Aktuelle Ernährungsmedizin 2016; 41(S 01): S35-S36
DOI: 10.1055/s-0042-102743
Übersicht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Aktiv in jedem Alter – Sport und Ernährung in den verschiedenen Lebensphasen: Senioren

Active at Any Age – Exercise and Nutrition in the Different Phases of Life: Older People
W. Zijlstra
Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln
› Author Affiliations
Further Information

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wiebren Zijlstra
Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-6148   

Publication History

Publication Date:
11 April 2016 (online)

 

Zusammenfassung

Regelmäßige körperliche Aktivität ist bei Senioren und chronisch Kranken essenziell für die Prävention von Gebrechlichkeit und Stürzen. Die Herausforderung besteht darin, präzise zu definieren, welchen Umfang und welche Intensität die Aktivität haben sollte, um den Erhalt von Funktionalität und Gesundheit optimal zu fördern. Die meisten Daten zur körperlichen Aktivität von Senioren stammen aus Umfragen mit Selbstauskünften. Subjektive Daten sind jedoch wenig verlässlich.

Eine Möglichkeit zur Erfassung objektiver Daten bieten sensorbasierte Messungen, die bei Senioren zu Hause eingesetzt werden und körperliche Aktivitäten quantifizieren. Diese Messungen bieten eine präzise Basis für die Entwicklung neuer Präventionsstrategien im häuslichen Umfeld. Ein erster Anwendungsbereich ist das Coaching von Senioren mithilfe von Tablet-PCs, über die maßgeschneiderte Übungsanleitungen und Empfehlungen zur körperlichen Aktivität vermittelt werden.


#

Abstract

Regular physical activity in older and chronically ill people is essential for preventing frailty and falls. However, the dosage of physical activity to optimally promote the preservation of function and health needs to be defined in precise detail. Most information on the physical activity of older people comes from surveys collecting self-reported data, but such subjective data are not very reliable.

Sensor-based mobility measurements provide an option for collecting objective data. The sensors can be deployed in older people’s homes and quantify people’s physical activities. They provide a precise basis for developing new prevention strategies in the domestic setting. An initial area of application is in coaching older people by using tablet computers, in order to deliver tailored exercise instructions and recommendations on physical activities.


#

Körperliche Aktivität führt zu physiologischen Anpassungen, die mit einer besseren Fitness verbunden sind und die kardiorespiratorische, muskulo-skeletale, mentale und metabolische Gesundheit verbessern [1]. Kein Medikament kann so viele Organsysteme positiv beeinflussen wie körperliche Aktivität. Bewegung ist die beste Medizin [2]. Auf der Basis von Studien und Metaanalysen der letzten 20 Jahre wurden Empfehlungen erarbeitet, wie viel körperliche Aktivität notwendig und gesund ist [3]: Erwachsene sollten an fünf Tagen pro Woche mindestens 30 min moderate Bewegung einplanen; das entspricht einem Minimum von 150 min pro Woche. Alternativ sind 75 min pro Woche intensive Ausdauerbelastung empfehlenswert. Die Aktivitäten sollten in Einheiten von mindestens 10 min erfolgen und über die Woche verteilt werden.

Der Benefit für die Gesundheit wurde in epidemiologischen Studien ermittelt: Bereits der empfohlene Mindestumfang von 150 min körperlicher Aktivität pro Woche senkt die Mortalität um 30 %, 75 min intensives Ausdauertraining pro Woche sogar um 40 %. Körperliche Aktivität reduziert Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Krankheiten und metabolische Krankheiten wie Typ-2-Diabetes. Sie verbessert die körperliche und mentale Fitness, stärkt motorische Fähigkeiten und senkt das Sturzrisiko.

Langes Sitzen vermeiden!

Für den Erhalt der Gesundheit kommt es aber nicht nur darauf an, den empfohlenen Mindestumfang von 150 min körperlicher Bewegung pro Woche zu erreichen. Auch die Verteilung muss stimmen. Studien zeigen, dass längere Phasen körperlicher Inaktivität ein Gesundheitsrisiko sind [4]. Wer die meiste Zeit des Tages sitzt, kann die negativen Effekte auf den Insulinspiegel und die Blutfettwerte nicht kompensieren, indem er eine Stunde körperlich aktiv ist [5]. Bewegung sollte daher regelmäßig über den Tag verteilt stattfinden: Es ist sinnvoll, zum Beispiel alle 30 min aufzustehen und sich etwas zu bewegen [6]. Exzessives Sitzen gilt es dagegen zu vermeiden.

Derzeit basieren die Empfehlungen für körperliche Aktivität im Wesentlichen auf subjektiven Daten, die auf Selbstangaben in Umfragen beruhen. Studien zeigen, dass diese Angaben verfälscht sein können, etwa weil die Befragten den Umfang ihrer täglichen körperlichen Aktivitäten unter- oder überschätzen. Weitere Studien sollten daher anhand objektiver Daten präzise definieren, wie körperliche Aktivität die beste Gesundheitswirkung entfaltet.


