer nicht zu vernachlässigender Aspekt ist die Einbindung der Betroffenen
selbst.
Patientenorientierung und partizipative Entscheidungsfindung (Shared Decision-Making)
unterstützen den informierten und eigenverantwortlichen Umgang mit Krankheit, Therapie
und
(Selbst-)Management der gesundheitsbezogenen Versorgung [8]. Informierte Rehabilitanden, die mit ihrer individuellen Perspektive in die
aktive Ausgestaltung der Versorgung einbezogen werden, können wesentlich zu Verbesserungen
in der gesundheitlichen Versorgung beitragen. Die Ausgestaltung und Auswahl der jeweiligen
Begegnungs- und Kommunikationsformen der verschiedenen Akteure in der Rehabilitation
unter
Einbezug der Betroffenen soll ein wesentliches Produkt unserer Forschungsarbeit sein.
Schlussbemerkung
Aufgrund der sektoralen Einteilung von Versorgungsstrukturen und der arbeitsteiligen,
größer werdenden Spezialisierung stellt die Überwindung von Schnittstellen eine enorme
Herausforderung dar. Sie sollte gelingen, wenn die verschiedenen Akteure unvoreingenommen
aufeinander zugehen, Kompetenzen teilen, statt abzugrenzen, und auch bereit sind,
ungewöhnliche Wege zu gehen. Die Bereitschaft, neue Wege zu beschreiten, ist da!