Gesundheitswesen 2015; 77(11): 839-844
DOI: 10.1055/s-0034-1384566
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ambulant betreute Demenz-Wohngemeinschaften in Deutschland – Pflegepotenzial und Kosten

Outpatient Care of People with Dementia within Residential Communities in Germany – Care Potential and Cost
M. Wübbeler*
1   Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), AG „Interventional Health Care Research“, Standort Rostock/Greifswald, Greifswald
,
G. Aßmann
1   Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), AG „Interventional Health Care Research“, Standort Rostock/Greifswald, Greifswald
2   Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Universität Greifswald, Greifswald
,
S. Blaut
2   Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Universität Greifswald, Greifswald
,
S. Lueke
1   Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), AG „Interventional Health Care Research“, Standort Rostock/Greifswald, Greifswald
2   Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Universität Greifswald, Greifswald
,
W. Hoffmann
1   Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), AG „Interventional Health Care Research“, Standort Rostock/Greifswald, Greifswald
3   Institut für Community Medicine, Universität Greifswald, Greifswald
,
S. Fleßa
2   Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Gesundheitsmanagement, Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät Universität Greifswald, Greifswald
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Publication History

Publication Date:
30 September 2014 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Seit den 1980er Jahren etablieren sich ambulant betreute Wohngemeinschaften (WGs) als Bestandteil der Versorgungslandschaft und Alternative zur stationären Versorgung. Informationen über (a) die Klientel, die diese Art des Versorgungsangebotes wahrnimmt, (b) deren Pflegepotenzial und (c) über die Kosten solcher Einrichtungen liegen derzeit nicht vor.

Methoden: In einer bundesweiten, postalischen Fragebogenerhebung von Demenz-WGs wurden n=332 Fragebögen an 151 Träger versendet. Die Stichprobe basiert auf einer suchmaschinengestützten Internetrecherche mit verschiedenen Kombinationsbegriffen (u. a. „ambulant“, „Wohnpflegegemeinschaft“) (siehe methodisches Vorgehen). Der versendete Bogen beinhaltete Fragen zur Soziodemografie und Pflegebedürftigkeit der Bewohner, sowie Auslastung, Trägerschaft, Leistungsangeboten und Kostenstruktur der WG.

Ergebnisse: Insgesamt antworteten 81 Träger, die n=88 Wohngemeinschaften unterhielten. Diese versorgten n=794 Bewohner. Dreiviertel der Bewohner waren weiblich, 83% über 80 Jahre alt, davon 16% über 90 Jahre. Die Klientel war stark pflegebedürftig (4% Pflegestufe (PS) 0; 24% PS I; 45% PS II; 26% PS III; 1% PS III+). Die Auslastung der WGs lag bei 95%. 86% der Wohngemeinschaften gaben an, ihre Bewohner bis zum Lebensende versorgen zu können. Nahezu die Hälfte (48%) der Bewohner erhielt Leistungen aus dem Bereich der Sozialhilfe. Durchschnittlich kostete ein Platz in einer Wohngemeinschaft 3 265,08 € monatlich, exklusive Leistungen des Bereichs SGB V.

Schlussfolgerung: Ambulante Demenz-Wohngemeinschaften versorgen stark pflegebedürftige Bewohner. Die Kosten variieren dabei in hohem Maße, sind aber tendenziell nicht niedriger als eine vollstationäre Versorgung. Interessenten sollten sich daher im Vorfeld über die Kosten, Anbieterbindung und das Betreuungs- und Pflegekonzept informieren. Regionale Studien zur Untersuchung der Versorgungsqualität, der Wohnkonzepte und dem damit verbundenen Klientel müssen folgen. Eine Belegungsrate von 98% bezeugt die ­bereits bestehende Nachfrage für dieses Angebot.

Abstract

Background: Since the 1980s dementia residential communities (DRC) have been established as part of the health-care landscape and as an alternative to inpatient long-term nursing care. Information about (a) the residents (b) the care potential and (c) the cost of DRCs are still lacking.

Methods: A nation-wide postal questionnaire was sent to n=332 DRCs managed by n=151 organizations. The sample was based on an internet search with various combinations of search terms such as “outpatient” and “residential care communities”. The questionnaire contained questions about the resident’s social-demography, nursing care level and the utilization, financing and cost structures of DRCs.

Results: In total 81 organizations with n=88 DRCs replied to the questionnaire. Overall n=794 persons were living in these communities, most of the residents were female (80%, n=522), and 67% of the residents were older than 80 years. The nursing care level was high, 27% of the DRC residents reached the highest stage. Only 5% of the DRCs capacity was vacant. 86% of the communities stated to be able to provide nursing care for the residents until the end of their life. Almost half (48%) of the residents received money from the social welfare. The total average amount of cost per place per month was 3 265.08€ (excluding costs of services related to health insurance).

Conclusions: DRCs are caring for residents with high nursing care levels. Costs of these communities vary to a large extent but are in addition comparable to inpatient long-term nursing care. Thus, interested persons should obtain information about cost, financing and care concepts. The low level of vacant capacity demonstrates the demand for DRCs in Germany. Studies with the objective to evaluate quality of care, care concepts and suitable clients for those communities are needed to develop this living concept.

* geteilte Erstautorenschaft


 
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