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DOI: 10.1055/s-0033-1351240
Der ÖGD – stark für die Schwachen – gestern, heute und in der Zukunft?
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Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
27. November 2013 (online)
- Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
- Verbesserungen im Bereich der Krankenhaushygiene
- Unbefriedigende Tarifsituation verschärft Nachwuchsmangel


Ende April 2013 fanden sich in Berlin beim 63. Wissenschaftlichen Kongress des BVÖGD und des BZÖG rund 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Motto „Der ÖGD – stark für die Schwachen zusammen“. Ihnen allen stellte sich in der deutschen Hauptstadt die Frage: Kann der öffentliche Gesundheitsdienst diesem Anspruch aktuell und in der Zukunft unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen auch tatsächlich gerecht werden.
Berühmte Persönlichkeiten wie Rudolph Virchow und Robert Koch hatten ihren Arbeits-, Forschungs- und Lebensmittelpunkt in Berlin. Virchows in Berlin entwickelter sozialmedizinischer Ansatz von der zentralen Rolle des „Arztes als Anwalt der Armen“ besitzt auch im 21. Jahrhundert unter veränderten gesellschaftlichen und gesundheitlichen Rahmenbedingungen noch Aktualität. Diesen Gedanken griff das Motto des Kongresses auf. Denn auch in unserer heutigen Gesellschaft stellt der ÖGD als dritte Säule des Gesundheitswesens für Menschen in sozialen Notlagen noch immer eine unverzichtbare Größe und oftmals die letzte mögliche Anlaufstelle dar. Im vorliegenden Themenheft finden Sie wichtige Beiträge aus dem BVÖGD Kongress 2013, die die breite Palette des ÖGD repräsentieren, in vertiefender Weise dargestellt. Allen Autorinnen und Autoren sei für ihre Mitarbeit herzlich gedankt.
Ausgehend vom Leitmotiv des Kongress stellt sich angesichts der aktuellen poltischen Situation die Frage wie stark der öffentliche Gesundheitsdienst für die Schwachen jetzt und in der Zukunft ist. – Seine Bedeutung wird an einigen aktuellen Themenfeldern aufgezeigt.
Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Die amtierende Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Prävention und Gesundheitsförderung im Rahmen einer breit angelegten Präventionsstrategie voranzubringen. So wurde Ende März der Entwurf eines „Gesetzes zur Förderung der Prävention“ vom Bundeskabinett beschlossen. Das ist für den ÖGD ein ganz wichtiger Tätigkeitsbereich, hier hat er die Chance, wirklich etwas zu bewegen. Die Präventionsarbeit vor Ort wird von den Gesundheitsämtern intensiv betrieben.
Dem Stellenwert des ÖGD im Bereich der Prävention wird bislang in dem Gesetzentwurf, der sich fast ausschließlich auf Veränderungen im SGB V beschränkt, nicht ausreichend Rechnung getragen. Hier besteht im weiteren parlamentarischen Beratungsverfahren noch erheblicher Nachholbedarf. Darin waren sich auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer mit Politikern, Verbändevertretern und Wissenschaftlern besetzten Podiumsdiskussion einig.
Mit Blick auf die Einbindung des ÖGD werden bislang wertvolle Chancen, aber auch spezifisches know-how und Ressourcen bislang nicht genutzt. Die im Gesetzentwurf zusätzlich vorgesehenen Finanzmittel für Verbesserungen bei präventiven Maßnahmen in Lebenswelten sind leider nicht unmittelbar für den ÖGD vorgesehen. Hier sollten wir gemeinsam darauf hinwirken, unsere spezifischen Interessen und Angebote gegenüber den Akteuren und Kooperationspartnern offensiv zu vertreten.
Ohne die Beteiligung des ÖGD haben Überlegungen zur Prävention wenig Chancen. Wir haben als einzige Institution im Gesundheitswesen den direkten Zugang zu verschiedenen Lebenswelten, wie Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen sowie bei der Ansprache sozial benachteiligter Gruppen vor Ort – und das sollte man nutzen!
