„Nervennahrung“ – Prävention für Demenz?
Unter neurodegenerativen Erkrankungen versteht man insbesondere alle Formen der Demenz,
den Morbus Parkinson, der ja zu in einem hohen Anteil zur Parkinson-Demenz führt,
und die Polyneuropathie.
Für die Polyneuropathie sind ätiologisch 2 begünstigende Stoffwechsel- bzw. alimentäre Einflüsse klar gesichert
und für den weit überwiegenden Teil aller Erkrankungen verantwortlich: der Diabetes
mellitus jeden Typs sowie der Alkoholkonsum. Ausreichende Kontrolle des Kohlenhydratstoffwechsels
sowie Aufgabe des Alkoholkonsums können zwar kaum zu einer Besserung des Krankheitsbilds
führen, ein Fortschreiten jedoch verhindern.
Protektive Faktoren aus der Ernährung etwa als Sekundärprävention für Diabetiker sind
dagegen kaum bekannt. Die früher propagierte Gabe von B-Vitaminen über das für den
Gesunden als erforderlich gehaltene Ausmaß hinaus hat sich nicht als wirksam erwiesen
und wird heute praktisch nicht mehr durchgeführt. Dagegen ist für die manifeste Erkrankung
die Therapie mit α-Liponsäure in der peroralen wie der parenteralen Gabe ebenso üblich wie weiterhin umstritten.
Diese ist ein potentes Antioxidans und grundsätzlich ein Naturstoff, der sowohl mit
der Nahrung aufgenommen als auch im Körper synthetisiert wird. In den heute üblichen
Dosierungen wird er jedoch ausschließlich als Medikament betrachtet und deshalb gesondert
abgehandelt (Beitrag S. 45). Es erscheint naheliegend, dass metabolische Gegebenheiten für die Begünstigung
oder Verhinderung der Entwicklung wie auch die Therapie demenzieller Erkrankungen
verantwortlich sein könnten.
Patienten stellen im medizinischen Alltag die Frage nach Empfehlungen für Ernährung
und Demenz meist aus 3 Motivationen:
-
Sie sind symptomfrei, befürchten jedoch aufgrund einer genetischen Belastung das spätere
Auftreten einer Demenz.
-
Sie spüren Symptome, die sie für eine Frühform einer Demenz (z. B. „mild cognitive
impairment“, MCI) halten, und suchen progressionsverlangsamende Therapien.
-
Angehörige, die sie im Haushalt versorgen, leiden an Vorstufen oder dem Vollbild.
Derzeit ist hierzulande selten von möglichen Zusammenhängen zwischen Auftreten und
Verlauf demenzieller Erkrankungen und Ernährung die Rede. Die führende S3-Leitlinie
„Demenzen“ (2009, Deutsche Gesellschaft für Neurologie u. a.) sowie die Leitlinie
„Demenz“ (2008, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin) wurden
ohne Beteiligung von Ernährungswissenschaftlern erstellt und enthalten auch nicht
andeutungsweise einen Hinweis darauf, dass begünstigende oder verhindernde Momente
in Nahrungsbestandteilen in Prävention und Therapie der Demenz vorstellbar seien.
Lediglich für eine aufgrund des Verhaltens des Demenzkranken bzw. mangelnder Pflege
eingetretene Kachexie gibt die Leitlinie der deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin
übliche Empfehlungen über Sondennahrung an, die jedoch keine Spezifität bezüglich
demenzieller Erkrankungen beanspruchen.
World Alzheimer Report
Der regelmäßig erscheinende World Alzheimer Report gibt u. a. die geschätzte Prävalenz
für M. Alzheimer in % der Bevölkerung über 60 Jahre in sämtlichen Regionen der Erde
an. Danach bestand 2010 zwischen dem südlichen Lateinamerika (8,2 %) und Afrika südwestlich
der Sahara (2,0 %) der größte Unterschied der Prävalenzen, um etwa den Faktor 4. Mitteleuropa
rangierte mit 5,8 % im oberen Drittel ([Abb. 1]). Für Europa und Nordamerika kommen verschiedene Erhebungen und Metaanalysen zu
sehr gut übereinstimmenden Daten für die jeweiligen Verhältnisse [14], sodass dort Messungen von Inzidenzen bzw. Prävalenzen recht genau zu sein scheinen
([Abb. 2] und [3]).
