Zusammenfassung
Die Frage, ob es ethisch angemessen sein kann, die Knappheit der Ressourcen in der
Medizin über Priorisierungslisten zu „lösen“, ist Gegenstand der Arbeit. Es wird
argumentiert, dass eine solche schematische Priorisierungsliste nur dann in ethischer
Hinsicht unangefochten sein könnte, wenn in ihr ein breiter Konsens darüber zum Ausdruck
käme, was man unter einem guten Leben zu verstehen hätte. Denn Priorisierungsentscheidungen
sind immer zugleich auch implizite Entscheidungen über Konzepte des guten Lebens.
Die Entscheidung, dass diese eine Behandlung Vorrang vor der anderen hat, bedeutet
insofern auch eine Entscheidung darüber, was wichtig ist für ein gutes Leben, was
überhaupt erstrebenswert sein soll im Leben und welches Leben überhaupt als ein wertvolles
Leben angesehen werden soll. Priorisierung lässt sich also nicht nach Maßstab der
Zahlen vornehmen, sondern nur nach Maßstab von Werten. Wenn man nun allein Kosten-Nutzen-Analysen
zugrunde legte, und den Nutzen allein in Geldeinheiten ausdrückte, so ginge dies
unweigerlich mit der Gefahr der Vernachlässigung der chronisch Kranken, der nicht
mehr heilbar Kranken, der betagten Menschen einher. Damit würden genau die Menschen
benachteiligt, für die die Medizin als Heilkunde sich im Grunde zu allererst zuständig
fühlen sollte. Es wird dafür plädiert, die gegenwärtige Kostendebatte als Chance zu
begreifen, sich in der Medizin auf den Kern der ärztlichen Aufgabe zu besinnen und
statt der Einführung von Priorisierungslisten die Einführung eines neuen Bewusstseins
auf den Weg zu bringen, das Bewusstsein, dass humane Medizin eben kein kühl berechnender
Warentausch sein kann. Von einer humanen Medizin kann nur gesprochen werden, wenn
sie befähigt wird, einen bedingungslosen Dienst am Menschen zu vollziehen ohne zu
kalkulieren. Der Weg dahin kann aber nicht über kalkulierende Priorisierungslisten
gehen, weil diese die berechnende Grundhaltung eher noch verstärken würden.
Abstract
The paper discusses the question whether it could be ethically appropriate to “resolve”
the problem of scarce resources in health care via priority lists. It is argued that
such a schematical priority list could only be undisputed in ethical respects if it
represented a broad consensus on the question what a good life would be. Priority
lists are always implicit decisions about specific concepts of the good life. Using
a priority list only in consideration of a mere cost-benefit ratio means to accept
a mere utilitarian way of defining good life. Such a definition goes with neglect
of the interests of people with chronic diseases, of patients with incurable diseases,
of patients with a limited life expectancy. To neglect the interests of these patients
means to abandon the core of medical identity, because medicine has the mission to
help those above all who are most in need and those who cannot help themselves. And
so we have to realize that for medicine there are some values which are more important
than economic considerations. The physician is a person who gives a promise, the promise
to be there for the patient. If the physician now is becoming a businessman, this
promise is no longer valid. The businessman doesn’t give any other promise than not
to act against the contract. But the main need of the patient, his longing for a human
person whom he can trust, cannot become part of a contract. Especially in our time
medicine has to fight for the core of its identity.
Schlüsselwörter
Priorisierung - Rationierung - Dienst am Menschen - Utilitarismus - Diktat der Zahl
Key words
priority lists - rationing - medicine as charity - utilitarism - relativity of numbers