Verbesserungen im Bereich der Krankenhaushygiene
Neben der Prävention wird das Thema Krankenhaushygiene in den letzten Jahren in den Medien und der Politik intensiv diskutiert. Mit zahlreichen Gesetzen auf Bundes- und Landesebene versucht man strukturelle und personelle Verbesserungen in den Krankenhäusern zu etablieren. Davon ist auch der ÖGD betroffen, denn die infektionshygienische Überwachung von Kliniken, Altenheimen und Arztpraxen üben die Gesundheitsämter aus.
In den Landesverordnungen wird nach Vorgaben der Kommission für Krankenhaushygiene flächendeckend konkret geregelt, wie viele Krankenhaushygieniker, hygienebeauftragte Ärzte und Hygienefachkräfte pro Bettenzahl beschäftigt werden sollen. Unstrittig ist, dass in den Einrichtungen der personelle Bedarf im ärztlichen und pflegerischen Bereich für die Krankenhaushygiene aufgestockt werden muss, wenn man Verbesserungen in der Krankenhaushygiene erreichen will. Nach den aktuellsten Plänen der Regierungskoalition sollen den Krankenhäusern hierfür in den nächsten Jahren die Finanzierung zusätzlicher Stellen ermöglicht werden.
Nur, wie soll zugleich damit die infektionshygienische Überwachung durch die Gesundheitsämter sicher gestellt werden? Auch hier ist eine personelle Verstärkung notwendig. Aus unserer Sicht sollte daher der Fokus der Personalaufstockung nicht nur auf den Krankenhausbereich, sondern auch auf die hygieneüberwachenden Behörden gelegt werden.
Neben den Vorkommnissen in Bremen und Mainz hat auch die EHEC Krise gezeigt, wie wichtig eine adäquate personelle Ausstattung in den Gesundheitsämtern ist. Nicht nur die Krankenhäuser haben ein Organisationsverschulden bei zu wenig Hygienepersonal zu rechtfertigen. Auch die politisch Verantwortlichen sind in der Pflicht, im Sinne der Daseinsfürsorge für Bürgerinnen und Bürger, bundesweit die Gesundheitsämter ausreichend finanziell und personell auszustatten.
Nachwuchsmangel hemmt sachgerechte Aufgabenwahrnehmung
Schon jetzt arbeitet insgesamt weniger als 1% der Beschäftigten im Gesundheitswesen im öffentlichen Gesundheitsdienst. Die Gesamtzahl der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst wird auf ca. 2 800 geschätzt und die Zahl ist weiter rückläufig.
Die Ärztestatistiken der Bundesärztekammer über die Entwicklung der Zahl und Altersstruktur der Fachärztinnen und Fachärzte für öffentliches Gesundheitswesen (ÖGW) sprechen eine deutliche Sprache. Diese Zahlen sind alarmierend:
Von Ende 2000 bis Ende 2011 ist die Zahl der berufstätigen Fachärzte für öffentliches Gesundheitswesen um rund 20% zurückgegangen. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der berufstätigen Ärzte insgesamt um rund 16% gestiegen.
Ende 2000 kamen auf einen auf einen berufstätigen Facharzt für ÖGW in der Altersgruppe unter 50 Jahren 1,3 berufstätige Kolleginnen und Kollegen, die 50 Jahre und älter waren. Ende 2011 kommen auf einen ÖGW-Facharzt der Altersgruppe unter 50 Jahren 4,5 Fachärzte über 50 Jahre. Lediglich11 Kolleginnen und Kollegen, nicht einmal 2% aller berufstätigen Fachärztinnen und Fachärzte für öffentliches Gesundheitswesen sind jünger als 40.
Mittlerweile ist die Zahl der nicht mehr berufstätigen und pensionierten ÖGW-Fachärzte sogar höher als die Zahl derjenigen, die bei Bund, Ländern und Gemeinden aktiv tätig sind.