Wenn zwischen verschiedenen Ländern bzw. Regionen große Unterschiede in der Inzidenz
und/oder Prävalenz einer Erkrankung gesichert werden können, nimmt die Epidemiologie
neben genetischen vor allem Umweltfaktoren wie Ernährung, Genuss- und Umweltgifte
usw. als ätiologisch bedeutsam an. Da zudem eine zeitliche Entwicklung der Inzidenzen
parallel zur Annäherung an einen westlichen Lebensstil in Ländern mit initial niedrigem
sozioökonomischen Status zu beobachten ist, werden Lebensstilfaktoren, insbesondere
die Ernährung, als begünstigend vermutet ([Abb. 3]).
Abb. 1 Geschätzte Prävalenz für M. Alzheimer in % der Bevölkerung über 60 Jahre der jeweiligen
Region. Größter Abstand: Lateinamerika Süd zu Subsahara West 8,2/2,0 bzw. 4,1/1,0.
Quelle World Alzheimer Report 2010.
Abb. 2 Altersabhängige Prävalenz der Demenz nach europäischen und nordamerikanischen Erhebungen
und Metaanalysen. © [14].
Abb. 3 Zunahme der Prävalenzen für Demenz mit verbessertem sozioökonomischen Status. Schätzungen
des World Alzheimer Report 2010.
Die Fischhypothese
Die Fischhypothese
International wird spätestens seit einer gezielten Analyse von Daten der Framingham-Studie [9] nach Zusammenhängen zwischen der Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren und Demenz geforscht.
Hier wurden bei initial nicht dementen 899 Probanden (mittleres Alter 76 Jahre) die
Konzentration der Docosahexaensäure (DHA) gemessen sowie über einen Beobachtungszeitraum
von 9 Jahren alle 2 Jahre neuropsychologische Tests durchgeführt. Die Ernährungspläne
der Probanden wurden sorgfältig auch auf ihren Fischkonsum analysiert. In den folgenden
9 Jahren erkrankten 99 Personen an einer Demenz, davon 71 an Alzheimer. Für die Teilnehmer
mit dem höchsten Konsum an DHA errechnete sich ein um 47 % geringeres Risiko für das
Auftreten jeder Form der Demenz sowie um 39 % speziell für die Alzheimer-Demenz. Durchschnittlich
wurden in der Gruppe mit niedrigem Risiko 3 Fischmahlzeiten pro Woche angegeben bzw.
0,18 g DHA pro Tag daraus errechnet.
In mittlerweile 13 epidemiologischen Studien (einschließlich der oben angeführten)
hatte sich in 10 Fällen ein inverser Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Fisch bzw.
der Aufnahme von marinen Ω-3-Fettsäuren, insbesondere von DHA, und dem Auftreten demenzieller
Symptome bzw. des Vollbilds einer Demenz ergeben. Drei dieser 10 Studien konnten den
Zusammenhang nicht nur anhand des erfragten Essverhaltens sondern zusätzlich auch
durch Messungen der Konzentrationen von Ω-3-Fettsäuren im Serum bestätigen. In den
übrigen 3 der ursprünglichen 13 Studien konnte ein inverser Zusammenhang dagegen nicht
sicher bestätigt werden, in keiner ergab sich jedoch ein Hinweis auf eine direkte
Beziehung.