#

Selbstangaben in Umfragen liefern verzerrte Daten

Stürze sind ein großes Problem bei Senioren, sie führen zu gesundheitlichen Einschränkungen und verursachen hohe Kosten, nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft: Schätzungsweise 1 – 2 % der Ausgaben im Gesundheitswesen stehen im Zusammenhang mit Stürzen. Werden Senioren gefragt, wie oft sie gestürzt sind, neigen sie oft zur Untertreibung. Selbstangaben sind daher kein geeignetes Instrument, um die Ursachen und die Frequenz von Stürzen präzise zu erfassen. Auch stimmt die subjektive Wahrnehmung der körperlichen Fähigkeiten oft nicht mit objektiven Funktionsmessungen überein. Selbstangaben erfassen außerdem nicht die Verteilung der körperlichen Aktivitäten während des Tages. Aus diesen Gründen sind subjektive Angaben insgesamt nur eingeschränkt aussagekräftig.


#

Sensorbasierte Erfassung der Mobilität

Sensorbasierte Messmethoden ermöglichen die objektive Erfassung von realen Mobilitäts- und Sturzdaten [7]. Ein Beispiel ist die Messung von Sit-To-Stand-Aktivitäten bei Senioren mit erhöhtem Sturzrisiko. Die Abnahme der Muskelkraft im Lauf des Lebens gilt es zu vermeiden, denn eine ausreichende Muskelfunktion ist Voraussetzung für Selbstständigkeit im Alltag und bestimmt unter anderem, wie schnell und sicher ein Mensch aufstehen oder Treppensteigen kann. Nachlassende Muskelkraft im Alter ist ein Hauptrisikofaktor für Stürze. Sie ist die Ursache für Schwierigkeiten beim Aufstehen und ein Indikator für Inaktivität.

Sensorbasierte Messmethoden können bei Senioren zu Hause eingesetzt werden. Sie quantifizieren Aktivitäten wie Stehen, Sitzen und Gehen und messen, wie viel Kraft zum Aufstehen benötigt wird. Mit diesen Daten ist es möglich, die Zunahme oder Abnahme der Muskelkraft zu erfassen und zu dokumentieren.


#

Coaching von Senioren via Tablet-PC

Entwickelt wurde die sensorbasierte Mobilitätsmessung von der Universität Groningen und der Deutschen Sporthochschule Köln in Kooperation mit dem Unternehmen Philips, Eindhoven. In Studien kommt ein Prototyp des Sensors zum Einsatz, den die Teilnehmer wie eine Halskette um den Hals tragen [8]. Er besteht aus einem 3D-Accelerometer und einem Luftdrucksensor und erfasst die körperliche Aktivität des Trägers. Die Daten sind „real time“, also sofort verfügbar. Da sie im häuslichen Umfeld erhoben werden, geben sie unter „real-life“-Bedingungen präzise Auskunft über die körperlichen Fähigkeiten und sind üblichen standardisierten Tests zur Funktionsdiagnostik weit überlegen [9]. Sie geben detaillierte Einblicke in die Lebenssituation von Senioren und dienen als Basis für die Entwicklung von maßgeschneiderten Interventionen.

Erste Ansätze werden bereits erprobt: In einer derzeit laufenden Studie werden die Daten beim Coaching von Senioren in Kombination mit Tablet-PCs eingesetzt [10]. Coaches geben individuelle Übungsanleitungen und Empfehlungen für Aktivitäten, beispielsweise noch länger zu laufen oder Rad zu fahren. Die Wissenschaftler halten über das Internet Kontakt mit den Senioren.

Sensorbasierte Mobilitätsmessungen bilden die Grundlage für die Entwicklung neuer Präventionsstrategien und effektiver Interventionen für Senioren. Damit können sie dazu beitragen, die Gesundheit von Senioren so lang wie möglich zu erhalten.


#
#

Interessenkonflikt

Der Autor hat keinen Interessenkonflikt.

