Aktuelle Ernährungsmedizin 2012; 37(01): 28-30
DOI: 10.1055/s-0031-1298912
Kommentar
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe oder späte supplementierende parenterale Ernährung bei erwachsenen Intensivpatienten?

Early Versus Late Parenteral Nutrition in Critically Ill Adults?
T. W. Felbinger
1   Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Städtisches Klinikum München, Klinikum Neuperlach
,
H. P. Richter
1   Klinik für Anästhesiologie, Operative Intensivmedizin und Schmerztherapie, Städtisches Klinikum München, Klinikum Neuperlach
,
K. Mayer
2   Medizinische Klinik und Poliklinik II, Universitätsklinikum Gießen
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Publication Date:
14 February 2012 (online)

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Einleitung

Kaum ein Thema in der modernen Intensivmedizin wird – abgesehen vielleicht von der Diskussion „Kristalloide versus Kolloide zur Volumentherapie kritisch Kranker“ – über Jahrzehnte so kontrovers und emotional diskutiert wie das Thema „enterale versus parenterale Ernährung bei Intensivpatienten“. Zur Frage einer vollen enteralen Ernährung im Vergleich zu einer kompletten parenteralen Ernährung des Intensivpatienten existieren in der Literatur einige bereits vor vielen Jahren publizierte Studien und Metaanalysen. Diese kommen meist zu dem Schluss, dass bei funktionierendem Gastrointestinaltrakt die enterale gegenüber der parenteralen Substratzufuhr zu bevorzugen ist. Bei Insuffizienz des Gastrointestinaltraktes ist aber nach Simpson et al. die parenterale Zufuhr gegenüber der enteralen von Vorteil [1]. Trotzdem wird das Thema weiterhin mit Schlagworten wie „death by total parenteral nutrition“ oder „TPN = total poisoneous nutrition“ mit der Post-hoc-Betrachtung von z. T. über 20 Jahre alten Studien sehr emotional behandelt [2] [3].

Im Gegensatz zum Vergleich der kompletten enteralen versus parenteralen Substratzufuhr sind für die Frage einer supplementierenden parenteralen Ernährung (SPN) bei unvollständiger enteraler Ernährung mehr Expertenmeinungen als klinische Studien vorhanden. In den Leitlinien der ASPEN (American Society of Parenteral and Enteral Nutrition) wird eine SPN frühestens 7 Tage nach Aufnahme auf die Intensivstation empfohlen [4]. Nach den Leitlinien der ESPEN (European Society for Parenteral and Enteral Nutrition) wird eine SPN bereits empfohlen, wenn nach 3 Tagen eine vollständige enterale Ernährung nicht möglich ist [5]. Dabei muss bei der Betrachtung der unterschiedlichen Leitlinien auch berücksichtigt werden, dass u. a. in den USA und Kanada eine hoch dosierte parenterale Glutamingabe nicht möglich ist und moderne Fettemulsionen mit einem reduzierten Gehalt an n-6-PUFA nicht verfügbar sind. Weiterhin stammen viele der in die Leitlinien eingeflossenen Studien aus einer Zeit ohne sichere und effektive Glukosekontrolle und der Praxis der gleichzeitigen Zottenernährung während parenteraler Supplementierung.

Vor diesem Hintergrund waren die Ergebnisse der EPaNIC-Studie [6] aus der Gruppe von van den Berghe mit großer Neugier erwartet worden. Hier sollte zum ersten Mal an einer sehr großen Anzahl von Patienten eine bereits am 3. Tag begonnene SPN mit einer erst am 8. Tag begonnenen SPN miteinander verglichen werden. Bereits wenige Monate nach Publikation der Ergebnisse ist eine größere Anzahl von Kommentaren und Diskussionen in der medizinischen Literatur und auf wissenschaftlichen Kongressen erschienen, die im Folgenden gemeinsam mit den Ergebnissen der Studie diskutiert werden.