Die Inhomogenität der Studiendesigns ist in verschiedenen ethnischen Populationen,
verschiedenen Lebensaltern, verschiedenen Instrumenten zur Erfassung des Essverhaltens
sowie verschiedenen Beobachtungszeiträumen zu suchen. Diese Unterschiede stellen ein
häufiges Problem bei der zusammenfassenden Bewertung mehrerer unabhängiger epidemiologischer
Studien zur selben Fragestellung bezüglich der Ernährungsabhängigkeit einer Krankheit
dar. Um die Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren abschätzen zu können, treten im speziellen
Fall Art und Qualität der Fische sowie ihre Zubereitungsart komplizierend hinzu, was
nur in einzelnen Untersuchungen abgefragt wurde ([Abb. 4]). Somit sind nur sehr bedingt Rückschlüsse über die tatsächlich aufgenommenen Mengen
von Ω-3-Fettsäuren, besonders DHA, möglich. Darüber hinaus können die übrigen Anteile
der Ernährung bezüglich Demenz in unterschiedlichem Ausmaß bekannte wie bislang unbekannte
positive wie negative Anteile enthalten. Bislang ist insbesondere ein erhöhter Alkoholkonsum
als nachträglich erwiesen (s. u.), der in den publizierten 13 Studien zu Ω-3-Fettsäuren
in Abhängigkeit vom verwandtem Fragebogen in den meisten Fällen erfragt, jedoch nicht
gesondert dargestellt oder diskutiert wurde.
Abb. 4 Sushi ist nicht jedermanns Sache, aber eine gute Quelle für Ω-3-Fettsäuren. © Photo
Alto.
Es ist also grundsätzlich zu erwarten, dass die 13 Studien nicht zu einem einhelligen
Ergebnis kommen. Die Relation 10 zu 3 sowie der völlig ausgebliebene Hinweis auf einen
direkten Zusammenhang lassen einen inversen jedoch sehr wahrscheinlich werden.
Auch wenn ein die Entwicklung einer Demenz verhindernder Einfluss von Fischkonsum
bzw. DHA sehr wahrscheinlich ist, bleiben mehrere Fragen offen:
-
Ist überwiegend eine Einzelsubstanz wie DHA für einen protektiven Effekt verantwortlich
oder treten weitere Nahrungsbestandteile, vielleicht sogar ein ganzes Ernährungskonzept
hinzu?
-
Über welchen Zeitraum und in welchem Lebensabschnitt muss diese Aufnahme erfolgen,
um zur vollen Wirkung zu kommen?
-
Welche quantitativen Aufnahmeempfehlungen etwa für DHA können gegeben werden?
-
Ist DHA durch die vorherrschende pflanzliche Ω-3-Fettsäure α-Linolensäure ersetzbar?
Für die mitteleuropäisch naturheilkundlich orientierte Ernährungslehre bleibt die
letzte Frage angesichts ihrer vegetarisch geprägten Tradition sehr wichtig. Deren
möglicher Beitrag wird bezüglich Demenz meist ähnlich vernachlässigt wie in der Forschung
zur koronaren Herzkrankheit oder chronisch entzündlichen Erkrankungen. Ihr wichtiger
Vertreter ist die α-Linolensäure, die selber vermutlich keine biologisch wichtigen
Eigenschaften hat, im Körper jedoch durch mehrere Schritte zu EPA wie DHA umgewandelt
werden kann. Leinöl (griech. λινοσ, linos, Lein) enthält bis zu 55 % α-Linolensäure (ALA, Summenformel C18 H30 O2, Molekulargewicht 278,4 g•mol−1) und stellt eine leicht zugängliche und für Vegetarier
wie Veganer gut akzeptable Quelle für Ω-3-Fettsäuren dar. Die körpereigene Umwandlung
der aufgenommenen ALA gelingt jedoch nur zu 6,0 % zu EPA bzw. zu 3,8 % zu DHA, sodass
aus einer täglichen Aufnahme von z. B. 10 g Leinöl eine Bioverfügbarkeit von knapp
1 g EPA + DHA resultiert, dies auch erst nach mehrtägiger Gabe aufgrund einer dazu
notwendigen Enzyminduktion. In epidemiologischen Studien wird die Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren
vegetabiler Provenienz i. d. R. nicht untersucht.