  • Literatur

  • 1 Chodzko-Zajko WJ, Proctor DN, Fiatarone Singh MA et al. American College of Sports Medicine Position stand. Exercise and Physical Activity for Older Adults. Med Sci Sports Exerc 2009; DOI: 10.1249/MSS.0b013e3181a0c95c.
  • 2 Manini TM. Using Physical Activity to Gain the Most Public Health Bang for the Buck. JAMA Internal Medicine 2015; 175: 968-969
  • 3 Garber CE et al. American College of Sports Medicine – Position stand. Quantity and Quality of Exercise for Developing and Maintaining Cardiorespiratory, Musculoskeletal, and Neuromotor Fitness in Apparently Healthy Adults: Guidance for Prescribing Exercise. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1334-1359
  • 4 Katzmarzyk PT et al. Sitting Time and Mortality from All Causes, Cardiovascular Disease, and Cancer. Med Sci Sports Exerc 2009; 41: 998-1005
  • 5 Duvivier BMFM, Schaper NC, Bremers MA et al. Minimal Intensity Physical Activity (Standing and Walking) of Longer Duration Improves Insulin Action and Plasma Lipids More than Shorter Periods of Moderate to Vigorous Exercise (Cycling) in Sedentary Subjects When Energy Expenditure Is Comparable. PLoS ONE 2013; 8: e55542 DOI: 10.1371/journal.pone.0055542.
  • 6 Rutten GM et al. Interrupting long periods of sitting: good STUFF. International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity 2013; 10: 1
  • 7 Zijlstra W, Becker C, Pfeiffer K. Wearable systems for monitoring mobility related activities; from technology to application for healthcare systems. In: Röcker C, Ziefle M. E-health, Assistive Technologies and Applications for Assisted Living: Challenges and Solutions. Hershey, PA: IGI Global; 2011: 245-268
  • 8 Zhang W, Regterschot GRH, Wahle F et al. Chair rise transfer detection and analysis using a pendant sensor: An algorithm for fall risk assessment in older people. Conf Proc IEEE Eng Med Biol Soc 2014; 2014: 1830-1834
  • 9 Regterschot GRH, Zhang W, Baldus H et al. Sensor-based monitoring of sit-to-stand performance is indicative of objective and self-reported aspects of functional status in older adults. Gait & Posture 2015; 41: 935-940
  • 10 Geraedts HAE, Zijlstra W, Zhang W et al. Adherence to and effectiveness of an individually tailored home-based exercise program for frail older adults, driven by mobility monitoring: design of a prospective cohort study. BMC Public Health 2014; 14: 570 DOI: 10.1186/1471-2458-14-570.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. Wiebren Zijlstra
Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie, Deutsche Sporthochschule Köln
Am Sportpark Müngersdorf 6
50933 Köln
Phone: 0221/4982-6148   

  • Literatur

  • 1 Chodzko-Zajko WJ, Proctor DN, Fiatarone Singh MA et al. American College of Sports Medicine Position stand. Exercise and Physical Activity for Older Adults. Med Sci Sports Exerc 2009; DOI: 10.1249/MSS.0b013e3181a0c95c.
  • 2 Manini TM. Using Physical Activity to Gain the Most Public Health Bang for the Buck. JAMA Internal Medicine 2015; 175: 968-969
  • 3 Garber CE et al. American College of Sports Medicine – Position stand. Quantity and Quality of Exercise for Developing and Maintaining Cardiorespiratory, Musculoskeletal, and Neuromotor Fitness in Apparently Healthy Adults: Guidance for Prescribing Exercise. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1334-1359
  • 4 Katzmarzyk PT et al. Sitting Time and Mortality from All Causes, Cardiovascular Disease, and Cancer. Med Sci Sports Exerc 2009; 41: 998-1005
  • 5 Duvivier BMFM, Schaper NC, Bremers MA et al. Minimal Intensity Physical Activity (Standing and Walking) of Longer Duration Improves Insulin Action and Plasma Lipids More than Shorter Periods of Moderate to Vigorous Exercise (Cycling) in Sedentary Subjects When Energy Expenditure Is Comparable. PLoS ONE 2013; 8: e55542 DOI: 10.1371/journal.pone.0055542.
  • 6 Rutten GM et al. Interrupting long periods of sitting: good STUFF. International Journal of Behavioral Nutrition and Physical Activity 2013; 10: 1
  • 7 Zijlstra W, Becker C, Pfeiffer K. Wearable systems for monitoring mobility related activities; from technology to application for healthcare systems. In: Röcker C, Ziefle M. E-health, Assistive Technologies and Applications for Assisted Living: Challenges and Solutions. Hershey, PA: IGI Global; 2011: 245-268
  • 8 Zhang W, Regterschot GRH, Wahle F et al. Chair rise transfer detection and analysis using a pendant sensor: An algorithm for fall risk assessment in older people. Conf Proc IEEE Eng Med Biol Soc 2014; 2014: 1830-1834
  • 9 Regterschot GRH, Zhang W, Baldus H et al. Sensor-based monitoring of sit-to-stand performance is indicative of objective and self-reported aspects of functional status in older adults. Gait & Posture 2015; 41: 935-940
  • 10 Geraedts HAE, Zijlstra W, Zhang W et al. Adherence to and effectiveness of an individually tailored home-based exercise program for frail older adults, driven by mobility monitoring: design of a prospective cohort study. BMC Public Health 2014; 14: 570 DOI: 10.1186/1471-2458-14-570.