Schon diese Zahlen belegen, wie sehr das Thema Nachwuchsmangel dem ÖGD unter den Nägeln brennt. Auch die Zahl die unbesetzten Stellen vor Ort ist alarmierend. Dies zeigt eine aktuelle Umfrage unseres Berufsverbandes und des Marburger Bundes zur Stellensituation in den deutschen Gesundheitsämtern. Danach war im letzten Jahr etwa jede siebte Facharztstelle länger als 6 Monate nicht besetzt.
Der gravierende Personalmangel erfordert den konkreten Einsatz vor Ort, dass frei werdende Stellen unverzüglich nach besetzt werden. Die politisch Verantwortlichen müssen darauf aufmerksam gemacht werden, dass im Sinne einer regionalen Gesundheitsversorgung für alle Bürgerinnen und Bürger der ÖGD als dritte Säule im Gesundheitswesen adäquat finanziell und personell auszustatten ist. Nicht nur der hausärztliche Bereich hat erhebliche Versorgungsprobleme, auch im ÖGD drohen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer ungünstigen Altersstruktur – zunehmende Engpässe. Nur wenn wir die Verantwortlichen vor Ort sensibilisieren und in die Verantwortung nehmen, wird es gelingen, auch auf höherer Ebene ein Umdenken zu erreichen. Vielleicht bewegt sich auch dann etwas im Tarifbereich auf allen Ebenen.
Im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung steht das Thema Ärztemangel in unterversorgten insbesondere ländlichen Regionen seit geraumer Zeit auf der gesundheitspolitischen Agenda. Mit dem 2011 verabschiedeten Versorgungsstrukturgesetz versucht man hier Versorgungsengpässen wirksam entgegenzutreten und zusätzliche finanzielle Ressourcen bereitzustellen. Im ÖGD ist das Thema Ärztemangel mittlerweile ein flächendeckendes Problem, das von den Verantwortlichen bislang entweder negiert oder in bloßen Lippenbekenntnissen und Fensterreden über die bedeutsame Rolle des ÖGD im deutschen Gesundheitswesen kaschiert wird.
Unbefriedigende Tarifsituation verschärft Nachwuchsmangel
Sobald es um die Bereitstellung adäquater finanzieller und personeller Ressourcen geht, begeben sich die Verantwortlichen in den Landkreisen und kreisfreien Städten sowie bei der Vereinigung der Kommunalen Arbeitgeberverbände auf Tauchstation.
In der schlechten Tarifsituation der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst liegt die wesentliche Ursache für schlechte Personalausstattung und Nachwuchsmangel im ÖGD. Seit Herbst 2010 laufen Tarifverhandlungen für den kommunalen öffentlichen Gesundheitsdienst. Bisher hat die Arbeitgeberseite, konkret die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA), kein akzeptables Angebot unterbreitet.
Fachärztinnen und -ärzte, die aus der Klinik in ein Gesundheitsamt wechseln möchten, werden dort in etwa auf das Gehaltsniveau eines Berufsanfängers zurückgesetzt. Unterm Strich kann das einen Gehaltsverlust von mehr als 1 000 Euro pro Monat ausmachen. Somit ist der öffentliche Gesundheitsdienst beim Werben um qualifizierten fachärztlichen Nachwuchs aus Krankenhäusern nahezu chancenlos.
Immerhin, die Politik hat das Problem erkannt: So hat die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) schon im Februar 2010 die Länderfinanzminister aufgefordert, aufgrund des erheblichen Mangels an Ärztinnen und Ärzten im ÖGD deren Bezahlung zu verbessern. Bei den kommunalen Arbeitgebern ist dieses Signal aber noch nicht angekommen. Wenn man tatsächlich einen arbeitsfähigen und qualitativ hochwertigen ÖGD absichern will, darf man es nicht bei Absichtserklärungen und Solidaritätsadressen belassen.
Wie stark ist der öffentliche Gesundheitsdienst für die Schwachen – in der historischen Tradition, jetzt und in der Zukunft?. Als tragende Säule im Gesundheitssystem in Bund, Land und Kommune ist der öffentliche Gesundheitsdienst auf ein festes Fundament mit adäquater finanzieller und personeller Ausstattung angewiesen – darüber müssen sich alle im Klaren sein, die in der Gesundheitspolitik Verantwortung tragen.
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