Weitere Faktoren
Weitere Faktoren
Als weitere Kandidaten für einen Zusammenhang zwischen nutritiven Faktoren und Demenz
sind die bereits vor den Ω-3-Fettsäuren diskutierten Vitamine der B-Gruppe inzwischen
weitgehend verlassen worden. Einzig ein Folsäuremangel scheint Demenz zu begünstigen. Obwohl im Mausversuch z. B. eine vaskuläre Demenz
durch eine bezüglich Vitamin B drastisch künstlich verarmte Ernährung ausgelöst werden
konnte [12], blieben die Hinweise aus epidemiologischen Untersuchungen spärlich. Seit sich Homocystein
als Endstrecke eines gestörten Vitamin-B12- und Folat-Stoffwechsels etabliert hat, gerät die Hyperhomocysteinämie zusehends in den Brennpunkt. Nachdem mehrere einzelne Arbeiten keine klare Aussage
erkennen ließen, kam eine kürzlich erschienene Übersichtsarbeit über 6 epidemiologische
Studien zu dem Schluss, dass Hyperhomocysteinämie als Risikokonstellation für die
Entwicklung einer Demenz angesehen werden muss [13].
Hoher Alkoholkonsum ist neben vielen anderen schädlichen Effekten mit verminderter Folsäureaufnahme gekoppelt,
sodass neben direkten für das ZNS toxischen Wirkungen des Alkohols ein Folsäuremangel
begünstigend wirken kann. Insgesamt wird jedoch für Alkoholkonsum derzeit eine J-
bzw. U-förmige Abhängigkeit angenommen, sodass sich die regelmäßige Aufnahme kleiner
Mengen ähnlich wie auf das Herz-Kreislauf-System protektiv auswirkt.
Vitamin-D-Mangel scheint sich nicht auszuwirken.
Mediterrane Ernährung
Mediterrane Ernährung
In den letzten Jahren sind unabhängig voneinander 3 epidemiologische Studien durchgeführt
worden, die bei jeweils größeren Bevölkerungsgruppen in den USA (New York [8] bzw. Chicago [11]) und Frankreich [2], [3]) durch standardisierte Fragebögen das Ausmaß untersucht haben, in dem die spontanen
Ernährungsgewohnheiten einer idealtypisch vorgegebenen mediterranen Ernährung entsprechen,
also der Adhärenz zu diesem Ernährungstyp. Dabei zeigte sich, dass die Gruppen mit
der höchsten Adhärenz ein bis 40 % niedrigeres Risiko aufwiesen, eine Demenz vom Alzheimer-Typ
zu erfahren. Mit diesen Erkenntnissen machen sich jetzt mehrere Gruppen weltweit an
den Versuch, durch prospektive Studien die Minderung der Inzidenz für Alzheimer aufzuzeigen.
Die Frage, ob einzelnen Substanzgruppen bzw. einer oder nur wenigen Verbindungen oder
einem ganzen Konzept einer Ernährung die entscheidende Rolle zukommt, kann derzeit
am ehesten mit dem Konzept der mediterranen Diät beantwortet werden. In einer Bevölkerungsstudie
in New York wurden 1219 nicht demente Bürger über im Durchschnitt 3,8 (1,1–6,6) Jahre
beobachtet, in denen 118 Fälle von Alzheimer-Demenz auftraten. Diese Patienten waren
im Vergleich zu denen ohne Demenz älter, schlechter ausgebildet, wiesen ethnische
Häufungen bei Hispano-Amerikanern sowie erhöhte Nüchtern-Insulinspiegel auf [5]. Zusätzlich ergab sich jedoch eine Risikoreduktion auf 0,66 im Vergleich der Terzile
mit der besten vs. der schlechtesten Adhärenz an eine mediterrane Diät.
Die bisherigen Hinweise auf eine manifestations- bzw. progressionsverzögernde Wirkung
der mediterranen Kost haben bereits zu einer Empfehlung mit einer „Hazard Ratio“ von
0,72–1,04 und dem Grad B – mittlere Empfehlungsstärke aufgrund mittlerer Evidenz oder
bei schwacher Evidenz mit hoher Versorgungsrelevanz – geführt, wenn eine Hypertonie
als begünstigende Komorbidität besteht [4].
Spezifische Mechanismen
Spezifische Mechanismen
Ω-3-Fettsäuren und hier insbesondere die DHA spielen eine sehr wichtige Rolle für
die Integrität der Nervenzelle, insbesondere im Zentralnervensystem. Mit etwa 20 %
des Trockengewichts stellt es das Organ mit dem höchsten DHA-Gehalt überhaupt dar.
Ferner tritt hier im Vergleich zu Organen und Zellen wie den Erythrozyten oder funktionellen
Abläufen wie dem Entzündungssystem die relative biologische Bedeutung der EPA zurück,
vermutlich aufgrund der besseren Flexibilität der DHA beim Einbau in Zellmembranen.
97 % der Ω-3-Fettsäuren des Gehirns bzw. 93 % der Ω-3-Fettsäuren in der Netzhaut sind
DHA. Sie ist Ausgangsstoff der Biosynthese von Docosatrienen, Resolvinen und Neuroprotectinen,
die heute als sog. Docosanoide zusammengefasst werden und sämtlich membranstabilisierende
Effekte auf die Nervenzelle ausüben.
Die Konzentration von DHA im ZNS kann derzeit nur autoptisch gemessen werden. Hier
ließen sich für Demenzkranke geringere Konzentrationen als bei nicht Demenzkranken
nachweisen. Könnte eine unzureichende Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren die Ausbreitung
von demenziellen Erkrankungen in Deutschland begünstigen? Diese Frage muss nach dem
derzeitigen Stand des Wissens mit einer hohen Wahrscheinlichkeit bejaht werden. Die
mediane tägliche Aufnahme von EPA plus DHA lag gemäß Nationaler Verzehrsstudie I 1997–1999 für beide Geschlechter und alle Altersgruppen deutlich unter der damaligen
Empfehlung von 350 mg/d, berechnet aus 2 Fischmahlzeiten/Woche mit ca. 1 g Ω-3-FS/100 g
Fisch [1]. Die Nationale Verzehrsstudie II hat leider die Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren nicht mehr separat ausgewiesen [7].
Praktische Schlussfolgerungen
Praktische Schlussfolgerungen
Als Basis für eine neuroprotektive Ernährung kann derzeit das gesamte Konzept der
mediterranen Ernährung empfohlen werden, auch wenn noch viel Forschung zu leisten ist. Für die praktische Ernährungsberatung
bzw. -schulung stellt sich als ein relativer Nachteil der bislang unzureichende Konsens
darüber dar, was darunter genau zu verstehen sei. Umgekehrt hat das Konzept den großen
Vorteil einer hohen Akzeptanz bezüglich Auswahl der Grundnahrungsmittel, Zubereitungstechniken
und geschmacklicher Ausrichtungen. Trotz der grundsätzlich mit diesem Konzept erhöhten
Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren stellt sich zusätzlich die Frage nach einer optimalen
und konstant zu erzielenden Aufnahme, ggf. auch durch Nahrungsergänzungsmittel.
Hierüber besteht noch kein Konsens, der sich aber aufgrund des international ungeheuer
großen Interesses an der Bedeutung von Ω-3-Fettsäuren vermutlich bald erstellen lässt.
Für die Normalbevölkerung geben derzeit weder die DGE noch die am ehesten angesprochenen
wissenschaftlichen Gesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V.
oder die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin e. V. (DGEM) eine Empfehlung.
Die Angabe von Schwellenwerten für eine minimale kritische Aufnahme von Ω-3-Fettsäuren
wird sich kaum erbringen lassen, da der Zusammenhang zwischen Aufnahme und Inzidenz
vermutlich ein kontinuierlich inverser ist.
Wichtige Aussagen für die praktische Beratung
Eine praktische Beratung kann trotz dieser Unzulänglichkeiten zu wichtigen Aussagen
kommen. Zunächst lassen sich Konzentrationen für EPA und DHA aus EDTA-Plasma leicht messen. Sie können unter längere Zeit konstanten Ernährungsgewohnheiten als repräsentativ
für die biologisch einzig wichtigen, bislang jedoch nur in Forschungsprojekten messbaren
Konzentrationen in Zellmembranen, insbesondere im ZNS, gelten. Für DHA wird ein Referenzbereich von 130–230 mg/l, für EPA von 10–85 mg/l angegeben [6]. Diese Bestimmungen sind keine Leistung des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM),
sondern eine individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) bzw. allenfalls analog zu GOÄ Ziffer 3726 (Fettsäuren, Gaschromatografie)
mit 410 Punkten zu berechnen.
Zur Beuteilung einer ausreichenden Veränderung bei etwaiger ungünstiger Ausgangssituation
reicht eine Kontrolle frühestens 6 Wochen nach einer Ernährungsumstellung bzw. der Aufnahme einer Therapie mit Ω-3-Fettsäuren.
Es erscheint ferner hilfreich, darauf hinzuweisen, dass bislang keine toxischen Effekte auch für hohe tägliche Aufnahmen von EPA und DAH (summiert etwa 4 g) bzw. α-Linolensäure
(etwa 20 ml bzw. g) beschrieben worden sind. Aufgrund ihrer bei hohen Dosierungen
fibrinolytischen Eigenschaften erscheint eine gewisse Vorsicht bei der gleichzeitigen Einnahme von aggregationshemmenden Substanzen bzw. eine vorübergehend engmaschigere Kontrolle bei der Antikoagulation mit Phenprocoumon
geboten. Bei initial unauffälligen Gerinnungsdaten und ohne entsprechende Komedikationen
ließen sich in Studien mit Dosierungen bis 3 g/d EPA/DHA bei Rheumatikern keine Veränderungen
der Gerinnungsparameter nachweisen (z. B. [10]).
Darüber hinaus können die Patienten versichert sein, dass sich eine gute Versorgung
mit Ω-3-Fettsäuren Herz-Kreislauf-protektiv, insbesondere in der Tertiärprävention
nach durchgemachtem Herzinfarkt und bei Hyperlipidämie, auswirkt. Vier in Deutschland
als Arzneimittel zugelassene Präparate weisen diesen Indikationsbereich auf. Die entzündungshemmende Wirkung bei rheumatischen Erkrankungen ist in mindestens 17 kontrollierten Studien belegt,
kommt hierzulande jedoch erstaunlich wenig zur Anwendung. Viel schwieriger ist die
Beurteilung des Gehalts in käuflichem Fisch verschiedener Provenienzen sowie der Umwandlungsverluste.
Für die besondere Situation von Schwangerschaft und Stillzeit bzw. Babynahrung gilt, dass eine unzureichende Versorgung von Embryo und Kleinkind
mit EPA zu schweren bleibenden ZNS-Schäden führt. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
e. V. (DGE) gibt deshalb für Schwangere und Stillende die Empfehlung zur Aufnahme
von mindestens 200 mg EPA/Tag aus, ohne dabei das Ziel einer optimalen Ausbildung
des ZNS explizit zu nennen. Dieses sollte der Schwangeren im Rahmen einer qualifizierten
Ernährungsberatung praktisch verdeutlicht werden.
Ernährung bei begünstigenden Komorbiditäten
Neben den noch sehr unsicheren Erkenntnissen zu spezifischen Ernährungsempfehlungen
bez. Prävention wie Progressionsverlangsamung der Demenz müssen Komorbiditäten bzw.
Risikokonstellationen konsequent angegangen werden.
Als gesichert eine demenzielle Entwicklung begünstigend müssen v. a. Diabetes mellitus jeden Typs, Hypertonie sowie Alkoholkrankheit angesehen werden. Speziell für die Demenz vom vaskulären Typ tritt die Hyperlipidämie, insbesondere mit ungünstigem HDL/LDL-Muster hinzu. Für die Kontrolle all dieser
schon weit prädemenziell als Risikofaktoren anzusehenden, oft miteinander vergesellschaftet als Metabolisches Syndrom auftretenden
und grundsätzlich günstig durch Ernährung beeinflussbaren Erkrankungen gilt, dass
eine optimale Kontrolle gemäß den ihnen eigenen Ernährungsempfehlungen anzustreben
ist. Hieraus ergeben sich kaum Widersprüche zu den oben angeführten, möglicherweise
spezifischeren Ansätzen.
Interessenkonflikt: Der Autor erklärt, dass keine wirtschaftlichen oder persönlichen Verbindungen bestehen.